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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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Gegnern aus dem Lager des englischen Empirismus treffend
bemerkt.

Wenn wir hier nur auf das Formelle eines solchen möglichst
weit gedehnten Parteiwesens achten, so liegt offenbar die Ge¬
fahr bedenklich nahe, hiemit geradewegs in den Jesuitis mus hin¬
einzugerathen, welcher die Mittel unbesehen durch den Zweck hei¬
ligt. Wie Manches muß "um der guten Parteidisciplin willen"
in den Kauf genommen werden, wogegen sich die individuelle Ue¬
berzeugung sträubt, oder auch gegen wie Vieles muß man pflicht¬
schuldigst die Augen der Anerkennung verschließen, bloß weil es
just nicht in die Parteischablone paßt, während es Einem priva¬
tim ganz zusagen würde. Je einseitiger aber der Parteizweck ist,
um so weniger Spielraum bleibt für die Abweichung, um so här¬
ter wird erfahrungsmäßig die Tyrannei und das Joch für die
persönliche Freiheit. Und noch mehr! Die Bornirung auf ein
einziges Ziel mit rücksichtslosester Mißachtung aller anderen Inter¬
essen ist für die kosmopolitische Faction unerläßlich; denn wie
fände sie bei reicherem Inhalt von mannigfaltigerer Art sonst ihre
Gesinnungsgenossen in Nord und Süd, in Ost und West? Ueber¬
einstimmung der sonst Verschiedensten trifft sich nur in sehr we¬
nigen, dürr und abstrakt gehaltenen Punkten. Wie muß dann
aber Dieß trotz scheinbarer Weltbürgerlichkeit Herz und Sinn aufs
Engste zusammenziehen, wie muß die vielseitiger angelegte Men¬
schennatur auf so magerer Waide verkümmern, statt sich harmo¬
nisch durchgebildet zu entfalten! Die Ausdehnung geschieht auf
Kosten des inneren Reichthums; die Partei wird zur Kaste, und
in deren Mitte thront allemal je das liebe Ich, das für den
Despotismus des Systems doch auch seine persönliche Entschädigung
haben will.

Es kann nicht anders sein, als daß Geschichts- und Lebens¬
betrachtung uns an dem vielgepriesenen Kosmopolitismus über¬

Gegnern aus dem Lager des engliſchen Empirismus treffend
bemerkt.

Wenn wir hier nur auf das Formelle eines ſolchen möglichſt
weit gedehnten Parteiweſens achten, ſo liegt offenbar die Ge¬
fahr bedenklich nahe, hiemit geradewegs in den Jeſuitis mus hin¬
einzugerathen, welcher die Mittel unbeſehen durch den Zweck hei¬
ligt. Wie Manches muß „um der guten Parteidisciplin willen“
in den Kauf genommen werden, wogegen ſich die individuelle Ue¬
berzeugung ſträubt, oder auch gegen wie Vieles muß man pflicht¬
ſchuldigſt die Augen der Anerkennung verſchließen, bloß weil es
juſt nicht in die Parteiſchablone paßt, während es Einem priva¬
tim ganz zuſagen würde. Je einſeitiger aber der Parteizweck iſt,
um ſo weniger Spielraum bleibt für die Abweichung, um ſo här¬
ter wird erfahrungsmäßig die Tyrannei und das Joch für die
perſönliche Freiheit. Und noch mehr! Die Bornirung auf ein
einziges Ziel mit rückſichtsloſeſter Mißachtung aller anderen Inter¬
eſſen iſt für die kosmopolitiſche Faction unerläßlich; denn wie
fände ſie bei reicherem Inhalt von mannigfaltigerer Art ſonſt ihre
Geſinnungsgenoſſen in Nord und Süd, in Oſt und Weſt? Ueber¬
einſtimmung der ſonſt Verſchiedenſten trifft ſich nur in ſehr we¬
nigen, dürr und abſtrakt gehaltenen Punkten. Wie muß dann
aber Dieß trotz ſcheinbarer Weltbürgerlichkeit Herz und Sinn aufs
Engſte zuſammenziehen, wie muß die vielſeitiger angelegte Men¬
ſchennatur auf ſo magerer Waide verkümmern, ſtatt ſich harmo¬
niſch durchgebildet zu entfalten! Die Ausdehnung geſchieht auf
Koſten des inneren Reichthums; die Partei wird zur Kaſte, und
in deren Mitte thront allemal je das liebe Ich, das für den
Deſpotismus des Syſtems doch auch ſeine perſönliche Entſchädigung
haben will.

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[16/0026] Gegnern aus dem Lager des engliſchen Empirismus treffend bemerkt. Wenn wir hier nur auf das Formelle eines ſolchen möglichſt weit gedehnten Parteiweſens achten, ſo liegt offenbar die Ge¬ fahr bedenklich nahe, hiemit geradewegs in den Jeſuitis mus hin¬ einzugerathen, welcher die Mittel unbeſehen durch den Zweck hei¬ ligt. Wie Manches muß „um der guten Parteidisciplin willen“ in den Kauf genommen werden, wogegen ſich die individuelle Ue¬ berzeugung ſträubt, oder auch gegen wie Vieles muß man pflicht¬ ſchuldigſt die Augen der Anerkennung verſchließen, bloß weil es juſt nicht in die Parteiſchablone paßt, während es Einem priva¬ tim ganz zuſagen würde. Je einſeitiger aber der Parteizweck iſt, um ſo weniger Spielraum bleibt für die Abweichung, um ſo här¬ ter wird erfahrungsmäßig die Tyrannei und das Joch für die perſönliche Freiheit. Und noch mehr! Die Bornirung auf ein einziges Ziel mit rückſichtsloſeſter Mißachtung aller anderen Inter¬ eſſen iſt für die kosmopolitiſche Faction unerläßlich; denn wie fände ſie bei reicherem Inhalt von mannigfaltigerer Art ſonſt ihre Geſinnungsgenoſſen in Nord und Süd, in Oſt und Weſt? Ueber¬ einſtimmung der ſonſt Verſchiedenſten trifft ſich nur in ſehr we¬ nigen, dürr und abſtrakt gehaltenen Punkten. Wie muß dann aber Dieß trotz ſcheinbarer Weltbürgerlichkeit Herz und Sinn aufs Engſte zuſammenziehen, wie muß die vielſeitiger angelegte Men¬ ſchennatur auf ſo magerer Waide verkümmern, ſtatt ſich harmo¬ niſch durchgebildet zu entfalten! Die Ausdehnung geſchieht auf Koſten des inneren Reichthums; die Partei wird zur Kaſte, und in deren Mitte thront allemal je das liebe Ich, das für den Deſpotismus des Syſtems doch auch ſeine perſönliche Entſchädigung haben will. Es kann nicht anders ſein, als daß Geſchichts- und Lebens¬ betrachtung uns an dem vielgeprieſenen Kosmopolitismus über¬

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/26>, abgerufen am 27.04.2024.