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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der israelitische Monotheismus.
in leisen Uebergängen ein immer neuer und neuerer Gott reiner
und ethischer, entsprechend den reineren und ethischeren Auf-
fassungen, zu welchen das jüdische Volk heranreifte, gross gezogen
und geläutert durch harte Prüfungen.

Die heilige Schrift liegt für jedermann geöffnet, um noch ein-
mal selbst historisch zu durchleben, was die Hebräer an sich er-
fahren mussten. Wenn ihr Monotheismus, wie ihn die Propheten
lehrten, ein echter Gewinn gewesen wäre, so musste er sich be-
währen in der Stunde des namenlosen Elends, als auch die Be-
wohner Judäas, wie von den Assyriern früher die Zehnstämme,
hinweggeführt wurden in die Gefangenschaft nach Babylonien.
Von Sion und dem Tempel stand nur noch kahles Gemäuer,
eine Besatzung lag an dem verödeten Platze um jeden zu ver-
scheuchen, der es wagen sollte vielleicht verstohlen auf den ge-
weihten Stätten seine Andacht zu verrichten. Die Zukunft war
eine völlig lichtlose, nicht der fernste Schimmer einer Hoffnung
glimmte noch, dass das einst starke und beneidete Volk, nunmehr
versprengt und ausgetheilt in dem weiten babylonischen Reiche
sich jemals sammeln werde. Als sie, mit den Worten ihres Sängers 1)
zu reden, hinabweinten in die Wasser von Babylon, ihre Harfen an
die Weiden hingen, weil der Lobgesang in fremdem Lande er-
sticken musste, da gaben sich die geängstigten Gemüther auf alle
Fragen an die Zukunft, immer nur die rauhe Antwort: es ist
Alles vorbei! Es ist vorbei mit Judäa und Sion, wie das Zehn-
stämmereich schon zerflossen war bis auf die Schatten, welche
etwa noch die Chroniken heraufbeschwören mochten.

Als die Zeit ihrer Könige, wo sie vom Meere bis zur Wüste
die Gebieter waren mit ihrem schrecklichen Ende wie ein ver-
wehter Traum ihnen entfloh, sahen sie sich beim hellen Er-
wachen versetzt unter die asiatischen Wunder Babylons vor eine
Tafel voller sinnlichen Genüsse und wer herzhaft zugriff, konnte
damals mit der geniessbaren Wirklichkeit, mit dem bunten Luxus
und in der Vergnügungssucht der schwelgerischen Grossstadt unter
den Dattelhainen am Euphrat und in der Ueppigkeit kunstvoll be-
wässerter Gärten jedes Heimweh nach dem steinigen Palästina er-
2)

1) Psalm 136, v. 1.
2) Hepworth Dixon, Das heilige Land. Jena, 1870. S. 48--50.

Der israelitische Monotheismus.
in leisen Uebergängen ein immer neuer und neuerer Gott reiner
und ethischer, entsprechend den reineren und ethischeren Auf-
fassungen, zu welchen das jüdische Volk heranreifte, gross gezogen
und geläutert durch harte Prüfungen.

Die heilige Schrift liegt für jedermann geöffnet, um noch ein-
mal selbst historisch zu durchleben, was die Hebräer an sich er-
fahren mussten. Wenn ihr Monotheismus, wie ihn die Propheten
lehrten, ein echter Gewinn gewesen wäre, so musste er sich be-
währen in der Stunde des namenlosen Elends, als auch die Be-
wohner Judäas, wie von den Assyriern früher die Zehnstämme,
hinweggeführt wurden in die Gefangenschaft nach Babylonien.
Von Sion und dem Tempel stand nur noch kahles Gemäuer,
eine Besatzung lag an dem verödeten Platze um jeden zu ver-
scheuchen, der es wagen sollte vielleicht verstohlen auf den ge-
weihten Stätten seine Andacht zu verrichten. Die Zukunft war
eine völlig lichtlose, nicht der fernste Schimmer einer Hoffnung
glimmte noch, dass das einst starke und beneidete Volk, nunmehr
versprengt und ausgetheilt in dem weiten babylonischen Reiche
sich jemals sammeln werde. Als sie, mit den Worten ihres Sängers 1)
zu reden, hinabweinten in die Wasser von Babylon, ihre Harfen an
die Weiden hingen, weil der Lobgesang in fremdem Lande er-
sticken musste, da gaben sich die geängstigten Gemüther auf alle
Fragen an die Zukunft, immer nur die rauhe Antwort: es ist
Alles vorbei! Es ist vorbei mit Judäa und Sion, wie das Zehn-
stämmereich schon zerflossen war bis auf die Schatten, welche
etwa noch die Chroniken heraufbeschwören mochten.

Als die Zeit ihrer Könige, wo sie vom Meere bis zur Wüste
die Gebieter waren mit ihrem schrecklichen Ende wie ein ver-
wehter Traum ihnen entfloh, sahen sie sich beim hellen Er-
wachen versetzt unter die asiatischen Wunder Babylons vor eine
Tafel voller sinnlichen Genüsse und wer herzhaft zugriff, konnte
damals mit der geniessbaren Wirklichkeit, mit dem bunten Luxus
und in der Vergnügungssucht der schwelgerischen Grossstadt unter
den Dattelhainen am Euphrat und in der Ueppigkeit kunstvoll be-
wässerter Gärten jedes Heimweh nach dem steinigen Palästina er-
2)

1) Psalm 136, v. 1.
2) Hepworth Dixon, Das heilige Land. Jena, 1870. S. 48—50.
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[306/0324] Der israelitische Monotheismus. in leisen Uebergängen ein immer neuer und neuerer Gott reiner und ethischer, entsprechend den reineren und ethischeren Auf- fassungen, zu welchen das jüdische Volk heranreifte, gross gezogen und geläutert durch harte Prüfungen. Die heilige Schrift liegt für jedermann geöffnet, um noch ein- mal selbst historisch zu durchleben, was die Hebräer an sich er- fahren mussten. Wenn ihr Monotheismus, wie ihn die Propheten lehrten, ein echter Gewinn gewesen wäre, so musste er sich be- währen in der Stunde des namenlosen Elends, als auch die Be- wohner Judäas, wie von den Assyriern früher die Zehnstämme, hinweggeführt wurden in die Gefangenschaft nach Babylonien. Von Sion und dem Tempel stand nur noch kahles Gemäuer, eine Besatzung lag an dem verödeten Platze um jeden zu ver- scheuchen, der es wagen sollte vielleicht verstohlen auf den ge- weihten Stätten seine Andacht zu verrichten. Die Zukunft war eine völlig lichtlose, nicht der fernste Schimmer einer Hoffnung glimmte noch, dass das einst starke und beneidete Volk, nunmehr versprengt und ausgetheilt in dem weiten babylonischen Reiche sich jemals sammeln werde. Als sie, mit den Worten ihres Sängers 1) zu reden, hinabweinten in die Wasser von Babylon, ihre Harfen an die Weiden hingen, weil der Lobgesang in fremdem Lande er- sticken musste, da gaben sich die geängstigten Gemüther auf alle Fragen an die Zukunft, immer nur die rauhe Antwort: es ist Alles vorbei! Es ist vorbei mit Judäa und Sion, wie das Zehn- stämmereich schon zerflossen war bis auf die Schatten, welche etwa noch die Chroniken heraufbeschwören mochten. Als die Zeit ihrer Könige, wo sie vom Meere bis zur Wüste die Gebieter waren mit ihrem schrecklichen Ende wie ein ver- wehter Traum ihnen entfloh, sahen sie sich beim hellen Er- wachen versetzt unter die asiatischen Wunder Babylons vor eine Tafel voller sinnlichen Genüsse und wer herzhaft zugriff, konnte damals mit der geniessbaren Wirklichkeit, mit dem bunten Luxus und in der Vergnügungssucht der schwelgerischen Grossstadt unter den Dattelhainen am Euphrat und in der Ueppigkeit kunstvoll be- wässerter Gärten jedes Heimweh nach dem steinigen Palästina er- 2) 1) Psalm 136, v. 1. 2) Hepworth Dixon, Das heilige Land. Jena, 1870. S. 48—50.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/324>, abgerufen am 26.04.2024.