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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
gefördert, denn ohne Zinn lässt sich die Bronze nicht darstellen.
Die Fundorte des Zinns sind aber nicht häufig, und im Alterthum
blieben viele der jetzigen völlig unbekannt. Geschichtlich fest-
gestellt ist es, dass das Zinn des Erzgebirges erst im Mittelalter
gewonnen wurde, und zweifelhaft erscheint es noch jetzt, ob das
Zinn auf Kreta, sowie das transkaukasische in Georgien zu den
alten Mittelmeervölkern gelangte. Spanisches Zinn aus Galicien
befand sich jedoch zu Plinius' Zeit im römischen Handel. In
Gallien wurde an der Aurence Zinn gewaschen, ebenso hat man
alte Zinngruben im Limousin, im Departement Loire Inferieure und
im Morbihan entdeckt 1). So kundig waren die alten Kelten in Me-
tallarbeiten, dass erst die Römer von ihnen das Verzinnen der
Geschirre erlernten. Keltische Bergleute schürften auf den wich-
tigsten der alten Fundstätten, auf den Sorlingischen Inseln und in
Cornwallis. Es ist eine gänzlich unbegründete Vermuthung, dass
phönicische Seefahrer den alten Einwohnern Grossbritanniens ihre
Erfahrungen beim Bergbau oder bei der Verhüttung mitgetheilt
oder gar die Lager der Zinnerze entdeckt haben sollten. Nie sind
vor Abel Tasmans Zeiten Entdeckungsreisen nach unbekannten
Erdräumen auf das Geradewohl ausgeführt worden. Immer hatten
die Seefahrer irgend ein Ziel vor Augen, immer trachteten sie
die Märkte oder den Ursprungsort hochgeschätzter Handelsgüter
zu erreichen. Gelangten also jemals carthaginiensische oder phö-
nicische Schiffe bis an die Westküste von Frankreich oder bis in den
Canal, so konnten sie nur bereits entdeckte Ursprungsstätten des
Zinnes aufgesucht haben, folglich musste dieses Metall zuvor abgebaut
worden sein, und nicht bloss abgebaut, sondern es musste auch
durch den Handel über Land schon das Mittelmeer erreicht haben.
Dass es einen solchen Landhandel gab, beweist die frühe Grün-
dung und das Aufblühen von Marseille, übrigens konnten ja die
Klumpen metallischen Zinnes, die unter den schweizerischen Alter-
thümern aus der Bronzezeit gefunden worden sind, nur durch einen
Binnenverkehr nach Helvetien gelangt sein, und eben so leicht wie
sie Helvetien erreichten, konnten sie auch ihren Weg nach Mar-
seille gefunden haben. Dem Zinne müssen wir es auch theilweise
zum Verdienste anrechnen, dass die Kelten in Gallien und Bri-

1) F. v. Rougemont, Die Bronzezeit. Gütersloh 1869. S. 85.
Peschel, Völkerkunde. 15

Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
gefördert, denn ohne Zinn lässt sich die Bronze nicht darstellen.
Die Fundorte des Zinns sind aber nicht häufig, und im Alterthum
blieben viele der jetzigen völlig unbekannt. Geschichtlich fest-
gestellt ist es, dass das Zinn des Erzgebirges erst im Mittelalter
gewonnen wurde, und zweifelhaft erscheint es noch jetzt, ob das
Zinn auf Kreta, sowie das transkaukasische in Georgien zu den
alten Mittelmeervölkern gelangte. Spanisches Zinn aus Galicien
befand sich jedoch zu Plinius’ Zeit im römischen Handel. In
Gallien wurde an der Aurence Zinn gewaschen, ebenso hat man
alte Zinngruben im Limousin, im Departement Loire Inférieure und
im Morbihan entdeckt 1). So kundig waren die alten Kelten in Me-
tallarbeiten, dass erst die Römer von ihnen das Verzinnen der
Geschirre erlernten. Keltische Bergleute schürften auf den wich-
tigsten der alten Fundstätten, auf den Sorlingischen Inseln und in
Cornwallis. Es ist eine gänzlich unbegründete Vermuthung, dass
phönicische Seefahrer den alten Einwohnern Grossbritanniens ihre
Erfahrungen beim Bergbau oder bei der Verhüttung mitgetheilt
oder gar die Lager der Zinnerze entdeckt haben sollten. Nie sind
vor Abel Tasmans Zeiten Entdeckungsreisen nach unbekannten
Erdräumen auf das Geradewohl ausgeführt worden. Immer hatten
die Seefahrer irgend ein Ziel vor Augen, immer trachteten sie
die Märkte oder den Ursprungsort hochgeschätzter Handelsgüter
zu erreichen. Gelangten also jemals carthaginiensische oder phö-
nicische Schiffe bis an die Westküste von Frankreich oder bis in den
Canal, so konnten sie nur bereits entdeckte Ursprungsstätten des
Zinnes aufgesucht haben, folglich musste dieses Metall zuvor abgebaut
worden sein, und nicht bloss abgebaut, sondern es musste auch
durch den Handel über Land schon das Mittelmeer erreicht haben.
Dass es einen solchen Landhandel gab, beweist die frühe Grün-
dung und das Aufblühen von Marseille, übrigens konnten ja die
Klumpen metallischen Zinnes, die unter den schweizerischen Alter-
thümern aus der Bronzezeit gefunden worden sind, nur durch einen
Binnenverkehr nach Helvetien gelangt sein, und eben so leicht wie
sie Helvetien erreichten, konnten sie auch ihren Weg nach Mar-
seille gefunden haben. Dem Zinne müssen wir es auch theilweise
zum Verdienste anrechnen, dass die Kelten in Gallien und Bri-

1) F. v. Rougemont, Die Bronzezeit. Gütersloh 1869. S. 85.
Peschel, Völkerkunde. 15
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[225/0243] Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker. gefördert, denn ohne Zinn lässt sich die Bronze nicht darstellen. Die Fundorte des Zinns sind aber nicht häufig, und im Alterthum blieben viele der jetzigen völlig unbekannt. Geschichtlich fest- gestellt ist es, dass das Zinn des Erzgebirges erst im Mittelalter gewonnen wurde, und zweifelhaft erscheint es noch jetzt, ob das Zinn auf Kreta, sowie das transkaukasische in Georgien zu den alten Mittelmeervölkern gelangte. Spanisches Zinn aus Galicien befand sich jedoch zu Plinius’ Zeit im römischen Handel. In Gallien wurde an der Aurence Zinn gewaschen, ebenso hat man alte Zinngruben im Limousin, im Departement Loire Inférieure und im Morbihan entdeckt 1). So kundig waren die alten Kelten in Me- tallarbeiten, dass erst die Römer von ihnen das Verzinnen der Geschirre erlernten. Keltische Bergleute schürften auf den wich- tigsten der alten Fundstätten, auf den Sorlingischen Inseln und in Cornwallis. Es ist eine gänzlich unbegründete Vermuthung, dass phönicische Seefahrer den alten Einwohnern Grossbritanniens ihre Erfahrungen beim Bergbau oder bei der Verhüttung mitgetheilt oder gar die Lager der Zinnerze entdeckt haben sollten. Nie sind vor Abel Tasmans Zeiten Entdeckungsreisen nach unbekannten Erdräumen auf das Geradewohl ausgeführt worden. Immer hatten die Seefahrer irgend ein Ziel vor Augen, immer trachteten sie die Märkte oder den Ursprungsort hochgeschätzter Handelsgüter zu erreichen. Gelangten also jemals carthaginiensische oder phö- nicische Schiffe bis an die Westküste von Frankreich oder bis in den Canal, so konnten sie nur bereits entdeckte Ursprungsstätten des Zinnes aufgesucht haben, folglich musste dieses Metall zuvor abgebaut worden sein, und nicht bloss abgebaut, sondern es musste auch durch den Handel über Land schon das Mittelmeer erreicht haben. Dass es einen solchen Landhandel gab, beweist die frühe Grün- dung und das Aufblühen von Marseille, übrigens konnten ja die Klumpen metallischen Zinnes, die unter den schweizerischen Alter- thümern aus der Bronzezeit gefunden worden sind, nur durch einen Binnenverkehr nach Helvetien gelangt sein, und eben so leicht wie sie Helvetien erreichten, konnten sie auch ihren Weg nach Mar- seille gefunden haben. Dem Zinne müssen wir es auch theilweise zum Verdienste anrechnen, dass die Kelten in Gallien und Bri- 1) F. v. Rougemont, Die Bronzezeit. Gütersloh 1869. S. 85. Peschel, Völkerkunde. 15

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/243>, abgerufen am 26.04.2024.