Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 28.
Der Abend vor einem Festtage in eines
Vogts Hause, der wirthet.

Nun eilte der Vogt von seinem Laufen ermüdet
und durstig wieder heim, es war schon sehr späth;
und der Kienast wohnete beynahe eine Stunde
vom Dorf weg auf dem Berg.

Allenthalben hatte er heute durch seine Gesellen
schon verkündet, daß er über den gestrigen Vorfall
gar nicht erschrocken, und bey einem Jahre nie so
lustig und munter gewesen wäre, wie heute.

Das machte denn, daß auf den Abend etliche
wieder Muth faßten, und sich still dem Wirths-
hause zuschlichen.

Da es dunkelte, kamen immer noch mehrere,
und zu Nacht gegen den Sieben waren die Tische
alle wieder fast eben so voll, als gewöhnlich.

So geht es, wenn ein Jäger im Heuet von
einem Kirschbaum einen Vogel herunter schießt, so
fliegt die Schaar der Vögel, die Kirschen fraß,
erschrocken und schnell vom Baum weg, und alle
die Vögel kreischen vor der Gefahr. Aber nach ei-
ner Weile setzt sich schon wieder einer, im Anfange
nur einer, an den Baum; und sieht er dann den

Jä-

§. 28.
Der Abend vor einem Feſttage in eines
Vogts Hauſe, der wirthet.

Nun eilte der Vogt von ſeinem Laufen ermuͤdet
und durſtig wieder heim, es war ſchon ſehr ſpaͤth;
und der Kienaſt wohnete beynahe eine Stunde
vom Dorf weg auf dem Berg.

Allenthalben hatte er heute durch ſeine Geſellen
ſchon verkuͤndet, daß er uͤber den geſtrigen Vorfall
gar nicht erſchrocken, und bey einem Jahre nie ſo
luſtig und munter geweſen waͤre, wie heute.

Das machte denn, daß auf den Abend etliche
wieder Muth faßten, und ſich ſtill dem Wirths-
hauſe zuſchlichen.

Da es dunkelte, kamen immer noch mehrere,
und zu Nacht gegen den Sieben waren die Tiſche
alle wieder faſt eben ſo voll, als gewoͤhnlich.

So geht es, wenn ein Jaͤger im Heuet von
einem Kirſchbaum einen Vogel herunter ſchießt, ſo
fliegt die Schaar der Voͤgel, die Kirſchen fraß,
erſchrocken und ſchnell vom Baum weg, und alle
die Voͤgel kreiſchen vor der Gefahr. Aber nach ei-
ner Weile ſetzt ſich ſchon wieder einer, im Anfange
nur einer, an den Baum; und ſieht er dann den

Jaͤ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0169" n="144"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>§. 28.<lb/><hi rendition="#b">Der Abend vor einem Fe&#x017F;ttage in eines<lb/>
Vogts Hau&#x017F;e, der wirthet.</hi></head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">N</hi>un eilte der Vogt von &#x017F;einem Laufen ermu&#x0364;det<lb/>
und dur&#x017F;tig wieder heim, es war &#x017F;chon &#x017F;ehr &#x017F;pa&#x0364;th;<lb/>
und der Kiena&#x017F;t wohnete beynahe eine Stunde<lb/>
vom Dorf weg auf dem Berg.</p><lb/>
          <p>Allenthalben hatte er heute durch &#x017F;eine Ge&#x017F;ellen<lb/>
&#x017F;chon verku&#x0364;ndet, daß er u&#x0364;ber den ge&#x017F;trigen Vorfall<lb/>
gar nicht er&#x017F;chrocken, und bey einem Jahre nie &#x017F;o<lb/>
lu&#x017F;tig und munter gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, wie heute.</p><lb/>
          <p>Das machte denn, daß auf den Abend etliche<lb/>
wieder Muth faßten, und &#x017F;ich &#x017F;till dem Wirths-<lb/>
hau&#x017F;e zu&#x017F;chlichen.</p><lb/>
          <p>Da es dunkelte, kamen immer noch mehrere,<lb/>
und zu Nacht gegen den Sieben waren die Ti&#x017F;che<lb/>
alle wieder fa&#x017F;t eben &#x017F;o voll, als gewo&#x0364;hnlich.</p><lb/>
          <p>So geht es, wenn ein Ja&#x0364;ger im Heuet von<lb/>
einem Kir&#x017F;chbaum einen Vogel herunter &#x017F;chießt, &#x017F;o<lb/>
fliegt die Schaar der Vo&#x0364;gel, die Kir&#x017F;chen fraß,<lb/>
er&#x017F;chrocken und &#x017F;chnell vom Baum weg, und alle<lb/>
die Vo&#x0364;gel krei&#x017F;chen vor der Gefahr. Aber nach ei-<lb/>
ner Weile &#x017F;etzt &#x017F;ich &#x017F;chon wieder einer, im Anfange<lb/>
nur einer, an den Baum; und &#x017F;ieht er dann den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ja&#x0364;-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0169] §. 28. Der Abend vor einem Feſttage in eines Vogts Hauſe, der wirthet. Nun eilte der Vogt von ſeinem Laufen ermuͤdet und durſtig wieder heim, es war ſchon ſehr ſpaͤth; und der Kienaſt wohnete beynahe eine Stunde vom Dorf weg auf dem Berg. Allenthalben hatte er heute durch ſeine Geſellen ſchon verkuͤndet, daß er uͤber den geſtrigen Vorfall gar nicht erſchrocken, und bey einem Jahre nie ſo luſtig und munter geweſen waͤre, wie heute. Das machte denn, daß auf den Abend etliche wieder Muth faßten, und ſich ſtill dem Wirths- hauſe zuſchlichen. Da es dunkelte, kamen immer noch mehrere, und zu Nacht gegen den Sieben waren die Tiſche alle wieder faſt eben ſo voll, als gewoͤhnlich. So geht es, wenn ein Jaͤger im Heuet von einem Kirſchbaum einen Vogel herunter ſchießt, ſo fliegt die Schaar der Voͤgel, die Kirſchen fraß, erſchrocken und ſchnell vom Baum weg, und alle die Voͤgel kreiſchen vor der Gefahr. Aber nach ei- ner Weile ſetzt ſich ſchon wieder einer, im Anfange nur einer, an den Baum; und ſieht er dann den Jaͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/169
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/169>, abgerufen am 21.11.2024.