Seit gestern Abends, da ich Euer Gnaden in bey- liegend schon versiegeltem Schreiben den Vorfall mit dem Hans Wüst pflichtmäßig zu wissen thun wollte, hat die alles leitende weise Vorsehung meine Hoffnungen und meine Wünsche für den Rudi, und meine Vermuthungen gegen den Vogt, auf eine mir jezt noch unbegreifliche und unerklärbare Weise be- stätigt.
Es entstuhnd in der Nacht ein allgemeiner Lärm im Dorf, der so groß war, daß ich Un- glück vermuthete. Ich ließ nachfragen, was es sey, und ich erhielt den Bericht: Der Teufel wolle den Vogt nehmen; er schreye erbärmlich droben am Berg um Hülfe, und alles Volk habe das erschreckliche Gerassel des ihm nachlaufenden Teu- fels gehört -- Ich mußte ob diesem Berichte, Gott verzeih es mir, herzlich lachen. Es kamen aber im- mer mehr Leute, die alle den gräulichen Vorfall be- stätigten, und zuletzt berichteten: Der Vogt sey wirklich mit den Männern, die ihm zu Hülf geeilt wären, wieder heim; aber so erbärmlich vom leidigen Satan herumgeschleppt und zugerichtet worden, daß er wahrscheinlicher Weise sterben werde.
Das alles war freylich keine Waar in meinen Kram; aber was machen? Man muß die Welt
brau-
Zweyter Brief.
Hochedelgebohrner, Gnaͤdiger Herr!
Seit geſtern Abends, da ich Euer Gnaden in bey- liegend ſchon verſiegeltem Schreiben den Vorfall mit dem Hans Wuͤſt pflichtmaͤßig zu wiſſen thun wollte, hat die alles leitende weiſe Vorſehung meine Hoffnungen und meine Wuͤnſche fuͤr den Rudi, und meine Vermuthungen gegen den Vogt, auf eine mir jezt noch unbegreifliche und unerklaͤrbare Weiſe be- ſtaͤtigt.
Es entſtuhnd in der Nacht ein allgemeiner Laͤrm im Dorf, der ſo groß war, daß ich Un- gluͤck vermuthete. Ich ließ nachfragen, was es ſey, und ich erhielt den Bericht: Der Teufel wolle den Vogt nehmen; er ſchreye erbaͤrmlich droben am Berg um Huͤlfe, und alles Volk habe das erſchreckliche Geraſſel des ihm nachlaufenden Teu- fels gehoͤrt — Ich mußte ob dieſem Berichte, Gott verzeih es mir, herzlich lachen. Es kamen aber im- mer mehr Leute, die alle den graͤulichen Vorfall be- ſtaͤtigten, und zuletzt berichteten: Der Vogt ſey wirklich mit den Maͤnnern, die ihm zu Huͤlf geeilt waͤren, wieder heim; aber ſo erbaͤrmlich vom leidigen Satan herumgeſchleppt und zugerichtet worden, daß er wahrſcheinlicher Weiſe ſterben werde.
Das alles war freylich keine Waar in meinen Kram; aber was machen? Man muß die Welt
brau-
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Zweyter Brief.
Hochedelgebohrner, Gnaͤdiger Herr!
Seit geſtern Abends, da ich Euer Gnaden in bey-
liegend ſchon verſiegeltem Schreiben den Vorfall
mit dem Hans Wuͤſt pflichtmaͤßig zu wiſſen thun
wollte, hat die alles leitende weiſe Vorſehung meine
Hoffnungen und meine Wuͤnſche fuͤr den Rudi, und
meine Vermuthungen gegen den Vogt, auf eine mir
jezt noch unbegreifliche und unerklaͤrbare Weiſe be-
ſtaͤtigt.
Es entſtuhnd in der Nacht ein allgemeiner
Laͤrm im Dorf, der ſo groß war, daß ich Un-
gluͤck vermuthete. Ich ließ nachfragen, was es
ſey, und ich erhielt den Bericht: Der Teufel wolle
den Vogt nehmen; er ſchreye erbaͤrmlich droben
am Berg um Huͤlfe, und alles Volk habe das
erſchreckliche Geraſſel des ihm nachlaufenden Teu-
fels gehoͤrt — Ich mußte ob dieſem Berichte, Gott
verzeih es mir, herzlich lachen. Es kamen aber im-
mer mehr Leute, die alle den graͤulichen Vorfall be-
ſtaͤtigten, und zuletzt berichteten: Der Vogt ſey
wirklich mit den Maͤnnern, die ihm zu Huͤlf geeilt
waͤren, wieder heim; aber ſo erbaͤrmlich vom leidigen
Satan herumgeſchleppt und zugerichtet worden,
daß er wahrſcheinlicher Weiſe ſterben werde.
Das alles war freylich keine Waar in meinen
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/342>, abgerufen am 21.11.2024.
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