§. 95. Der Junker bittet einen armen Mann, dem sein Großvater Unrecht gethan hat- te, um Verzeihung.
Indessen kam der Hübelrudi, und der Junker streckte dem armen Mann die Hand dar, und sagte: Rudi! mein Großvater hat dir Unrecht gethan, und dir deine Matte abgesprochen. Das war ein Unglück; der gute Herr ist betrogen worden. Du mußst ihm das verzeihen und nicht nachtragen.
Der Rudi aber antwortete: Ach Gott, Junker! ich wußte wohl, daß er nicht Schuld war.
Warest du nicht böse auf ihn? sagte der Jun- ker.
Und der Rudi: Es that mir freylich bey mei- ner Armuth, und insonderheit im Anfange, oft schmerzlich weh, daß ich die Matte nicht mehr hätte; aber gegen meinen Gnädigen Herrn habe ich gewiß nie gezörnt.
Junker. Ist das auch aufrichtig wahr, Rudi?
Rudi. Ja gewiß, Gnädiger Herr! Gott weiß, daß es wahr ist, und daß ich nie gegen ihn hät- te zörnen können; ich wußte in meiner Seele wohl, daß er nicht Schuld war. Was wollte er machen,
da
§. 95. Der Junker bittet einen armen Mann, dem ſein Großvater Unrecht gethan hat- te, um Verzeihung.
Indeſſen kam der Huͤbelrudi, und der Junker ſtreckte dem armen Mann die Hand dar, und ſagte: Rudi! mein Großvater hat dir Unrecht gethan, und dir deine Matte abgeſprochen. Das war ein Ungluͤck; der gute Herr iſt betrogen worden. Du mußſt ihm das verzeihen und nicht nachtragen.
Der Rudi aber antwortete: Ach Gott, Junker! ich wußte wohl, daß er nicht Schuld war.
Wareſt du nicht boͤſe auf ihn? ſagte der Jun- ker.
Und der Rudi: Es that mir freylich bey mei- ner Armuth, und inſonderheit im Anfange, oft ſchmerzlich weh, daß ich die Matte nicht mehr haͤtte; aber gegen meinen Gnaͤdigen Herrn habe ich gewiß nie gezoͤrnt.
Junker. Iſt das auch aufrichtig wahr, Rudi?
Rudi. Ja gewiß, Gnaͤdiger Herr! Gott weiß, daß es wahr iſt, und daß ich nie gegen ihn haͤt- te zoͤrnen koͤnnen; ich wußte in meiner Seele wohl, daß er nicht Schuld war. Was wollte er machen,
da
<TEI><text><body><pbfacs="#f0391"n="366"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>§. 95.<lb/><hirendition="#b">Der Junker bittet einen armen Mann,<lb/>
dem ſein Großvater Unrecht gethan hat-<lb/>
te, um Verzeihung.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>ndeſſen kam der Huͤbelrudi, und der Junker<lb/>ſtreckte dem armen Mann die Hand dar, und ſagte:<lb/>
Rudi! mein Großvater hat dir Unrecht gethan,<lb/>
und dir deine Matte abgeſprochen. Das war ein<lb/>
Ungluͤck; der gute Herr iſt betrogen worden. Du<lb/>
mußſt ihm das verzeihen und nicht nachtragen.</p><lb/><p>Der Rudi aber antwortete: Ach Gott, Junker!<lb/>
ich wußte wohl, daß er nicht Schuld war.</p><lb/><p>Wareſt du nicht boͤſe auf ihn? ſagte der Jun-<lb/>
ker.</p><lb/><p>Und der Rudi: Es that mir freylich bey mei-<lb/>
ner Armuth, und inſonderheit im Anfange, oft<lb/>ſchmerzlich weh, daß ich die Matte nicht mehr<lb/>
haͤtte; aber gegen meinen Gnaͤdigen Herrn habe<lb/>
ich gewiß nie gezoͤrnt.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Junker.</hi> Iſt das auch aufrichtig wahr, Rudi?</p><lb/><p><hirendition="#fr">Rudi.</hi> Ja gewiß, Gnaͤdiger Herr! Gott weiß,<lb/>
daß es wahr iſt, und daß ich nie gegen ihn haͤt-<lb/>
te zoͤrnen koͤnnen; ich wußte in meiner Seele wohl,<lb/>
daß er nicht Schuld war. Was wollte er machen,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">da</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[366/0391]
§. 95.
Der Junker bittet einen armen Mann,
dem ſein Großvater Unrecht gethan hat-
te, um Verzeihung.
Indeſſen kam der Huͤbelrudi, und der Junker
ſtreckte dem armen Mann die Hand dar, und ſagte:
Rudi! mein Großvater hat dir Unrecht gethan,
und dir deine Matte abgeſprochen. Das war ein
Ungluͤck; der gute Herr iſt betrogen worden. Du
mußſt ihm das verzeihen und nicht nachtragen.
Der Rudi aber antwortete: Ach Gott, Junker!
ich wußte wohl, daß er nicht Schuld war.
Wareſt du nicht boͤſe auf ihn? ſagte der Jun-
ker.
Und der Rudi: Es that mir freylich bey mei-
ner Armuth, und inſonderheit im Anfange, oft
ſchmerzlich weh, daß ich die Matte nicht mehr
haͤtte; aber gegen meinen Gnaͤdigen Herrn habe
ich gewiß nie gezoͤrnt.
Junker. Iſt das auch aufrichtig wahr, Rudi?
Rudi. Ja gewiß, Gnaͤdiger Herr! Gott weiß,
daß es wahr iſt, und daß ich nie gegen ihn haͤt-
te zoͤrnen koͤnnen; ich wußte in meiner Seele wohl,
daß er nicht Schuld war. Was wollte er machen,
da
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/391>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.