Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite
VIII.
O Thor, wer nicht im Augenblick den wahren Augen¬
blick ergreift,

Wer, was er liebt, im Auge hat, und dennoch nach
der Seite schweift!

Es hat der Sämann ausgesät, doch frißt der Rost die
Sense nun,

Des Schnitters Arme sind zu schlaff, was hilft es, ob
das Korn gereift?

Die welken Blätter les't ihr auf, da stürmisch der
November saus't,

O pflücktet Blüthen ihr im Mai, wenn aus dem Laub
der Vogel pfeift!

Nur Der vermag, wie Titus einst, zu rufen: Ich ge¬
wann den Tag!

Wer einen süßen Mund berührt, an einen schönen Arm
gestreift:

Die Lehre zwar ist alt, ich weiß; doch hat sie Mancher
nicht befolgt,

Deß Grab sich nun im Lenz beros't, deß Grab sich nun
im Herbst bereift.


VIII.
O Thor, wer nicht im Augenblick den wahren Augen¬
blick ergreift,

Wer, was er liebt, im Auge hat, und dennoch nach
der Seite ſchweift!

Es hat der Saͤmann ausgeſaͤt, doch frißt der Roſt die
Senſe nun,

Des Schnitters Arme ſind zu ſchlaff, was hilft es, ob
das Korn gereift?

Die welken Blaͤtter leſ't ihr auf, da ſtuͤrmiſch der
November ſauſ't,

O pfluͤcktet Bluͤthen ihr im Mai, wenn aus dem Laub
der Vogel pfeift!

Nur Der vermag, wie Titus einſt, zu rufen: Ich ge¬
wann den Tag!

Wer einen ſuͤßen Mund beruͤhrt, an einen ſchoͤnen Arm
geſtreift:

Die Lehre zwar iſt alt, ich weiß; doch hat ſie Mancher
nicht befolgt,

Deß Grab ſich nun im Lenz beroſ't, deß Grab ſich nun
im Herbſt bereift.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0136" n="126"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>VIII.<lb/></head>
            <lg type="poem">
              <l><hi rendition="#in">O</hi> Thor, wer nicht im Augenblick den wahren Augen¬<lb/><hi rendition="#et">blick ergreift,</hi></l><lb/>
              <l>Wer, was er liebt, im Auge hat, und dennoch nach<lb/><hi rendition="#et">der Seite &#x017F;chweift!</hi></l><lb/>
              <l>Es hat der Sa&#x0364;mann ausge&#x017F;a&#x0364;t, doch frißt der Ro&#x017F;t die<lb/><hi rendition="#et">Sen&#x017F;e nun,</hi></l><lb/>
              <l>Des Schnitters Arme &#x017F;ind zu &#x017F;chlaff, was hilft es, ob<lb/><hi rendition="#et">das Korn gereift?</hi></l><lb/>
              <l>Die welken Bla&#x0364;tter le&#x017F;'t ihr auf, da &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;ch der<lb/><hi rendition="#et">November &#x017F;au&#x017F;'t,</hi></l><lb/>
              <l>O pflu&#x0364;cktet Blu&#x0364;then ihr im Mai, wenn aus dem Laub<lb/><hi rendition="#et">der Vogel pfeift!</hi></l><lb/>
              <l>Nur Der vermag, wie Titus ein&#x017F;t, zu rufen: Ich ge¬<lb/><hi rendition="#et">wann den Tag!</hi></l><lb/>
              <l>Wer einen &#x017F;u&#x0364;ßen Mund beru&#x0364;hrt, an einen &#x017F;cho&#x0364;nen Arm<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;treift:</hi></l><lb/>
              <l>Die Lehre zwar i&#x017F;t alt, ich weiß; doch hat &#x017F;ie Mancher<lb/><hi rendition="#et">nicht befolgt,</hi></l><lb/>
              <l>Deß Grab &#x017F;ich nun im Lenz bero&#x017F;'t, deß Grab &#x017F;ich nun<lb/><hi rendition="#et">im Herb&#x017F;t bereift.</hi></l><lb/>
            </lg>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0136] VIII. O Thor, wer nicht im Augenblick den wahren Augen¬ blick ergreift, Wer, was er liebt, im Auge hat, und dennoch nach der Seite ſchweift! Es hat der Saͤmann ausgeſaͤt, doch frißt der Roſt die Senſe nun, Des Schnitters Arme ſind zu ſchlaff, was hilft es, ob das Korn gereift? Die welken Blaͤtter leſ't ihr auf, da ſtuͤrmiſch der November ſauſ't, O pfluͤcktet Bluͤthen ihr im Mai, wenn aus dem Laub der Vogel pfeift! Nur Der vermag, wie Titus einſt, zu rufen: Ich ge¬ wann den Tag! Wer einen ſuͤßen Mund beruͤhrt, an einen ſchoͤnen Arm geſtreift: Die Lehre zwar iſt alt, ich weiß; doch hat ſie Mancher nicht befolgt, Deß Grab ſich nun im Lenz beroſ't, deß Grab ſich nun im Herbſt bereift.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828/136
Zitationshilfe: Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828/136>, abgerufen am 21.11.2024.