Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Weltprozess; nichts, was sich für Jeden schikt, sondern eine Aufmunterung an Jeden zur Untersuchung an Sich Selbst; keine Aufforderung zur Nachahmung, sondern zur Nachspürung; kein Vorschlag zur Generalisirung, sondern zur Individualisirung; keine Einladung zum Sich-Einschlichten, sondern zum Frontmachen!

§. 33.

Zur Befreiung von Deiner Illusion darfst Du Alles wagen. Denn nicht hier im Bereich Deiner Erscheinungen darfst Du für Konsequenzen fürchten, sondern bei Dir musst Du fürchten. Denn stünde hier auch Alles auf's Herrlichste für Dich, Du gingest innerlich doch zu Grunde, weil Du dort in Deinem Innern nicht gegen den Stachel löken kannst. Deine Seele must Du retten. Hier gibts nichts für Dich zu retten. Hier gibts für Dich nur Illusionen und ihre Zerstörung. "Staat", "Gesellschaft", "Religion", "Ehe", "Tugendbund", "Dalai-Lamismus", "Moral", das sind Illusionen, gegen die Du ankämpfen, und die Du zerstören darfst. Wenn Du's kanst. Wenn Du musst. Wenn Dich Dein Dämon treibt, Deine letzte Instanz, auf die Du hören musst. Der Staat wird Dir zwar stets entgegnen, ohne ihn sei keine Ordnung der Dinge möglich; aber dies ist seinerseits eine Illusion, die er erkent, sobald er nicht mehr ist. Dies sagte der alte Deutsche Bund auch, und gieng zu Grund. So sprach die römische "res publica" auch, bis sie ihren Caesar fand. So sprach die römisch-katolische Kirche auch, bis sie ihren Zerstörer traf. Was war die Stärke Luthers gegen diesen vermeintlich unzerstörbaren Fels Petri? Sein Dämon, den er "Gott" nante. Dagegen konte der Papst nicht aufkommen; Stärkeres konnte er nicht bieten. Was war die Stärke Sokrates', als er die Griechischen Götter in den Staub warf? Sein Gott, den er "Dämon" nante. Was war die Stärke Savonarola's, als er den Florentinischen Staat zerstörte? Seine Eingebung, die er "Stimme" nante. Die musst Du haben, Deinen "geheimen Allierten", dann bist Du gefeit, und kanst Dein Zerstörungswerk - oder Dein Aufbauen - hier vollbringen.

Weltprozess; nichts, was sich für Jeden schikt, sondern eine Aufmunterung an Jeden zur Untersuchung an Sich Selbst; keine Aufforderung zur Nachahmung, sondern zur Nachspürung; kein Vorschlag zur Generalisirung, sondern zur Individualisirung; keine Einladung zum Sich-Einschlichten, sondern zum Frontmachen!

§. 33.

Zur Befreiung von Deiner Illusion darfst Du Alles wagen. Denn nicht hier im Bereich Deiner Erscheinungen darfst Du für Konsequenzen fürchten, sondern bei Dir musst Du fürchten. Denn stünde hier auch Alles auf’s Herrlichste für Dich, Du gingest innerlich doch zu Grunde, weil Du dort in Deinem Innern nicht gegen den Stachel löken kannst. Deine Seele must Du retten. Hier gibts nichts für Dich zu retten. Hier gibts für Dich nur Illusionen und ihre Zerstörung. „Staat“, „Gesellschaft“, „Religion“, „Ehe“, „Tugendbund“, „Dalai-Lamismus“, „Moral“, das sind Illusionen, gegen die Du ankämpfen, und die Du zerstören darfst. Wenn Du’s kanst. Wenn Du musst. Wenn Dich Dein Dämon treibt, Deine letzte Instanz, auf die Du hören musst. Der Staat wird Dir zwar stets entgegnen, ohne ihn sei keine Ordnung der Dinge möglich; aber dies ist seinerseits eine Illusion, die er erkent, sobald er nicht mehr ist. Dies sagte der alte Deutsche Bund auch, und gieng zu Grund. So sprach die römische „res publica“ auch, bis sie ihren Caesar fand. So sprach die römisch-katolische Kirche auch, bis sie ihren Zerstörer traf. Was war die Stärke Luthers gegen diesen vermeintlich unzerstörbaren Fels Petri? Sein Dämon, den er „Gott“ nante. Dagegen konte der Papst nicht aufkommen; Stärkeres konnte er nicht bieten. Was war die Stärke Sokrates’, als er die Griechischen Götter in den Staub warf? Sein Gott, den er „Dämon“ nante. Was war die Stärke Savonarola’s, als er den Florentinischen Staat zerstörte? Seine Eingebung, die er „Stimme“ nante. Die musst Du haben, Deinen „geheimen Allierten“, dann bist Du gefeit, und kanst Dein Zerstörungswerk – oder Dein Aufbauen – hier vollbringen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0058" n="57"/>
Weltprozess; nichts, was sich für Jeden schikt, sondern eine Aufmunterung an Jeden zur Untersuchung an Sich Selbst; keine Aufforderung zur Nachahmung, sondern zur Nachspürung; kein Vorschlag zur Generalisirung, sondern zur Individualisirung; keine Einladung zum Sich-Einschlichten, sondern zum Frontmachen!</p>
        </div>
        <div n="2">
          <head>§. 33.</head><lb/>
          <p>Zur Befreiung von Deiner Illusion darfst Du Alles wagen. Denn nicht hier im Bereich Deiner Erscheinungen darfst Du für Konsequenzen fürchten, sondern bei Dir musst Du fürchten. Denn stünde hier auch Alles auf&#x2019;s Herrlichste für Dich, Du gingest innerlich doch zu Grunde, weil Du dort in Deinem Innern nicht gegen den Stachel löken kannst. Deine Seele must Du retten. Hier gibts nichts für Dich zu retten. Hier gibts für Dich nur Illusionen und ihre Zerstörung. &#x201E;Staat&#x201C;, &#x201E;Gesellschaft&#x201C;, &#x201E;Religion&#x201C;, &#x201E;Ehe&#x201C;, &#x201E;Tugendbund&#x201C;, &#x201E;Dalai-Lamismus&#x201C;, &#x201E;Moral&#x201C;, das sind Illusionen, gegen die Du ankämpfen, und die Du zerstören darfst. Wenn Du&#x2019;s kanst. Wenn Du musst. Wenn Dich Dein Dämon treibt, Deine letzte Instanz, auf die Du hören musst. Der Staat wird Dir zwar stets entgegnen, ohne ihn sei keine Ordnung der Dinge möglich; aber dies ist seinerseits eine Illusion, die er erkent, sobald er nicht mehr ist. Dies sagte der alte Deutsche Bund auch, und gieng zu Grund. So sprach die römische &#x201E;res publica&#x201C; auch, bis sie ihren Caesar fand. So sprach die römisch-katolische Kirche auch, bis sie ihren Zerstörer traf. Was war die Stärke Luthers gegen diesen vermeintlich unzerstörbaren Fels Petri? Sein Dämon, den er &#x201E;Gott&#x201C; nante. Dagegen konte der Papst nicht aufkommen; Stärkeres konnte er nicht bieten. Was war die Stärke <hi rendition="#g">Sokrates</hi>&#x2019;, als er die Griechischen Götter in den Staub warf? Sein Gott, den er &#x201E;Dämon&#x201C; nante. Was war die Stärke <hi rendition="#g">Savonarola</hi>&#x2019;s, als er den Florentinischen Staat zerstörte? Seine Eingebung, die er &#x201E;Stimme&#x201C; nante. Die musst Du haben, Deinen &#x201E;geheimen Allierten&#x201C;, dann bist Du gefeit, und kanst Dein Zerstörungswerk &#x2013; oder Dein Aufbauen &#x2013; hier vollbringen.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0058] Weltprozess; nichts, was sich für Jeden schikt, sondern eine Aufmunterung an Jeden zur Untersuchung an Sich Selbst; keine Aufforderung zur Nachahmung, sondern zur Nachspürung; kein Vorschlag zur Generalisirung, sondern zur Individualisirung; keine Einladung zum Sich-Einschlichten, sondern zum Frontmachen! §. 33. Zur Befreiung von Deiner Illusion darfst Du Alles wagen. Denn nicht hier im Bereich Deiner Erscheinungen darfst Du für Konsequenzen fürchten, sondern bei Dir musst Du fürchten. Denn stünde hier auch Alles auf’s Herrlichste für Dich, Du gingest innerlich doch zu Grunde, weil Du dort in Deinem Innern nicht gegen den Stachel löken kannst. Deine Seele must Du retten. Hier gibts nichts für Dich zu retten. Hier gibts für Dich nur Illusionen und ihre Zerstörung. „Staat“, „Gesellschaft“, „Religion“, „Ehe“, „Tugendbund“, „Dalai-Lamismus“, „Moral“, das sind Illusionen, gegen die Du ankämpfen, und die Du zerstören darfst. Wenn Du’s kanst. Wenn Du musst. Wenn Dich Dein Dämon treibt, Deine letzte Instanz, auf die Du hören musst. Der Staat wird Dir zwar stets entgegnen, ohne ihn sei keine Ordnung der Dinge möglich; aber dies ist seinerseits eine Illusion, die er erkent, sobald er nicht mehr ist. Dies sagte der alte Deutsche Bund auch, und gieng zu Grund. So sprach die römische „res publica“ auch, bis sie ihren Caesar fand. So sprach die römisch-katolische Kirche auch, bis sie ihren Zerstörer traf. Was war die Stärke Luthers gegen diesen vermeintlich unzerstörbaren Fels Petri? Sein Dämon, den er „Gott“ nante. Dagegen konte der Papst nicht aufkommen; Stärkeres konnte er nicht bieten. Was war die Stärke Sokrates’, als er die Griechischen Götter in den Staub warf? Sein Gott, den er „Dämon“ nante. Was war die Stärke Savonarola’s, als er den Florentinischen Staat zerstörte? Seine Eingebung, die er „Stimme“ nante. Die musst Du haben, Deinen „geheimen Allierten“, dann bist Du gefeit, und kanst Dein Zerstörungswerk – oder Dein Aufbauen – hier vollbringen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-04-29T10:04:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-04-29T10:04:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-04-29T10:04:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/58
Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/58>, abgerufen am 22.12.2024.