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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
die Schöpfungen eines Volkes auf dem Gebiet der Kunst, wie hoch
man seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, oder seine Religions-
satzungen stellen mag, die That eines einzigen kühnen und be-
harrlichen Seemanns verdunkelt, wenn wir nur an die physische
Geschichte unserer Erdvesten denken, alles andere an Wirksamkeit.
Wenn wir von einer fremdartigen Natur und fremden Welten auf
unserm Erdball reden, so meinen wir nichts anderes als die fremd-
artigen Gewächse und fremdartigen Thiergestalten die ihnen eigen-
thümlich sind. Wären aber der Verbreitung von Thieren und
Pflanzen keine räumlichen Hindernisse in den Weg getreten, so
würden alle klimatischen Gürtel der Erde die nämlichen Formen
belebter Wesen zeigen. Die Meere sind die wirksamsten Hinder-
nisse gewesen, aber der Seemann, der die Alte Welt mit der Neuen
verknüpfte, hob diese Hindernisse, und vernichtete an Amerika die
Eigenschaft eines gesonderten Erdraumes. Amerika ist seit der
Entdeckung nicht bloss von Europäern, sondern zugleich von
allen europäischen Culturgewächsen und Hausthieren, von Weizen,
Korn, Hafer, Gerste, von Rind, Ross und Schaf betreten worden,
und diese einwandernden Pflanzen und Thiere waren so mächtig,
dass sie in kurzer Zeit den landschaftlichen Anblick grosser Erd-
räume, ja sogar ihr Klima umgestalteten, indem sie aus einer
schattigen Wildniss ein sonniges Getreideland schufen. Um so
lebhafter muss aber unsere Wissbegierde zu der Untersuchung an-
geregt werden, ob nicht auch Aussicht vorhanden gewesen sei,
dass von andern Theilen unserer Erdveste Amerika, oder ob nicht
von den Amerikanern selbst die Alte Welt hätte gefunden werden
können, und wie gross die Keime im jenseitigen Welttheil waren,
die zu einer solchen Hoffnung hätten ermuthigen können. Diess
alles lässt sich allein auf dem Wege geschichtlicher Vergleiche
finden, und wir müssen daher diejenigen Erdräume aufsuchen, wo
sich seetüchtige Völker am höchsten entwickelt haben.

In der alten Welt haben grosse Ströme die nautischen Fertig-
keiten bei den Uferbewohnern nicht ausgebildet und das gleiche
gilt auch von Amerika. Wenn der Anblick der Stromgebiete des
Mississippi, des Amazonas und der La Plataströme auf einem
Länderbilde uns gegenwärtig mit der Ahnung einer unberechen-
baren Culturgrösse berauscht, wenn wir im Geiste ihre Wasser mit
belasteten Schiffen bedeckt, ihre Ufer mit Städten besäumt und
dicht bevölkert erblicken, so sagt uns doch schon unsere heimische

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
die Schöpfungen eines Volkes auf dem Gebiet der Kunst, wie hoch
man seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, oder seine Religions-
satzungen stellen mag, die That eines einzigen kühnen und be-
harrlichen Seemanns verdunkelt, wenn wir nur an die physische
Geschichte unserer Erdvesten denken, alles andere an Wirksamkeit.
Wenn wir von einer fremdartigen Natur und fremden Welten auf
unserm Erdball reden, so meinen wir nichts anderes als die fremd-
artigen Gewächse und fremdartigen Thiergestalten die ihnen eigen-
thümlich sind. Wären aber der Verbreitung von Thieren und
Pflanzen keine räumlichen Hindernisse in den Weg getreten, so
würden alle klimatischen Gürtel der Erde die nämlichen Formen
belebter Wesen zeigen. Die Meere sind die wirksamsten Hinder-
nisse gewesen, aber der Seemann, der die Alte Welt mit der Neuen
verknüpfte, hob diese Hindernisse, und vernichtete an Amerika die
Eigenschaft eines gesonderten Erdraumes. Amerika ist seit der
Entdeckung nicht bloss von Europäern, sondern zugleich von
allen europäischen Culturgewächsen und Hausthieren, von Weizen,
Korn, Hafer, Gerste, von Rind, Ross und Schaf betreten worden,
und diese einwandernden Pflanzen und Thiere waren so mächtig,
dass sie in kurzer Zeit den landschaftlichen Anblick grosser Erd-
räume, ja sogar ihr Klima umgestalteten, indem sie aus einer
schattigen Wildniss ein sonniges Getreideland schufen. Um so
lebhafter muss aber unsere Wissbegierde zu der Untersuchung an-
geregt werden, ob nicht auch Aussicht vorhanden gewesen sei,
dass von andern Theilen unserer Erdveste Amerika, oder ob nicht
von den Amerikanern selbst die Alte Welt hätte gefunden werden
können, und wie gross die Keime im jenseitigen Welttheil waren,
die zu einer solchen Hoffnung hätten ermuthigen können. Diess
alles lässt sich allein auf dem Wege geschichtlicher Vergleiche
finden, und wir müssen daher diejenigen Erdräume aufsuchen, wo
sich seetüchtige Völker am höchsten entwickelt haben.

In der alten Welt haben grosse Ströme die nautischen Fertig-
keiten bei den Uferbewohnern nicht ausgebildet und das gleiche
gilt auch von Amerika. Wenn der Anblick der Stromgebiete des
Mississippi, des Amazonas und der La Plataströme auf einem
Länderbilde uns gegenwärtig mit der Ahnung einer unberechen-
baren Culturgrösse berauscht, wenn wir im Geiste ihre Wasser mit
belasteten Schiffen bedeckt, ihre Ufer mit Städten besäumt und
dicht bevölkert erblicken, so sagt uns doch schon unsere heimische

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[203/0221] Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. die Schöpfungen eines Volkes auf dem Gebiet der Kunst, wie hoch man seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, oder seine Religions- satzungen stellen mag, die That eines einzigen kühnen und be- harrlichen Seemanns verdunkelt, wenn wir nur an die physische Geschichte unserer Erdvesten denken, alles andere an Wirksamkeit. Wenn wir von einer fremdartigen Natur und fremden Welten auf unserm Erdball reden, so meinen wir nichts anderes als die fremd- artigen Gewächse und fremdartigen Thiergestalten die ihnen eigen- thümlich sind. Wären aber der Verbreitung von Thieren und Pflanzen keine räumlichen Hindernisse in den Weg getreten, so würden alle klimatischen Gürtel der Erde die nämlichen Formen belebter Wesen zeigen. Die Meere sind die wirksamsten Hinder- nisse gewesen, aber der Seemann, der die Alte Welt mit der Neuen verknüpfte, hob diese Hindernisse, und vernichtete an Amerika die Eigenschaft eines gesonderten Erdraumes. Amerika ist seit der Entdeckung nicht bloss von Europäern, sondern zugleich von allen europäischen Culturgewächsen und Hausthieren, von Weizen, Korn, Hafer, Gerste, von Rind, Ross und Schaf betreten worden, und diese einwandernden Pflanzen und Thiere waren so mächtig, dass sie in kurzer Zeit den landschaftlichen Anblick grosser Erd- räume, ja sogar ihr Klima umgestalteten, indem sie aus einer schattigen Wildniss ein sonniges Getreideland schufen. Um so lebhafter muss aber unsere Wissbegierde zu der Untersuchung an- geregt werden, ob nicht auch Aussicht vorhanden gewesen sei, dass von andern Theilen unserer Erdveste Amerika, oder ob nicht von den Amerikanern selbst die Alte Welt hätte gefunden werden können, und wie gross die Keime im jenseitigen Welttheil waren, die zu einer solchen Hoffnung hätten ermuthigen können. Diess alles lässt sich allein auf dem Wege geschichtlicher Vergleiche finden, und wir müssen daher diejenigen Erdräume aufsuchen, wo sich seetüchtige Völker am höchsten entwickelt haben. In der alten Welt haben grosse Ströme die nautischen Fertig- keiten bei den Uferbewohnern nicht ausgebildet und das gleiche gilt auch von Amerika. Wenn der Anblick der Stromgebiete des Mississippi, des Amazonas und der La Plataströme auf einem Länderbilde uns gegenwärtig mit der Ahnung einer unberechen- baren Culturgrösse berauscht, wenn wir im Geiste ihre Wasser mit belasteten Schiffen bedeckt, ihre Ufer mit Städten besäumt und dicht bevölkert erblicken, so sagt uns doch schon unsere heimische

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/221>, abgerufen am 26.04.2024.