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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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§. 26.
Hochmuth in Armuth und Elend führt
zu den unnatürlichsten abscheulichsten
Thaten.

Dieser war vor Zeiten wohlhabend und hatte Han-
delschaft getrieben; aber jezt war er schon längst ver-
gantet, und lebte fast gänzlich vom Allmosen des
Pfarrers und einiger bemittelter Verwandten, die
er hatte.

In allem seinem Elend aber blieb er immer
gleich hochmüthig, und verbarg er den dringenden
Mangel und Hunger seines Hauses, aussert da,
wo er bettelte, allenthalben, wie er konnte und
mochte.

Dieser, als er den Vogt sah, erschrack heftig,
aber er ward darum nicht blaß, denn er war ohne
das schon todtgelb. Er nahm schnell die umher
liegenden Lumpen, und schob sie unter die Decke
des Betts. Befahl den fast nackenden Kindern,
auf der Stell sich in die Kammer zu verbergen --
Herr Jesus! sagen die Kinder, es schneyet und
regnet ja hinein -- höre doch, wie's stürmt, Vater!
es ist ja kein Fenster mehr in der Kammer.

Geht, ihr gottlosen Kinder! wie ihr mich so
toll machet. Meynt ihr, es sey euch nicht nöthig,

daß

§. 26.
Hochmuth in Armuth und Elend fuͤhrt
zu den unnatuͤrlichſten abſcheulichſten
Thaten.

Dieſer war vor Zeiten wohlhabend und hatte Han-
delſchaft getrieben; aber jezt war er ſchon laͤngſt ver-
gantet, und lebte faſt gaͤnzlich vom Allmoſen des
Pfarrers und einiger bemittelter Verwandten, die
er hatte.

In allem ſeinem Elend aber blieb er immer
gleich hochmuͤthig, und verbarg er den dringenden
Mangel und Hunger ſeines Hauſes, auſſert da,
wo er bettelte, allenthalben, wie er konnte und
mochte.

Dieſer, als er den Vogt ſah, erſchrack heftig,
aber er ward darum nicht blaß, denn er war ohne
das ſchon todtgelb. Er nahm ſchnell die umher
liegenden Lumpen, und ſchob ſie unter die Decke
des Betts. Befahl den faſt nackenden Kindern,
auf der Stell ſich in die Kammer zu verbergen —
Herr Jeſus! ſagen die Kinder, es ſchneyet und
regnet ja hinein — hoͤre doch, wie’s ſtuͤrmt, Vater!
es iſt ja kein Fenſter mehr in der Kammer.

Geht, ihr gottloſen Kinder! wie ihr mich ſo
toll machet. Meynt ihr, es ſey euch nicht noͤthig,

daß
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[134/0159] §. 26. Hochmuth in Armuth und Elend fuͤhrt zu den unnatuͤrlichſten abſcheulichſten Thaten. Dieſer war vor Zeiten wohlhabend und hatte Han- delſchaft getrieben; aber jezt war er ſchon laͤngſt ver- gantet, und lebte faſt gaͤnzlich vom Allmoſen des Pfarrers und einiger bemittelter Verwandten, die er hatte. In allem ſeinem Elend aber blieb er immer gleich hochmuͤthig, und verbarg er den dringenden Mangel und Hunger ſeines Hauſes, auſſert da, wo er bettelte, allenthalben, wie er konnte und mochte. Dieſer, als er den Vogt ſah, erſchrack heftig, aber er ward darum nicht blaß, denn er war ohne das ſchon todtgelb. Er nahm ſchnell die umher liegenden Lumpen, und ſchob ſie unter die Decke des Betts. Befahl den faſt nackenden Kindern, auf der Stell ſich in die Kammer zu verbergen — Herr Jeſus! ſagen die Kinder, es ſchneyet und regnet ja hinein — hoͤre doch, wie’s ſtuͤrmt, Vater! es iſt ja kein Fenſter mehr in der Kammer. Geht, ihr gottloſen Kinder! wie ihr mich ſo toll machet. Meynt ihr, es ſey euch nicht noͤthig, daß

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/159>, abgerufen am 21.11.2024.