Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pertsch, Johann Georg: Das Recht Der Beicht-Stühle. Halle, 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Abth. I. Cap. Von Erwehlung
man ihnen auch diese Gewissens-Freyheit genommen/ damit
ja nichts übrig bliebe/ worinnen sie nicht nach dem Gutdün-
cken der Geistlichkeit leben müsten b). Dieses Mosaische Joch
aber hätte man bey der Reformation denen Protestanten
nicht auf dem Halse lassen sollen. Zum wenigsten solte
man es jetzo ihnen von denen Schultern nehmen. Allein
wie ist solches zu hoffen? Die Juristen recommendiren sol-
ches selbst. Sie lassen es sich recht sauer werden/ solches auf
alle Art und Weise zu vertheydigen.

Das Zwang-
Recht wird
nach denen
Reguln des
Christen-
thums un-tersucht.
§. VII.

Lasset uns die Sache nach denen Regeln des
Christenthums
betrachten. Christus hat uns von allem Joch
befreyet. Man muß also auf ein gewisses Temperament
bedacht seyn/ dadurch das Zwang-Recht, so der Kirche zum
höchsten beschwerlich/ auf gewisse Weise gemindert und gelin-
dert wird. So lange solches Zwang-Recht bey uns verbleibet/
so lange wir Zwang und Gebot und Verbot in dieser Sa-
che brauchen/ und die Leute nöthigen/ dem oder jenem un-
umgänglich zu beichten/ so ist es eine Anzeige/ daß die Kir-
chen noch nicht in die vorige alte Freyheit gesetzet sind. Uber-
lege ich dasjenige/ was die Theologi von der Beichte sagen/
so befinde ich/ daß solche eine aufrichtige Ausschüttung des
Hertzens
seyn soll. Diese aber erfordert ein Vertrauen zu
der Person/ der ich mich also entdecken will. Der vor-
treffliche Herr Böhmer hat dieser wegen mit Recht geschrie-

ben,
b) Dadurch thut
man denen Ge-
wissen Tort.
Wer wolte wohl behaupten, daß man denen Gewissen keinen
Zwang thäte, wenn ich jemand darzu anhalte, daß er demjenigen
beichten muß, zu welchem er kein Vertrauen hat. Schwache Ge-
müther wollen zuweilen gerne ihr gantzes Hertz ausschütten. Die-
ses aber können sie ja nicht thun, wenn sie kein Vertrauen zu dem
Beicht-Vater haben. Die Angst des Gemüthes, die durch die
Beicht soll gehoben werden, höret auf diese Weise nicht auf. Man
gehet vielmehr aus einer blossen Gewohnheit zur Beichte.
a) In

II. Abth. I. Cap. Von Erwehlung
man ihnen auch dieſe Gewiſſens-Freyheit genommen/ damit
ja nichts uͤbrig bliebe/ worinnen ſie nicht nach dem Gutduͤn-
cken der Geiſtlichkeit leben muͤſten b). Dieſes Moſaiſche Joch
aber haͤtte man bey der Reformation denen Proteſtanten
nicht auf dem Halſe laſſen ſollen. Zum wenigſten ſolte
man es jetzo ihnen von denen Schultern nehmen. Allein
wie iſt ſolches zu hoffen? Die Juriſten recommendiren ſol-
ches ſelbſt. Sie laſſen es ſich recht ſauer werden/ ſolches auf
alle Art und Weiſe zu vertheydigen.

Das Zwãg-
Recht wird
nach denen
Reguln des
Chriſten-
thums un-terſucht.
§. VII.

Laſſet uns die Sache nach denen Regeln des
Chriſtenthums
betrachten. Chriſtus hat uns von allem Joch
befreyet. Man muß alſo auf ein gewiſſes Temperament
bedacht ſeyn/ dadurch das Zwang-Recht, ſo der Kirche zum
hoͤchſten beſchwerlich/ auf gewiſſe Weiſe gemindert und gelin-
dert wird. So lange ſolches Zwang-Recht bey uns verbleibet/
ſo lange wir Zwang und Gebot und Verbot in dieſer Sa-
che brauchen/ und die Leute noͤthigen/ dem oder jenem un-
umgaͤnglich zu beichten/ ſo iſt es eine Anzeige/ daß die Kir-
chen noch nicht in die vorige alte Freyheit geſetzet ſind. Uber-
lege ich dasjenige/ was die Theologi von der Beichte ſagen/
ſo befinde ich/ daß ſolche eine aufrichtige Ausſchuͤttung des
Hertzens
ſeyn ſoll. Dieſe aber erfordert ein Vertrauen zu
der Perſon/ der ich mich alſo entdecken will. Der vor-
treffliche Herr Boͤhmer hat dieſer wegen mit Recht geſchrie-

ben,
b) Dadurch thut
man denen Ge-
wiſſen Tort.
Wer wolte wohl behaupten, daß man denen Gewiſſen keinen
Zwang thaͤte, wenn ich jemand darzu anhalte, daß er demjenigen
beichten muß, zu welchem er kein Vertrauen hat. Schwache Ge-
muͤther wollen zuweilen gerne ihr gantzes Hertz ausſchuͤtten. Die-
ſes aber koͤnnen ſie ja nicht thun, wenn ſie kein Vertrauen zu dem
Beicht-Vater haben. Die Angſt des Gemuͤthes, die durch die
Beicht ſoll gehoben werden, hoͤret auf dieſe Weiſe nicht auf. Man
gehet vielmehr aus einer bloſſen Gewohnheit zur Beichte.
a) In
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0211" n="192"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">I.</hi> Cap. Von Erwehlung</hi></fw><lb/>
man ihnen auch die&#x017F;e <hi rendition="#fr">Gewi&#x017F;&#x017F;ens-Freyheit</hi> genommen/ damit<lb/>
ja nichts u&#x0364;brig bliebe/ worinnen &#x017F;ie nicht nach dem Gutdu&#x0364;n-<lb/>
cken der Gei&#x017F;tlichkeit leben mu&#x0364;&#x017F;ten <note place="foot" n="b)"><note place="left">Dadurch thut<lb/>
man denen Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Tort.</note>Wer wolte wohl behaupten, daß man denen Gewi&#x017F;&#x017F;en keinen<lb/>
Zwang tha&#x0364;te, wenn ich jemand darzu anhalte, daß er demjenigen<lb/>
beichten muß, zu welchem er kein Vertrauen hat. Schwache Ge-<lb/>
mu&#x0364;ther wollen zuweilen gerne ihr gantzes Hertz aus&#x017F;chu&#x0364;tten. Die-<lb/>
&#x017F;es aber ko&#x0364;nnen &#x017F;ie ja nicht thun, wenn &#x017F;ie kein <hi rendition="#fr">Vertrauen</hi> zu dem<lb/>
Beicht-Vater haben. Die Ang&#x017F;t des Gemu&#x0364;thes, die durch die<lb/>
Beicht &#x017F;oll gehoben werden, ho&#x0364;ret auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e nicht auf. Man<lb/>
gehet vielmehr aus einer blo&#x017F;&#x017F;en Gewohnheit zur Beichte.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">a) <hi rendition="#i">In</hi></hi></fw></note>. Die&#x017F;es <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Mo&#x017F;ai</hi></hi><hi rendition="#fr">&#x017F;che Joch</hi><lb/>
aber ha&#x0364;tte man bey der <hi rendition="#aq">Reformation</hi> denen <hi rendition="#aq">Prote&#x017F;tan</hi>ten<lb/>
nicht auf dem Hal&#x017F;e la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen. Zum wenig&#x017F;ten &#x017F;olte<lb/>
man es jetzo ihnen von denen Schultern nehmen. Allein<lb/>
wie i&#x017F;t &#x017F;olches zu hoffen? Die <hi rendition="#aq">Juri</hi>&#x017F;ten <hi rendition="#aq">recommendi</hi>ren &#x017F;ol-<lb/>
ches &#x017F;elb&#x017F;t. Sie la&#x017F;&#x017F;en es &#x017F;ich recht &#x017F;auer werden/ &#x017F;olches auf<lb/>
alle Art und Wei&#x017F;e zu vertheydigen.</p><lb/>
            <note place="left">Das Zwa&#x0303;g-<lb/>
Recht wird<lb/>
nach denen<lb/>
Reguln des<lb/>
Chri&#x017F;ten-<lb/>
thums un-ter&#x017F;ucht.</note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. <hi rendition="#aq">VII.</hi></head>
            <p>La&#x017F;&#x017F;et uns die Sache nach denen <hi rendition="#fr">Regeln des<lb/>
Chri&#x017F;tenthums</hi> betrachten. Chri&#x017F;tus hat uns von <hi rendition="#fr">allem Joch</hi><lb/>
befreyet. Man muß al&#x017F;o auf ein gewi&#x017F;&#x017F;es Temperament<lb/>
bedacht &#x017F;eyn/ dadurch das <hi rendition="#fr">Zwang-Recht,</hi> &#x017F;o der Kirche zum<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;ten be&#x017F;chwerlich/ auf gewi&#x017F;&#x017F;e Wei&#x017F;e gemindert und gelin-<lb/>
dert wird. So lange &#x017F;olches Zwang-Recht bey uns verbleibet/<lb/>
&#x017F;o lange wir Zwang und Gebot und Verbot in die&#x017F;er Sa-<lb/>
che brauchen/ und die Leute no&#x0364;thigen/ dem oder jenem un-<lb/>
umga&#x0364;nglich zu beichten/ &#x017F;o i&#x017F;t es eine Anzeige/ daß die Kir-<lb/>
chen noch nicht in die vorige alte Freyheit ge&#x017F;etzet &#x017F;ind. Uber-<lb/>
lege ich dasjenige/ was die <hi rendition="#aq">Theologi</hi> von der Beichte &#x017F;agen/<lb/>
&#x017F;o befinde ich/ daß &#x017F;olche eine <hi rendition="#fr">aufrichtige Aus&#x017F;chu&#x0364;ttung des<lb/>
Hertzens</hi> &#x017F;eyn &#x017F;oll. Die&#x017F;e aber erfordert ein <hi rendition="#fr">Vertrauen</hi> zu<lb/>
der Per&#x017F;on/ der ich mich al&#x017F;o entdecken will. Der vor-<lb/>
treffliche Herr Bo&#x0364;hmer hat die&#x017F;er wegen mit Recht ge&#x017F;chrie-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ben,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0211] II. Abth. I. Cap. Von Erwehlung man ihnen auch dieſe Gewiſſens-Freyheit genommen/ damit ja nichts uͤbrig bliebe/ worinnen ſie nicht nach dem Gutduͤn- cken der Geiſtlichkeit leben muͤſten b). Dieſes Moſaiſche Joch aber haͤtte man bey der Reformation denen Proteſtanten nicht auf dem Halſe laſſen ſollen. Zum wenigſten ſolte man es jetzo ihnen von denen Schultern nehmen. Allein wie iſt ſolches zu hoffen? Die Juriſten recommendiren ſol- ches ſelbſt. Sie laſſen es ſich recht ſauer werden/ ſolches auf alle Art und Weiſe zu vertheydigen. §. VII. Laſſet uns die Sache nach denen Regeln des Chriſtenthums betrachten. Chriſtus hat uns von allem Joch befreyet. Man muß alſo auf ein gewiſſes Temperament bedacht ſeyn/ dadurch das Zwang-Recht, ſo der Kirche zum hoͤchſten beſchwerlich/ auf gewiſſe Weiſe gemindert und gelin- dert wird. So lange ſolches Zwang-Recht bey uns verbleibet/ ſo lange wir Zwang und Gebot und Verbot in dieſer Sa- che brauchen/ und die Leute noͤthigen/ dem oder jenem un- umgaͤnglich zu beichten/ ſo iſt es eine Anzeige/ daß die Kir- chen noch nicht in die vorige alte Freyheit geſetzet ſind. Uber- lege ich dasjenige/ was die Theologi von der Beichte ſagen/ ſo befinde ich/ daß ſolche eine aufrichtige Ausſchuͤttung des Hertzens ſeyn ſoll. Dieſe aber erfordert ein Vertrauen zu der Perſon/ der ich mich alſo entdecken will. Der vor- treffliche Herr Boͤhmer hat dieſer wegen mit Recht geſchrie- ben, b) Wer wolte wohl behaupten, daß man denen Gewiſſen keinen Zwang thaͤte, wenn ich jemand darzu anhalte, daß er demjenigen beichten muß, zu welchem er kein Vertrauen hat. Schwache Ge- muͤther wollen zuweilen gerne ihr gantzes Hertz ausſchuͤtten. Die- ſes aber koͤnnen ſie ja nicht thun, wenn ſie kein Vertrauen zu dem Beicht-Vater haben. Die Angſt des Gemuͤthes, die durch die Beicht ſoll gehoben werden, hoͤret auf dieſe Weiſe nicht auf. Man gehet vielmehr aus einer bloſſen Gewohnheit zur Beichte. a) In

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pertsch_recht_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pertsch_recht_1721/211
Zitationshilfe: Pertsch, Johann Georg: Das Recht Der Beicht-Stühle. Halle, 1721, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pertsch_recht_1721/211>, abgerufen am 21.11.2024.