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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
Küstengestaltung hier gewisse Lebensgewohnheiten und Fertigkeiten
hervorgerufen. Bei den Chonos-Inseln sind nur rohe Flösse1) in
Gebrauch, und die Feuerländer, mit denen Capitän Wilkes ver-
kehrte, besassen ebenfalls nur Kähne aus Baumrinden, die über
ein Gestell gespannt und zusammengenäht waren, des Ausschöpfens
aber fortwährend bedurften. Anderwärts sind jedoch bessere Fahr-
zeuge gesehen worden, Cordova rühmt sogar ihre Kalfaterung und
beschreibt bei Cap Providence Kähne, die aus Baumstämmen ge-
schnitten worden waren. Wenn wir bei den Feuerländern nur
solche schwache Versuche antreffen, so müssen wir bedenken, dass
sie erst Anfänger im Seemannshandwerk waren, denn dass sie früher
auf dem Festland wie Araucaner oder Patagonier von der Jagd
gelebt haben, dürfen wir mit grosser Sicherheit daraus schliessen,
dass sich in ihren Händen eine Waffe befindet, die sonst nirgends
bei maritimen Stämmen angetroffen wird und ihnen auch wenig
Dienste leisten kann, nämlich die Schleuder. Doch treiben die
Feuerländer auch noch jetzt ein wenig Jagd, da sich Guanaco-
heerden auch auf den magalhaensschen Inseln (auf Navarin unter
andern) aufhalten. Wir werden also nicht fehl schliessen, wenn
wir in den Feuerländern eine ehemalige schwache Horde von
Jägern erkennen, die durch stärkere Nachbarn von ihren Revieren
verdrängt, schliesslich zu dem Wagniss einer Ueberfahrt nach der
nächsten Küsteninsel und zur Jagd auf Seethiere genöthigt wurde.
Ehemals waren im Feuerlande die Seehunde an Arten wie an
Häuptern ausserordentlich zahlreich, seit den Verheerungen uner-
bittlicher Robbenschläger müssen aber die Feuerländer sich mit
Schalthieren und Fischen begnügen, gehen auch, wie so viele
andere Stämme, einem raschen Ende entgegen.

Zeigt uns die Welt der patagonischen Fjorde und Scheeren
nur schwache Anfänge des Seegewerbes, so können wir dafür im
Norden von der Vancouverinsel bis zu den Aleuten eine Reihe
kleiner sprachlich gesonderter Stämme von Rothhäuten mustern,
die wir als die Normannen der Neuen Welt bezeichnen dürfen,
insofern sie eine Küste von gleichartiger Bildung wie Norwegen
bewohnen und in ihrer Welt als kühne Seeleute nicht leicht zu
übertreffen waren. Die schlanke Bauart und der scharfe echt
nautische Schnitt der Fahrzeuge im Nutka-Sund der Vancouver-

1) United States Exploring Expedition. tom. I. p. 124.
Peschel, Völkerkunde. 14

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
Küstengestaltung hier gewisse Lebensgewohnheiten und Fertigkeiten
hervorgerufen. Bei den Chonos-Inseln sind nur rohe Flösse1) in
Gebrauch, und die Feuerländer, mit denen Capitän Wilkes ver-
kehrte, besassen ebenfalls nur Kähne aus Baumrinden, die über
ein Gestell gespannt und zusammengenäht waren, des Ausschöpfens
aber fortwährend bedurften. Anderwärts sind jedoch bessere Fahr-
zeuge gesehen worden, Córdova rühmt sogar ihre Kalfaterung und
beschreibt bei Cap Providence Kähne, die aus Baumstämmen ge-
schnitten worden waren. Wenn wir bei den Feuerländern nur
solche schwache Versuche antreffen, so müssen wir bedenken, dass
sie erst Anfänger im Seemannshandwerk waren, denn dass sie früher
auf dem Festland wie Araucaner oder Patagonier von der Jagd
gelebt haben, dürfen wir mit grosser Sicherheit daraus schliessen,
dass sich in ihren Händen eine Waffe befindet, die sonst nirgends
bei maritimen Stämmen angetroffen wird und ihnen auch wenig
Dienste leisten kann, nämlich die Schleuder. Doch treiben die
Feuerländer auch noch jetzt ein wenig Jagd, da sich Guanaco-
heerden auch auf den magalhaẽsschen Inseln (auf Navarin unter
andern) aufhalten. Wir werden also nicht fehl schliessen, wenn
wir in den Feuerländern eine ehemalige schwache Horde von
Jägern erkennen, die durch stärkere Nachbarn von ihren Revieren
verdrängt, schliesslich zu dem Wagniss einer Ueberfahrt nach der
nächsten Küsteninsel und zur Jagd auf Seethiere genöthigt wurde.
Ehemals waren im Feuerlande die Seehunde an Arten wie an
Häuptern ausserordentlich zahlreich, seit den Verheerungen uner-
bittlicher Robbenschläger müssen aber die Feuerländer sich mit
Schalthieren und Fischen begnügen, gehen auch, wie so viele
andere Stämme, einem raschen Ende entgegen.

Zeigt uns die Welt der patagonischen Fjorde und Scheeren
nur schwache Anfänge des Seegewerbes, so können wir dafür im
Norden von der Vancouverinsel bis zu den Alëuten eine Reihe
kleiner sprachlich gesonderter Stämme von Rothhäuten mustern,
die wir als die Normannen der Neuen Welt bezeichnen dürfen,
insofern sie eine Küste von gleichartiger Bildung wie Norwegen
bewohnen und in ihrer Welt als kühne Seeleute nicht leicht zu
übertreffen waren. Die schlanke Bauart und der scharfe echt
nautische Schnitt der Fahrzeuge im Nutka-Sund der Vancouver-

1) United States Exploring Expedition. tom. I. p. 124.
Peschel, Völkerkunde. 14
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[209/0227] Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. Küstengestaltung hier gewisse Lebensgewohnheiten und Fertigkeiten hervorgerufen. Bei den Chonos-Inseln sind nur rohe Flösse 1) in Gebrauch, und die Feuerländer, mit denen Capitän Wilkes ver- kehrte, besassen ebenfalls nur Kähne aus Baumrinden, die über ein Gestell gespannt und zusammengenäht waren, des Ausschöpfens aber fortwährend bedurften. Anderwärts sind jedoch bessere Fahr- zeuge gesehen worden, Córdova rühmt sogar ihre Kalfaterung und beschreibt bei Cap Providence Kähne, die aus Baumstämmen ge- schnitten worden waren. Wenn wir bei den Feuerländern nur solche schwache Versuche antreffen, so müssen wir bedenken, dass sie erst Anfänger im Seemannshandwerk waren, denn dass sie früher auf dem Festland wie Araucaner oder Patagonier von der Jagd gelebt haben, dürfen wir mit grosser Sicherheit daraus schliessen, dass sich in ihren Händen eine Waffe befindet, die sonst nirgends bei maritimen Stämmen angetroffen wird und ihnen auch wenig Dienste leisten kann, nämlich die Schleuder. Doch treiben die Feuerländer auch noch jetzt ein wenig Jagd, da sich Guanaco- heerden auch auf den magalhaẽsschen Inseln (auf Navarin unter andern) aufhalten. Wir werden also nicht fehl schliessen, wenn wir in den Feuerländern eine ehemalige schwache Horde von Jägern erkennen, die durch stärkere Nachbarn von ihren Revieren verdrängt, schliesslich zu dem Wagniss einer Ueberfahrt nach der nächsten Küsteninsel und zur Jagd auf Seethiere genöthigt wurde. Ehemals waren im Feuerlande die Seehunde an Arten wie an Häuptern ausserordentlich zahlreich, seit den Verheerungen uner- bittlicher Robbenschläger müssen aber die Feuerländer sich mit Schalthieren und Fischen begnügen, gehen auch, wie so viele andere Stämme, einem raschen Ende entgegen. Zeigt uns die Welt der patagonischen Fjorde und Scheeren nur schwache Anfänge des Seegewerbes, so können wir dafür im Norden von der Vancouverinsel bis zu den Alëuten eine Reihe kleiner sprachlich gesonderter Stämme von Rothhäuten mustern, die wir als die Normannen der Neuen Welt bezeichnen dürfen, insofern sie eine Küste von gleichartiger Bildung wie Norwegen bewohnen und in ihrer Welt als kühne Seeleute nicht leicht zu übertreffen waren. Die schlanke Bauart und der scharfe echt nautische Schnitt der Fahrzeuge im Nutka-Sund der Vancouver- 1) United States Exploring Expedition. tom. I. p. 124. Peschel, Völkerkunde. 14

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/227>, abgerufen am 26.04.2024.