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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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4. Hundsposttag.

Schattenriß-Schneider -- Klotildens historische Figur -- einige
Hofleute und ein erhabner Mensch. --


Eigentlich wollte Klotilde -- erfuhr Sebastian am
Morgen -- bis Johannis im Stifte bleiben: aber
da ihre beste Freundin Giulia voraus fortgegangen
war, nicht zu den Eltern, sondern unter die Erde,
so mußte sie das verwundete Auge durch eine schnel¬
lere Abreise wegziehen von dem Grabeshügel, der
wie ein Ruin, über dem verlornen Herzen ruhte.

Nie wurde eine große Schönheit von einer klei¬
nen unbefangner gelobt als von Agathen Klotilde.
Sonst schätzen Mädgen an Mädgen nur das Herz;
die zerstiebenden Reize eines fremden Gesichts haben
so wenig Werth in ihren Augen, daß sie ihrer kaum
erwähnen mögen. Jünglingen wirft man richtig vor,
daß sie gern schöne Jünglinge zu ihren Freunden
auslesen; bei Mädgen hingegen wollen ihre Lobred¬
ner viel daraus machen, daß sie die weibliche Schön¬
heit als einen zu lockern und niedrigen Mörtel und
Leim der Freundschaft gänzlich verschmähen und daß
daher einer schönen Frau das Herz der allerhäslich¬

4. Hundspoſttag.

Schattenriß-Schneider — Klotildens hiſtoriſche Figur — einige
Hofleute und ein erhabner Menſch. —


Eigentlich wollte Klotilde — erfuhr Sebaſtian am
Morgen — bis Johannis im Stifte bleiben: aber
da ihre beſte Freundin Giulia voraus fortgegangen
war, nicht zu den Eltern, ſondern unter die Erde,
ſo mußte ſie das verwundete Auge durch eine ſchnel¬
lere Abreiſe wegziehen von dem Grabeshuͤgel, der
wie ein Ruin, uͤber dem verlornen Herzen ruhte.

Nie wurde eine große Schoͤnheit von einer klei¬
nen unbefangner gelobt als von Agathen Klotilde.
Sonſt ſchaͤtzen Maͤdgen an Maͤdgen nur das Herz;
die zerſtiebenden Reize eines fremden Geſichts haben
ſo wenig Werth in ihren Augen, daß ſie ihrer kaum
erwaͤhnen moͤgen. Juͤnglingen wirft man richtig vor,
daß ſie gern ſchoͤne Juͤnglinge zu ihren Freunden
ausleſen; bei Maͤdgen hingegen wollen ihre Lobred¬
ner viel daraus machen, daß ſie die weibliche Schoͤn¬
heit als einen zu lockern und niedrigen Moͤrtel und
Leim der Freundſchaft gaͤnzlich verſchmaͤhen und daß
daher einer ſchoͤnen Frau das Herz der allerhaͤslich¬

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[78/0089] 4. Hundspoſttag. Schattenriß-Schneider — Klotildens hiſtoriſche Figur — einige Hofleute und ein erhabner Menſch. — Eigentlich wollte Klotilde — erfuhr Sebaſtian am Morgen — bis Johannis im Stifte bleiben: aber da ihre beſte Freundin Giulia voraus fortgegangen war, nicht zu den Eltern, ſondern unter die Erde, ſo mußte ſie das verwundete Auge durch eine ſchnel¬ lere Abreiſe wegziehen von dem Grabeshuͤgel, der wie ein Ruin, uͤber dem verlornen Herzen ruhte. Nie wurde eine große Schoͤnheit von einer klei¬ nen unbefangner gelobt als von Agathen Klotilde. Sonſt ſchaͤtzen Maͤdgen an Maͤdgen nur das Herz; die zerſtiebenden Reize eines fremden Geſichts haben ſo wenig Werth in ihren Augen, daß ſie ihrer kaum erwaͤhnen moͤgen. Juͤnglingen wirft man richtig vor, daß ſie gern ſchoͤne Juͤnglinge zu ihren Freunden ausleſen; bei Maͤdgen hingegen wollen ihre Lobred¬ ner viel daraus machen, daß ſie die weibliche Schoͤn¬ heit als einen zu lockern und niedrigen Moͤrtel und Leim der Freundſchaft gaͤnzlich verſchmaͤhen und daß daher einer ſchoͤnen Frau das Herz der allerhaͤslich¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/89>, abgerufen am 21.11.2024.