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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der malayische Stamm.
etwas Licht darüber, auf welchen Wegen die Vorfahren der Hova
nach Madagaskar gelangten.

Es ist sehr schwierig, die Begabung der asiatischen Malayen
für bürgerliche Gesittung richtig abzuschätzen, denn sie verloren
frühzeitig ihre Selbständigkeit. Erst brahmanische und später
buddhistische Ansiedler brachten indisches Wissen, indische Reli-
gionen, indische Kunst und indische Schriftzüge, sowie eine Zeit-
rechnung nach Java 1); auch Sumatra und die Halbinsel Malaka
blieben von ihrem Einflusse nicht unberührt. Mit dem Erlöschen
des Buddhismus sanken auch die ehemaligen Tempelbauten auf
den Sunda-Inseln in Trümmer. Seitdem ergaben sich die Malayen
dem Islam, dessen Vorschriften jetzt den Inhalt des bürgerlichen
Rechtes bilden. Die ältesten Begebenheiten ihrer geschriebenen
Geschichte gedenken eines Reiches auf Sumatra, das in Menang-
kabao seinen Brennpunkt besass und von wo aus seekundige
Abenteurer auszogen, um sich angeblich 1160 n. Chr. auf Singapur
festzusetzen. Seitdem waren es vorzüglich die Araber, welche ihre
Bildung auf die Völker der Sunda-Inselwelt übertrugen. Unberührt
von fremden Einwirkungen haben sich nur die Dayaken Borneo's
und die streitbaren Batta auf Sumatra erhalten. Die ersteren
haben sich durch eigene Entfaltung kaum höher gehoben, als die
Polynesier 2). Bei ihnen galt, ehe der Radscha Sir James Brooke
ihr ein Ende bereitete, die alterthümliche Sitte des Schädelraubes,
früher wahrscheinlich allen asiatischen Malayen eigenthümlich, denn
sie ist neuerlich von Bechtinger auf Formosa bemerkt worden 3)
und herrschte noch im 15. Jahrhundert bei den Batta Sumatra's 4).
Der Sinn der seltsamen Sitte, sich irgendwoher durch Gewalt oder
List einen Kopf oder einen Schädel zu verschaffen und ihn wie
ein theures Besitzthum mit in das Grab zu nehmen, erklärt sich
durch den Volkswahn, dass in der Behausung der Abgeschiedenen
der vormalige Träger des Schädels dem späteren Inhaber Sklaven-
dienste leisten werde 5). Von den anthropophagen Batta endlich

1) Friedr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Ab-
theilung. S. 90.
2) Ueber ihre Sitten S. oben S. 193. S. 243. S. 256. S. 274.
3) Ausland 1872. No. 24. S. 559.
4) Kunstmann, Indien im 15. Jahrhundert. München 1863. S. 40.
5) Tylor, Anfänge der Cultur. tom. I. p. 452.

Der malayische Stamm.
etwas Licht darüber, auf welchen Wegen die Vorfahren der Hova
nach Madagaskar gelangten.

Es ist sehr schwierig, die Begabung der asiatischen Malayen
für bürgerliche Gesittung richtig abzuschätzen, denn sie verloren
frühzeitig ihre Selbständigkeit. Erst brahmanische und später
buddhistische Ansiedler brachten indisches Wissen, indische Reli-
gionen, indische Kunst und indische Schriftzüge, sowie eine Zeit-
rechnung nach Java 1); auch Sumatra und die Halbinsel Malaka
blieben von ihrem Einflusse nicht unberührt. Mit dem Erlöschen
des Buddhismus sanken auch die ehemaligen Tempelbauten auf
den Sunda-Inseln in Trümmer. Seitdem ergaben sich die Malayen
dem Islam, dessen Vorschriften jetzt den Inhalt des bürgerlichen
Rechtes bilden. Die ältesten Begebenheiten ihrer geschriebenen
Geschichte gedenken eines Reiches auf Sumatra, das in Menang-
kabao seinen Brennpunkt besass und von wo aus seekundige
Abenteurer auszogen, um sich angeblich 1160 n. Chr. auf Singapur
festzusetzen. Seitdem waren es vorzüglich die Araber, welche ihre
Bildung auf die Völker der Sunda-Inselwelt übertrugen. Unberührt
von fremden Einwirkungen haben sich nur die Dayaken Borneo’s
und die streitbaren Batta auf Sumatra erhalten. Die ersteren
haben sich durch eigene Entfaltung kaum höher gehoben, als die
Polynesier 2). Bei ihnen galt, ehe der Radscha Sir James Brooke
ihr ein Ende bereitete, die alterthümliche Sitte des Schädelraubes,
früher wahrscheinlich allen asiatischen Malayen eigenthümlich, denn
sie ist neuerlich von Bechtinger auf Formosa bemerkt worden 3)
und herrschte noch im 15. Jahrhundert bei den Batta Sumatra’s 4).
Der Sinn der seltsamen Sitte, sich irgendwoher durch Gewalt oder
List einen Kopf oder einen Schädel zu verschaffen und ihn wie
ein theures Besitzthum mit in das Grab zu nehmen, erklärt sich
durch den Volkswahn, dass in der Behausung der Abgeschiedenen
der vormalige Träger des Schädels dem späteren Inhaber Sklaven-
dienste leisten werde 5). Von den anthropophagen Batta endlich

1) Friedr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Ab-
theilung. S. 90.
2) Ueber ihre Sitten S. oben S. 193. S. 243. S. 256. S. 274.
3) Ausland 1872. No. 24. S. 559.
4) Kunstmann, Indien im 15. Jahrhundert. München 1863. S. 40.
5) Tylor, Anfänge der Cultur. tom. I. p. 452.
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[379/0397] Der malayische Stamm. etwas Licht darüber, auf welchen Wegen die Vorfahren der Hova nach Madagaskar gelangten. Es ist sehr schwierig, die Begabung der asiatischen Malayen für bürgerliche Gesittung richtig abzuschätzen, denn sie verloren frühzeitig ihre Selbständigkeit. Erst brahmanische und später buddhistische Ansiedler brachten indisches Wissen, indische Reli- gionen, indische Kunst und indische Schriftzüge, sowie eine Zeit- rechnung nach Java 1); auch Sumatra und die Halbinsel Malaka blieben von ihrem Einflusse nicht unberührt. Mit dem Erlöschen des Buddhismus sanken auch die ehemaligen Tempelbauten auf den Sunda-Inseln in Trümmer. Seitdem ergaben sich die Malayen dem Islam, dessen Vorschriften jetzt den Inhalt des bürgerlichen Rechtes bilden. Die ältesten Begebenheiten ihrer geschriebenen Geschichte gedenken eines Reiches auf Sumatra, das in Menang- kabao seinen Brennpunkt besass und von wo aus seekundige Abenteurer auszogen, um sich angeblich 1160 n. Chr. auf Singapur festzusetzen. Seitdem waren es vorzüglich die Araber, welche ihre Bildung auf die Völker der Sunda-Inselwelt übertrugen. Unberührt von fremden Einwirkungen haben sich nur die Dayaken Borneo’s und die streitbaren Batta auf Sumatra erhalten. Die ersteren haben sich durch eigene Entfaltung kaum höher gehoben, als die Polynesier 2). Bei ihnen galt, ehe der Radscha Sir James Brooke ihr ein Ende bereitete, die alterthümliche Sitte des Schädelraubes, früher wahrscheinlich allen asiatischen Malayen eigenthümlich, denn sie ist neuerlich von Bechtinger auf Formosa bemerkt worden 3) und herrschte noch im 15. Jahrhundert bei den Batta Sumatra’s 4). Der Sinn der seltsamen Sitte, sich irgendwoher durch Gewalt oder List einen Kopf oder einen Schädel zu verschaffen und ihn wie ein theures Besitzthum mit in das Grab zu nehmen, erklärt sich durch den Volkswahn, dass in der Behausung der Abgeschiedenen der vormalige Träger des Schädels dem späteren Inhaber Sklaven- dienste leisten werde 5). Von den anthropophagen Batta endlich 1) Friedr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Ab- theilung. S. 90. 2) Ueber ihre Sitten S. oben S. 193. S. 243. S. 256. S. 274. 3) Ausland 1872. No. 24. S. 559. 4) Kunstmann, Indien im 15. Jahrhundert. München 1863. S. 40. 5) Tylor, Anfänge der Cultur. tom. I. p. 452.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/397>, abgerufen am 26.04.2024.