Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweyter Brief.
Hochedelgebohrner, Gnädiger Herr!

Seit gestern Abends, da ich Euer Gnaden in bey-
liegend schon versiegeltem Schreiben den Vorfall
mit dem Hans Wüst pflichtmäßig zu wissen thun
wollte, hat die alles leitende weise Vorsehung meine
Hoffnungen und meine Wünsche für den Rudi, und
meine Vermuthungen gegen den Vogt, auf eine mir
jezt noch unbegreifliche und unerklärbare Weise be-
stätigt.

Es entstuhnd in der Nacht ein allgemeiner
Lärm im Dorf, der so groß war, daß ich Un-
glück vermuthete. Ich ließ nachfragen, was es
sey, und ich erhielt den Bericht: Der Teufel wolle
den Vogt nehmen; er schreye erbärmlich droben
am Berg um Hülfe, und alles Volk habe das
erschreckliche Gerassel des ihm nachlaufenden Teu-
fels gehört -- Ich mußte ob diesem Berichte, Gott
verzeih es mir, herzlich lachen. Es kamen aber im-
mer mehr Leute, die alle den gräulichen Vorfall be-
stätigten, und zuletzt berichteten: Der Vogt sey
wirklich mit den Männern, die ihm zu Hülf geeilt
wären, wieder heim; aber so erbärmlich vom leidigen
Satan herumgeschleppt und zugerichtet worden,
daß er wahrscheinlicher Weise sterben werde.

Das alles war freylich keine Waar in meinen
Kram; aber was machen? Man muß die Welt

brau-
Zweyter Brief.
Hochedelgebohrner, Gnaͤdiger Herr!

Seit geſtern Abends, da ich Euer Gnaden in bey-
liegend ſchon verſiegeltem Schreiben den Vorfall
mit dem Hans Wuͤſt pflichtmaͤßig zu wiſſen thun
wollte, hat die alles leitende weiſe Vorſehung meine
Hoffnungen und meine Wuͤnſche fuͤr den Rudi, und
meine Vermuthungen gegen den Vogt, auf eine mir
jezt noch unbegreifliche und unerklaͤrbare Weiſe be-
ſtaͤtigt.

Es entſtuhnd in der Nacht ein allgemeiner
Laͤrm im Dorf, der ſo groß war, daß ich Un-
gluͤck vermuthete. Ich ließ nachfragen, was es
ſey, und ich erhielt den Bericht: Der Teufel wolle
den Vogt nehmen; er ſchreye erbaͤrmlich droben
am Berg um Huͤlfe, und alles Volk habe das
erſchreckliche Geraſſel des ihm nachlaufenden Teu-
fels gehoͤrt — Ich mußte ob dieſem Berichte, Gott
verzeih es mir, herzlich lachen. Es kamen aber im-
mer mehr Leute, die alle den graͤulichen Vorfall be-
ſtaͤtigten, und zuletzt berichteten: Der Vogt ſey
wirklich mit den Maͤnnern, die ihm zu Huͤlf geeilt
waͤren, wieder heim; aber ſo erbaͤrmlich vom leidigen
Satan herumgeſchleppt und zugerichtet worden,
daß er wahrſcheinlicher Weiſe ſterben werde.

Das alles war freylich keine Waar in meinen
Kram; aber was machen? Man muß die Welt

brau-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0342" n="317"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Zweyter Brief</hi>.</hi> </head><lb/>
            <opener>
              <salute> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#fr">Hochedelgebohrner, Gna&#x0364;diger Herr!</hi> </hi> </salute>
            </opener><lb/>
            <p><hi rendition="#in">S</hi>eit ge&#x017F;tern Abends, da ich Euer Gnaden in bey-<lb/>
liegend &#x017F;chon ver&#x017F;iegeltem Schreiben den Vorfall<lb/>
mit dem Hans Wu&#x0364;&#x017F;t pflichtma&#x0364;ßig zu wi&#x017F;&#x017F;en thun<lb/>
wollte, hat die alles leitende wei&#x017F;e Vor&#x017F;ehung meine<lb/>
Hoffnungen und meine Wu&#x0364;n&#x017F;che fu&#x0364;r den Rudi, und<lb/>
meine Vermuthungen gegen den Vogt, auf eine mir<lb/>
jezt noch unbegreifliche und unerkla&#x0364;rbare Wei&#x017F;e be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;tigt.</p><lb/>
            <p>Es ent&#x017F;tuhnd in der Nacht ein allgemeiner<lb/>
La&#x0364;rm im Dorf, der &#x017F;o groß war, daß ich Un-<lb/>
glu&#x0364;ck vermuthete. Ich ließ nachfragen, was es<lb/>
&#x017F;ey, und ich erhielt den Bericht: Der Teufel wolle<lb/>
den Vogt nehmen; er &#x017F;chreye erba&#x0364;rmlich droben<lb/>
am Berg um Hu&#x0364;lfe, und alles Volk habe das<lb/>
er&#x017F;chreckliche Gera&#x017F;&#x017F;el des ihm nachlaufenden Teu-<lb/>
fels geho&#x0364;rt &#x2014; Ich mußte ob die&#x017F;em Berichte, Gott<lb/>
verzeih es mir, herzlich lachen. Es kamen aber im-<lb/>
mer mehr Leute, die alle den gra&#x0364;ulichen Vorfall be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;tigten, und zuletzt berichteten: Der Vogt &#x017F;ey<lb/>
wirklich mit den Ma&#x0364;nnern, die ihm zu Hu&#x0364;lf geeilt<lb/>
wa&#x0364;ren, wieder heim; aber &#x017F;o erba&#x0364;rmlich vom leidigen<lb/>
Satan herumge&#x017F;chleppt und zugerichtet worden,<lb/>
daß er wahr&#x017F;cheinlicher Wei&#x017F;e &#x017F;terben werde.</p><lb/>
            <p>Das alles war freylich keine Waar in meinen<lb/>
Kram; aber was machen? Man muß die Welt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">brau-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0342] Zweyter Brief. Hochedelgebohrner, Gnaͤdiger Herr! Seit geſtern Abends, da ich Euer Gnaden in bey- liegend ſchon verſiegeltem Schreiben den Vorfall mit dem Hans Wuͤſt pflichtmaͤßig zu wiſſen thun wollte, hat die alles leitende weiſe Vorſehung meine Hoffnungen und meine Wuͤnſche fuͤr den Rudi, und meine Vermuthungen gegen den Vogt, auf eine mir jezt noch unbegreifliche und unerklaͤrbare Weiſe be- ſtaͤtigt. Es entſtuhnd in der Nacht ein allgemeiner Laͤrm im Dorf, der ſo groß war, daß ich Un- gluͤck vermuthete. Ich ließ nachfragen, was es ſey, und ich erhielt den Bericht: Der Teufel wolle den Vogt nehmen; er ſchreye erbaͤrmlich droben am Berg um Huͤlfe, und alles Volk habe das erſchreckliche Geraſſel des ihm nachlaufenden Teu- fels gehoͤrt — Ich mußte ob dieſem Berichte, Gott verzeih es mir, herzlich lachen. Es kamen aber im- mer mehr Leute, die alle den graͤulichen Vorfall be- ſtaͤtigten, und zuletzt berichteten: Der Vogt ſey wirklich mit den Maͤnnern, die ihm zu Huͤlf geeilt waͤren, wieder heim; aber ſo erbaͤrmlich vom leidigen Satan herumgeſchleppt und zugerichtet worden, daß er wahrſcheinlicher Weiſe ſterben werde. Das alles war freylich keine Waar in meinen Kram; aber was machen? Man muß die Welt brau-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/342
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/342>, abgerufen am 21.11.2024.