ihn sichtbar. Er gieng in seiner Unruhe beklemmt die Stube hinauf und hinunter.
Alsdann sagte er wieder: Ich bin so erbittert über des Pfarrers Predigt, daß ich nicht weiß, was ich thue; und es ist mir sonst nicht wohl. Ist's auch so kalt, Nachbaren? Es friert mich immer, seit- dem ich daheim bin.
Nein, sagten die Nachbaren, es ist nicht kalt; aber man sah dir's in der Kirche schon an, daß dir nicht wohl ist; du sahst todtblaß aus.
Vogt. Sahe man mir's an? ja es war mir schon da wunderlich -- ich kriege das Fieber -- es ist mir so blöd -- ich muß saufen -- wir wollen in die hintere Stube gehn während der Predigt.
§. 41. Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Un- fug an.
Aber der Ehegaumer *), der an's Vogts Gasse wohnte, und den Aebi, den Christen und die an- dern Lumpen zwischen der Predigt ins Wirthshaus gehn sah, ärgerte sich in seinem Herzen, und ge-
dachte
*) Ehegaumer (Verwahrer der ehlichen Treue) sind in der Schweiz Kirchenälteste, die nebst den Pfar- rern auf die Handhabung von Religion, Sitten und Ordnung zu wachen haben.
O 4
ihn ſichtbar. Er gieng in ſeiner Unruhe beklemmt die Stube hinauf und hinunter.
Alsdann ſagte er wieder: Ich bin ſo erbittert uͤber des Pfarrers Predigt, daß ich nicht weiß, was ich thue; und es iſt mir ſonſt nicht wohl. Iſt’s auch ſo kalt, Nachbaren? Es friert mich immer, ſeit- dem ich daheim bin.
Nein, ſagten die Nachbaren, es iſt nicht kalt; aber man ſah dir’s in der Kirche ſchon an, daß dir nicht wohl iſt; du ſahſt todtblaß aus.
Vogt. Sahe man mir’s an? ja es war mir ſchon da wunderlich — ich kriege das Fieber — es iſt mir ſo bloͤd — ich muß ſaufen — wir wollen in die hintere Stube gehn waͤhrend der Predigt.
§. 41. Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Un- fug an.
Aber der Ehegaumer *), der an’s Vogts Gaſſe wohnte, und den Aebi, den Chriſten und die an- dern Lumpen zwiſchen der Predigt ins Wirthshaus gehn ſah, aͤrgerte ſich in ſeinem Herzen, und ge-
dachte
*) Ehegaumer (Verwahrer der ehlichen Treue) ſind in der Schweiz Kirchenaͤlteſte, die nebſt den Pfar- rern auf die Handhabung von Religion, Sitten und Ordnung zu wachen haben.
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ihn ſichtbar. Er gieng in ſeiner Unruhe beklemmt
die Stube hinauf und hinunter.
Alsdann ſagte er wieder: Ich bin ſo erbittert
uͤber des Pfarrers Predigt, daß ich nicht weiß, was
ich thue; und es iſt mir ſonſt nicht wohl. Iſt’s auch
ſo kalt, Nachbaren? Es friert mich immer, ſeit-
dem ich daheim bin.
Nein, ſagten die Nachbaren, es iſt nicht kalt;
aber man ſah dir’s in der Kirche ſchon an, daß
dir nicht wohl iſt; du ſahſt todtblaß aus.
Vogt. Sahe man mir’s an? ja es war mir
ſchon da wunderlich — ich kriege das Fieber — es
iſt mir ſo bloͤd — ich muß ſaufen — wir wollen
in die hintere Stube gehn waͤhrend der Predigt.
§. 41.
Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Un-
fug an.
Aber der Ehegaumer *), der an’s Vogts Gaſſe
wohnte, und den Aebi, den Chriſten und die an-
dern Lumpen zwiſchen der Predigt ins Wirthshaus
gehn ſah, aͤrgerte ſich in ſeinem Herzen, und ge-
dachte
*) Ehegaumer (Verwahrer der ehlichen Treue) ſind
in der Schweiz Kirchenaͤlteſte, die nebſt den Pfar-
rern auf die Handhabung von Religion, Sitten
und Ordnung zu wachen haben.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/240>, abgerufen am 23.02.2025.
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