Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

Funfzig Maximen
Patrons, oder Patroninn: So ist kein merk-
würdigerer Tag im ganzen Calender, als eben
dieser, da sein Principal, oder Gebieterinn, zur
Welt gebohren wurde; ob sie gleich niemand
würde sonderlich vermisset haben, wenn sie schon
gar nicht das Licht der Welt erblicket hätten.
Es müssen auch wol noch die ersten Windeln
und die Boye, darinn der jetzige Held ehedem
gelegen, hervorgesucht und herausgestrichen wer-
den, etc.

28. Maxime.

Ein kriechender Poete wird sich nicht leicht
so hoch versteigen, die himmlischen Cörper poe-
tisch zu beschreiben, er müßte denn durch sein
poetisches Fern-Glas etwa Einwohner im
Monden,
oder denen Fix-Sternen, oder neue
Sonnen-Flecken,
oder bedrohliche Cometen,
und andere ausserordentliche Luft-Zeichen, be-
merket haben. Daß er auch, nach Art eines
Brockes in Hamburg, oder Weichmanns im
Patrioten, die Geschöpfe Gottes auf der Erde
an Bluhmen, Bäumen, Metallen, Ströhmen
etc. poetisch abschildern sollte, ist dem Geschmacke
eines kriechenden Poeten ganz zuwider. Auch
die Kunst-Stücke berühmter Künstler wird
er ungern in Reime bringen, weil es zuviel Kopf-
brechens machen würde. Doch eine Statue
oder ein Gemählde zu beschreiben, darinn alles
an Menschen und Thieren nackend vorgestellet
ist, wird ihm eben nicht sauer ankommen, wenn

er

Funfzig Maximen
Patrons, oder Patroninn: So iſt kein merk-
wuͤrdigerer Tag im ganzen Calender, als eben
dieſer, da ſein Principal, oder Gebieterinn, zur
Welt gebohren wurde; ob ſie gleich niemand
wuͤrde ſonderlich vermiſſet haben, wenn ſie ſchon
gar nicht das Licht der Welt erblicket haͤtten.
Es muͤſſen auch wol noch die erſten Windeln
und die Boye, darinn der jetzige Held ehedem
gelegen, hervorgeſucht und herausgeſtrichen wer-
den, ꝛc.

28. Maxime.

Ein kriechender Poete wird ſich nicht leicht
ſo hoch verſteigen, die himmliſchen Coͤrper poe-
tiſch zu beſchreiben, er muͤßte denn durch ſein
poetiſches Fern-Glas etwa Einwohner im
Monden,
oder denen Fix-Sternen, oder neue
Sonnen-Flecken,
oder bedrohliche Cometen,
und andere auſſerordentliche Luft-Zeichen, be-
merket haben. Daß er auch, nach Art eines
Brockes in Hamburg, oder Weichmanns im
Patrioten, die Geſchoͤpfe Gottes auf der Erde
an Bluhmen, Baͤumen, Metallen, Stroͤhmen
ꝛc. poetiſch abſchildern ſollte, iſt dem Geſchmacke
eines kriechenden Poeten ganz zuwider. Auch
die Kunſt-Stuͤcke beruͤhmter Kuͤnſtler wird
er ungern in Reime bringen, weil es zuviel Kopf-
brechens machen wuͤrde. Doch eine Statue
oder ein Gemaͤhlde zu beſchreiben, darinn alles
an Menſchen und Thieren nackend vorgeſtellet
iſt, wird ihm eben nicht ſauer ankommen, wenn

er
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0086" n="78"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Funfzig Maximen</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">Patrons,</hi> oder <hi rendition="#fr">Patroninn:</hi> So i&#x017F;t kein merk-<lb/>
wu&#x0364;rdigerer Tag im ganzen Calender, als eben<lb/>
die&#x017F;er, da &#x017F;ein Principal, oder Gebieterinn, zur<lb/>
Welt gebohren wurde; ob &#x017F;ie gleich niemand<lb/>
wu&#x0364;rde &#x017F;onderlich <hi rendition="#fr">vermi&#x017F;&#x017F;et</hi> haben, wenn &#x017F;ie &#x017F;chon<lb/>
gar nicht das Licht der Welt erblicket ha&#x0364;tten.<lb/>
Es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en auch wol noch die <hi rendition="#fr">er&#x017F;ten Windeln</hi><lb/>
und die <hi rendition="#fr">Boye,</hi> darinn der jetzige Held ehedem<lb/>
gelegen, hervorge&#x017F;ucht und herausge&#x017F;trichen wer-<lb/>
den, &#xA75B;c.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">28. Maxime.</hi> </head><lb/>
          <p>Ein <hi rendition="#fr">kriechender Poete</hi> wird &#x017F;ich nicht leicht<lb/>
&#x017F;o hoch ver&#x017F;teigen, die himmli&#x017F;chen Co&#x0364;rper poe-<lb/>
ti&#x017F;ch zu be&#x017F;chreiben, er mu&#x0364;ßte denn durch &#x017F;ein<lb/>
poeti&#x017F;ches Fern-Glas etwa <hi rendition="#fr">Einwohner im<lb/>
Monden,</hi> oder denen <hi rendition="#fr">Fix-Sternen,</hi> oder <hi rendition="#fr">neue<lb/>
Sonnen-Flecken,</hi> oder <hi rendition="#fr">bedrohliche Cometen,</hi><lb/>
und andere <hi rendition="#fr">au&#x017F;&#x017F;erordentliche Luft-Zeichen,</hi> be-<lb/>
merket haben. Daß er auch, nach Art eines<lb/><hi rendition="#fr">Brockes</hi> in Hamburg, oder <hi rendition="#fr">Weichmanns</hi> im<lb/>
Patrioten, die <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe Gottes</hi> auf der Erde<lb/>
an Bluhmen, Ba&#x0364;umen, Metallen, Stro&#x0364;hmen<lb/>
&#xA75B;c. poeti&#x017F;ch ab&#x017F;childern &#x017F;ollte, i&#x017F;t dem Ge&#x017F;chmacke<lb/>
eines kriechenden Poeten ganz zuwider. Auch<lb/>
die <hi rendition="#fr">Kun&#x017F;t-Stu&#x0364;cke beru&#x0364;hmter Ku&#x0364;n&#x017F;tler</hi> wird<lb/>
er ungern in Reime bringen, weil es zuviel Kopf-<lb/>
brechens machen wu&#x0364;rde. Doch eine Statue<lb/>
oder ein Gema&#x0364;hlde zu be&#x017F;chreiben, darinn alles<lb/>
an Men&#x017F;chen und Thieren <hi rendition="#fr">nackend</hi> vorge&#x017F;tellet<lb/>
i&#x017F;t, wird ihm eben nicht &#x017F;auer ankommen, wenn<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0086] Funfzig Maximen Patrons, oder Patroninn: So iſt kein merk- wuͤrdigerer Tag im ganzen Calender, als eben dieſer, da ſein Principal, oder Gebieterinn, zur Welt gebohren wurde; ob ſie gleich niemand wuͤrde ſonderlich vermiſſet haben, wenn ſie ſchon gar nicht das Licht der Welt erblicket haͤtten. Es muͤſſen auch wol noch die erſten Windeln und die Boye, darinn der jetzige Held ehedem gelegen, hervorgeſucht und herausgeſtrichen wer- den, ꝛc. 28. Maxime. Ein kriechender Poete wird ſich nicht leicht ſo hoch verſteigen, die himmliſchen Coͤrper poe- tiſch zu beſchreiben, er muͤßte denn durch ſein poetiſches Fern-Glas etwa Einwohner im Monden, oder denen Fix-Sternen, oder neue Sonnen-Flecken, oder bedrohliche Cometen, und andere auſſerordentliche Luft-Zeichen, be- merket haben. Daß er auch, nach Art eines Brockes in Hamburg, oder Weichmanns im Patrioten, die Geſchoͤpfe Gottes auf der Erde an Bluhmen, Baͤumen, Metallen, Stroͤhmen ꝛc. poetiſch abſchildern ſollte, iſt dem Geſchmacke eines kriechenden Poeten ganz zuwider. Auch die Kunſt-Stuͤcke beruͤhmter Kuͤnſtler wird er ungern in Reime bringen, weil es zuviel Kopf- brechens machen wuͤrde. Doch eine Statue oder ein Gemaͤhlde zu beſchreiben, darinn alles an Menſchen und Thieren nackend vorgeſtellet iſt, wird ihm eben nicht ſauer ankommen, wenn er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/86
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/86>, abgerufen am 23.12.2024.