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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Und der Pfarrer war mit dem Wüst so freund-
lich und so herzlich, als er nur konnte. Denn er
sah seine Verwirrung und seine Angst, und er hatte
das Gemurmel, daß er wegen seines Eids fast ver-
zweifeln wollte, gestern auch schon gehört.

Der Wüst aber, da er sah, wie liebreich und
freundlich der Pfarrer gegen ihn war, erholte sich
nach und nach wieder und sagte:

Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer! Ich glaube,
ich habe einen falschen Eid gethan, und verzweifle
fast darüber. Ich kann es nicht mehr ertragen;
ich will gern alle Strafe, die ich verdient habe,
leiden, wenn ich nur auch noch Gnade und Barm-
herzigkeit von Gott hoffen darf.


§. 64.
Ein Pfarrer, der eine Gewissenssache be-
handelt.

Der Pfarrer antwortete: Wenn dir von Herzen
leid ist über deinen Fehler, so zweifle nicht an Got-
tes Erbarmen.

Wüst. Darf ich, Herr Pfarrer! darf ich auch
bey diesem meinem Fehler noch auf Gottes Erbar-
mung hoffen, und der Verzeihung der Sünden mich
getrösten?

Pfar-

Und der Pfarrer war mit dem Wuͤſt ſo freund-
lich und ſo herzlich, als er nur konnte. Denn er
ſah ſeine Verwirrung und ſeine Angſt, und er hatte
das Gemurmel, daß er wegen ſeines Eids faſt ver-
zweifeln wollte, geſtern auch ſchon gehoͤrt.

Der Wuͤſt aber, da er ſah, wie liebreich und
freundlich der Pfarrer gegen ihn war, erholte ſich
nach und nach wieder und ſagte:

Wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Ich glaube,
ich habe einen falſchen Eid gethan, und verzweifle
faſt daruͤber. Ich kann es nicht mehr ertragen;
ich will gern alle Strafe, die ich verdient habe,
leiden, wenn ich nur auch noch Gnade und Barm-
herzigkeit von Gott hoffen darf.


§. 64.
Ein Pfarrer, der eine Gewiſſensſache be-
handelt.

Der Pfarrer antwortete: Wenn dir von Herzen
leid iſt uͤber deinen Fehler, ſo zweifle nicht an Got-
tes Erbarmen.

Wuͤſt. Darf ich, Herr Pfarrer! darf ich auch
bey dieſem meinem Fehler noch auf Gottes Erbar-
mung hoffen, und der Verzeihung der Suͤnden mich
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[274/0299] Und der Pfarrer war mit dem Wuͤſt ſo freund- lich und ſo herzlich, als er nur konnte. Denn er ſah ſeine Verwirrung und ſeine Angſt, und er hatte das Gemurmel, daß er wegen ſeines Eids faſt ver- zweifeln wollte, geſtern auch ſchon gehoͤrt. Der Wuͤſt aber, da er ſah, wie liebreich und freundlich der Pfarrer gegen ihn war, erholte ſich nach und nach wieder und ſagte: Wohlehrwuͤrdiger Herr Pfarrer! Ich glaube, ich habe einen falſchen Eid gethan, und verzweifle faſt daruͤber. Ich kann es nicht mehr ertragen; ich will gern alle Strafe, die ich verdient habe, leiden, wenn ich nur auch noch Gnade und Barm- herzigkeit von Gott hoffen darf. §. 64. Ein Pfarrer, der eine Gewiſſensſache be- handelt. Der Pfarrer antwortete: Wenn dir von Herzen leid iſt uͤber deinen Fehler, ſo zweifle nicht an Got- tes Erbarmen. Wuͤſt. Darf ich, Herr Pfarrer! darf ich auch bey dieſem meinem Fehler noch auf Gottes Erbar- mung hoffen, und der Verzeihung der Suͤnden mich getroͤſten? Pfar-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/299>, abgerufen am 21.11.2024.