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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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der äußerer Berechtigung erklärt sich die bekannte Erscheinung,
daß die krankhaft unzufriedene, eudämonistisch-weichliche Modephi¬
losophie unserer Tage, welche sich an den Vorgang des Frankfurter
Einsiedlers knüpft, mit besonderer Vorliebe aufs Weltganze reflek¬
tirt und dafür ihre kritisch-ätzende Schärfe so gerne auch gegen die
nationalen Errungenschaften der Gegenwart richtet, um, Lust oder
Schmerz als einzige Angelpunkte des Lebens anerkennend, in pein¬
lichem Abwägen herauszurechnen, ob Gewinn oder nicht vielmehr
auch hier Verlust das Facit sei. Die üble Laune richtet sich ihrer
psychologischen Natur nach immer zuerst und vornehmlich gegen
das Nächste und Eigene (mit Ausnahme freilich des lieben Ich!);
so bleibt als positiveres Moment nur eine verschwommene Sym¬
pathie mit dem Universum, oder verdüstert auch diese sich schlie߬
lich zu einem mitleidsvollen Weltschmerz über ein abstrakt all¬
gemeines "je ne sais quoi".

In gleicher Art ist es meist nur schwach verkappte Selbst¬
sucht, wenn der Kosmopolitismus als Haupthebel umtriebigen
Parteiwesens von geistlicher oder weltlicher Art gebraucht wird,
indem man die Mittel und Genossen zu diesem Einen ausschlie߬
lichen Zweck ohne alle andre Rücksicht sucht, wo man sie ir¬
gend in der Welt und dem Umkreis der Nationen findet. Sehen
wir hier ab von dem eigenen inhaltlichen Werth solcher Tendenzen,
die auf umfassende Propaganda auszugehen pflegen. Sie können
ja möglicher Weise ganz recht und achtungswürdig sein, nur müs¬
sen
sie es nicht; denn Quantität und Masse, Zahl und weite Ver¬
breitung imponirt uns schon nicht mehr, da wir wissen, wie auch
des Unkrauts Brauch es ist, in zahllosen, überall sich einnistenden
Exemplaren üppig zu wuchern. Nicht minder auf geistigem Gebiet
waren die "testes veritis", die Träger richtiger Einsicht von jeher
in der Minderzahl und der Appell an das "suffrage universel"
daher eine "Entwürdigung der Vernunft", wie Leibniz seinen

der äußerer Berechtigung erklärt ſich die bekannte Erſcheinung,
daß die krankhaft unzufriedene, eudämoniſtiſch-weichliche Modephi¬
loſophie unſerer Tage, welche ſich an den Vorgang des Frankfurter
Einſiedlers knüpft, mit beſonderer Vorliebe aufs Weltganze reflek¬
tirt und dafür ihre kritiſch-ätzende Schärfe ſo gerne auch gegen die
nationalen Errungenſchaften der Gegenwart richtet, um, Luſt oder
Schmerz als einzige Angelpunkte des Lebens anerkennend, in pein¬
lichem Abwägen herauszurechnen, ob Gewinn oder nicht vielmehr
auch hier Verluſt das Facit ſei. Die üble Laune richtet ſich ihrer
pſychologiſchen Natur nach immer zuerſt und vornehmlich gegen
das Nächſte und Eigene (mit Ausnahme freilich des lieben Ich!);
ſo bleibt als poſitiveres Moment nur eine verſchwommene Sym¬
pathie mit dem Univerſum, oder verdüſtert auch dieſe ſich ſchlie߬
lich zu einem mitleidsvollen Weltſchmerz über ein abſtrakt all¬
gemeines »je ne sais quoi«.

In gleicher Art iſt es meiſt nur ſchwach verkappte Selbſt¬
ſucht, wenn der Kosmopolitismus als Haupthebel umtriebigen
Parteiweſens von geiſtlicher oder weltlicher Art gebraucht wird,
indem man die Mittel und Genoſſen zu dieſem Einen ausſchlie߬
lichen Zweck ohne alle andre Rückſicht ſucht, wo man ſie ir¬
gend in der Welt und dem Umkreis der Nationen findet. Sehen
wir hier ab von dem eigenen inhaltlichen Werth ſolcher Tendenzen,
die auf umfaſſende Propaganda auszugehen pflegen. Sie können
ja möglicher Weiſe ganz recht und achtungswürdig ſein, nur müſ¬
ſen
ſie es nicht; denn Quantität und Maſſe, Zahl und weite Ver¬
breitung imponirt uns ſchon nicht mehr, da wir wiſſen, wie auch
des Unkrauts Brauch es iſt, in zahlloſen, überall ſich einniſtenden
Exemplaren üppig zu wuchern. Nicht minder auf geiſtigem Gebiet
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[15/0025] der äußerer Berechtigung erklärt ſich die bekannte Erſcheinung, daß die krankhaft unzufriedene, eudämoniſtiſch-weichliche Modephi¬ loſophie unſerer Tage, welche ſich an den Vorgang des Frankfurter Einſiedlers knüpft, mit beſonderer Vorliebe aufs Weltganze reflek¬ tirt und dafür ihre kritiſch-ätzende Schärfe ſo gerne auch gegen die nationalen Errungenſchaften der Gegenwart richtet, um, Luſt oder Schmerz als einzige Angelpunkte des Lebens anerkennend, in pein¬ lichem Abwägen herauszurechnen, ob Gewinn oder nicht vielmehr auch hier Verluſt das Facit ſei. Die üble Laune richtet ſich ihrer pſychologiſchen Natur nach immer zuerſt und vornehmlich gegen das Nächſte und Eigene (mit Ausnahme freilich des lieben Ich!); ſo bleibt als poſitiveres Moment nur eine verſchwommene Sym¬ pathie mit dem Univerſum, oder verdüſtert auch dieſe ſich ſchlie߬ lich zu einem mitleidsvollen Weltſchmerz über ein abſtrakt all¬ gemeines »je ne sais quoi«. In gleicher Art iſt es meiſt nur ſchwach verkappte Selbſt¬ ſucht, wenn der Kosmopolitismus als Haupthebel umtriebigen Parteiweſens von geiſtlicher oder weltlicher Art gebraucht wird, indem man die Mittel und Genoſſen zu dieſem Einen ausſchlie߬ lichen Zweck ohne alle andre Rückſicht ſucht, wo man ſie ir¬ gend in der Welt und dem Umkreis der Nationen findet. Sehen wir hier ab von dem eigenen inhaltlichen Werth ſolcher Tendenzen, die auf umfaſſende Propaganda auszugehen pflegen. Sie können ja möglicher Weiſe ganz recht und achtungswürdig ſein, nur müſ¬ ſen ſie es nicht; denn Quantität und Maſſe, Zahl und weite Ver¬ breitung imponirt uns ſchon nicht mehr, da wir wiſſen, wie auch des Unkrauts Brauch es iſt, in zahlloſen, überall ſich einniſtenden Exemplaren üppig zu wuchern. Nicht minder auf geiſtigem Gebiet waren die »testes veritis«, die Träger richtiger Einſicht von jeher in der Minderzahl und der Appell an das »suffrage universel« daher eine „Entwürdigung der Vernunft“, wie Leibniz ſeinen

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/25>, abgerufen am 27.04.2024.