Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Islam.
gründete, ist mit Nachahmung der sinaitischen Gesetzgebung in
folgenden zwei mal fünf Vorschriften abgefasst:

1) Neben Gott keine andern Götter zu erkennen; 2) Ehr-
furcht den Eltern zu bezeigen; 3) Kinder aus Besorgniss vor
Nahrungsmangel nicht zu tödten; 4) Keuschheit zu beobachten;
5) Das Leben andrer zu schonen ausser in den Fällen wo die Ge-
rechtigkeit es anders verlangt. Dieser ersten Reihe liess er noch
als Befehle folgen: 6) Unverletzlichkeit des Vermögens der Waisen,
7) redliches Maass und Gewicht; 8) keine Ueberbürdung der
Sklaven; 9) Unparteilichkeit der Richter; 10) Heilighaltung des
Eides und des Bundes mit Gott1). An Einfachheit ist das mosa-
ische Gesetz jedenfalls diesem Zehngebote überlegen. Um die
herkömmliche Zahl zu erreichen hat der Prophet sichtlich auf der
Folter gelegen und zuletzt noch marktpolizeiliche Vorschriften
eingeschoben. Eine Heiligung des Sabbaths wurde nicht vorge-
schrieben; sie sei den Juden, behauptete Mohammed, nur wegen
ihrer Hartnäckigkeit aufgebürdet worden, weil sie die Feier des
Samstags, nicht wie Mose gewollt habe, die des Freitags durch-
gesetzt hätten2).

Die Verstattung von vier gesetzlichen Frauen und einer un-
beschränkten Zahl von Sklavinnen zeigt uns die Schwäche des
Propheten, der seiner eignen Genusssucht keinen Zügel anlegte.
Nur mit Unrecht aber würde man in der Polygamie den wesent-
lichen Gegensatz zwischen dem Islam und unsrer Religion finden.
Die Einzelehe war lange vor dem Christenthum Gesetz bei
vielen Völkern und ist es noch jetzt bei heidnischen Stämmen, ja
in den ältesten Zeiten konnte man der christlichen Kirche ange-
hören, und doch mehrere Frauen besitzen. Wie alle Völker auf
früheren Entwicklungsstufen hatten sich die Araber in ihrer Heiden-
zeit sehr verwickelte Speiseverbote auferlegt. Der Prophet be-
schränkte sie auf das Fleisch der Schweine sowie der gefallenen
Thiere und den Genuss des ausgeflossenen Blutes3).

Um seinen Offenbarungen Glauben zu verschaffen, suchte der
Prophet seine Anhänger mit den Schrecken der Auferstehung und
eines jüngsten Tages zu ängstigen. Hier kam ihm die Flammen-

1) Qoran, übersetzt von Wahl. Sure VI. S. 114--115.
2) Sure XVI, 125. Wahl, Qoran. S. 223.
3) Sure VI, 146. Wahl, Qoran. S. 114.

Der Islâm.
gründete, ist mit Nachahmung der sinaitischen Gesetzgebung in
folgenden zwei mal fünf Vorschriften abgefasst:

1) Neben Gott keine andern Götter zu erkennen; 2) Ehr-
furcht den Eltern zu bezeigen; 3) Kinder aus Besorgniss vor
Nahrungsmangel nicht zu tödten; 4) Keuschheit zu beobachten;
5) Das Leben andrer zu schonen ausser in den Fällen wo die Ge-
rechtigkeit es anders verlangt. Dieser ersten Reihe liess er noch
als Befehle folgen: 6) Unverletzlichkeit des Vermögens der Waisen,
7) redliches Maass und Gewicht; 8) keine Ueberbürdung der
Sklaven; 9) Unparteilichkeit der Richter; 10) Heilighaltung des
Eides und des Bundes mit Gott1). An Einfachheit ist das mosa-
ische Gesetz jedenfalls diesem Zehngebote überlegen. Um die
herkömmliche Zahl zu erreichen hat der Prophet sichtlich auf der
Folter gelegen und zuletzt noch marktpolizeiliche Vorschriften
eingeschoben. Eine Heiligung des Sabbaths wurde nicht vorge-
schrieben; sie sei den Juden, behauptete Mohammed, nur wegen
ihrer Hartnäckigkeit aufgebürdet worden, weil sie die Feier des
Samstags, nicht wie Mose gewollt habe, die des Freitags durch-
gesetzt hätten2).

Die Verstattung von vier gesetzlichen Frauen und einer un-
beschränkten Zahl von Sklavinnen zeigt uns die Schwäche des
Propheten, der seiner eignen Genusssucht keinen Zügel anlegte.
Nur mit Unrecht aber würde man in der Polygamie den wesent-
lichen Gegensatz zwischen dem Islam und unsrer Religion finden.
Die Einzelehe war lange vor dem Christenthum Gesetz bei
vielen Völkern und ist es noch jetzt bei heidnischen Stämmen, ja
in den ältesten Zeiten konnte man der christlichen Kirche ange-
hören, und doch mehrere Frauen besitzen. Wie alle Völker auf
früheren Entwicklungsstufen hatten sich die Araber in ihrer Heiden-
zeit sehr verwickelte Speiseverbote auferlegt. Der Prophet be-
schränkte sie auf das Fleisch der Schweine sowie der gefallenen
Thiere und den Genuss des ausgeflossenen Blutes3).

Um seinen Offenbarungen Glauben zu verschaffen, suchte der
Prophet seine Anhänger mit den Schrecken der Auferstehung und
eines jüngsten Tages zu ängstigen. Hier kam ihm die Flammen-

1) Qorân, übersetzt von Wahl. Sure VI. S. 114—115.
2) Sure XVI, 125. Wahl, Qorân. S. 223.
3) Sure VI, 146. Wahl, Qorân. S. 114.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0338" n="320"/><fw place="top" type="header">Der Islâm.</fw><lb/>
gründete, ist mit Nachahmung der sinaitischen Gesetzgebung in<lb/>
folgenden zwei mal fünf Vorschriften abgefasst:</p><lb/>
          <p>1) Neben Gott keine andern Götter zu erkennen; 2) Ehr-<lb/>
furcht den Eltern zu bezeigen; 3) Kinder aus Besorgniss vor<lb/>
Nahrungsmangel nicht zu tödten; 4) Keuschheit zu beobachten;<lb/>
5) Das Leben andrer zu schonen ausser in den Fällen wo die Ge-<lb/>
rechtigkeit es anders verlangt. Dieser ersten Reihe liess er noch<lb/>
als Befehle folgen: 6) Unverletzlichkeit des Vermögens der Waisen,<lb/>
7) redliches Maass und Gewicht; 8) keine Ueberbürdung der<lb/>
Sklaven; 9) Unparteilichkeit der Richter; 10) Heilighaltung des<lb/>
Eides und des Bundes mit Gott<note place="foot" n="1)">Qorân, übersetzt von Wahl. Sure VI. S. 114&#x2014;115.</note>. An Einfachheit ist das mosa-<lb/>
ische Gesetz jedenfalls diesem Zehngebote überlegen. Um die<lb/>
herkömmliche Zahl zu erreichen hat der Prophet sichtlich auf der<lb/>
Folter gelegen und zuletzt noch marktpolizeiliche Vorschriften<lb/>
eingeschoben. Eine Heiligung des Sabbaths wurde nicht vorge-<lb/>
schrieben; sie sei den Juden, behauptete Mohammed, nur wegen<lb/>
ihrer Hartnäckigkeit aufgebürdet worden, weil sie die Feier des<lb/>
Samstags, nicht wie Mose gewollt habe, die des Freitags durch-<lb/>
gesetzt hätten<note place="foot" n="2)">Sure XVI, 125. <hi rendition="#g">Wahl</hi>, Qorân. S. 223.</note>.</p><lb/>
          <p>Die Verstattung von vier gesetzlichen Frauen und einer un-<lb/>
beschränkten Zahl von Sklavinnen zeigt uns die Schwäche des<lb/>
Propheten, der seiner eignen Genusssucht keinen Zügel anlegte.<lb/>
Nur mit Unrecht aber würde man in der Polygamie den wesent-<lb/>
lichen Gegensatz zwischen dem Islam und unsrer Religion finden.<lb/>
Die Einzelehe war lange vor dem Christenthum Gesetz bei<lb/>
vielen Völkern und ist es noch jetzt bei heidnischen Stämmen, ja<lb/>
in den ältesten Zeiten konnte man der christlichen Kirche ange-<lb/>
hören, und doch mehrere Frauen besitzen. Wie alle Völker auf<lb/>
früheren Entwicklungsstufen hatten sich die Araber in ihrer Heiden-<lb/>
zeit sehr verwickelte Speiseverbote auferlegt. Der Prophet be-<lb/>
schränkte sie auf das Fleisch der Schweine sowie der gefallenen<lb/>
Thiere und den Genuss des ausgeflossenen Blutes<note place="foot" n="3)">Sure VI, 146. <hi rendition="#g">Wahl</hi>, Qorân. S. 114.</note>.</p><lb/>
          <p>Um seinen Offenbarungen Glauben zu verschaffen, suchte der<lb/>
Prophet seine Anhänger mit den Schrecken der Auferstehung und<lb/>
eines jüngsten Tages zu ängstigen. Hier kam ihm die Flammen-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[320/0338] Der Islâm. gründete, ist mit Nachahmung der sinaitischen Gesetzgebung in folgenden zwei mal fünf Vorschriften abgefasst: 1) Neben Gott keine andern Götter zu erkennen; 2) Ehr- furcht den Eltern zu bezeigen; 3) Kinder aus Besorgniss vor Nahrungsmangel nicht zu tödten; 4) Keuschheit zu beobachten; 5) Das Leben andrer zu schonen ausser in den Fällen wo die Ge- rechtigkeit es anders verlangt. Dieser ersten Reihe liess er noch als Befehle folgen: 6) Unverletzlichkeit des Vermögens der Waisen, 7) redliches Maass und Gewicht; 8) keine Ueberbürdung der Sklaven; 9) Unparteilichkeit der Richter; 10) Heilighaltung des Eides und des Bundes mit Gott 1). An Einfachheit ist das mosa- ische Gesetz jedenfalls diesem Zehngebote überlegen. Um die herkömmliche Zahl zu erreichen hat der Prophet sichtlich auf der Folter gelegen und zuletzt noch marktpolizeiliche Vorschriften eingeschoben. Eine Heiligung des Sabbaths wurde nicht vorge- schrieben; sie sei den Juden, behauptete Mohammed, nur wegen ihrer Hartnäckigkeit aufgebürdet worden, weil sie die Feier des Samstags, nicht wie Mose gewollt habe, die des Freitags durch- gesetzt hätten 2). Die Verstattung von vier gesetzlichen Frauen und einer un- beschränkten Zahl von Sklavinnen zeigt uns die Schwäche des Propheten, der seiner eignen Genusssucht keinen Zügel anlegte. Nur mit Unrecht aber würde man in der Polygamie den wesent- lichen Gegensatz zwischen dem Islam und unsrer Religion finden. Die Einzelehe war lange vor dem Christenthum Gesetz bei vielen Völkern und ist es noch jetzt bei heidnischen Stämmen, ja in den ältesten Zeiten konnte man der christlichen Kirche ange- hören, und doch mehrere Frauen besitzen. Wie alle Völker auf früheren Entwicklungsstufen hatten sich die Araber in ihrer Heiden- zeit sehr verwickelte Speiseverbote auferlegt. Der Prophet be- schränkte sie auf das Fleisch der Schweine sowie der gefallenen Thiere und den Genuss des ausgeflossenen Blutes 3). Um seinen Offenbarungen Glauben zu verschaffen, suchte der Prophet seine Anhänger mit den Schrecken der Auferstehung und eines jüngsten Tages zu ängstigen. Hier kam ihm die Flammen- 1) Qorân, übersetzt von Wahl. Sure VI. S. 114—115. 2) Sure XVI, 125. Wahl, Qorân. S. 223. 3) Sure VI, 146. Wahl, Qorân. S. 114.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/338
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/338>, abgerufen am 26.04.2024.