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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Frau. Um Gottes willen! thue doch das nicht.

Vogt. Es muß seyn, es muß seyn; ich gehe.

Frau. Es ist stockfinster; es geht nach den
Zwölfen, und in der Charwoche hat der Teufel
sonst viel Gewalt.

Vogt. Hat er das Roß, so nehm er den Zaum
auch. Gieb mir die Flasche; ich gehe.

Schnell nimmt er Pickel und Schaufel und
Karst auf die Achsel, und eilt im tiefen Dunkel der
Nacht auf den Berg, seinem Herrn den Markstein
zu versetzen.

Rausch und Rache und Wuth machten ihn kühn;
doch wo er ein Scheinholz erblickte, oder wo er ei-
nen Haasen rauschen hörte, zitterte er, stand einen
Augenblick still, und eilte dann wüthend weiter, bis
er endlich zum Markstein kam. Er griff jezt schnell
zur Arbeit, hackte und schaufelte umher.


§. 74.
Die Nacht betrügt Besoffene und Schel-
men, die in der Angst sind, am
stärksten.

Aber plötzlich erschreckt ihn ein Geräusche. Ein
schwarzer Mann hinter dem Gesträuche kömmt auf ihn
zu. Um den Mann ist's hell in der finstern Nacht,

und

Frau. Um Gottes willen! thue doch das nicht.

Vogt. Es muß ſeyn, es muß ſeyn; ich gehe.

Frau. Es iſt ſtockfinſter; es geht nach den
Zwoͤlfen, und in der Charwoche hat der Teufel
ſonſt viel Gewalt.

Vogt. Hat er das Roß, ſo nehm er den Zaum
auch. Gieb mir die Flaſche; ich gehe.

Schnell nimmt er Pickel und Schaufel und
Karſt auf die Achſel, und eilt im tiefen Dunkel der
Nacht auf den Berg, ſeinem Herrn den Markſtein
zu verſetzen.

Rauſch und Rache und Wuth machten ihn kuͤhn;
doch wo er ein Scheinholz erblickte, oder wo er ei-
nen Haaſen rauſchen hoͤrte, zitterte er, ſtand einen
Augenblick ſtill, und eilte dann wuͤthend weiter, bis
er endlich zum Markſtein kam. Er griff jezt ſchnell
zur Arbeit, hackte und ſchaufelte umher.


§. 74.
Die Nacht betruͤgt Beſoffene und Schel-
men, die in der Angſt ſind, am
ſtaͤrkſten.

Aber ploͤtzlich erſchreckt ihn ein Geraͤuſche. Ein
ſchwarzer Mann hinter dem Geſtraͤuche koͤm̃t auf ihn
zu. Um den Mann iſt’s hell in der finſtern Nacht,

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[299/0324] Frau. Um Gottes willen! thue doch das nicht. Vogt. Es muß ſeyn, es muß ſeyn; ich gehe. Frau. Es iſt ſtockfinſter; es geht nach den Zwoͤlfen, und in der Charwoche hat der Teufel ſonſt viel Gewalt. Vogt. Hat er das Roß, ſo nehm er den Zaum auch. Gieb mir die Flaſche; ich gehe. Schnell nimmt er Pickel und Schaufel und Karſt auf die Achſel, und eilt im tiefen Dunkel der Nacht auf den Berg, ſeinem Herrn den Markſtein zu verſetzen. Rauſch und Rache und Wuth machten ihn kuͤhn; doch wo er ein Scheinholz erblickte, oder wo er ei- nen Haaſen rauſchen hoͤrte, zitterte er, ſtand einen Augenblick ſtill, und eilte dann wuͤthend weiter, bis er endlich zum Markſtein kam. Er griff jezt ſchnell zur Arbeit, hackte und ſchaufelte umher. §. 74. Die Nacht betruͤgt Beſoffene und Schel- men, die in der Angſt ſind, am ſtaͤrkſten. Aber ploͤtzlich erſchreckt ihn ein Geraͤuſche. Ein ſchwarzer Mann hinter dem Geſtraͤuche koͤm̃t auf ihn zu. Um den Mann iſt’s hell in der finſtern Nacht, und

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/324>, abgerufen am 21.11.2024.