gute, daß er diesen Blüthenstrauß so fest drückte und fassete, bis er einige Stacheln darin her¬ ausfühlte. Sein Herz, dessen Liebe neben dem fremden schmerzlich wuchs, mußte dieses, ohne ein Zeichen der Antwort, zugleich höher und ferner finden. Ihre Liebe war Menschenliebe -- ihr Lächeln galt jedem guten Auge -- sie war so heiter -- in Lilar kam sie leicht in Rüh¬ rung und in allgemeine Betrachtungen; hier aber nicht -- freilich sah sie recht theilnehmend auf den wild-liebenden Bruder hin, der seit jener Beicht-Nacht gleichsam mit Eichenwur¬ zeln sich um den Liebling strickte; aber ihre halbblinde Liebe für den Bruder konnte ja im Trug des Wiederscheins auf dessen Freund nach¬ glänzen. -- -- Das Alles sagte sich der Be¬ scheidne. Aber was er im vollen Maaße der Entzückung genossen hatte, war die so stei¬ gende, helle, zarte, stäte Liebe seines Seelen¬ bruders. -- --
57. Zykel.
Ueber Lianens stille Gesinnung und Zesa¬ rens Zukunft werd' ich nie Muthmaßungen an¬ stellen, ob ich sie gleich vor ihrem Abdruck wie¬
gute, daß er dieſen Blüthenſtrauß ſo feſt drückte und faſſete, bis er einige Stacheln darin her¬ ausfühlte. Sein Herz, deſſen Liebe neben dem fremden ſchmerzlich wuchs, mußte dieſes, ohne ein Zeichen der Antwort, zugleich höher und ferner finden. Ihre Liebe war Menſchenliebe — ihr Lächeln galt jedem guten Auge — ſie war ſo heiter — in Lilar kam ſie leicht in Rüh¬ rung und in allgemeine Betrachtungen; hier aber nicht — freilich ſah ſie recht theilnehmend auf den wild-liebenden Bruder hin, der ſeit jener Beicht-Nacht gleichſam mit Eichenwur¬ zeln ſich um den Liebling ſtrickte; aber ihre halbblinde Liebe für den Bruder konnte ja im Trug des Wiederſcheins auf deſſen Freund nach¬ glänzen. — — Das Alles ſagte ſich der Be¬ ſcheidne. Aber was er im vollen Maaße der Entzückung genoſſen hatte, war die ſo ſtei¬ gende, helle, zarte, ſtäte Liebe ſeines Seelen¬ bruders. — —
57. Zykel.
Ueber Lianens ſtille Geſinnung und Zeſa¬ rens Zukunft werd' ich nie Muthmaßungen an¬ ſtellen, ob ich ſie gleich vor ihrem Abdruck wie¬
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gute, daß er dieſen Blüthenſtrauß ſo feſt drückte
und faſſete, bis er einige Stacheln darin her¬
ausfühlte. Sein Herz, deſſen Liebe neben dem
fremden ſchmerzlich wuchs, mußte dieſes, ohne
ein Zeichen der Antwort, zugleich höher und
ferner finden. Ihre Liebe war Menſchenliebe
— ihr Lächeln galt jedem guten Auge — ſie
war ſo heiter — in Lilar kam ſie leicht in Rüh¬
rung und in allgemeine Betrachtungen; hier
aber nicht — freilich ſah ſie recht theilnehmend
auf den wild-liebenden Bruder hin, der ſeit
jener Beicht-Nacht gleichſam mit Eichenwur¬
zeln ſich um den Liebling ſtrickte; aber ihre
halbblinde Liebe für den Bruder konnte ja im
Trug des Wiederſcheins auf deſſen Freund nach¬
glänzen. — — Das Alles ſagte ſich der Be¬
ſcheidne. Aber was er im vollen Maaße der
Entzückung genoſſen hatte, war die ſo ſtei¬
gende, helle, zarte, ſtäte Liebe ſeines Seelen¬
bruders. — —
57. Zykel.
Ueber Lianens ſtille Geſinnung und Zeſa¬
rens Zukunft werd' ich nie Muthmaßungen an¬
ſtellen, ob ich ſie gleich vor ihrem Abdruck wie¬
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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/58>, abgerufen am 22.02.2025.
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