Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828.VIII. Wer wagte je, zu hassen dich, wiewohl du schweigst? Wir kennen dich, wir fassen dich, wiewohl du schweigst: Der schelm'sche Zug um deinen Mund und um dein Aug' Verräth auf allen Gassen dich, wiewohl du schweigst; Verstellung irrt um deine Stirn so liebenswerth, Wie sollten wir verlassen dich, wiewohl du schweigst? Es ist der Wein, den Hafis trinkt, gefärbt wie du, Doch Liebe macht erblassen dich, wiewohl du schweigst. IX. Es trillert Bülbül fern von ihr, und Thau vergießt die Rose: Dem liebsten folgen kann sie nicht, im Boden sprießt die Rose: Ihr seht der Rose sehnend Herz und lächelt, stolze Tulpen, Wahr ist's, sie leidet viel, doch auch wie viel genießt die Rose! Zwar fallen ihre Blätter ab, und flattern durch den Aether, Doch jedes Blättchen wird ein Stern, und Strahlen schießt die Rose! Wohl euch, daß Hafis unter euch, euch ihren Schmerz zu deuten, Weil ihren goldnen Busen doch vor euch verschließt die Rose! VIII. Wer wagte je, zu haſſen dich, wiewohl du ſchweigſt? Wir kennen dich, wir faſſen dich, wiewohl du ſchweigſt: Der ſchelm'ſche Zug um deinen Mund und um dein Aug' Verraͤth auf allen Gaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt; Verſtellung irrt um deine Stirn ſo liebenswerth, Wie ſollten wir verlaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt? Es iſt der Wein, den Hafis trinkt, gefaͤrbt wie du, Doch Liebe macht erblaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt. IX. Es trillert Buͤlbuͤl fern von ihr, und Thau vergießt die Roſe: Dem liebſten folgen kann ſie nicht, im Boden ſprießt die Roſe: Ihr ſeht der Roſe ſehnend Herz und laͤchelt, ſtolze Tulpen, Wahr iſt's, ſie leidet viel, doch auch wie viel genießt die Roſe! Zwar fallen ihre Blaͤtter ab, und flattern durch den Aether, Doch jedes Blaͤttchen wird ein Stern, und Strahlen ſchießt die Roſe! Wohl euch, daß Hafis unter euch, euch ihren Schmerz zu deuten, Weil ihren goldnen Buſen doch vor euch verſchließt die Roſe! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb n="107" facs="#f0117"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#aq">VIII.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">W</hi>er wagte je, zu haſſen dich, wiewohl du ſchweigſt?</l><lb/> <l>Wir kennen dich, wir faſſen dich, wiewohl du ſchweigſt:</l><lb/> <l>Der ſchelm'ſche Zug um deinen Mund und um dein Aug'</l><lb/> <l>Verraͤth auf allen Gaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt;</l><lb/> <l>Verſtellung irrt um deine Stirn ſo liebenswerth,</l><lb/> <l>Wie ſollten wir verlaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt?</l><lb/> <l>Es iſt der Wein, den <hi rendition="#g">Hafis</hi> trinkt, gefaͤrbt wie du,</l><lb/> <l>Doch Liebe macht erblaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt.</l><lb/> </lg> </div> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#aq">IX.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">E</hi>s trillert Buͤlbuͤl fern von ihr, und Thau vergießt<lb/><hi rendition="#et">die Roſe:</hi></l><lb/> <l>Dem liebſten folgen kann ſie nicht, im Boden ſprießt<lb/><hi rendition="#et">die Roſe:</hi></l><lb/> <l>Ihr ſeht der Roſe ſehnend Herz und laͤchelt, ſtolze<lb/><hi rendition="#et">Tulpen,</hi></l><lb/> <l>Wahr iſt's, ſie leidet viel, doch auch wie viel genießt<lb/><hi rendition="#et">die Roſe!</hi></l><lb/> <l>Zwar fallen ihre Blaͤtter ab, und flattern durch den<lb/><hi rendition="#et">Aether,</hi></l><lb/> <l>Doch jedes Blaͤttchen wird ein Stern, und Strahlen<lb/><hi rendition="#et">ſchießt die Roſe!</hi></l><lb/> <l>Wohl euch, daß <hi rendition="#g">Hafis</hi> unter euch, euch ihren Schmerz<lb/><hi rendition="#et">zu deuten,</hi></l><lb/> <l>Weil ihren goldnen Buſen doch vor euch verſchließt die<lb/><hi rendition="#et">Roſe!</hi></l><lb/> </lg> </div> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0117]
VIII.
Wer wagte je, zu haſſen dich, wiewohl du ſchweigſt?
Wir kennen dich, wir faſſen dich, wiewohl du ſchweigſt:
Der ſchelm'ſche Zug um deinen Mund und um dein Aug'
Verraͤth auf allen Gaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt;
Verſtellung irrt um deine Stirn ſo liebenswerth,
Wie ſollten wir verlaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt?
Es iſt der Wein, den Hafis trinkt, gefaͤrbt wie du,
Doch Liebe macht erblaſſen dich, wiewohl du ſchweigſt.
IX.
Es trillert Buͤlbuͤl fern von ihr, und Thau vergießt
die Roſe:
Dem liebſten folgen kann ſie nicht, im Boden ſprießt
die Roſe:
Ihr ſeht der Roſe ſehnend Herz und laͤchelt, ſtolze
Tulpen,
Wahr iſt's, ſie leidet viel, doch auch wie viel genießt
die Roſe!
Zwar fallen ihre Blaͤtter ab, und flattern durch den
Aether,
Doch jedes Blaͤttchen wird ein Stern, und Strahlen
ſchießt die Roſe!
Wohl euch, daß Hafis unter euch, euch ihren Schmerz
zu deuten,
Weil ihren goldnen Buſen doch vor euch verſchließt die
Roſe!
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Zitationshilfe: | Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828/117>, abgerufen am 03.03.2025. |