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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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chen, aber nicht sehen, in der Totalfinsterniß
unsers Lebens ein Blitz durch den erdigten
Klumpen schlägt, der vor unsere höhere Sonne
gehangen ist:*) so zerschneidet der Strahl den
Sehnerven, der nur Gestalten, nicht Licht
verträgt; -- kein heißes Erschrecken beflügelt
das Herz und das Blut, sondern ein kaltes
Erstarren vor unsern Gedanken und vor einer
neuen unfaßlichen Welt sperrt den warmen
Strom und das Leben wird Eis. -- --

Albano, aus dessen voller Phantasie eben
so leicht ein Chaos als ein Universum sprang,
wurde bleich, aber ihm war als verlier' er
nicht sowohl den Muth als den Verstand; er
ruderte ungestüm, beinahe bewußtloß ans Ufer
-- er konnte dem Vater des Todes nicht ins
Gesicht schauen, weil seine unbändige alles
auseinanderreißende Phantasie alle Gestalten

*) Anspielung auf die Erzählung einiger Astrono¬
men, daß die verfinsterte Sonne zuweilen durch
eine Oeffnung des Mondes geblitzet habe, wie
es z. B. Ulloa einmal gesehen zu haben ver¬
sichert.

chen, aber nicht ſehen, in der Totalfinſterniß
unſers Lebens ein Blitz durch den erdigten
Klumpen ſchlägt, der vor unſere höhere Sonne
gehangen iſt:*) ſo zerſchneidet der Strahl den
Sehnerven, der nur Geſtalten, nicht Licht
verträgt; — kein heißes Erſchrecken beflügelt
das Herz und das Blut, ſondern ein kaltes
Erſtarren vor unſern Gedanken und vor einer
neuen unfaßlichen Welt ſperrt den warmen
Strom und das Leben wird Eis. — —

Albano, aus deſſen voller Phantaſie eben
ſo leicht ein Chaos als ein Univerſum ſprang,
wurde bleich, aber ihm war als verlier' er
nicht ſowohl den Muth als den Verſtand; er
ruderte ungeſtüm, beinahe bewußtloß ans Ufer
— er konnte dem Vater des Todes nicht ins
Geſicht ſchauen, weil ſeine unbändige alles
auseinanderreißende Phantaſie alle Geſtalten

*) Anſpielung auf die Erzählung einiger Aſtrono¬
men, daß die verfinſterte Sonne zuweilen durch
eine Oeffnung des Mondes geblitzet habe, wie
es z. B. Ulloa einmal geſehen zu haben ver¬
ſichert.
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[79/0099] chen, aber nicht ſehen, in der Totalfinſterniß unſers Lebens ein Blitz durch den erdigten Klumpen ſchlägt, der vor unſere höhere Sonne gehangen iſt: *) ſo zerſchneidet der Strahl den Sehnerven, der nur Geſtalten, nicht Licht verträgt; — kein heißes Erſchrecken beflügelt das Herz und das Blut, ſondern ein kaltes Erſtarren vor unſern Gedanken und vor einer neuen unfaßlichen Welt ſperrt den warmen Strom und das Leben wird Eis. — — Albano, aus deſſen voller Phantaſie eben ſo leicht ein Chaos als ein Univerſum ſprang, wurde bleich, aber ihm war als verlier' er nicht ſowohl den Muth als den Verſtand; er ruderte ungeſtüm, beinahe bewußtloß ans Ufer — er konnte dem Vater des Todes nicht ins Geſicht ſchauen, weil ſeine unbändige alles auseinanderreißende Phantaſie alle Geſtalten *) Anſpielung auf die Erzählung einiger Aſtrono¬ men, daß die verfinſterte Sonne zuweilen durch eine Oeffnung des Mondes geblitzet habe, wie es z. B. Ulloa einmal geſehen zu haben ver¬ ſichert.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/99>, abgerufen am 26.04.2024.