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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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will eben so gern im Angesichte des Hofes am
Geburtstage der Fürstinn zu einer Liebeserklä¬
rung öffentlich niederknieen als -- denn man
zeige mir doch den Unterschied -- zwischen einem
langen Vor- und Nachtrabe das trunkne Auge
auf dich, Natur, meine Geliebte heften. --

Wie glücklich wurde durch die Einsamkeit Alba¬
no, dessen Herz und Augen voll Thränen standen,
die er schamhaft verbarg und die ihn doch vor sei¬
nem eignen Urtheile so rechtfertigten und erho¬
ben! -- Er trug sich nämlich mit dem sonder¬
baren Irrthume feuriger und starker Jünglinge,
er habe kein weiches Herz, zu wenig Gefühl
und sey schwer zu rühren. Aber jetzt gab ihm
die Entkräftung einen dichterischen weichen Vor¬
mittag wie er noch keinen gehabt, wo er alles
weinend umarmen wollte, was er je geliebt --
seine guten fernen Pflegeeltern in Blumenbühl
-- seinen kranken Vater, der's gerade im Frühling
war, wo immer der Tod sein blumiggeschmück¬
tes Opferthor aufbauet -- und seine in die
Vergangenheit gehüllte Schwester, deren Bild
er bekommen, deren After-Stimme er diese
Nacht gehört und deren letzte Stunde ihm der

will eben ſo gern im Angeſichte des Hofes am
Geburtstage der Fürſtinn zu einer Liebeserklä¬
rung öffentlich niederknieen als — denn man
zeige mir doch den Unterſchied — zwiſchen einem
langen Vor- und Nachtrabe das trunkne Auge
auf dich, Natur, meine Geliebte heften. —

Wie glücklich wurde durch die Einſamkeit Alba¬
no, deſſen Herz und Augen voll Thränen ſtanden,
die er ſchamhaft verbarg und die ihn doch vor ſei¬
nem eignen Urtheile ſo rechtfertigten und erho¬
ben! — Er trug ſich nämlich mit dem ſonder¬
baren Irrthume feuriger und ſtarker Jünglinge,
er habe kein weiches Herz, zu wenig Gefühl
und ſey ſchwer zu rühren. Aber jetzt gab ihm
die Entkräftung einen dichteriſchen weichen Vor¬
mittag wie er noch keinen gehabt, wo er alles
weinend umarmen wollte, was er je geliebt —
ſeine guten fernen Pflegeeltern in Blumenbühl
— ſeinen kranken Vater, der's gerade im Frühling
war, wo immer der Tod ſein blumiggeſchmück¬
tes Opferthor aufbauet — und ſeine in die
Vergangenheit gehüllte Schweſter, deren Bild
er bekommen, deren After-Stimme er dieſe
Nacht gehört und deren letzte Stunde ihm der

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[88/0108] will eben ſo gern im Angeſichte des Hofes am Geburtstage der Fürſtinn zu einer Liebeserklä¬ rung öffentlich niederknieen als — denn man zeige mir doch den Unterſchied — zwiſchen einem langen Vor- und Nachtrabe das trunkne Auge auf dich, Natur, meine Geliebte heften. — Wie glücklich wurde durch die Einſamkeit Alba¬ no, deſſen Herz und Augen voll Thränen ſtanden, die er ſchamhaft verbarg und die ihn doch vor ſei¬ nem eignen Urtheile ſo rechtfertigten und erho¬ ben! — Er trug ſich nämlich mit dem ſonder¬ baren Irrthume feuriger und ſtarker Jünglinge, er habe kein weiches Herz, zu wenig Gefühl und ſey ſchwer zu rühren. Aber jetzt gab ihm die Entkräftung einen dichteriſchen weichen Vor¬ mittag wie er noch keinen gehabt, wo er alles weinend umarmen wollte, was er je geliebt — ſeine guten fernen Pflegeeltern in Blumenbühl — ſeinen kranken Vater, der's gerade im Frühling war, wo immer der Tod ſein blumiggeſchmück¬ tes Opferthor aufbauet — und ſeine in die Vergangenheit gehüllte Schweſter, deren Bild er bekommen, deren After-Stimme er dieſe Nacht gehört und deren letzte Stunde ihm der

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/108>, abgerufen am 26.04.2024.