§. 26. Was ist Wahrheit, -- wenn es nicht die Natur ist.
Der Lieutenant und der Junker sagten bey- de, der Pfarrer sollte auch da seyn, als die Pracht der Gegend vor der Schönheit des Hirten vor ihren Augen verschwand. Er war nicht da, er war bey der kranken Kiena- stin, für die der Michel dem Junker eine Geiß bettelte.
Es kann nicht wohl etwas traurigers seyn als das Leben und das Todbeth dieser Frau. Sie ist mit dem besten Herzen das elendeste Mensch worden, weil sie sich ob dem größten Weltgift unserer Zeit, ob armen Büchersachen verirret. Ihr alter Pfarrer ware an ihrem Unglük schuld. Er war ein Herzguter Mann, wie sie auch in ihren guten Tagen; aber er war mit seinen Sinnen nicht in der Welt, sondern in den Büchern, und hat das arme Mensch, das jezt auf dem Todbeth lag, mit seiner Jugendlehre aus dieser Welt hinaus und in eine einbildische versezt, die ihr weder Brod noch Ruh noch Segen zeigte, sondern alles das Gegentheil, bis auf die Stunde ih- res Scheidens.
Es steht im Anfang des Worts Gottes oder
§. 26. Was iſt Wahrheit, — wenn es nicht die Natur iſt.
Der Lieutenant und der Junker ſagten bey- de, der Pfarrer ſollte auch da ſeyn, als die Pracht der Gegend vor der Schoͤnheit des Hirten vor ihren Augen verſchwand. Er war nicht da, er war bey der kranken Kiena- ſtin, fuͤr die der Michel dem Junker eine Geiß bettelte.
Es kann nicht wohl etwas traurigers ſeyn als das Leben und das Todbeth dieſer Frau. Sie iſt mit dem beſten Herzen das elendeſte Menſch worden, weil ſie ſich ob dem groͤßten Weltgift unſerer Zeit, ob armen Buͤcherſachen verirret. Ihr alter Pfarrer ware an ihrem Ungluͤk ſchuld. Er war ein Herzguter Mann, wie ſie auch in ihren guten Tagen; aber er war mit ſeinen Sinnen nicht in der Welt, ſondern in den Buͤchern, und hat das arme Menſch, das jezt auf dem Todbeth lag, mit ſeiner Jugendlehre aus dieſer Welt hinaus und in eine einbildiſche verſezt, die ihr weder Brod noch Ruh noch Segen zeigte, ſondern alles das Gegentheil, bis auf die Stunde ih- res Scheidens.
Es ſteht im Anfang des Worts Gottes oder
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§. 26.
Was iſt Wahrheit, — wenn es nicht
die Natur iſt.
Der Lieutenant und der Junker ſagten bey-
de, der Pfarrer ſollte auch da ſeyn,
als die Pracht der Gegend vor der Schoͤnheit
des Hirten vor ihren Augen verſchwand. Er
war nicht da, er war bey der kranken Kiena-
ſtin, fuͤr die der Michel dem Junker eine Geiß
bettelte.
Es kann nicht wohl etwas traurigers ſeyn
als das Leben und das Todbeth dieſer Frau.
Sie iſt mit dem beſten Herzen das elendeſte
Menſch worden, weil ſie ſich ob dem groͤßten
Weltgift unſerer Zeit, ob armen Buͤcherſachen
verirret. Ihr alter Pfarrer ware an ihrem
Ungluͤk ſchuld. Er war ein Herzguter Mann,
wie ſie auch in ihren guten Tagen; aber er
war mit ſeinen Sinnen nicht in der Welt,
ſondern in den Buͤchern, und hat das arme
Menſch, das jezt auf dem Todbeth lag, mit
ſeiner Jugendlehre aus dieſer Welt hinaus
und in eine einbildiſche verſezt, die ihr weder
Brod noch Ruh noch Segen zeigte, ſondern
alles das Gegentheil, bis auf die Stunde ih-
res Scheidens.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/147>, abgerufen am 30.12.2024.
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