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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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erwartet worden, bei dem sie noch einen fremden Gast fanden. Man stellte ihn als Hofrath Wispermann vor. Es war ein langer, hagerer Herr, den man, wenn man diese dünnen Beine und Arme, diesen langen Hals, auf welchem ein großes Haupt mit spärlichen braunen Haaren und einem leichenblassen, abgezehrten Gesicht sich befand, recht wohl für einen riesigen Schatten halten konnte.

Und dieser Schatten war ein Sohn des Aesculap, welchem einer der kleinsten deutschen Fürsten den Titel als Hofrath gegeben. Er hatte mit seinen Curen nirgend großes Glück machen können. Manche Patienten waren ihm unter den Händen gestorben, gerade in den Augenblicken, als er sich geschmeichelt hatte, daß er durch die starke Dosis einer modernen Arzenei, welche freilich aus giftigen Substanzen bestand, sie auf der Stelle und urplötzlich curiren werde. Wie sich nun die Sachen oft so ganz anders verhielten, als er vorausgesagt hatte, und endlich von allen seiner ehemaligen Freunde und Bekannten nur der Todtengräber und die Leichenfrau ihm treu blieben, erklärte er plötzlich aller modernen Medicin den Krieg, und ward ein Verkündiger des neuen Evangeliums vom Wasser.

Er hatte ein ziemlich ansehnliches Kapital zusammengespart, und es jetzt zur Anlegung einer Wasserheilanstalt, und zwar in der Nähe des Schlosses Hohenthal, benutzt, wo eine kleine Villa zu verkaufen gewesen war, welche er Hohenheim

erwartet worden, bei dem sie noch einen fremden Gast fanden. Man stellte ihn als Hofrath Wispermann vor. Es war ein langer, hagerer Herr, den man, wenn man diese dünnen Beine und Arme, diesen langen Hals, auf welchem ein großes Haupt mit spärlichen braunen Haaren und einem leichenblassen, abgezehrten Gesicht sich befand, recht wohl für einen riesigen Schatten halten konnte.

Und dieser Schatten war ein Sohn des Aesculap, welchem einer der kleinsten deutschen Fürsten den Titel als Hofrath gegeben. Er hatte mit seinen Curen nirgend großes Glück machen können. Manche Patienten waren ihm unter den Händen gestorben, gerade in den Augenblicken, als er sich geschmeichelt hatte, daß er durch die starke Dosis einer modernen Arzenei, welche freilich aus giftigen Substanzen bestand, sie auf der Stelle und urplötzlich curiren werde. Wie sich nun die Sachen oft so ganz anders verhielten, als er vorausgesagt hatte, und endlich von allen seiner ehemaligen Freunde und Bekannten nur der Todtengräber und die Leichenfrau ihm treu blieben, erklärte er plötzlich aller modernen Medicin den Krieg, und ward ein Verkündiger des neuen Evangeliums vom Wasser.

Er hatte ein ziemlich ansehnliches Kapital zusammengespart, und es jetzt zur Anlegung einer Wasserheilanstalt, und zwar in der Nähe des Schlosses Hohenthal, benutzt, wo eine kleine Villa zu verkaufen gewesen war, welche er Hohenheim

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[168/0178] erwartet worden, bei dem sie noch einen fremden Gast fanden. Man stellte ihn als Hofrath Wispermann vor. Es war ein langer, hagerer Herr, den man, wenn man diese dünnen Beine und Arme, diesen langen Hals, auf welchem ein großes Haupt mit spärlichen braunen Haaren und einem leichenblassen, abgezehrten Gesicht sich befand, recht wohl für einen riesigen Schatten halten konnte. Und dieser Schatten war ein Sohn des Aesculap, welchem einer der kleinsten deutschen Fürsten den Titel als Hofrath gegeben. Er hatte mit seinen Curen nirgend großes Glück machen können. Manche Patienten waren ihm unter den Händen gestorben, gerade in den Augenblicken, als er sich geschmeichelt hatte, daß er durch die starke Dosis einer modernen Arzenei, welche freilich aus giftigen Substanzen bestand, sie auf der Stelle und urplötzlich curiren werde. Wie sich nun die Sachen oft so ganz anders verhielten, als er vorausgesagt hatte, und endlich von allen seiner ehemaligen Freunde und Bekannten nur der Todtengräber und die Leichenfrau ihm treu blieben, erklärte er plötzlich aller modernen Medicin den Krieg, und ward ein Verkündiger des neuen Evangeliums vom Wasser. Er hatte ein ziemlich ansehnliches Kapital zusammengespart, und es jetzt zur Anlegung einer Wasserheilanstalt, und zwar in der Nähe des Schlosses Hohenthal, benutzt, wo eine kleine Villa zu verkaufen gewesen war, welche er Hohenheim

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/178>, abgerufen am 27.04.2024.