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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der malayische Stamm.

Die religiösen Regungen der Polynesier äusserten sich in Ver-
ehrung von Naturkräften, die in menschlicher Gestalt gedacht und
deren Thaten und Wandel mit geologischen Sagen verwebt, vom
Mythus eben so sinnig und erfinderisch ausgeschmückt wurden, wie es
von den Hellenen mit ihrer epischen Götterwelt geschah. Die Maori
Neuseelands, sonst so verabscheuungswürdig wegen ihrer canibali-
schen Laster, besitzen gleichwohl anmuthige Schöpfungssagen, denen
zufolge in der Urnacht zuerst als Feinstes der Gedanke keimte, auf
welchen dann das Begehren folgte, oder nach einer abgeänderten
Erzählung zuerst der Gedanke sich regte, dann der Geist und
zuletzt die Körperstoffe entstanden 1). Neben den Naturkräften
genossen auch die abgeschiedenen Häuptlinge göttliche Verehrung 2)
und Orakel befanden sich an ihren heiligen Stätten. Eine Priester-
zunft war in allen schamanistischen Gaukeleien wohl geübt, stand
aber an Ansehen tief unter den Fürsten, die sich einer göttlichen
Abkunft rühmten und einer göttlichen Verehrung nach dem Tode
sicher waren. Eng knüpfte sich daran ihre Macht zu tabuiren,
kraft welcher sie durch Berührung Fluren als unbetretbar und
Ernten als ungeniessbar zu erklären vermochten. Uebrigens konnte
manches Tabu auch von Plebejern verhängt werden. Es diente
ferner zum Schutz des Eigenthums und zur Beobachtung nütz-
licher Polizeivorschriften 3). Ein Bruch dieses Bannes war unerhört,
weil zeitliche und ewige Strafen den Ruchlosen bedrohten. Die
unbewusste Uebertretung dieser Satzung führte zu blutigen Rache-
thaten der Eingebornen gegen Europäer, und Capitain Cook, ob-
gleich von den Sandwichinsulanern als Gott vor und nach seiner
Ermordung verehrt, fiel zur Sühne für einen Tabubruch. Aus
Missverständniss dieser Gebräuche ist lange Zeit auf die Ge-
müthsart der Polynesier ein tiefer Schatten gefallen. Ein Maori
kam vielleicht verdurstet an das Haus eines europäischen An-
siedlers und bat um einen Trunk, der ihm in einem Kruge oder
Glase gereicht wurde. Hatte er sich gelabt, so zertrümmerte er
entweder das Gefäss oder steckte es ruhig ein, denn durch seine
Berührung war es geheiligt, also jedem Gebrauch durch einen
andern entzogen 4), während der Beraubte seitdem wegen der ver-

1) Waitz (Gerland), Anthropologie. B. 6. S. 247.
2) Mariner, Tonga Islands. Edinburgh 1827. tom. II. p. 73. p. 84.
3) v. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. 1. S. 114 ff.
4) D. G. Monrad, Das alte Neu-Seeland. Bremen 1871. S. 32.
Der malayische Stamm.

Die religiösen Regungen der Polynesier äusserten sich in Ver-
ehrung von Naturkräften, die in menschlicher Gestalt gedacht und
deren Thaten und Wandel mit geologischen Sagen verwebt, vom
Mythus eben so sinnig und erfinderisch ausgeschmückt wurden, wie es
von den Hellenen mit ihrer epischen Götterwelt geschah. Die Maori
Neuseelands, sonst so verabscheuungswürdig wegen ihrer canibali-
schen Laster, besitzen gleichwohl anmuthige Schöpfungssagen, denen
zufolge in der Urnacht zuerst als Feinstes der Gedanke keimte, auf
welchen dann das Begehren folgte, oder nach einer abgeänderten
Erzählung zuerst der Gedanke sich regte, dann der Geist und
zuletzt die Körperstoffe entstanden 1). Neben den Naturkräften
genossen auch die abgeschiedenen Häuptlinge göttliche Verehrung 2)
und Orakel befanden sich an ihren heiligen Stätten. Eine Priester-
zunft war in allen schamanistischen Gaukeleien wohl geübt, stand
aber an Ansehen tief unter den Fürsten, die sich einer göttlichen
Abkunft rühmten und einer göttlichen Verehrung nach dem Tode
sicher waren. Eng knüpfte sich daran ihre Macht zu tabuiren,
kraft welcher sie durch Berührung Fluren als unbetretbar und
Ernten als ungeniessbar zu erklären vermochten. Uebrigens konnte
manches Tabu auch von Plebejern verhängt werden. Es diente
ferner zum Schutz des Eigenthums und zur Beobachtung nütz-
licher Polizeivorschriften 3). Ein Bruch dieses Bannes war unerhört,
weil zeitliche und ewige Strafen den Ruchlosen bedrohten. Die
unbewusste Uebertretung dieser Satzung führte zu blutigen Rache-
thaten der Eingebornen gegen Europäer, und Capitain Cook, ob-
gleich von den Sandwichinsulanern als Gott vor und nach seiner
Ermordung verehrt, fiel zur Sühne für einen Tabubruch. Aus
Missverständniss dieser Gebräuche ist lange Zeit auf die Ge-
müthsart der Polynesier ein tiefer Schatten gefallen. Ein Maori
kam vielleicht verdurstet an das Haus eines europäischen An-
siedlers und bat um einen Trunk, der ihm in einem Kruge oder
Glase gereicht wurde. Hatte er sich gelabt, so zertrümmerte er
entweder das Gefäss oder steckte es ruhig ein, denn durch seine
Berührung war es geheiligt, also jedem Gebrauch durch einen
andern entzogen 4), während der Beraubte seitdem wegen der ver-

1) Waitz (Gerland), Anthropologie. B. 6. S. 247.
2) Mariner, Tonga Islands. Edinburgh 1827. tom. II. p. 73. p. 84.
3) v. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. 1. S. 114 ff.
4) D. G. Monrad, Das alte Neu-Seeland. Bremen 1871. S. 32.
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[376/0394] Der malayische Stamm. Die religiösen Regungen der Polynesier äusserten sich in Ver- ehrung von Naturkräften, die in menschlicher Gestalt gedacht und deren Thaten und Wandel mit geologischen Sagen verwebt, vom Mythus eben so sinnig und erfinderisch ausgeschmückt wurden, wie es von den Hellenen mit ihrer epischen Götterwelt geschah. Die Maori Neuseelands, sonst so verabscheuungswürdig wegen ihrer canibali- schen Laster, besitzen gleichwohl anmuthige Schöpfungssagen, denen zufolge in der Urnacht zuerst als Feinstes der Gedanke keimte, auf welchen dann das Begehren folgte, oder nach einer abgeänderten Erzählung zuerst der Gedanke sich regte, dann der Geist und zuletzt die Körperstoffe entstanden 1). Neben den Naturkräften genossen auch die abgeschiedenen Häuptlinge göttliche Verehrung 2) und Orakel befanden sich an ihren heiligen Stätten. Eine Priester- zunft war in allen schamanistischen Gaukeleien wohl geübt, stand aber an Ansehen tief unter den Fürsten, die sich einer göttlichen Abkunft rühmten und einer göttlichen Verehrung nach dem Tode sicher waren. Eng knüpfte sich daran ihre Macht zu tabuiren, kraft welcher sie durch Berührung Fluren als unbetretbar und Ernten als ungeniessbar zu erklären vermochten. Uebrigens konnte manches Tabu auch von Plebejern verhängt werden. Es diente ferner zum Schutz des Eigenthums und zur Beobachtung nütz- licher Polizeivorschriften 3). Ein Bruch dieses Bannes war unerhört, weil zeitliche und ewige Strafen den Ruchlosen bedrohten. Die unbewusste Uebertretung dieser Satzung führte zu blutigen Rache- thaten der Eingebornen gegen Europäer, und Capitain Cook, ob- gleich von den Sandwichinsulanern als Gott vor und nach seiner Ermordung verehrt, fiel zur Sühne für einen Tabubruch. Aus Missverständniss dieser Gebräuche ist lange Zeit auf die Ge- müthsart der Polynesier ein tiefer Schatten gefallen. Ein Maori kam vielleicht verdurstet an das Haus eines europäischen An- siedlers und bat um einen Trunk, der ihm in einem Kruge oder Glase gereicht wurde. Hatte er sich gelabt, so zertrümmerte er entweder das Gefäss oder steckte es ruhig ein, denn durch seine Berührung war es geheiligt, also jedem Gebrauch durch einen andern entzogen 4), während der Beraubte seitdem wegen der ver- 1) Waitz (Gerland), Anthropologie. B. 6. S. 247. 2) Mariner, Tonga Islands. Edinburgh 1827. tom. II. p. 73. p. 84. 3) v. Langsdorff, Reise um die Welt. Bd. 1. S. 114 ff. 4) D. G. Monrad, Das alte Neu-Seeland. Bremen 1871. S. 32.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/394>, abgerufen am 26.04.2024.