Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pocci, Franz von: Lustiges Komödienbüchlein. Bd. 3. München, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite
Verwandlung.
Stube der alten Kathrin. Der Wolf liegt
im Bett, die Nachthaube der alten Großmutter
auf dem Kopf.
Wolf.
Die Alte hab' ich gefressen und jetzt lieg ich
in ihrem Bett. Das war aber ein miserabler Bissen.
Nun muß das arme Rothkäppchen dran! Es ist
schrecklich und mein Herz sträubt sich gegen diesen
Gedanken; aber mein Wolfsrachen verlangt darnach.
Wie strafen mich doch die Götter für meinen jugend-
lichen Uebermuth so fürchterlich! Der sanfte Heri-
wolf ist zum Raubthier geworden, weil er die Ge-
setze des Fee'nreichs übertreten hat; weil er in froher
Jagdlust die Grenzen des nächtlichen geheimen Lebens
überschritten. -- -- Wenn nur die alte Großmutter
ein fetterer Bissen gewesen wäre, so könnte ich jetzt
mit gutem Gewissen Rothkäppchen kommen sehen.
Allein so, mit halbgesättigtem Magen überwältigt
des Wolfes Heißhunger, diese bestialische Verwand-
lung die sanften Empfindungen des armen Heriwolf.
Verwandlung.
Stube der alten Kathrin. Der Wolf liegt
im Bett, die Nachthaube der alten Großmutter
auf dem Kopf.
Wolf.
Die Alte hab’ ich gefreſſen und jetzt lieg ich
in ihrem Bett. Das war aber ein miſerabler Biſſen.
Nun muß das arme Rothkäppchen dran! Es iſt
ſchrecklich und mein Herz ſträubt ſich gegen dieſen
Gedanken; aber mein Wolfsrachen verlangt darnach.
Wie ſtrafen mich doch die Götter für meinen jugend-
lichen Uebermuth ſo fürchterlich! Der ſanfte Heri-
wolf iſt zum Raubthier geworden, weil er die Ge-
ſetze des Fee’nreichs übertreten hat; weil er in froher
Jagdluſt die Grenzen des nächtlichen geheimen Lebens
überſchritten. — — Wenn nur die alte Großmutter
ein fetterer Biſſen geweſen wäre, ſo könnte ich jetzt
mit gutem Gewiſſen Rothkäppchen kommen ſehen.
Allein ſo, mit halbgeſättigtem Magen überwältigt
des Wolfes Heißhunger, dieſe beſtialiſche Verwand-
lung die ſanften Empfindungen des armen Heriwolf.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0138" n="134"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Verwandlung.</hi> </head><lb/>
            <stage> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Stube der alten Kathrin. Der Wolf liegt<lb/>
im Bett, die Nachthaube der alten Großmutter<lb/>
auf dem Kopf.</hi> </hi> </stage><lb/>
            <sp who="#WOLF">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Wolf.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Die Alte hab&#x2019; ich gefre&#x017F;&#x017F;en und jetzt lieg ich<lb/>
in ihrem Bett. Das war aber ein mi&#x017F;erabler Bi&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Nun muß das arme Rothkäppchen dran! Es i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;chrecklich und mein Herz &#x017F;träubt &#x017F;ich gegen die&#x017F;en<lb/>
Gedanken; aber mein Wolfsrachen verlangt darnach.<lb/>
Wie &#x017F;trafen mich doch die Götter für meinen jugend-<lb/>
lichen Uebermuth &#x017F;o fürchterlich! Der &#x017F;anfte Heri-<lb/>
wolf i&#x017F;t zum Raubthier geworden, weil er die Ge-<lb/>
&#x017F;etze des Fee&#x2019;nreichs übertreten hat; weil er in froher<lb/>
Jagdlu&#x017F;t die Grenzen des nächtlichen geheimen Lebens<lb/>
über&#x017F;chritten. &#x2014; &#x2014; Wenn nur die alte Großmutter<lb/>
ein fetterer Bi&#x017F;&#x017F;en gewe&#x017F;en wäre, &#x017F;o könnte ich jetzt<lb/>
mit gutem Gewi&#x017F;&#x017F;en Rothkäppchen kommen &#x017F;ehen.<lb/>
Allein <hi rendition="#g">&#x017F;o,</hi> mit halbge&#x017F;ättigtem Magen überwältigt<lb/>
des Wolfes Heißhunger, die&#x017F;e be&#x017F;tiali&#x017F;che Verwand-<lb/>
lung die &#x017F;anften Empfindungen des armen Heriwolf.<lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0138] Verwandlung. Stube der alten Kathrin. Der Wolf liegt im Bett, die Nachthaube der alten Großmutter auf dem Kopf. Wolf. Die Alte hab’ ich gefreſſen und jetzt lieg ich in ihrem Bett. Das war aber ein miſerabler Biſſen. Nun muß das arme Rothkäppchen dran! Es iſt ſchrecklich und mein Herz ſträubt ſich gegen dieſen Gedanken; aber mein Wolfsrachen verlangt darnach. Wie ſtrafen mich doch die Götter für meinen jugend- lichen Uebermuth ſo fürchterlich! Der ſanfte Heri- wolf iſt zum Raubthier geworden, weil er die Ge- ſetze des Fee’nreichs übertreten hat; weil er in froher Jagdluſt die Grenzen des nächtlichen geheimen Lebens überſchritten. — — Wenn nur die alte Großmutter ein fetterer Biſſen geweſen wäre, ſo könnte ich jetzt mit gutem Gewiſſen Rothkäppchen kommen ſehen. Allein ſo, mit halbgeſättigtem Magen überwältigt des Wolfes Heißhunger, dieſe beſtialiſche Verwand- lung die ſanften Empfindungen des armen Heriwolf.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pocci_komoedienbuechlein03_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pocci_komoedienbuechlein03_1869/138
Zitationshilfe: Pocci, Franz von: Lustiges Komödienbüchlein. Bd. 3. München, 1869, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pocci_komoedienbuechlein03_1869/138>, abgerufen am 21.11.2024.