§. 48. Wahre Empfindsamkeit ist auf Seelen- Stärke gegründet.
Arner war schon eine Weile von der Linde weg, und staunte in des Pfarrers Gar- ten einsam dem Schrekenbild nach, das heute vor seinen Augen gestanden, und je mehr er ihm nachstaunete, je mehr erschütterte ihn das Bild dieser Menschen die vor ihm stuhnden. Er sah nichts als Verderben über Verderben, und Verheerung über Verheerung bis in ferne Geschlechter.
Am End des Gartens ist eine dunkle Laube, und unter dem Schattengewölb ein Rasenbank, auf den einer sicher absizt, wenn er mit schwe- rem Herzen dazu kommt. --
Arner lag da mit seinem Angesicht auf die erhöhete Erde und nezte den Rasenbank mit seinen Thränen ob dem Bild der Verheerung seines Volks, von dem er kein Ende sah; und der Schmerz seiner Hoffnunglosen Sorgen stieg auf das höchste, als das Geräusch dieser Kinder, die den Garten hinaufkamen, und schon hinter ihm zustuhnden, ihn wie aus dem Traum erwekte.
Er fuhr wie im Schreken auf, kehrte sich um, und sahe den Reihen Kinder den gan-
§. 48. Wahre Empfindſamkeit iſt auf Seelen- Staͤrke gegruͤndet.
Arner war ſchon eine Weile von der Linde weg, und ſtaunte in des Pfarrers Gar- ten einſam dem Schrekenbild nach, das heute vor ſeinen Augen geſtanden, und je mehr er ihm nachſtaunete, je mehr erſchuͤtterte ihn das Bild dieſer Menſchen die vor ihm ſtuhnden. Er ſah nichts als Verderben uͤber Verderben, und Verheerung uͤber Verheerung bis in ferne Geſchlechter.
Am End des Gartens iſt eine dunkle Laube, und unter dem Schattengewoͤlb ein Raſenbank, auf den einer ſicher abſizt, wenn er mit ſchwe- rem Herzen dazu kommt. —
Arner lag da mit ſeinem Angeſicht auf die erhoͤhete Erde und nezte den Raſenbank mit ſeinen Thraͤnen ob dem Bild der Verheerung ſeines Volks, von dem er kein Ende ſah; und der Schmerz ſeiner Hoffnungloſen Sorgen ſtieg auf das hoͤchſte, als das Geraͤuſch dieſer Kinder, die den Garten hinaufkamen, und ſchon hinter ihm zuſtuhnden, ihn wie aus dem Traum erwekte.
Er fuhr wie im Schreken auf, kehrte ſich um, und ſahe den Reihen Kinder den gan-
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§. 48.
Wahre Empfindſamkeit iſt auf Seelen-
Staͤrke gegruͤndet.
Arner war ſchon eine Weile von der Linde
weg, und ſtaunte in des Pfarrers Gar-
ten einſam dem Schrekenbild nach, das heute
vor ſeinen Augen geſtanden, und je mehr er
ihm nachſtaunete, je mehr erſchuͤtterte ihn das
Bild dieſer Menſchen die vor ihm ſtuhnden.
Er ſah nichts als Verderben uͤber Verderben,
und Verheerung uͤber Verheerung bis in ferne
Geſchlechter.
Am End des Gartens iſt eine dunkle Laube,
und unter dem Schattengewoͤlb ein Raſenbank,
auf den einer ſicher abſizt, wenn er mit ſchwe-
rem Herzen dazu kommt. —
Arner lag da mit ſeinem Angeſicht auf die
erhoͤhete Erde und nezte den Raſenbank mit
ſeinen Thraͤnen ob dem Bild der Verheerung
ſeines Volks, von dem er kein Ende ſah; und
der Schmerz ſeiner Hoffnungloſen Sorgen
ſtieg auf das hoͤchſte, als das Geraͤuſch dieſer
Kinder, die den Garten hinaufkamen, und
ſchon hinter ihm zuſtuhnden, ihn wie aus
dem Traum erwekte.
Er fuhr wie im Schreken auf, kehrte ſich
um, und ſahe den Reihen Kinder den gan-
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/241>, abgerufen am 21.12.2024.
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