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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Dreyßig Fragestücke
Schöne sich aus dem Bette bemühet, und an
das Fenster getreten, nicht so viel Thaler werth
sey, als das Ständgen gekostet; oder aber er
wird gar gewahr, daß sie entweder sein Ständ-
gen im Schlafe nicht höret, also er es ihr ver-
gebens würde gebracht haben; oder wo sie es
auch höret, dennoch es ihm verdrießlich fällt,
wenn sie so commode ist, im Bette liegen zu
bleiben, und ihn vorm Fenster passen zu lassen:
So kann sich natürlicher Weise seine vorherige
Entzückung in einen Koller verwandeln, daß
er mit den Jnstrumenten zu rasen anfängt, um
sie aus dem Schlafe zu erwecken, oder ihr durch
den Jnstrumenten-Laut zu verstehen zu geben,
sie solle sich am Fenster präsentiren.

30. Frage.
Was heisset wol endlich die poetische Schlaf-
sucht und Ohnmacht?
Antwort.

Wenn der Poete von gar vielen Reimen so
matt und entkräftet ist, daß man aus seinen Ver-
sen errathen kann, er sey darüber eingeschlafen,
oder habe andre mit seiner Poesie eingeschläfert:
So rühret solches von einer poetischen Schlaf-
sucht
her. Wenn aber der kriechende Poete
alle seine Pfeile gegen seinen Gegner verschossen,
und dennoch solcher ihm das Feld noch nicht
räumen will, sondern so trotzig ist, ihm seinen
poetischen Helm, darauf er sich verließ, zu neh-
men, und ganz darnieder zu legen, oder in die
Flucht zu schlagen, daß er aus dem Athem kömmt,

wenn

Dreyßig Frageſtuͤcke
Schoͤne ſich aus dem Bette bemuͤhet, und an
das Fenſter getreten, nicht ſo viel Thaler werth
ſey, als das Staͤndgen gekoſtet; oder aber er
wird gar gewahr, daß ſie entweder ſein Staͤnd-
gen im Schlafe nicht hoͤret, alſo er es ihr ver-
gebens wuͤrde gebracht haben; oder wo ſie es
auch hoͤret, dennoch es ihm verdrießlich faͤllt,
wenn ſie ſo commode iſt, im Bette liegen zu
bleiben, und ihn vorm Fenſter paſſen zu laſſen:
So kann ſich natuͤrlicher Weiſe ſeine vorherige
Entzuͤckung in einen Koller verwandeln, daß
er mit den Jnſtrumenten zu raſen anfaͤngt, um
ſie aus dem Schlafe zu erwecken, oder ihr durch
den Jnſtrumenten-Laut zu verſtehen zu geben,
ſie ſolle ſich am Fenſter praͤſentiren.

30. Frage.
Was heiſſet wol endlich die poetiſche Schlaf-
ſucht und Ohnmacht?
Antwort.

Wenn der Poete von gar vielen Reimen ſo
matt und entkraͤftet iſt, daß man aus ſeinen Ver-
ſen errathen kann, er ſey daruͤber eingeſchlafen,
oder habe andre mit ſeiner Poeſie eingeſchlaͤfert:
So ruͤhret ſolches von einer poetiſchen Schlaf-
ſucht
her. Wenn aber der kriechende Poete
alle ſeine Pfeile gegen ſeinen Gegner verſchoſſen,
und dennoch ſolcher ihm das Feld noch nicht
raͤumen will, ſondern ſo trotzig iſt, ihm ſeinen
poetiſchen Helm, darauf er ſich verließ, zu neh-
men, und ganz darnieder zu legen, oder in die
Flucht zu ſchlagen, daß er aus dem Athem koͤmmt,

wenn
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[118/0126] Dreyßig Frageſtuͤcke Schoͤne ſich aus dem Bette bemuͤhet, und an das Fenſter getreten, nicht ſo viel Thaler werth ſey, als das Staͤndgen gekoſtet; oder aber er wird gar gewahr, daß ſie entweder ſein Staͤnd- gen im Schlafe nicht hoͤret, alſo er es ihr ver- gebens wuͤrde gebracht haben; oder wo ſie es auch hoͤret, dennoch es ihm verdrießlich faͤllt, wenn ſie ſo commode iſt, im Bette liegen zu bleiben, und ihn vorm Fenſter paſſen zu laſſen: So kann ſich natuͤrlicher Weiſe ſeine vorherige Entzuͤckung in einen Koller verwandeln, daß er mit den Jnſtrumenten zu raſen anfaͤngt, um ſie aus dem Schlafe zu erwecken, oder ihr durch den Jnſtrumenten-Laut zu verſtehen zu geben, ſie ſolle ſich am Fenſter praͤſentiren. 30. Frage. Was heiſſet wol endlich die poetiſche Schlaf- ſucht und Ohnmacht? Antwort. Wenn der Poete von gar vielen Reimen ſo matt und entkraͤftet iſt, daß man aus ſeinen Ver- ſen errathen kann, er ſey daruͤber eingeſchlafen, oder habe andre mit ſeiner Poeſie eingeſchlaͤfert: So ruͤhret ſolches von einer poetiſchen Schlaf- ſucht her. Wenn aber der kriechende Poete alle ſeine Pfeile gegen ſeinen Gegner verſchoſſen, und dennoch ſolcher ihm das Feld noch nicht raͤumen will, ſondern ſo trotzig iſt, ihm ſeinen poetiſchen Helm, darauf er ſich verließ, zu neh- men, und ganz darnieder zu legen, oder in die Flucht zu ſchlagen, daß er aus dem Athem koͤmmt, wenn

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/126>, abgerufen am 21.11.2024.