Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite
X.
Es liegt an eines Menschen Schmerz, an eines Men¬
schen Wunde nichts,

Es kehrt an das, was Kranke quält, sich ewig der Ge¬
sunde nichts!

Und wäre nicht das Leben kurz, das stets der Mensch
vom Menschen erbt,

So gäb's Beklagenswertheres auf diesem weiten Runde
nichts!

Einförmig stellt Natur sich her, doch tausendförmig ist
ihr Tod,

Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner lezten
Stunde nichts;

Und wer sich willig nicht ergiebt dem ehrnen Loose, das
ihm dräut,

Der zürnt in's Grab sich rettungslos, und fühlt in
dessen Schlunde nichts.

Dies wissen Alle, doch vergißt es Jeder gerne jeden Tag,
So komme denn, in diesem Sinn, hinfort aus meinem
Munde nichts!

Vergeßt, daß auch die Welt betrügt, und daß ihr Wunsch
nur Wünsche zeugt,

Laßt eurer Liebe nichts entgehn, entschlüpfen eurer
Kunde nichts!

Es hoffe Jeder, daß die Zeit ihm gebe was sie Keinem
gab,

Denn Jeder sucht ein All zu seyn, und Jeder ist im
Grunde nichts.


X.
Es liegt an eines Menſchen Schmerz, an eines Men¬
ſchen Wunde nichts,

Es kehrt an das, was Kranke quaͤlt, ſich ewig der Ge¬
ſunde nichts!

Und waͤre nicht das Leben kurz, das ſtets der Menſch
vom Menſchen erbt,

So gaͤb's Beklagenswertheres auf dieſem weiten Runde
nichts!

Einfoͤrmig ſtellt Natur ſich her, doch tauſendfoͤrmig iſt
ihr Tod,

Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner lezten
Stunde nichts;

Und wer ſich willig nicht ergiebt dem ehrnen Looſe, das
ihm draͤut,

Der zuͤrnt in's Grab ſich rettungslos, und fuͤhlt in
deſſen Schlunde nichts.

Dies wiſſen Alle, doch vergißt es Jeder gerne jeden Tag,
So komme denn, in dieſem Sinn, hinfort aus meinem
Munde nichts!

Vergeßt, daß auch die Welt betruͤgt, und daß ihr Wunſch
nur Wuͤnſche zeugt,

Laßt eurer Liebe nichts entgehn, entſchluͤpfen eurer
Kunde nichts!

Es hoffe Jeder, daß die Zeit ihm gebe was ſie Keinem
gab,

Denn Jeder ſucht ein All zu ſeyn, und Jeder iſt im
Grunde nichts.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0138" n="128"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#aq">X.</hi><lb/>
            </head>
            <lg type="poem">
              <l><hi rendition="#in">E</hi>s liegt an eines Men&#x017F;chen Schmerz, an eines Men¬<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chen Wunde nichts,</hi></l><lb/>
              <l>Es kehrt an das, was Kranke qua&#x0364;lt, &#x017F;ich ewig der Ge¬<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;unde nichts!</hi></l><lb/>
              <l>Und wa&#x0364;re nicht das Leben kurz, das &#x017F;tets der Men&#x017F;ch<lb/><hi rendition="#et">vom Men&#x017F;chen erbt,</hi></l><lb/>
              <l>So ga&#x0364;b's Beklagenswertheres auf die&#x017F;em weiten Runde<lb/><hi rendition="#et">nichts!</hi></l><lb/>
              <l>Einfo&#x0364;rmig &#x017F;tellt Natur &#x017F;ich her, doch tau&#x017F;endfo&#x0364;rmig i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">ihr Tod,</hi></l><lb/>
              <l>Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner lezten<lb/><hi rendition="#et">Stunde nichts;</hi></l><lb/>
              <l>Und wer &#x017F;ich willig nicht ergiebt dem ehrnen Loo&#x017F;e, das<lb/><hi rendition="#et">ihm dra&#x0364;ut,</hi></l><lb/>
              <l>Der zu&#x0364;rnt in's Grab &#x017F;ich rettungslos, und fu&#x0364;hlt in<lb/><hi rendition="#et">de&#x017F;&#x017F;en Schlunde nichts.</hi></l><lb/>
              <l>Dies wi&#x017F;&#x017F;en Alle, doch vergißt es Jeder gerne jeden Tag,</l><lb/>
              <l>So komme denn, in die&#x017F;em Sinn, hinfort aus meinem<lb/><hi rendition="#et">Munde nichts!</hi></l><lb/>
              <l>Vergeßt, daß auch die Welt betru&#x0364;gt, und daß ihr Wun&#x017F;ch<lb/><hi rendition="#et">nur Wu&#x0364;n&#x017F;che zeugt,</hi></l><lb/>
              <l>Laßt eurer Liebe nichts entgehn, ent&#x017F;chlu&#x0364;pfen eurer<lb/><hi rendition="#et">Kunde nichts!</hi></l><lb/>
              <l>Es hoffe Jeder, daß die Zeit ihm gebe was &#x017F;ie Keinem<lb/><hi rendition="#et">gab,</hi></l><lb/>
              <l>Denn Jeder &#x017F;ucht ein All zu &#x017F;eyn, und Jeder i&#x017F;t im<lb/><hi rendition="#et">Grunde nichts.</hi></l><lb/>
            </lg>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0138] X. Es liegt an eines Menſchen Schmerz, an eines Men¬ ſchen Wunde nichts, Es kehrt an das, was Kranke quaͤlt, ſich ewig der Ge¬ ſunde nichts! Und waͤre nicht das Leben kurz, das ſtets der Menſch vom Menſchen erbt, So gaͤb's Beklagenswertheres auf dieſem weiten Runde nichts! Einfoͤrmig ſtellt Natur ſich her, doch tauſendfoͤrmig iſt ihr Tod, Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner lezten Stunde nichts; Und wer ſich willig nicht ergiebt dem ehrnen Looſe, das ihm draͤut, Der zuͤrnt in's Grab ſich rettungslos, und fuͤhlt in deſſen Schlunde nichts. Dies wiſſen Alle, doch vergißt es Jeder gerne jeden Tag, So komme denn, in dieſem Sinn, hinfort aus meinem Munde nichts! Vergeßt, daß auch die Welt betruͤgt, und daß ihr Wunſch nur Wuͤnſche zeugt, Laßt eurer Liebe nichts entgehn, entſchluͤpfen eurer Kunde nichts! Es hoffe Jeder, daß die Zeit ihm gebe was ſie Keinem gab, Denn Jeder ſucht ein All zu ſeyn, und Jeder iſt im Grunde nichts.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828/138
Zitationshilfe: Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828/138>, abgerufen am 21.12.2024.