Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

illusionistisches, Feuerwerk produzirt (unter Zerstörung glänzt). - Zwischen diesem Verpuffen von Gehirn-Material - d. i. Haufen von Illusions-Erzeugung - und unserem soliden Denken ist aber nur ein gradueller Unterschied. Wir müssen Illusionen schaffen, wie der Hobel Spähne entsenden muss, sobald er das Rohmaterial des Holzes ernstlich angreift. Und der Geringere unter uns ist der, der keine oder schlechte Spähne schleisst.

§. 28.

Nagt an Dir ein Gedanke: Denke ihn weg (Stirner); verzehre ihn, indem Du ihn intensiv in die Arbeit nimst, und er ist weg; du bist frei; die Illusion zerstört. - Eine andere rükt nach? - Selbverständlich! Aber die erste ist fort. Und mit der zweiten mach es ebenso. Das erwarte Du nicht, dass Du auf dieser Welt zu einem Ziel gelangest! Du musst jagen. Windhundartig treibt Dich die Einrichtung Deines Gehirns - und der Ungenante, der dahinter steht - von Illusion zu Illusion. Diese aufzulösen ist Deine Aufgabe. Das ist der Sisifus-Felsen, den Du wälzest. Kanst Du das nicht, versinkst Du in Quietismus, so bist Du im günstigsten Fall Wiederkäuer - wie die katolische Teologie seit Hunderten von Jahren - die sich den gleichen Illusions-Fras immer wieder vorlegt. Bist Du aber Kämpfer, bist Zerstörer, und damit auch Baumeister, dann eilst Du von Bau zu Bau, von Konstrukzion zu Konstrukzion; denn, was Du errichtet, Glüklicher, darfst Du wieder zerstören. Und lebst Du in einer Zeit, in der angefressene Monumentalbauten und Chinesische Mauern in Masse vorhanden sind, dann schäze Dich zweimal glüklich, indem Du sie niederwirfst und Plaz machst für Neues. Denn Dein Wesen, Mensch, ist Bewegung, nicht Ruhe. Tief in Dir lebt unauslöschlich der Destrukzionstrieb des Tieres.

§. 29.

Zerstören wir nicht den Gedanken, so zerstört der Gedanke uns. Machen wir nicht den Gedanken zur Tat und

illusionistisches, Feuerwerk produzirt (unter Zerstörung glänzt). – Zwischen diesem Verpuffen von Gehirn-Material – d. i. Haufen von Illusions-Erzeugung – und unserem soliden Denken ist aber nur ein gradueller Unterschied. Wir müssen Illusionen schaffen, wie der Hobel Spähne entsenden muss, sobald er das Rohmaterial des Holzes ernstlich angreift. Und der Geringere unter uns ist der, der keine oder schlechte Spähne schleisst.

§. 28.

Nagt an Dir ein Gedanke: Denke ihn weg (Stirner); verzehre ihn, indem Du ihn intensiv in die Arbeit nimst, und er ist weg; du bist frei; die Illusion zerstört. – Eine andere rükt nach? – Selbverständlich! Aber die erste ist fort. Und mit der zweiten mach es ebenso. Das erwarte Du nicht, dass Du auf dieser Welt zu einem Ziel gelangest! Du musst jagen. Windhundartig treibt Dich die Einrichtung Deines Gehirns – und der Ungenante, der dahinter steht – von Illusion zu Illusion. Diese aufzulösen ist Deine Aufgabe. Das ist der Sisifus-Felsen, den Du wälzest. Kanst Du das nicht, versinkst Du in Quietismus, so bist Du im günstigsten Fall Wiederkäuer – wie die katolische Teologie seit Hunderten von Jahren – die sich den gleichen Illusions-Fras immer wieder vorlegt. Bist Du aber Kämpfer, bist Zerstörer, und damit auch Baumeister, dann eilst Du von Bau zu Bau, von Konstrukzion zu Konstrukzion; denn, was Du errichtet, Glüklicher, darfst Du wieder zerstören. Und lebst Du in einer Zeit, in der angefressene Monumentalbauten und Chinesische Mauern in Masse vorhanden sind, dann schäze Dich zweimal glüklich, indem Du sie niederwirfst und Plaz machst für Neues. Denn Dein Wesen, Mensch, ist Bewegung, nicht Ruhe. Tief in Dir lebt unauslöschlich der Destrukzionstrieb des Tieres.

§. 29.

Zerstören wir nicht den Gedanken, so zerstört der Gedanke uns. Machen wir nicht den Gedanken zur Tat und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0055" n="54"/>
illusionistisches, Feuerwerk produzirt (unter Zerstörung glänzt). &#x2013; Zwischen diesem Verpuffen von Gehirn-Material &#x2013; d. i. Haufen von Illusions-Erzeugung &#x2013; und unserem soliden Denken ist aber nur ein gradueller Unterschied. Wir müssen Illusionen schaffen, wie der Hobel Spähne entsenden muss, sobald er das Rohmaterial des Holzes ernstlich angreift. Und der Geringere unter uns ist der, der keine oder schlechte Spähne schleisst.</p>
        </div>
        <div n="2">
          <head>§. 28.</head><lb/>
          <p>Nagt an Dir ein Gedanke: Denke ihn weg (<hi rendition="#g">Stirner</hi>); verzehre ihn, indem Du ihn intensiv in die Arbeit nimst, und er ist weg; du bist frei; die Illusion zerstört. &#x2013; Eine andere rükt nach? &#x2013; Selbverständlich! Aber die erste ist fort. Und mit der zweiten mach es ebenso. Das erwarte Du nicht, dass Du auf dieser Welt zu einem Ziel gelangest! Du musst jagen. Windhundartig treibt Dich die Einrichtung Deines Gehirns &#x2013; und der Ungenante, der dahinter steht &#x2013; von Illusion zu Illusion. Diese aufzulösen ist Deine Aufgabe. Das ist der Sisifus-Felsen, den Du wälzest. Kanst Du das nicht, versinkst Du in Quietismus, so bist Du im günstigsten Fall Wiederkäuer &#x2013; wie die katolische Teologie seit Hunderten von Jahren &#x2013; die sich den gleichen Illusions-Fras immer wieder vorlegt. Bist Du aber Kämpfer, bist Zerstörer, und damit auch Baumeister, dann eilst Du von Bau zu Bau, von Konstrukzion zu Konstrukzion; denn, was Du errichtet, Glüklicher, darfst Du wieder zerstören. Und lebst Du in einer Zeit, in der angefressene Monumentalbauten und Chinesische Mauern in Masse vorhanden sind, dann schäze Dich zweimal glüklich, indem Du sie niederwirfst und Plaz machst für Neues. Denn Dein Wesen, Mensch, ist Bewegung, nicht Ruhe. Tief in Dir lebt unauslöschlich der Destrukzionstrieb des Tieres.</p>
        </div>
        <div n="2">
          <head>§. 29.</head><lb/>
          <p>Zerstören wir nicht den Gedanken, so zerstört der Gedanke uns. Machen wir nicht den Gedanken zur Tat und
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0055] illusionistisches, Feuerwerk produzirt (unter Zerstörung glänzt). – Zwischen diesem Verpuffen von Gehirn-Material – d. i. Haufen von Illusions-Erzeugung – und unserem soliden Denken ist aber nur ein gradueller Unterschied. Wir müssen Illusionen schaffen, wie der Hobel Spähne entsenden muss, sobald er das Rohmaterial des Holzes ernstlich angreift. Und der Geringere unter uns ist der, der keine oder schlechte Spähne schleisst. §. 28. Nagt an Dir ein Gedanke: Denke ihn weg (Stirner); verzehre ihn, indem Du ihn intensiv in die Arbeit nimst, und er ist weg; du bist frei; die Illusion zerstört. – Eine andere rükt nach? – Selbverständlich! Aber die erste ist fort. Und mit der zweiten mach es ebenso. Das erwarte Du nicht, dass Du auf dieser Welt zu einem Ziel gelangest! Du musst jagen. Windhundartig treibt Dich die Einrichtung Deines Gehirns – und der Ungenante, der dahinter steht – von Illusion zu Illusion. Diese aufzulösen ist Deine Aufgabe. Das ist der Sisifus-Felsen, den Du wälzest. Kanst Du das nicht, versinkst Du in Quietismus, so bist Du im günstigsten Fall Wiederkäuer – wie die katolische Teologie seit Hunderten von Jahren – die sich den gleichen Illusions-Fras immer wieder vorlegt. Bist Du aber Kämpfer, bist Zerstörer, und damit auch Baumeister, dann eilst Du von Bau zu Bau, von Konstrukzion zu Konstrukzion; denn, was Du errichtet, Glüklicher, darfst Du wieder zerstören. Und lebst Du in einer Zeit, in der angefressene Monumentalbauten und Chinesische Mauern in Masse vorhanden sind, dann schäze Dich zweimal glüklich, indem Du sie niederwirfst und Plaz machst für Neues. Denn Dein Wesen, Mensch, ist Bewegung, nicht Ruhe. Tief in Dir lebt unauslöschlich der Destrukzionstrieb des Tieres. §. 29. Zerstören wir nicht den Gedanken, so zerstört der Gedanke uns. Machen wir nicht den Gedanken zur Tat und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-04-29T10:04:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-04-29T10:04:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-04-29T10:04:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/55
Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/55>, abgerufen am 03.12.2024.