Das Krankenlager -- die Mondfinsterniß -- die Pyramide.
Wenn du wieder mein Freund geworden bist: so gehe zu deinem, der bald sterben wird. Söhne dich aus mit mir eh' ich in das ewig stille Land ziehe, wie wir das letztemal thaten, eh wir in das irdische stille Land hinausgiengen. Ach unaus¬ sprechlich Geliebter! ich habe dich zwar oft belei¬ digt, aber allezeit geliebt! o komm, laße nicht den kurzen Athem meiner brechenden Brust, der auf dieser Erde aus lauter unerfüllten Seufzern bestand, mit dem letzten vergeblichen Seufzer nach dir versiegen. Du sahest mich das erstemal, als meine Augen blind waren; sehe mich zum letzten¬ male, wenn sie es wieder werden!" --
Dieses Blatt riß ihn in dieser Stunde, wo ihm die Liebe eines Menschen so wohl that, aus dem Schlosse fort, aber die Stellen des Herzens, an denen es ihn anfaste, bluteten. Ein solcher Gang durch die Nacht beugt die Seele nieder und seinen Freund sah er auf diesem kurzen Wege mehr
F2
Ein und dreißigſter od. XXIIII. Trinitatis Sekt.
Das Krankenlager — die Mondfinſterniß — die Pyramide.
Wenn du wieder mein Freund geworden biſt: ſo gehe zu deinem, der bald ſterben wird. Soͤhne dich aus mit mir eh' ich in das ewig ſtille Land ziehe, wie wir das letztemal thaten, eh wir in das irdiſche ſtille Land hinausgiengen. Ach unaus¬ ſprechlich Geliebter! ich habe dich zwar oft belei¬ digt, aber allezeit geliebt! o komm, laße nicht den kurzen Athem meiner brechenden Bruſt, der auf dieſer Erde aus lauter unerfuͤllten Seufzern beſtand, mit dem letzten vergeblichen Seufzer nach dir verſiegen. Du ſaheſt mich das erſtemal, als meine Augen blind waren; ſehe mich zum letzten¬ male, wenn ſie es wieder werden!“ —
Dieſes Blatt riß ihn in dieſer Stunde, wo ihm die Liebe eines Menſchen ſo wohl that, aus dem Schloſſe fort, aber die Stellen des Herzens, an denen es ihn anfaſte, bluteten. Ein ſolcher Gang durch die Nacht beugt die Seele nieder und ſeinen Freund ſah er auf dieſem kurzen Wege mehr
F2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0093"n="83"/></div><divn="2"><head>Ein und dreißigſter od. <hirendition="#aq">XXIIII</hi>. Trinitatis Sekt.<lb/></head><argument><prendition="#c">Das Krankenlager — die Mondfinſterniß — die Pyramide.</p></argument><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">W</hi>enn du wieder mein Freund geworden biſt: ſo<lb/>
gehe zu deinem, der bald ſterben wird. Soͤhne<lb/>
dich aus mit mir eh' ich in das ewig ſtille Land<lb/>
ziehe, wie wir das letztemal thaten, eh wir in<lb/>
das irdiſche ſtille Land hinausgiengen. Ach unaus¬<lb/>ſprechlich Geliebter! ich habe dich zwar oft belei¬<lb/>
digt, aber allezeit geliebt! o komm, laße nicht<lb/>
den kurzen Athem meiner brechenden Bruſt, der<lb/>
auf dieſer Erde aus lauter <hirendition="#g">unerfuͤllten</hi> Seufzern<lb/>
beſtand, mit dem letzten vergeblichen Seufzer nach<lb/>
dir verſiegen. Du ſaheſt mich das erſtemal, als<lb/>
meine Augen blind waren; ſehe mich zum letzten¬<lb/>
male, wenn ſie es wieder werden!“—</p><lb/><p>Dieſes Blatt riß ihn in dieſer Stunde, wo<lb/>
ihm die Liebe eines Menſchen ſo wohl that, aus<lb/>
dem Schloſſe fort, aber die Stellen des Herzens,<lb/>
an denen es ihn anfaſte, bluteten. Ein ſolcher<lb/>
Gang durch die Nacht beugt die Seele nieder und<lb/>ſeinen Freund ſah er auf dieſem kurzen Wege mehr<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F2<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[83/0093]
Ein und dreißigſter od. XXIIII. Trinitatis Sekt.
Das Krankenlager — die Mondfinſterniß — die Pyramide.
Wenn du wieder mein Freund geworden biſt: ſo
gehe zu deinem, der bald ſterben wird. Soͤhne
dich aus mit mir eh' ich in das ewig ſtille Land
ziehe, wie wir das letztemal thaten, eh wir in
das irdiſche ſtille Land hinausgiengen. Ach unaus¬
ſprechlich Geliebter! ich habe dich zwar oft belei¬
digt, aber allezeit geliebt! o komm, laße nicht
den kurzen Athem meiner brechenden Bruſt, der
auf dieſer Erde aus lauter unerfuͤllten Seufzern
beſtand, mit dem letzten vergeblichen Seufzer nach
dir verſiegen. Du ſaheſt mich das erſtemal, als
meine Augen blind waren; ſehe mich zum letzten¬
male, wenn ſie es wieder werden!“ —
Dieſes Blatt riß ihn in dieſer Stunde, wo
ihm die Liebe eines Menſchen ſo wohl that, aus
dem Schloſſe fort, aber die Stellen des Herzens,
an denen es ihn anfaſte, bluteten. Ein ſolcher
Gang durch die Nacht beugt die Seele nieder und
ſeinen Freund ſah er auf dieſem kurzen Wege mehr
F2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/93>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.