§ 5. Alldieweil nun der Haupt-Begriff, darinn die Reimschmiederey und kriechende Poe- sie mit einander übereinkommen, dieser ist, daß beyde eine Kunst sind: So darf man wahrlich weder einen Reimschmied noch kriechenden Poe- ten für einen ungeschickten Menschen halten.
2. Grundsatz.
§ 6. Die Reimschmiederey hat mit Wor- ten, Sylben und Reimen, die kriechende Poesie aber mit Gedanken und Begriffen zu thun.
1. Zusatz.
§ 7. Die gemeine Vernunft-Lehre be- hauptet zwar, daß man, wenn man redet, vor- her erst richtig denken müsse; aber bey der Reim- schmiederey kann man reimen, wenn auch gleich gar kein Gedanke dahinter stecket.
Anmerkung.
§ 8. Ein Reim ohne Jdee klinget uns so lieblich, als ein musicalischer Ton einer Sack- pfeife. Es ist eine Mischung des Rauhen und Sanften. Daß der Gedanke fehlt, klingt et- was rauh; aber die Zierlichkeit des Reims er- setzt diesen Mangel.
2. Zusatz.
§ 9. Wenn der niedrige Gedanke sich bald in einen Reim zwingen lässet, entstehet daraus eine liebliche vorherbestimmte Harmonie zwi- schen der Reimschmiederey und kriechenden Poesie.
3. Zu-
Die Reimſchmiede-Kunſt
2. Zuſatz.
§ 5. Alldieweil nun der Haupt-Begriff, darinn die Reimſchmiederey und kriechende Poe- ſie mit einander uͤbereinkommen, dieſer iſt, daß beyde eine Kunſt ſind: So darf man wahrlich weder einen Reimſchmied noch kriechenden Poe- ten fuͤr einen ungeſchickten Menſchen halten.
2. Grundſatz.
§ 6. Die Reimſchmiederey hat mit Wor- ten, Sylben und Reimen, die kriechende Poeſie aber mit Gedanken und Begriffen zu thun.
1. Zuſatz.
§ 7. Die gemeine Vernunft-Lehre be- hauptet zwar, daß man, wenn man redet, vor- her erſt richtig denken muͤſſe; aber bey der Reim- ſchmiederey kann man reimen, wenn auch gleich gar kein Gedanke dahinter ſtecket.
Anmerkung.
§ 8. Ein Reim ohne Jdee klinget uns ſo lieblich, als ein muſicaliſcher Ton einer Sack- pfeife. Es iſt eine Miſchung des Rauhen und Sanften. Daß der Gedanke fehlt, klingt et- was rauh; aber die Zierlichkeit des Reims er- ſetzt dieſen Mangel.
2. Zuſatz.
§ 9. Wenn der niedrige Gedanke ſich bald in einen Reim zwingen laͤſſet, entſtehet daraus eine liebliche vorherbeſtimmte Harmonie zwi- ſchen der Reimſchmiederey und kriechenden Poeſie.
3. Zu-
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Die Reimſchmiede-Kunſt
2. Zuſatz.
§ 5. Alldieweil nun der Haupt-Begriff,
darinn die Reimſchmiederey und kriechende Poe-
ſie mit einander uͤbereinkommen, dieſer iſt, daß
beyde eine Kunſt ſind: So darf man wahrlich
weder einen Reimſchmied noch kriechenden Poe-
ten fuͤr einen ungeſchickten Menſchen halten.
2. Grundſatz.
§ 6. Die Reimſchmiederey hat mit Wor-
ten, Sylben und Reimen, die kriechende
Poeſie aber mit Gedanken und Begriffen zu
thun.
1. Zuſatz.
§ 7. Die gemeine Vernunft-Lehre be-
hauptet zwar, daß man, wenn man redet, vor-
her erſt richtig denken muͤſſe; aber bey der Reim-
ſchmiederey kann man reimen, wenn auch gleich
gar kein Gedanke dahinter ſtecket.
Anmerkung.
§ 8. Ein Reim ohne Jdee klinget uns ſo
lieblich, als ein muſicaliſcher Ton einer Sack-
pfeife. Es iſt eine Miſchung des Rauhen und
Sanften. Daß der Gedanke fehlt, klingt et-
was rauh; aber die Zierlichkeit des Reims er-
ſetzt dieſen Mangel.
2. Zuſatz.
§ 9. Wenn der niedrige Gedanke ſich bald
in einen Reim zwingen laͤſſet, entſtehet daraus
eine liebliche vorherbeſtimmte Harmonie zwi-
ſchen der Reimſchmiederey und kriechenden Poeſie.
3. Zu-
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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/28>, abgerufen am 03.03.2025.
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