Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die mittelländische Race.
reichs. Etwa eine halbe Million Köpfe stark, sprechen sie das
Euscara und nennen sich selbst Euscaldunac. Bei den Geographen
des Alterthums hiessen sie Iberier und bewohnten ganz Spanien,
sowie das südwestliche Frankreich, wurden aber von den Kelten
frühzeitig gegen Westen und Süden verdrängt und bildeten ver-
mischt mit ihnen auf dem Gebiete der heutigen catalanischen
Mundart die Keltiberier. Grosser Meinungszwiespalt herrscht über
die Grössenverhältnisse ihres Schädels. Nach Paul Broca's1) Er-
mittelungen würden die spanischen Basken zu den gemischten
Halbschmalschädeln gehören, während unter den französischen
Basken die Breitschädel das Zahlenübergewicht besässen. Das
Euscara, ihre Sprache, steht ganz vereinzelt oder hat nur Aehn-
lichkeit in der Wortgestaltung mit dem amerikanischen Typus, in-
sofern es eine Menge pränominale Beziehungen dem Zeitwort ein-
verleibt und zugleich Bruchstücke als Vertreter von Wörtern zu-
sammensetzt. Doch geht bei ihm der volle Satz nicht in einem
einzigen Worte auf, auch erleiden seine Hauptwörter eine Inflexion
die nichts mit dem amerikanischen Verfahren gemein hat2). Die
Basken müssen wir vorläufig für die ältesten Bewohner Europa's
halten.

b. Kaukasische Bevölkerungen.

Neben zerstreuten Stämmen im oder am Kaukasus, die bereits
dem türkischen Zweige zugezählt wurden oder noch dem indo-
europäischen Stamm hinzuzufügen sind, stossen wir auf Völker
der mittelländischen Race, deren Sprachen völlig geschwisterlos bis
jetzt dastehen. So bewohnen Daghestan oder den nördlichen
Abhang des östlichen Kaukasus die Avaren, Kasikumüken (nicht
zu verwechseln mit den türkischen Kumüken), die Akuscha, die
Kürinen und die Uden, welche sämmtlich von den Georgiern
Lekhi, von den Armeniern Leksik und von uns Lesghier ge-
nannt werden. Ihre Nachbarn gegen Westen, welche die Dag-
hestaner Mizdscheghen heissen, nennen sich selbst Nachtschuoi.
Zu ihnen zählen als Stamm die Tschetschenzen, welche unter dem
Emir Schamyl hartnäckig für ihre Unabhängigkeit kämpften und

1) Anthropological Review. vol. VII, London 1869. p. 382--383.
2) Whitney, Study of language. p. 354.

Die mittelländische Race.
reichs. Etwa eine halbe Million Köpfe stark, sprechen sie das
Euscara und nennen sich selbst Euscaldunac. Bei den Geographen
des Alterthums hiessen sie Iberier und bewohnten ganz Spanien,
sowie das südwestliche Frankreich, wurden aber von den Kelten
frühzeitig gegen Westen und Süden verdrängt und bildeten ver-
mischt mit ihnen auf dem Gebiete der heutigen catalanischen
Mundart die Keltiberier. Grosser Meinungszwiespalt herrscht über
die Grössenverhältnisse ihres Schädels. Nach Paul Broca’s1) Er-
mittelungen würden die spanischen Basken zu den gemischten
Halbschmalschädeln gehören, während unter den französischen
Basken die Breitschädel das Zahlenübergewicht besässen. Das
Euscara, ihre Sprache, steht ganz vereinzelt oder hat nur Aehn-
lichkeit in der Wortgestaltung mit dem amerikanischen Typus, in-
sofern es eine Menge pränominale Beziehungen dem Zeitwort ein-
verleibt und zugleich Bruchstücke als Vertreter von Wörtern zu-
sammensetzt. Doch geht bei ihm der volle Satz nicht in einem
einzigen Worte auf, auch erleiden seine Hauptwörter eine Inflexion
die nichts mit dem amerikanischen Verfahren gemein hat2). Die
Basken müssen wir vorläufig für die ältesten Bewohner Europa’s
halten.

b. Kaukasische Bevölkerungen.

Neben zerstreuten Stämmen im oder am Kaukasus, die bereits
dem türkischen Zweige zugezählt wurden oder noch dem indo-
europäischen Stamm hinzuzufügen sind, stossen wir auf Völker
der mittelländischen Race, deren Sprachen völlig geschwisterlos bis
jetzt dastehen. So bewohnen Daghestân oder den nördlichen
Abhang des östlichen Kaukasus die Avaren, Kasikumüken (nicht
zu verwechseln mit den türkischen Kumüken), die Akuscha, die
Kürinen und die Uden, welche sämmtlich von den Georgiern
Lekhi, von den Armeniern Leksik und von uns Lesghier ge-
nannt werden. Ihre Nachbarn gegen Westen, welche die Dag-
hestâner Mizdscheghen heissen, nennen sich selbst Nachtschuoi.
Zu ihnen zählen als Stamm die Tschetschenzen, welche unter dem
Emir Schamyl hartnäckig für ihre Unabhängigkeit kämpften und

1) Anthropological Review. vol. VII, London 1869. p. 382—383.
2) Whitney, Study of language. p. 354.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0557" n="539"/><fw place="top" type="header">Die mittelländische Race.</fw><lb/>
reichs. Etwa eine halbe Million Köpfe stark, sprechen sie das<lb/>
Euscara und nennen sich selbst Euscaldunac. Bei den Geographen<lb/>
des Alterthums hiessen sie Iberier und bewohnten ganz Spanien,<lb/>
sowie das südwestliche Frankreich, wurden aber von den Kelten<lb/>
frühzeitig gegen Westen und Süden verdrängt und bildeten ver-<lb/>
mischt mit ihnen auf dem Gebiete der heutigen catalanischen<lb/>
Mundart die Keltiberier. Grosser Meinungszwiespalt herrscht über<lb/>
die Grössenverhältnisse ihres Schädels. Nach Paul Broca&#x2019;s<note place="foot" n="1)">Anthropological Review. vol. VII, London 1869. p. 382&#x2014;383.</note> Er-<lb/>
mittelungen würden die spanischen Basken zu den gemischten<lb/>
Halbschmalschädeln gehören, während unter den französischen<lb/>
Basken die Breitschädel das Zahlenübergewicht besässen. Das<lb/>
Euscara, ihre Sprache, steht ganz vereinzelt oder hat nur Aehn-<lb/>
lichkeit in der Wortgestaltung mit dem amerikanischen Typus, in-<lb/>
sofern es eine Menge pränominale Beziehungen dem Zeitwort ein-<lb/>
verleibt und zugleich Bruchstücke als Vertreter von Wörtern zu-<lb/>
sammensetzt. Doch geht bei ihm der volle Satz nicht in einem<lb/>
einzigen Worte auf, auch erleiden seine Hauptwörter eine Inflexion<lb/>
die nichts mit dem amerikanischen Verfahren gemein hat<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Whitney</hi>, Study of language. p. 354.</note>. Die<lb/>
Basken müssen wir vorläufig für die ältesten Bewohner Europa&#x2019;s<lb/>
halten.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>b. <hi rendition="#g">Kaukasische Bevölkerungen</hi>.</head><lb/>
              <p>Neben zerstreuten Stämmen im oder am Kaukasus, die bereits<lb/>
dem türkischen Zweige zugezählt wurden oder noch dem indo-<lb/>
europäischen Stamm hinzuzufügen sind, stossen wir auf Völker<lb/>
der mittelländischen Race, deren Sprachen völlig geschwisterlos bis<lb/>
jetzt dastehen. So bewohnen Daghestân oder den nördlichen<lb/>
Abhang des östlichen Kaukasus die Avaren, Kasikumüken (nicht<lb/>
zu verwechseln mit den türkischen Kumüken), die Akuscha, die<lb/>
Kürinen und die Uden, welche sämmtlich von den Georgiern<lb/>
Lekhi, von den Armeniern Leksik und von uns Lesghier ge-<lb/>
nannt werden. Ihre Nachbarn gegen Westen, welche die Dag-<lb/>
hestâner Mizdscheghen heissen, nennen sich selbst Nachtschuoi.<lb/>
Zu ihnen zählen als Stamm die Tschetschenzen, welche unter dem<lb/>
Emir Schamyl hartnäckig für ihre Unabhängigkeit kämpften und<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[539/0557] Die mittelländische Race. reichs. Etwa eine halbe Million Köpfe stark, sprechen sie das Euscara und nennen sich selbst Euscaldunac. Bei den Geographen des Alterthums hiessen sie Iberier und bewohnten ganz Spanien, sowie das südwestliche Frankreich, wurden aber von den Kelten frühzeitig gegen Westen und Süden verdrängt und bildeten ver- mischt mit ihnen auf dem Gebiete der heutigen catalanischen Mundart die Keltiberier. Grosser Meinungszwiespalt herrscht über die Grössenverhältnisse ihres Schädels. Nach Paul Broca’s 1) Er- mittelungen würden die spanischen Basken zu den gemischten Halbschmalschädeln gehören, während unter den französischen Basken die Breitschädel das Zahlenübergewicht besässen. Das Euscara, ihre Sprache, steht ganz vereinzelt oder hat nur Aehn- lichkeit in der Wortgestaltung mit dem amerikanischen Typus, in- sofern es eine Menge pränominale Beziehungen dem Zeitwort ein- verleibt und zugleich Bruchstücke als Vertreter von Wörtern zu- sammensetzt. Doch geht bei ihm der volle Satz nicht in einem einzigen Worte auf, auch erleiden seine Hauptwörter eine Inflexion die nichts mit dem amerikanischen Verfahren gemein hat 2). Die Basken müssen wir vorläufig für die ältesten Bewohner Europa’s halten. b. Kaukasische Bevölkerungen. Neben zerstreuten Stämmen im oder am Kaukasus, die bereits dem türkischen Zweige zugezählt wurden oder noch dem indo- europäischen Stamm hinzuzufügen sind, stossen wir auf Völker der mittelländischen Race, deren Sprachen völlig geschwisterlos bis jetzt dastehen. So bewohnen Daghestân oder den nördlichen Abhang des östlichen Kaukasus die Avaren, Kasikumüken (nicht zu verwechseln mit den türkischen Kumüken), die Akuscha, die Kürinen und die Uden, welche sämmtlich von den Georgiern Lekhi, von den Armeniern Leksik und von uns Lesghier ge- nannt werden. Ihre Nachbarn gegen Westen, welche die Dag- hestâner Mizdscheghen heissen, nennen sich selbst Nachtschuoi. Zu ihnen zählen als Stamm die Tschetschenzen, welche unter dem Emir Schamyl hartnäckig für ihre Unabhängigkeit kämpften und 1) Anthropological Review. vol. VII, London 1869. p. 382—383. 2) Whitney, Study of language. p. 354.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/557
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/557>, abgerufen am 22.12.2024.