Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite
143. Zykel.

Albano stand lange sprachlos, schauete gen
Himmel, ließ das Blatt fallen und faltete die
Hände, und sagte: "Du schickst den Frieden --
ich soll nicht den Krieg -- wohlan, ich habe
mein Loos!" Lebenslust, neue Kräfte und
Plane, Freude am Throne, wo nur die geisti¬
ge Anstrengung gilt wie auf dem Schlachtfelde
mehr die körperliche, die Bilder neuer Eltern
und Verhältnisse und Unwille gegen die Ver¬
gangenheit stürmten durcheinander in seinem
Geist. Er riß sich von seinem ganzen vorigen
Leben los, die Seile des bisherigen Todten¬
geläutes waren entzwei, er mußte, um die Eu¬
ridice aus dem Orkus zu gewinnen, wie Or¬
pheus das Zurückschauen auf den vergangnen
Weg vermeiden. Er enthüllte dem neuen Freun¬
de alles, denn er kämpfe, sagt' er, nunmehr
öffentlich auf freier offner Bahn um sein bis¬
her verstecktes Recht und reise sogleich in die
Stadt. Unter dem Erzählen erzürnte ihn das
lange gewagte Spiel mit seinen heiligsten Ver¬
hältnissen und Rechten noch mehr, und das
Mißtrauen in seine Kräfte und Waffen gegen

143. Zykel.

Albano ſtand lange ſprachlos, ſchauete gen
Himmel, ließ das Blatt fallen und faltete die
Hände, und ſagte: „Du ſchickſt den Frieden —
ich ſoll nicht den Krieg — wohlan, ich habe
mein Loos!“ Lebensluſt, neue Kräfte und
Plane, Freude am Throne, wo nur die geiſti¬
ge Anſtrengung gilt wie auf dem Schlachtfelde
mehr die körperliche, die Bilder neuer Eltern
und Verhältniſſe und Unwille gegen die Ver¬
gangenheit ſtürmten durcheinander in ſeinem
Geiſt. Er riß ſich von ſeinem ganzen vorigen
Leben los, die Seile des bisherigen Todten¬
geläutes waren entzwei, er mußte, um die Eu¬
ridice aus dem Orkus zu gewinnen, wie Or¬
pheus das Zurückſchauen auf den vergangnen
Weg vermeiden. Er enthüllte dem neuen Freun¬
de alles, denn er kämpfe, ſagt' er, nunmehr
öffentlich auf freier offner Bahn um ſein bis¬
her verſtecktes Recht und reiſe ſogleich in die
Stadt. Unter dem Erzählen erzürnte ihn das
lange gewagte Spiel mit ſeinen heiligſten Ver¬
hältniſſen und Rechten noch mehr, und das
Mißtrauen in ſeine Kräfte und Waffen gegen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0545" n="533"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>143. <hi rendition="#g">Zykel.</hi><lb/></head>
          <p>Albano &#x017F;tand lange &#x017F;prachlos, &#x017F;chauete gen<lb/>
Himmel, ließ das Blatt fallen und faltete die<lb/>
Hände, und &#x017F;agte: &#x201E;Du &#x017F;chick&#x017F;t den Frieden &#x2014;<lb/>
ich &#x017F;oll nicht den Krieg &#x2014; wohlan, ich habe<lb/>
mein Loos!&#x201C; Lebenslu&#x017F;t, neue Kräfte und<lb/>
Plane, Freude am Throne, wo nur die gei&#x017F;ti¬<lb/>
ge An&#x017F;trengung gilt wie auf dem Schlachtfelde<lb/>
mehr die körperliche, die Bilder neuer Eltern<lb/>
und Verhältni&#x017F;&#x017F;e und Unwille gegen die Ver¬<lb/>
gangenheit &#x017F;türmten durcheinander in &#x017F;einem<lb/>
Gei&#x017F;t. Er riß &#x017F;ich von &#x017F;einem ganzen vorigen<lb/>
Leben los, die Seile des bisherigen Todten¬<lb/>
geläutes waren entzwei, er mußte, um die Eu¬<lb/>
ridice aus dem Orkus zu gewinnen, wie Or¬<lb/>
pheus das Zurück&#x017F;chauen auf den vergangnen<lb/>
Weg vermeiden. Er enthüllte dem neuen Freun¬<lb/>
de alles, denn er kämpfe, &#x017F;agt' er, nunmehr<lb/>
öffentlich auf freier offner Bahn um &#x017F;ein bis¬<lb/>
her ver&#x017F;tecktes Recht und rei&#x017F;e &#x017F;ogleich in die<lb/>
Stadt. Unter dem Erzählen erzürnte ihn das<lb/>
lange gewagte Spiel mit &#x017F;einen heilig&#x017F;ten Ver¬<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;en und Rechten noch mehr, und das<lb/>
Mißtrauen in &#x017F;eine Kräfte und Waffen gegen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[533/0545] 143. Zykel. Albano ſtand lange ſprachlos, ſchauete gen Himmel, ließ das Blatt fallen und faltete die Hände, und ſagte: „Du ſchickſt den Frieden — ich ſoll nicht den Krieg — wohlan, ich habe mein Loos!“ Lebensluſt, neue Kräfte und Plane, Freude am Throne, wo nur die geiſti¬ ge Anſtrengung gilt wie auf dem Schlachtfelde mehr die körperliche, die Bilder neuer Eltern und Verhältniſſe und Unwille gegen die Ver¬ gangenheit ſtürmten durcheinander in ſeinem Geiſt. Er riß ſich von ſeinem ganzen vorigen Leben los, die Seile des bisherigen Todten¬ geläutes waren entzwei, er mußte, um die Eu¬ ridice aus dem Orkus zu gewinnen, wie Or¬ pheus das Zurückſchauen auf den vergangnen Weg vermeiden. Er enthüllte dem neuen Freun¬ de alles, denn er kämpfe, ſagt' er, nunmehr öffentlich auf freier offner Bahn um ſein bis¬ her verſtecktes Recht und reiſe ſogleich in die Stadt. Unter dem Erzählen erzürnte ihn das lange gewagte Spiel mit ſeinen heiligſten Ver¬ hältniſſen und Rechten noch mehr, und das Mißtrauen in ſeine Kräfte und Waffen gegen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/545
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/545>, abgerufen am 22.12.2024.