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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809.

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den Boden nieder. -- -- In Morgen stand
die Ewigkeit hinter den letzten vergehenden Wol-
ken, es war eine große verhüllte Gluth hinter
einer im Sturme umgetriebnen Regenwolke.
Aber die Kinder sahen nur noch hinauf zur letz-
ten Sonne, die oben untergehen wollte. --
Da kamen die Töne, in denen ihre letzten
Welten sprachen und starben; und die Kinder
weinten alle, weil sie ihre lieben alten Erden-
Melodieen hörten, und sie beteten kindisch so zu
Gott: "Wir sind ja Deine Kinder, Vater,
wir sind in allen Welten gestorben, und wir
weinen immer noch fort, weil wir ja nicht zu
Dir, zu der ewigen Liebe und Freude kommen. --
O wurde nicht der Himmel so tausendmal oft
höher über uns, und so tausendmal tiefer, und
unser liebes Erdelein verschwand bald rechts,
bald links, und wir blieben immer allein? Höre,
wie die guten Töne für uns beten!" --

Plötzlich glomm hoch in der fernen Unendlich-
keit die goldne Flügelspitze eines unsichtbaren
Engels an -- die schmachtend-bebenden Kin-
der wurden unsichtbarer, wie Saiten, wenn sie

den Boden nieder. — — In Morgen ſtand
die Ewigkeit hinter den letzten vergehenden Wol-
ken, es war eine große verhuͤllte Gluth hinter
einer im Sturme umgetriebnen Regenwolke.
Aber die Kinder ſahen nur noch hinauf zur letz-
ten Sonne, die oben untergehen wollte. —
Da kamen die Toͤne, in denen ihre letzten
Welten ſprachen und ſtarben; und die Kinder
weinten alle, weil ſie ihre lieben alten Erden-
Melodieen hoͤrten, und ſie beteten kindiſch ſo zu
Gott: „Wir ſind ja Deine Kinder, Vater,
wir ſind in allen Welten geſtorben, und wir
weinen immer noch fort, weil wir ja nicht zu
Dir, zu der ewigen Liebe und Freude kommen. —
O wurde nicht der Himmel ſo tauſendmal oft
höher uͤber uns, und ſo tauſendmal tiefer, und
unſer liebes Erdelein verſchwand bald rechts,
bald links, und wir blieben immer allein? Hoͤre,
wie die guten Toͤne fuͤr uns beten!” —

Ploͤtzlich glomm hoch in der fernen Unendlich-
keit die goldne Fluͤgelſpitze eines unſichtbaren
Engels an — die ſchmachtend-bebenden Kin-
der wurden unſichtbarer, wie Saiten, wenn ſie

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[259/0277] den Boden nieder. — — In Morgen ſtand die Ewigkeit hinter den letzten vergehenden Wol- ken, es war eine große verhuͤllte Gluth hinter einer im Sturme umgetriebnen Regenwolke. Aber die Kinder ſahen nur noch hinauf zur letz- ten Sonne, die oben untergehen wollte. — Da kamen die Toͤne, in denen ihre letzten Welten ſprachen und ſtarben; und die Kinder weinten alle, weil ſie ihre lieben alten Erden- Melodieen hoͤrten, und ſie beteten kindiſch ſo zu Gott: „Wir ſind ja Deine Kinder, Vater, wir ſind in allen Welten geſtorben, und wir weinen immer noch fort, weil wir ja nicht zu Dir, zu der ewigen Liebe und Freude kommen. — O wurde nicht der Himmel ſo tauſendmal oft höher uͤber uns, und ſo tauſendmal tiefer, und unſer liebes Erdelein verſchwand bald rechts, bald links, und wir blieben immer allein? Hoͤre, wie die guten Toͤne fuͤr uns beten!” — Ploͤtzlich glomm hoch in der fernen Unendlich- keit die goldne Fluͤgelſpitze eines unſichtbaren Engels an — die ſchmachtend-bebenden Kin- der wurden unſichtbarer, wie Saiten, wenn ſie

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Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger01_1809/277>, abgerufen am 26.04.2024.