Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].ganz abweichenden Persönlichkeiten kaum zulässig, drängte sich aber nichts desto weniger auf. Esslair machte den Lear zu einem Helden, der ins Unglück geräth, und auch da noch Held bleibt. Die Wahnsinn-Scene war von erschütternder Wirkung. Devrient gab den schwachen, eigenwilligen Greis, der schon nicht mehr recht bei Troste ist, ehe er ganz überschnappt, mit unübertroffener Wahrheit; er kam, meiner Ansicht nach, der shakspearischen Idee im Ganzen näher als Esslair. Unsre gerechte Bewunderung für den letzten ward noch vermehrt, als wir hörten, er stamme aus einem reichen bairischen Grafengeschlechte, und habe aus reiner Liebe zur Kunst, unter verändertem Namen die Bühne betreten. Zu einer Fahrt nach Baden, welche acht Tage wegnahm, verband ich mich mit den beiden Medem, Fritz und Paul. Der reizend gelegene Ort war damals ein kleines Bad, zwar schon mit einer französischen Spielbank gesegnet, aber von geringer Ausdehnung, wo man in einigen Bauernhäusern und leichten Marktbuden ein sehr bescheidenes Unterkommen fand. Es fehlten gänzlich die jetzigen Pracht-Hotels und wahrhaft fürstlichen Anlagen, auf denen der Fluch so vielen unredlichen Gewinnes ruht. Zwei Reihen von mäßigen Kaufläden unter schattigen Bäumen bildeten den ganzen Bazar, die Allee nach dem Kloster Lichtenthal den einzigen Spaziergang. Interessant war es, den König Maximilian I. von Baiern, im einfachen Frack unter den übrigen Gästen herumwandeln zu sehn. Seine große starkbauchige Gestalt trug den Ausdruck des heitersten Lebensgenusses. Immer zu Scherzen geneigt, wußte er auch einen Scherz hinzunehmen, ohne seiner Würde etwas zu vergeben. ganz abweichenden Persönlichkeiten kaum zulässig, drängte sich aber nichts desto weniger auf. Esslair machte den Lear zu einem Helden, der ins Unglück geräth, und auch da noch Held bleibt. Die Wahnsinn-Scene war von erschütternder Wirkung. Devrient gab den schwachen, eigenwilligen Greis, der schon nicht mehr recht bei Troste ist, ehe er ganz überschnappt, mit unübertroffener Wahrheit; er kam, meiner Ansicht nach, der shakspearischen Idee im Ganzen näher als Esslair. Unsre gerechte Bewunderung für den letzten ward noch vermehrt, als wir hörten, er stamme aus einem reichen bairischen Grafengeschlechte, und habe aus reiner Liebe zur Kunst, unter verändertem Namen die Bühne betreten. Zu einer Fahrt nach Baden, welche acht Tage wegnahm, verband ich mich mit den beiden Medem, Fritz und Paul. Der reizend gelegene Ort war damals ein kleines Bad, zwar schon mit einer französischen Spielbank gesegnet, aber von geringer Ausdehnung, wo man in einigen Bauernhäusern und leichten Marktbuden ein sehr bescheidenes Unterkommen fand. Es fehlten gänzlich die jetzigen Pracht-Hotels und wahrhaft fürstlichen Anlagen, auf denen der Fluch so vielen unredlichen Gewinnes ruht. Zwei Reihen von mäßigen Kaufläden unter schattigen Bäumen bildeten den ganzen Bazar, die Allee nach dem Kloster Lichtenthal den einzigen Spaziergang. Interessant war es, den König Maximilian I. von Baiern, im einfachen Frack unter den übrigen Gästen herumwandeln zu sehn. Seine große starkbauchige Gestalt trug den Ausdruck des heitersten Lebensgenusses. Immer zu Scherzen geneigt, wußte er auch einen Scherz hinzunehmen, ohne seiner Würde etwas zu vergeben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0386" n="378"/> ganz abweichenden Persönlichkeiten kaum zulässig, drängte sich aber nichts desto weniger auf. Esslair machte den Lear zu einem Helden, der ins Unglück geräth, und auch da noch Held bleibt. Die Wahnsinn-Scene war von erschütternder Wirkung. Devrient gab den schwachen, eigenwilligen Greis, der schon nicht mehr recht bei Troste ist, ehe er ganz überschnappt, mit unübertroffener Wahrheit; er kam, meiner Ansicht nach, der shakspearischen Idee im Ganzen näher als Esslair. Unsre gerechte Bewunderung für den letzten ward noch vermehrt, als wir hörten, er stamme aus einem reichen bairischen Grafengeschlechte, und habe aus reiner Liebe zur Kunst, unter verändertem Namen die Bühne betreten. </p><lb/> </div> <div n="1"> <p>Zu einer Fahrt nach Baden, welche acht Tage wegnahm, verband ich mich mit den beiden Medem, Fritz und Paul. Der reizend gelegene Ort war damals ein kleines Bad, zwar schon mit einer französischen Spielbank gesegnet, aber von geringer Ausdehnung, wo man in einigen Bauernhäusern und leichten Marktbuden ein sehr bescheidenes Unterkommen fand. Es fehlten gänzlich die jetzigen Pracht-Hotels und wahrhaft fürstlichen Anlagen, auf denen der Fluch so vielen unredlichen Gewinnes ruht. Zwei Reihen von mäßigen Kaufläden unter schattigen Bäumen bildeten den ganzen Bazar, die Allee nach dem Kloster Lichtenthal den einzigen Spaziergang. Interessant war es, den König Maximilian I. von Baiern, im einfachen Frack unter den übrigen Gästen herumwandeln zu sehn. Seine große starkbauchige Gestalt trug den Ausdruck des heitersten Lebensgenusses. Immer zu Scherzen geneigt, wußte er auch einen Scherz hinzunehmen, ohne seiner Würde etwas zu vergeben. </p> </div> </body> </text> </TEI> [378/0386]
ganz abweichenden Persönlichkeiten kaum zulässig, drängte sich aber nichts desto weniger auf. Esslair machte den Lear zu einem Helden, der ins Unglück geräth, und auch da noch Held bleibt. Die Wahnsinn-Scene war von erschütternder Wirkung. Devrient gab den schwachen, eigenwilligen Greis, der schon nicht mehr recht bei Troste ist, ehe er ganz überschnappt, mit unübertroffener Wahrheit; er kam, meiner Ansicht nach, der shakspearischen Idee im Ganzen näher als Esslair. Unsre gerechte Bewunderung für den letzten ward noch vermehrt, als wir hörten, er stamme aus einem reichen bairischen Grafengeschlechte, und habe aus reiner Liebe zur Kunst, unter verändertem Namen die Bühne betreten.
Zu einer Fahrt nach Baden, welche acht Tage wegnahm, verband ich mich mit den beiden Medem, Fritz und Paul. Der reizend gelegene Ort war damals ein kleines Bad, zwar schon mit einer französischen Spielbank gesegnet, aber von geringer Ausdehnung, wo man in einigen Bauernhäusern und leichten Marktbuden ein sehr bescheidenes Unterkommen fand. Es fehlten gänzlich die jetzigen Pracht-Hotels und wahrhaft fürstlichen Anlagen, auf denen der Fluch so vielen unredlichen Gewinnes ruht. Zwei Reihen von mäßigen Kaufläden unter schattigen Bäumen bildeten den ganzen Bazar, die Allee nach dem Kloster Lichtenthal den einzigen Spaziergang. Interessant war es, den König Maximilian I. von Baiern, im einfachen Frack unter den übrigen Gästen herumwandeln zu sehn. Seine große starkbauchige Gestalt trug den Ausdruck des heitersten Lebensgenusses. Immer zu Scherzen geneigt, wußte er auch einen Scherz hinzunehmen, ohne seiner Würde etwas zu vergeben.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |