Aber ich fahre fort. -- Die Menschen mö- gen sich selber schänden, mein Buch soll keine Schmähschrift auf sie seyn, so schwer es ist, keine über sie zu schreiben.
§. 55. Seine Gesezgebung wider den Geschlechts- trieb.
Beydes, Scham und Vernunft, sind Folgen des Eigenthums, und des auf demselben ruhenden Vor- schritts der Ausbildung unserer Natur. Der Mensch, in seinem wilden Zustand eben sowohl als in seiner bürgerlichen Verwilderung, zeiget kaum leichte Spuren dieser in ihm liegenden Vorzügen seiner Natur.
Nicht das, was der Mensch weißt, macht ihn vernünftig; es ists sein fester, kalter Fels im Kopf, seine Uebung im Zählen, Wägen, Messen, For- schen, und die Richtung seines Geistes nicht zu re-
nothwendig ist, ermangeln läßt, im Unmuth meiner Erfahrung, mit dem Wühlen der Wild- sau vergleiche, und ihre Arbeit und ihr Maul- waschen -- Schnorren-Arbeit heiße? -- Ich hoffe, du verzeihest Leser! --
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Aber ich fahre fort. — Die Menſchen moͤ- gen ſich ſelber ſchaͤnden, mein Buch ſoll keine Schmaͤhſchrift auf ſie ſeyn, ſo ſchwer es iſt, keine uͤber ſie zu ſchreiben.
§. 55. Seine Geſezgebung wider den Geſchlechts- trieb.
Beydes, Scham und Vernunft, ſind Folgen des Eigenthums, und des auf demſelben ruhenden Vor- ſchritts der Ausbildung unſerer Natur. Der Menſch, in ſeinem wilden Zuſtand eben ſowohl als in ſeiner buͤrgerlichen Verwilderung, zeiget kaum leichte Spuren dieſer in ihm liegenden Vorzuͤgen ſeiner Natur.
Nicht das, was der Menſch weißt, macht ihn vernuͤnftig; es iſts ſein feſter, kalter Fels im Kopf, ſeine Uebung im Zaͤhlen, Waͤgen, Meſſen, For- ſchen, und die Richtung ſeines Geiſtes nicht zu re-
nothwendig iſt, ermangeln laͤßt, im Unmuth meiner Erfahrung, mit dem Wuͤhlen der Wild- ſau vergleiche, und ihre Arbeit und ihr Maul- waſchen — Schnorren-Arbeit heiße? — Ich hoffe, du verzeiheſt Leſer! —
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Aber ich fahre fort. — Die Menſchen moͤ-
gen ſich ſelber ſchaͤnden, mein Buch ſoll keine
Schmaͤhſchrift auf ſie ſeyn, ſo ſchwer es iſt, keine
uͤber ſie zu ſchreiben.
§. 55.
Seine Geſezgebung wider den Geſchlechts-
trieb.
Beydes, Scham und Vernunft, ſind Folgen des
Eigenthums, und des auf demſelben ruhenden Vor-
ſchritts der Ausbildung unſerer Natur. Der
Menſch, in ſeinem wilden Zuſtand eben ſowohl als
in ſeiner buͤrgerlichen Verwilderung, zeiget kaum
leichte Spuren dieſer in ihm liegenden Vorzuͤgen
ſeiner Natur.
Nicht das, was der Menſch weißt, macht ihn
vernuͤnftig; es iſts ſein feſter, kalter Fels im Kopf,
ſeine Uebung im Zaͤhlen, Waͤgen, Meſſen, For-
ſchen, und die Richtung ſeines Geiſtes nicht zu re-
*)
*) nothwendig iſt, ermangeln laͤßt, im Unmuth
meiner Erfahrung, mit dem Wuͤhlen der Wild-
ſau vergleiche, und ihre Arbeit und ihr Maul-
waſchen — Schnorren-Arbeit heiße? — Ich
hoffe, du verzeiheſt Leſer! —
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/325>, abgerufen am 21.11.2024.
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