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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Ehe und väterliche Gewalt.

Wo der Kauf der Braut noch ein ernstes Geschäft ist, werden
vergleichsweise hohe Werthe entrichtet, wie bei den Kafirn1), und dann
befragt man die Neigung der Erwählten gar nicht. Bei edleren Völkern,
wie bei den Abiponen und noch jetzt bei den Patagoniern, wird der
Verkauf dagegen ungiltig oder rückgängig, wenn das Mädchen nicht
einwilligt2). Auch bei den Deutschen war die Ehe ursprünglich
ein Kauf und zwar entrichtete der Freier einen Preis demjenigen,
in dessen Gewalt sich die Jungfrau oder Wittwe befand, also dem
Vater, Bruder oder Tutor3). Da die Frau dadurch unter die
Vormundschaft des Mannes gerieth, nannte man auch diesen
Rechtsact einen Mundkauf. In Island und Norwegen wurde die
Frau ebenfalls erkauft4), wie bei den Angelsachsen, ja selbst das
englische Eheritual, welches bis 1549 in Kraft blieb, enthielt noch
Anklänge an die alte Rechtsgewohnheit5). Wir erinnern nur an
längst Bekanntes, wenn wir noch hinzufügen, dass die feierliche
Form der Eheschliessung (confarreatio) im alten Rom nur bei
Patriciern gebräuchlich war, die Plebejer dagegen ihre Ehen durch
einen Scheinkauf (coemtio) abschlossen. Wo der Islam herrscht,
muss noch heutigen Tages die Frau gekauft werden6). Eine hohe
Verfeinerung und Milderung der Sitten verräth es, wenn schon
durch Manus Gesetz im alten Indien, die ehemalige Brautgabe, ein
Joch Ochsen nämlich, streng abgeschafft wurde7). Der Bräutigam
wird vielmehr am Tage der Vermählung vom Schwiegervater als
Gast willkommen geheissen und empfängt die Braut unter der bei allen
feierlichen Schenkungen gebräuchlichen Form8). Scheidungen sind
überall, wo Polygamie herrscht, der Willkür des Ehemanns überlassen.

1) Gustav Fritsch, Die Eingebornen Südafrikas. S. 112.
2) Dobrizhoffer, Gesch. der Abiponer. Bd. 2. S. 257. Musters,
Unter den Patagoniern. Jena 1873. S. 190.
3) J. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer. Göttingen 1854. S. 420.
4) Paul Labaud in der Zeitschrift für Völkerpsychologie. Berlin 1865.
Bd. 3. S. 152.
5) Friedberg, Das Recht der Eheschliessung. S. 33. S. 38. Auch in den
Niederlanden, in Spanien nach Westgothenrechte, im longobardischen Rechte
sind Reste des Brautkaufes noch vorhanden. l. c. S. 66. S. 71. S. 75.
6) Warnkönig, Juristische Encyclopädie. S. 167.
7) Duncker, Geschichte des Alterthums. Bd. 2. S. 134.
8) Colebrooke, Essais on the religion and philosophy of the Hindus.
London 1858. p. 141--142.
Ehe und väterliche Gewalt.

Wo der Kauf der Braut noch ein ernstes Geschäft ist, werden
vergleichsweise hohe Werthe entrichtet, wie bei den Kafirn1), und dann
befragt man die Neigung der Erwählten gar nicht. Bei edleren Völkern,
wie bei den Abiponen und noch jetzt bei den Patagoniern, wird der
Verkauf dagegen ungiltig oder rückgängig, wenn das Mädchen nicht
einwilligt2). Auch bei den Deutschen war die Ehe ursprünglich
ein Kauf und zwar entrichtete der Freier einen Preis demjenigen,
in dessen Gewalt sich die Jungfrau oder Wittwe befand, also dem
Vater, Bruder oder Tutor3). Da die Frau dadurch unter die
Vormundschaft des Mannes gerieth, nannte man auch diesen
Rechtsact einen Mundkauf. In Island und Norwegen wurde die
Frau ebenfalls erkauft4), wie bei den Angelsachsen, ja selbst das
englische Eheritual, welches bis 1549 in Kraft blieb, enthielt noch
Anklänge an die alte Rechtsgewohnheit5). Wir erinnern nur an
längst Bekanntes, wenn wir noch hinzufügen, dass die feierliche
Form der Eheschliessung (confarreatio) im alten Rom nur bei
Patriciern gebräuchlich war, die Plebejer dagegen ihre Ehen durch
einen Scheinkauf (coemtio) abschlossen. Wo der Islam herrscht,
muss noch heutigen Tages die Frau gekauft werden6). Eine hohe
Verfeinerung und Milderung der Sitten verräth es, wenn schon
durch Manus Gesetz im alten Indien, die ehemalige Brautgabe, ein
Joch Ochsen nämlich, streng abgeschafft wurde7). Der Bräutigam
wird vielmehr am Tage der Vermählung vom Schwiegervater als
Gast willkommen geheissen und empfängt die Braut unter der bei allen
feierlichen Schenkungen gebräuchlichen Form8). Scheidungen sind
überall, wo Polygamie herrscht, der Willkür des Ehemanns überlassen.

1) Gustav Fritsch, Die Eingebornen Südafrikas. S. 112.
2) Dobrizhoffer, Gesch. der Abiponer. Bd. 2. S. 257. Musters,
Unter den Patagoniern. Jena 1873. S. 190.
3) J. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer. Göttingen 1854. S. 420.
4) Paul Labaud in der Zeitschrift für Völkerpsychologie. Berlin 1865.
Bd. 3. S. 152.
5) Friedberg, Das Recht der Eheschliessung. S. 33. S. 38. Auch in den
Niederlanden, in Spanien nach Westgothenrechte, im longobardischen Rechte
sind Reste des Brautkaufes noch vorhanden. l. c. S. 66. S. 71. S. 75.
6) Warnkönig, Juristische Encyclopädie. S. 167.
7) Duncker, Geschichte des Alterthums. Bd. 2. S. 134.
8) Colebrooke, Essais on the religion and philosophy of the Hindus.
London 1858. p. 141—142.
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[237/0255] Ehe und väterliche Gewalt. Wo der Kauf der Braut noch ein ernstes Geschäft ist, werden vergleichsweise hohe Werthe entrichtet, wie bei den Kafirn 1), und dann befragt man die Neigung der Erwählten gar nicht. Bei edleren Völkern, wie bei den Abiponen und noch jetzt bei den Patagoniern, wird der Verkauf dagegen ungiltig oder rückgängig, wenn das Mädchen nicht einwilligt 2). Auch bei den Deutschen war die Ehe ursprünglich ein Kauf und zwar entrichtete der Freier einen Preis demjenigen, in dessen Gewalt sich die Jungfrau oder Wittwe befand, also dem Vater, Bruder oder Tutor 3). Da die Frau dadurch unter die Vormundschaft des Mannes gerieth, nannte man auch diesen Rechtsact einen Mundkauf. In Island und Norwegen wurde die Frau ebenfalls erkauft 4), wie bei den Angelsachsen, ja selbst das englische Eheritual, welches bis 1549 in Kraft blieb, enthielt noch Anklänge an die alte Rechtsgewohnheit 5). Wir erinnern nur an längst Bekanntes, wenn wir noch hinzufügen, dass die feierliche Form der Eheschliessung (confarreatio) im alten Rom nur bei Patriciern gebräuchlich war, die Plebejer dagegen ihre Ehen durch einen Scheinkauf (coemtio) abschlossen. Wo der Islam herrscht, muss noch heutigen Tages die Frau gekauft werden 6). Eine hohe Verfeinerung und Milderung der Sitten verräth es, wenn schon durch Manus Gesetz im alten Indien, die ehemalige Brautgabe, ein Joch Ochsen nämlich, streng abgeschafft wurde 7). Der Bräutigam wird vielmehr am Tage der Vermählung vom Schwiegervater als Gast willkommen geheissen und empfängt die Braut unter der bei allen feierlichen Schenkungen gebräuchlichen Form 8). Scheidungen sind überall, wo Polygamie herrscht, der Willkür des Ehemanns überlassen. 1) Gustav Fritsch, Die Eingebornen Südafrikas. S. 112. 2) Dobrizhoffer, Gesch. der Abiponer. Bd. 2. S. 257. Musters, Unter den Patagoniern. Jena 1873. S. 190. 3) J. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer. Göttingen 1854. S. 420. 4) Paul Labaud in der Zeitschrift für Völkerpsychologie. Berlin 1865. Bd. 3. S. 152. 5) Friedberg, Das Recht der Eheschliessung. S. 33. S. 38. Auch in den Niederlanden, in Spanien nach Westgothenrechte, im longobardischen Rechte sind Reste des Brautkaufes noch vorhanden. l. c. S. 66. S. 71. S. 75. 6) Warnkönig, Juristische Encyclopädie. S. 167. 7) Duncker, Geschichte des Alterthums. Bd. 2. S. 134. 8) Colebrooke, Essais on the religion and philosophy of the Hindus. London 1858. p. 141—142.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/255>, abgerufen am 26.04.2024.