Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.für einen Froschmäusler. Ode mit jambischen und trochäischen Ver-sen abwechseln? Antwort. Es kömmt auf den Liebhaber an, und ist an 1) Probe einer dactylischen Ode: Jhr scheinet, ihr lieblichen Sterne, Zwar jetzo im Dunkeln von ferne: Doch gebt ihr genugsames Licht, Mein Liebgen am Fenster zu sehen, Jch seh sie im Hemdgen da stehen, Und denket das Närrgen, ich sähe sie nicht. 2) Probe versetzter jambischer und trochäi- scher Verse: Jamb. Jch sterbe, wo du mich nicht liebest, Troch. Schaue doch mein banges Herz! Lindre, Schöne, meinen Schmerz. Jamb. Wenn du mich gleich in Stücken hiebest, Wünsch ich, daß ich dein Herz erweich. Troch. Doch nein, nein, der stirbt nicht gleich, Jamb. Den Liebes-Kützel plagt. Mein Leid hab ich dir gnug geklagt, Willst du mich nicht anhören? Troch. Nun so will ich auch verschwören, Daß mich je Cupidens Reich Jamb. Bestricken soll, Drum lebe wohl! Trennt
fuͤr einen Froſchmaͤusler. Ode mit jambiſchen und trochaͤiſchen Ver-ſen abwechſeln? Antwort. Es koͤmmt auf den Liebhaber an, und iſt an 1) Probe einer dactyliſchen Ode: Jhr ſcheinet, ihr lieblichen Sterne, Zwar jetzo im Dunkeln von ferne: Doch gebt ihr genugſames Licht, Mein Liebgen am Fenſter zu ſehen, Jch ſeh ſie im Hemdgen da ſtehen, Und denket das Naͤrrgen, ich ſaͤhe ſie nicht. 2) Probe verſetzter jambiſcher und trochaͤi- ſcher Verſe: Jamb. Jch ſterbe, wo du mich nicht liebeſt, Troch. Schaue doch mein banges Herz! Lindre, Schoͤne, meinen Schmerz. Jamb. Wenn du mich gleich in Stuͤcken hiebeſt, Wuͤnſch ich, daß ich dein Herz erweich. Troch. Doch nein, nein, der ſtirbt nicht gleich, Jamb. Den Liebes-Kuͤtzel plagt. Mein Leid hab ich dir gnug geklagt, Willſt du mich nicht anhoͤren? Troch. Nun ſo will ich auch verſchwoͤren, Daß mich je Cupidens Reich Jamb. Beſtricken ſoll, Drum lebe wohl! Trennt
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fuͤr einen Froſchmaͤusler.
Ode mit jambiſchen und trochaͤiſchen Ver-
ſen abwechſeln?
Antwort.
Es koͤmmt auf den Liebhaber an, und iſt an
ſich unverwehret. Denn wer hat die neuern
Poeten geheiſſen, ſo ſtrenge Reim-Geſetze vor-
zuſchreiben. Man kann alſo per licentiam
poëticam nicht nur die Vers-Arten unter ein-
ander verſetzen, ſondern auch lange Fuͤße zu kur-
zen, und kurze zu langen machen; der Abſchnitt
des Verſes kann auch wegbleiben, wie es die
Lateiner bey elegiſchen Verſen oft thun; als:
1) Probe einer dactyliſchen Ode:
Jhr ſcheinet, ihr lieblichen Sterne,
Zwar jetzo im Dunkeln von ferne:
Doch gebt ihr genugſames Licht,
Mein Liebgen am Fenſter zu ſehen,
Jch ſeh ſie im Hemdgen da ſtehen,
Und denket das Naͤrrgen, ich ſaͤhe ſie nicht.
2) Probe verſetzter jambiſcher und trochaͤi-
ſcher Verſe:
Jamb. Jch ſterbe, wo du mich nicht liebeſt,
Troch. Schaue doch mein banges Herz!
Lindre, Schoͤne, meinen Schmerz.
Jamb. Wenn du mich gleich in Stuͤcken hiebeſt,
Wuͤnſch ich, daß ich dein Herz erweich.
Troch. Doch nein, nein, der ſtirbt nicht gleich,
Jamb. Den Liebes-Kuͤtzel plagt.
Mein Leid hab ich dir gnug geklagt,
Willſt du mich nicht anhoͤren?
Troch. Nun ſo will ich auch verſchwoͤren,
Daß mich je Cupidens Reich
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Zitationshilfe: | Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/103>, abgerufen am 03.03.2025. |