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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Gefangenen wieder vorgelesen, diese sie auch von
neuem wiederholt und bestätigt hatten, ließ er sie alle
unter die Linde des Gemeindplatzes bringen, und
befahl, jezt an die Gemeinde zu läuten.


§. 87.
Vom guten Muth und von Gespenstern.

Vorher gieng der Junker noch ein paar Augenblicke
in die obere Stube zum Pfarrer, und sagte: Ich
trinke noch eins, Herr Pfarrer! denn ich will gu-
tes Muths seyn an der Gemeind; das muß man
seyn, wenn man den Leuten etwas beybringen will.

Nichts ist gewisser, sagte der Pfarrer.

Und der Junker nöthigte ihn, auch eins zu
trinken, und sagte: Wenn nur auch einmal die
Geistlichen lernten so ganz ohne Umschweif und
Ceremonie mit den Leuten umgehn, Herr Pfarrer!
So bald die Leute einen freudigen Muth, ein un-
gezwungenes offenes Wesen an einem sehn, so sind
sie schon halb gewonnen.

Ach Junker! sagte der Pfarrer: Eben das so
gerade hin, mit gutem Muth, mit freudigem un-
gezwungenem Wesen mit den Leuten umgehen,
daran werden wir auf tausenderley Arten gehindert.

Junker.

Gefangenen wieder vorgeleſen, dieſe ſie auch von
neuem wiederholt und beſtaͤtigt hatten, ließ er ſie alle
unter die Linde des Gemeindplatzes bringen, und
befahl, jezt an die Gemeinde zu laͤuten.


§. 87.
Vom guten Muth und von Geſpenſtern.

Vorher gieng der Junker noch ein paar Augenblicke
in die obere Stube zum Pfarrer, und ſagte: Ich
trinke noch eins, Herr Pfarrer! denn ich will gu-
tes Muths ſeyn an der Gemeind; das muß man
ſeyn, wenn man den Leuten etwas beybringen will.

Nichts iſt gewiſſer, ſagte der Pfarrer.

Und der Junker noͤthigte ihn, auch eins zu
trinken, und ſagte: Wenn nur auch einmal die
Geiſtlichen lernten ſo ganz ohne Umſchweif und
Ceremonie mit den Leuten umgehn, Herr Pfarrer!
So bald die Leute einen freudigen Muth, ein un-
gezwungenes offenes Weſen an einem ſehn, ſo ſind
ſie ſchon halb gewonnen.

Ach Junker! ſagte der Pfarrer: Eben das ſo
gerade hin, mit gutem Muth, mit freudigem un-
gezwungenem Weſen mit den Leuten umgehen,
daran werden wir auf tauſenderley Arten gehindert.

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[335/0360] Gefangenen wieder vorgeleſen, dieſe ſie auch von neuem wiederholt und beſtaͤtigt hatten, ließ er ſie alle unter die Linde des Gemeindplatzes bringen, und befahl, jezt an die Gemeinde zu laͤuten. §. 87. Vom guten Muth und von Geſpenſtern. Vorher gieng der Junker noch ein paar Augenblicke in die obere Stube zum Pfarrer, und ſagte: Ich trinke noch eins, Herr Pfarrer! denn ich will gu- tes Muths ſeyn an der Gemeind; das muß man ſeyn, wenn man den Leuten etwas beybringen will. Nichts iſt gewiſſer, ſagte der Pfarrer. Und der Junker noͤthigte ihn, auch eins zu trinken, und ſagte: Wenn nur auch einmal die Geiſtlichen lernten ſo ganz ohne Umſchweif und Ceremonie mit den Leuten umgehn, Herr Pfarrer! So bald die Leute einen freudigen Muth, ein un- gezwungenes offenes Weſen an einem ſehn, ſo ſind ſie ſchon halb gewonnen. Ach Junker! ſagte der Pfarrer: Eben das ſo gerade hin, mit gutem Muth, mit freudigem un- gezwungenem Weſen mit den Leuten umgehen, daran werden wir auf tauſenderley Arten gehindert. Junker.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/360>, abgerufen am 21.11.2024.