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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
fräuliche Reviere aufgesucht werden, und so gelangten russische
Pelzhändler auch nach der neuen Welt, wo sie Neu-Archangel auf
Sitcha gründeten. Bis zu dem kürzlichen Vordringen der Russen
über die Kirgisensteppe kann man sagen, dass ihre Machterweite-
rung über Nordasien genau durch die Verbreitung der Pelzthiere
bestimmt war.

Ueberzeugten wir uns bisher, dass das Verhängniss grosser
Erdräume und grosser Völker durch die Vertheilung kostbarer
Güter aus dem Stein- und Thierreich bestimmt wurde, so haben
auch manche Pflanzenerzeugnisse einen ähnlichen Zauber ausgeübt,
zumal in früheren Zeiten, wo noch nicht die Geschicklichkeit im
Uebersiedeln von Gewächsen wie gegenwärtig erworben worden
war. Die Begierde nach den Schätzen des indischen Morgenlandes
war es, welche die Portugiesen am atlantischen Gestade Afrikas
zuerst nach Süden geführt hat. Indien, worunter die Sprache der
damaligen Erdkunde ganz Südasien sammt China und Japan ver-
stand, galt irrthümlicherweise für ein metallreiches Land, während
es an Silber und Gold doch noch viel ärmer ist als selbst Afrika.
Nur die Edelsteine Ceylons, sowie des spätern Golconda, die Perlen-
bänke im Manaargolfe, im persischen Meerbusen und im Rothen
Meere waren keine Erdichtungen der Abendländer. Zu ihnen ge-
sellten sich etliche köstliche Gewürze und geschätzte Droguen.
Aeusserst folgenreich wirkte nun die Thatsache der Pflanzen-
geschichte, dass gerade Gewürze, Arzneimittel und Wohlgerüche
ein sehr beschränktes Verbreitungsgebiet besassen. Der Pfeffer, im
kaufmännischen Range damals das vornehmste Gewürz, war nur
von der Malabarküste in Indien oder von der Insel Sumatra zu
holen. Die Muskatnüsse und ihre Blüthen blieben noch auf die
Inseln der Banda-See beschränkt, und die Gewürznelken fanden
sich sogar nur auf fünf kleinen Inselvulcanen vor der Insel Gilolo,
den eigentlichen Molukken. Ferner wurde und wird noch jetzt
der echte Kampher auf zwei beschränkten Revieren, dem einen
auf Sumatra, dem andern auf Borneo gewonnen. Bis an das Ende
des damaligen Erdkreises mussten also die Portugiesen segeln,
bevor sie die Ursprungsorte jener vegetabilischen Seltenheiten er-
reichten. Es mag beschämend erscheinen, dass es solcher Lock-
mittel bedurfte, damit auf die Portugiesen die Holländer, auf die
Holländer Franzosen und Briten nach Südasien gezogen wurden,
allein immerhin war es für die Verbreitung der Cultur höchst

Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
fräuliche Reviere aufgesucht werden, und so gelangten russische
Pelzhändler auch nach der neuen Welt, wo sie Neu-Archangel auf
Sitcha gründeten. Bis zu dem kürzlichen Vordringen der Russen
über die Kirgisensteppe kann man sagen, dass ihre Machterweite-
rung über Nordasien genau durch die Verbreitung der Pelzthiere
bestimmt war.

Ueberzeugten wir uns bisher, dass das Verhängniss grosser
Erdräume und grosser Völker durch die Vertheilung kostbarer
Güter aus dem Stein- und Thierreich bestimmt wurde, so haben
auch manche Pflanzenerzeugnisse einen ähnlichen Zauber ausgeübt,
zumal in früheren Zeiten, wo noch nicht die Geschicklichkeit im
Uebersiedeln von Gewächsen wie gegenwärtig erworben worden
war. Die Begierde nach den Schätzen des indischen Morgenlandes
war es, welche die Portugiesen am atlantischen Gestade Afrikas
zuerst nach Süden geführt hat. Indien, worunter die Sprache der
damaligen Erdkunde ganz Südasien sammt China und Japan ver-
stand, galt irrthümlicherweise für ein metallreiches Land, während
es an Silber und Gold doch noch viel ärmer ist als selbst Afrika.
Nur die Edelsteine Ceylons, sowie des spätern Golconda, die Perlen-
bänke im Manaargolfe, im persischen Meerbusen und im Rothen
Meere waren keine Erdichtungen der Abendländer. Zu ihnen ge-
sellten sich etliche köstliche Gewürze und geschätzte Droguen.
Aeusserst folgenreich wirkte nun die Thatsache der Pflanzen-
geschichte, dass gerade Gewürze, Arzneimittel und Wohlgerüche
ein sehr beschränktes Verbreitungsgebiet besassen. Der Pfeffer, im
kaufmännischen Range damals das vornehmste Gewürz, war nur
von der Malabarküste in Indien oder von der Insel Sumatra zu
holen. Die Muskatnüsse und ihre Blüthen blieben noch auf die
Inseln der Banda-See beschränkt, und die Gewürznelken fanden
sich sogar nur auf fünf kleinen Inselvulcanen vor der Insel Gilolo,
den eigentlichen Molukken. Ferner wurde und wird noch jetzt
der echte Kampher auf zwei beschränkten Revieren, dem einen
auf Sumatra, dem andern auf Borneo gewonnen. Bis an das Ende
des damaligen Erdkreises mussten also die Portugiesen segeln,
bevor sie die Ursprungsorte jener vegetabilischen Seltenheiten er-
reichten. Es mag beschämend erscheinen, dass es solcher Lock-
mittel bedurfte, damit auf die Portugiesen die Holländer, auf die
Holländer Franzosen und Briten nach Südasien gezogen wurden,
allein immerhin war es für die Verbreitung der Cultur höchst

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[222/0240] Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker. fräuliche Reviere aufgesucht werden, und so gelangten russische Pelzhändler auch nach der neuen Welt, wo sie Neu-Archangel auf Sitcha gründeten. Bis zu dem kürzlichen Vordringen der Russen über die Kirgisensteppe kann man sagen, dass ihre Machterweite- rung über Nordasien genau durch die Verbreitung der Pelzthiere bestimmt war. Ueberzeugten wir uns bisher, dass das Verhängniss grosser Erdräume und grosser Völker durch die Vertheilung kostbarer Güter aus dem Stein- und Thierreich bestimmt wurde, so haben auch manche Pflanzenerzeugnisse einen ähnlichen Zauber ausgeübt, zumal in früheren Zeiten, wo noch nicht die Geschicklichkeit im Uebersiedeln von Gewächsen wie gegenwärtig erworben worden war. Die Begierde nach den Schätzen des indischen Morgenlandes war es, welche die Portugiesen am atlantischen Gestade Afrikas zuerst nach Süden geführt hat. Indien, worunter die Sprache der damaligen Erdkunde ganz Südasien sammt China und Japan ver- stand, galt irrthümlicherweise für ein metallreiches Land, während es an Silber und Gold doch noch viel ärmer ist als selbst Afrika. Nur die Edelsteine Ceylons, sowie des spätern Golconda, die Perlen- bänke im Manaargolfe, im persischen Meerbusen und im Rothen Meere waren keine Erdichtungen der Abendländer. Zu ihnen ge- sellten sich etliche köstliche Gewürze und geschätzte Droguen. Aeusserst folgenreich wirkte nun die Thatsache der Pflanzen- geschichte, dass gerade Gewürze, Arzneimittel und Wohlgerüche ein sehr beschränktes Verbreitungsgebiet besassen. Der Pfeffer, im kaufmännischen Range damals das vornehmste Gewürz, war nur von der Malabarküste in Indien oder von der Insel Sumatra zu holen. Die Muskatnüsse und ihre Blüthen blieben noch auf die Inseln der Banda-See beschränkt, und die Gewürznelken fanden sich sogar nur auf fünf kleinen Inselvulcanen vor der Insel Gilolo, den eigentlichen Molukken. Ferner wurde und wird noch jetzt der echte Kampher auf zwei beschränkten Revieren, dem einen auf Sumatra, dem andern auf Borneo gewonnen. Bis an das Ende des damaligen Erdkreises mussten also die Portugiesen segeln, bevor sie die Ursprungsorte jener vegetabilischen Seltenheiten er- reichten. Es mag beschämend erscheinen, dass es solcher Lock- mittel bedurfte, damit auf die Portugiesen die Holländer, auf die Holländer Franzosen und Briten nach Südasien gezogen wurden, allein immerhin war es für die Verbreitung der Cultur höchst

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/240>, abgerufen am 26.04.2024.