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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 67. Köln, 6. August 1848. Zweite Beilage.

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Fruchtpreise. [irrelevantes Material]
[Gerichtsprotokoll]
Kriminal-Prozedur gegen Ferdinand Lassalle wegen Verleitung zum Diebstahl.

Sitzung vom 5. August 1848.

Präsident: Appellationsgerichtsrath von Ammon; öffentliches Ministerium: Staatsprokurator von Ammon; Vertheidiger: Advokat Schneider II.

Verweisungserkenntniß und Anklageschrift.

Wir Friedrich Wilhelm u. s. f. thun kund und fügen hiermit zu wissen, daß der Rheinische Appellationsgerichtshof zu Köln folgende Entscheidung erlassen hat.

In Untersuchungssachen

wider

Ferdinand Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, geboren zu Breslau, zuletzt in Berlin wohnhaft, beschuldigt:

den Dr. Arnold Mendelsohn durch Anschläge und sträfliche Kunstgriffe zur Begehung des von demselben am 12. August 1846 in dem Gasthofe zum Mainzer-Hofe, woselbst er damals als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Kassette mit Inhalt, welche der in demselben Gasthofe sich aufhaltenden Frau von Meyendorf gehörte, verleitet, und Anweisungen, wie auch Geld, zum Zweck der Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben.

Nach Anhörung des Vortrags des königl. Prokurators Herrn Eversmann, nach Vorlesung der betreffenden Aktenstücke, nach Einsicht des Kriminal-Arrestbefehls der Rathskammer des k. Landgerichts zu Köln vom 27. April dieses Jahres des Inhaltes:

Befiehlt, daß der Ferdinand Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, geboren zu Breslau, zuletzt wohnhaft zu Berlin, 5 Fuß 6 Zoll groß, mit braunen krausen Haaren, freier Stirn, braunen Augenbraunen, dunkelblauen Augen, proportionirter Nase und Munde, rundem Kinn, länglichem Gesicht und schlanker Statur, in enge Haft genommen und in dasjenige Kriminal-Gefängniß abgeführt werden soll, welches vom Anklagesenat näher bestimmt werden wird.

Nach Vernehmung des Antrags des Herrn Prokurators, welcher schriftlich zu den Akten gegeben wurde, und dahin geht: der königliche App. G. H. wolle den Beschuldigten außer Verfolgung setzen und seine Freilassung verordnen.

In Erwägung, daß Ferdinand Lassalle genügend beschwert ist, den Dr. Arnold Mendelssohn zur Begehung des von demselben am 1. August 1846 im Gasthof zum Mainzerhofe, woselbst er damals als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Cassette nebst Inhalt, welche der in demselben Gasthof sich aufhaltenden Frau von Meyendorff gehörte, durch Geschenke verleitet, und demselben Anweisungen sowie auch Mittel zum Zwecke der Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben.

Verbrechen gegen Art. 386 Nr. 4 u. Art. 60 des St. G. B. Erkennt der A. G. H. die Anklage wider Ferdinand Lassalle, verweiset denselben an den Assisenhof zu Köln, verordnet, daß ein Anklageakt gegen ihn von dem öffentlichen Ministerium gefertigt und er in Vollzug des Kriminal-Arrestbefehls in das Justiz Arresthaus daselbst abgeführt werden soll.

Abgeurtheilt zu Köln den 12. Mai 1848 von dem Anklagesenat, wo anwesend waren die Herren: Geheimer Justizrath Schmitz, Senatspräsident, Krey, v. Gerolt, Hermes, Leue, Appellations-Gerichtsräthe, Hermanns, Sekretär, welche unterzeichnet haben, (unterzeichnet) Schmitz, Krey, v. Gerolt, Leue, Hermes, Hermanns.

Befehlen und verordnen zugleich allen ersuchten Gerichtsvollziehern diese Entscheidung zu vollstrecken, Unserm General-Prokurator und Unsern Prokuratoren bei dem Landgericht hierauf zu halten, allen Beamten der öffentlichen Macht auf Ersuchen starke Hand dazu zu leisten.

Zur Urkunde dessen ist diese Entscheidung auf der Urschrift unterschrieben worden.

Für gleichlautende Ausfertigung, welche dem königlichen Hrn. General-Prokurator mitgetheilt wird.

(L. S.)Der Sekretär gez. Hermanns.

Anklageschrift

gegen

F. Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, in Breslau geboren und zuletzt in Berlin wohnhaft.

Zum dritten Mal ist der berüchtigte Kassettendiebstahl Gegenstand einer öffentlichen Kriminalverhandlung. Die aus den frühern Prozeduren bekannten und feststehenden Thatsachen bedürfen nur einer kurzen Wiederholung. Der Graf und die Gräfin von Hatzfeld leben seit längerer Zeit getrennt und im Unfrieden. Gerichtliche Klagen sind zwischen ihnen anhängig, und sie haben sich mit Leuten umgeben, die theils aus Freundschaft, theils aus Eigennutz das Interesse des einen Theils gegen den andern fördern. So waren zum Dienste der Gräfin verbunden der Jurist Oppenheim, der Mediciner Mendelssohn und der Licenziat der Philosophie Lassalle. Im Juli 1846 reisen sie von Berlin an den Rhein, um im Interesse ihrer Herrin thätig zu sein, und im Aug. sind sie zusammen mit der Gräfin in Aachen, wo um dieselbe Zeit der Graf sich aufhielt und eine Baronin v. Meyendorff, von der es hieß, daß sie in vertrauten Verhältnissen zu dem Grafen stehe. Das Augenmerk der Verbundenen war darauf gerichtet, sich Briefe des Grafen zur Begründung einer Klage zu verschaffen, und als Episoda kommt ein gelungener Versuch der Art vor, wo der Student K..., ein untergeordnetes Werkzeug der Gräfin, an der Post zu Aachen einen Brief des Grafen an die Baronin abnahm und in die Hände des Lassalle und der Gräfin lieferte.

Ein weiters Bestreben der Gräfin und ihrer Freunde ging dahin, in Besitz eines Leibrentenvertrags zu gelangen, wodurch angeblich der Graf der Baronin v. Meyendorff eine jährliche Rente von 25,000 Fr. ohne Gegenleistung ausgesetzt haben sollte.Am 20. August (1846) erfuhren die Verbundenen durch den erwähnten K..., dem die besondere Rolle zugetheilt war, die Baronin zu beobachten, daß dieselbe auf dem Punkte sei, nach Köln zu reisen. Sofort beschlossen sie ihr nachzureisen. Mendelssohn fuhr zuerst mit einem Nachmittagszuge ab, und begegnete unterwegs dem von Köln zurückkehrenden K..., der mit demselben Zuge, auf dem die Baronin gefahren war, hatte vorausreisen müssen, und ihm nun zurief: "im Mainzer Hof." Dann folgt mit dem letzten Zuge Oppenheim und K... Lassalle blieb in Aachen zurück. Mendelssohn, Oppenheim und Kurz kehrten in dem Mainzerhofe ein, wo die Baronin Meyendorff abgetreten war. Sie schrieben sich unter falschen Namen ins Fremdenbuch ein: Kronecker, Ullmann und Hubrig. Am folgenden Morgen wollte die Baronin weiterreisen, ihre Leute waren beschäftigt, ihre Effekten herbeizuschaffen; diese standen zum Theil auf dem Gange vor dem Zimmer der Baronin, darunter ihre verschlossene Kassette.

Oppenheim nimmt die Gelegenheit wahr, unbemerkt die Kassette fortzunehmen, und bringt sie in das nebenanliegende Zimmer seines Freundes Mendelssohn, der sie in seinem Koffer birgt, und Beide eilen dann in einer Droschke davon.

Der Kutscher hatte die Weisung, nach dem Rheine zu fahren, unterwegs aber erhielt er seine andere Bestimmung: Oppenheim stieg aus, und Mendelssohn fuhr mit den Sachen nach dem Bonner Bahnhofe, wo eben der erste Morgenzug 6 3/4 Uhr im Begriff war abzugehen. Im Mainzer Hofe war indessen die Kassette gleich vermißt worden, und der Verdacht auf die beiden so eben abgereisten Fremden gefallen. Zufällig erhielt der Lohndiener Jacob Esser Nachricht von ihnen durch den Kutscher, der sie gefahren hatte, und den er am Bonner Bahnhofe traf. Er fand den angeblichen Kronecker schon im Wagen sitzen, fragte ihn, ob er vielleicht irrthümlich fremde Effekten mitgenommen habe und entschloß sich, da ihm dies verneint wurde, sammt der Kammerjungfer der Baronin mit demselben Zuge mitzufahren. Auf der Station Brühl stieg Kronecker-Mendelssohn aus und kam nicht wieder. Die Kammerjungfer fuhr weiter bis Bonn, wo mit dem folgenden Zuge auch der Gastwirth Welter ankam. Sie wandten sich an die Polizei und es wurden die von dem Entflohenen zurückgelassenen Effekten in Beschlag genommen. Hier fand sich denn die vermißte Kassette in dem Koffer des Mendelssohn vor. Sie enthielt nach der hierüber von dem Untersuchungsrichter zu Köln aufgenommenen Verhandlung außer verschiedenen Gegenständen des Schmuckes und der Toilette eine Summe von 3000 Frcs. in französischem Golde und eine Mappe mit Familienpapieren und Correspondenzen, wovon der Untersuchungsrichter bekundet, daß darunter keine vom Grafen Hatzfeld unterzeichneten oder auf ein Verhältniß zwischen ihm und der Baronin Meyendorf bezügliche Scripturen sich befunden haben. Der sämmtliche Inhalt wurde der Baronin zurückgegeben.

Oppenheim war schon um Mittag am 21. August wieder in Aachen und brachte die Nachricht, daß Mendelssohn die Kassette habe. Am Abend kam dieser selbst und berichtete den übeln Ausgang des Unternehmens. Am folgenden Tage flüchtete er über die Gränze, Oppenheim aber reiste mit Lassalle nach Köln und meldete sich am 24. August dem Königlichen Ober-Prokurator an, in der Hoffnung, durch seine Darstellung der Sache sich von allem Verdachte zu reinigen, und wieder zum Besitze seines mit dem Mendelssohn'schen Koffer sequestrirten Reisesackes zu gelangen. Er ward jedoch zur gerichtlichen Untersuchung gezogen, welche sich mit seiner Freisprechung endete. Während der Dauer dieser Untersuchung und bis zum Herbst des folgenden Jahres hielt sich Lassalle mit der Gräfin Hatzfeld zumeist im Gasthofe Belle vue zu Deutz auf, von wo aus er in der ersten Zeit auch für seinen verhafteten Freund Oppenheim zu wirken sich bemühte. Da es ihm dabei auf die Mittel nicht ankam, so ergriff er eins, was ihm späterhin, als die Sache entdeckt wurde, eine Criminal-Untersuchung und Haft vom 26. März bis 8. Mai 1847 zuzog, wegen der Beschuldigung, Briefe, welche zu den Akten der Kriminal-Prozedur gegen Oppenheim gehörten, deren Einsicht er sich durch List und Bestechung zu verschaffen gewußt hatte, freiwillig zerstört zu haben. Als diese Untersuchung gegen ihn begann, welche aus juristischen Gründen von dem Anklage-Senate des App. G. H. niedergeschlagen ist, hatten einige untergeordnete Agenten die Gräfin verlassen und waren zur Gegenparthei übergetreten, nämlich der mehrerwähnte Paul Kurz und sein Vater Johann Kurz Kammerdiener der Gräfin und Friedrich Wilhelm Hoppe aus Berlin, Bedienter des Lassalle, den derselbe Franz nannte. Dieser Hoppe war es hauptsächlich, der durch seine Aussagen die Verhaftung des Lassalle im März 1847 veranlaßte.

Nachdem Mendelssohn im Vertrauen auf den günstigen Ausgang der Oppenheim'schen Prozedur sich zur Untersuchung gestellt hatte, wurde Hoppe, der indessen ein Viktualiengeschäft in Berlin begonnen hatte, auch über den Kassettendiebstahl vernommen, und deponirte in Berlin am 3. und 5. August 1847 wie folgt:

Ehe Mendelssohn am 20. August 1846 der Baronin Meyendorff nachreis'te sei derselbe bei Lassalle gewesen, und hier habe er (Zeuge) den Letztern zu dem Ersten sagen hören, er sollte soweit reisen, als nöthig, und solle er suchen, die Kassette der Baronin an sich zu bringen, oder auch deren Papiere. Oefters habe er gesehen, daß Lassalle, (welcher immer der Anstifter der Pläne gewesen) Mendelssohn's Rechnungen bezahlte, und ihm auch baares Geld gab, und namentlch sei dies auch geschehen bei seiner Abreise nach Köln Diese Aussage bestätigte H ... vor dem Assisenhofe an 10. Febr. d. J. mit den Worten:

"Als der Angeklagte Mendelssohn am 20. August 1841 von Lassalle den bestimmten Auftrag erhielt, der Baronin nachzureisen, so weit es ginge, um von ihr den vermutheten Vertrag sich auf jede Weise zu verschaffen, erhielt er, wie ich gesehen habe, von Lassalle ebenfalls Geld zu dieser Reise, wie er solches auch schon früher mehrere Male erhalten hatte."

In Folge dieser Aussagen, und anderer bei den Verhandlungen vorgekommenen, den Lassalle beschwerenden Umständen nahm am 11. Fbr. d. J. der k. Oberprokurator Antrag gegen ihn als den intellektuellen Urheber bei dem Kassettendiebstahl. Er wurde auf erlassenen Vorführungsbefehl am 20. Fbr. zu Potsdam verhaftet und nach Köln geführt. Seine Erklärung ist folgende: Er sei, wie auch Oppenheim, General-Bevollmächtigter der Gräfin Hatzfeldt in ihren Angelegenheiten mit dem Grafen, und habe sich besonders bemüht, über dessen Verhältniß mit der Baronin Meyendorff, sowie über die Existenz des vorerwähnten Leibrentenvertrags Gewißheit zu verschaffen, habe daher den K ... von Düsseldorf nach Aachen kommen lassen, um den Grafen und die Baronin zu beobachten. Eines Morgens, den zwanzigsten August, sei dieser K ... plötzlich mit der Meldung gekommen, daß die Baronin mit ihren Effekten eben nach der Eisenbahn gefahren sei, worauf er zu Oppenheim und Mendelssohn gesagt habe, daß sie ihr auf der Stelle folgen müßten, um sie zu beobachten und sich auf jede Weise Gewißheit zu verschaffen, wie es mit dem Leibrentenvertrage stände. Er habe bei diesem Auftrage oder Rath, denn er habe keine Autorität über Oppenheim und Mendelssohn gehabt, keine Mittel angegeben, wodurch sie den Zweck erreichen sollten, am wenigsten habe es ihm einfallen können, ihnen strafbare Mittel an die Hand zu geben, namentlich von Wegnahme einer Kassette zu sprechen, da er weder gewußt, noch habe wissen können, daß die Meyendorff ihre Papiere in einer Kassette verwahre. Im Gegentheil habe er dem Oppenheim, als derselbe bei seiner Rückkehr die Entwendung der Kassette berichtet, Vorwürfe über diese Handlung gemacht. Der Angeklagte leugnet sodann, dem Mendelssohn vor seiner Abreise nach Köln Geld gegeben zu haben, und bemerkt im Allgemeinen: Mendelssohn sei hinreichend mit Geld versehen gewesen, da er noch kurz zuvor sein mütterliches Erbtheil mit 1500 Thalern erhoben habe. Zuweilen habe Mendelssohn ihm Geld in Verwahrung gegeben, was er demselben dann und wann zurückgegeben, aber auch das, wie er sich bestimmt erinnert, sei damals nicht der Fall gewesen.

Die Aussage des H .... erklärt der Angeklagte für eine Lüge, und behauptet, daß derselbe die von ihm bezeugten Umstände gar nicht habe wahrnehmen können. Er sei nämlich mit Oppenheim und Mendelssohn in dem Zimmer der Gräfin gewesen, als K... die Nachricht von der Abreise der Baronin gebracht habe; dies Zimmer habe er bis zur wirklichen Abreise des Mendelssohns nicht verlassen, und andrerseits sei H .... gar nicht in dies Zimmer gekommen. Er beruft sich hierüber auf Mendelssohn, und auf den Grafen Paul, Sohn der Gräfin Hatzfeldt. Graf Paul hat bei seiner Vernehmung die Angabe des Lassalle bestätigt. Er wohnte mit seiner Mutter im Gasthofe "zu den vier Jahreszeiten" bei Kostelletzki, ebendaselbst Lasalle, und Oppenheim und Mendelssohn in einem andern Gasthofe (bei Nuellens). Sie waren alle beisammen, sagt der Zeuge, im Zimmer der Mutter, als K... gegen Mittag mit der Nachricht hereinkam. Sie waren alle sehr bestürzt darüber, und Oppenheim sprach zuerst die Ansicht aus, man dürfe die Meyendorff nicht aus den Augen verlieren, und er wolle ihr nachreisen, um zu sehen, mit wem sie zusammentreffe, und was sie vorhabe. Lassalle billigte diese Ansicht, worauf Oppenheim den Mendelssohn ersuchte, ihn zu begleiten. Mendelssohn erklärt sich bereit, und beide verabschiedeten sich sofort. Kurze Zeit nachher kehrten sie noch einmal zurück, um mitzutheilen, daß sie nicht so rasch hätten fertig werden können, daher den K... vorausgeschickt hätten, und mit dem nächsten Zuge folgen würden, demnach entfernten sie sich wieder und kamen erst am folgenden Tage zurück. Während aller jener Zeit habe Lassalle das Zimmer nicht verlassen, und sei H ...., der mit der übrigen Dienerschaft einen andern Flügel bewohnte, nicht in dem Zimmer gewesen. Auch gibt der Zeuge an, daß Lassalle dem Mendelssohn kein Geld gegeben, und am andern Tage dem Oppenheim seine unüberlegte Handlung vorgeworfen habe.

Im Widerspruch mit diesem Zeugniß erklärt der im Laufe der Untersuchung wiederholt vernommene Hoppe: es sei in dem Zimmer des Lassalle Salon Nr. 7 gewesen, wo Mendelssohn sich bei dem Lassalle eingefunden habe. Er selbst habe sich in der anstoßenden Schlafstube, deren Thür halb geöffnet, befunden, und von hier aus die Worte des Lassalle gehört, die er nun so referirt: "Du mußt ihr, (der Meyendorf nämlich), nachreisen, selbst auch in's Ausland, wohin sie gehen wird, und richtest dein Augenmerk auf die Kassette, worin die Papiere sind, und nimmst sie weg, wo du die erste Gelegeheit dazu findest.

"Hierbei," fährt der Zeuge fort, "gab Lassalle dem Mendelssohn einige Goldstücke in die Hand, welche dieser in seine Börse steckte. Bei der Gräfin sei die Gesellschaft erst später zusammengekommen. Hoppe so wenig, wie der gleichfalls vernommene Paul Kurz erwähnen der vorgegangenen Meldung des Letzteren von der Abreise der Baronin. Kurz sagt, er habe schon zwei oder drei Tage zuvor, von Lasalle den Auftrag erhalten, der Frau von Meyendorff, welche vermuthlich bald abreisen, und dann zu Köln im Mainzerhofe logiren würde, im Fall der Abreise nachzufolgen und zu berichten, wohin sie ginge. Als sie daher am 20. August wirklich abgereist, sei er ohne nochmaligen speziellen Auftrag ein paar Stationen weit mit ihr gefahren, und dann wieder umgekehrt, bloß um den Schein des Diensteifers zu bewahren, da er voraussetzte, daß er selbst von Lasalle beobachtet werde. Daß er dem begegnenden Mendelssohhn zugerufen: "im Mainzerhofe" habe keinen andern Grund gehabt, als die frühere Mittheilung des Lasalle. Der Angeklagte beschränkt sich nicht darauf, den direkten Gegenbeweis gegen das Zeugniß des H .... zu führen, und dessen innere Unglaubwürdigkeit darzuthun, sondern hat auch eine Menge Thatsachen artikulirt, woraus hervorgehen soll, daß H.... von der Parthei des Grafen, namentlich durch dessen Hauptagenten, den Kaufmann von Stockum zu Düsseldorf zu falschen Zeugnissen gegen ihn und die Gräfin bestochen worden sei. H.... verließ den Dienst des Lassalle kurz vor dessen Verhaftung, die gerade durch seine Aussage veranlaßt worden, im März, 1847. Um diese Zeit, wie von mehrern Zeugen angegeben wird, die sich damals um die Gräfin in Deutz befanden, kam der Referendar Meyer aus Ehrenbreitstein (auch ein Anhänger der Gräfin) zu ihr herein und warnte sie vor H...., weil er so eben auf der Brücke zugegen gewesen sei, als der Arnold Goedsche, hastig auf den von Stockum zustürzend, demselben zugerufen habe: "Triumph! wir haben den H.... er thut und sagt alles, war wir wollen, wenn wir ihm eine Bierwirthschaft in Belin einrichten." - Andre Zeugen sprechen von 250 Thlrn., die er dazu erhalten habe, und der Barbier Ludwig Schafhausen zu Bilk will dies aus des H.... eigenem Munde gehört haben. Ob aber H.... durch dergleichen Vortheile nicht bloß zur Aufdeckung der wahren, sondern auch zur Aussage falscher Thatsachen veranlaßt worden, ist eine andere Frage. Die Behörde in Berlin giebt wenigstens seiner Moralität und dortigen Führung ein gutes Zeugniß.

Diesemnach wird Ferdinand Lassalle angeklagt:

Den Dr. Mendelssohn zur Begehung des von demselben am 21. August 1846 in dem Gasthof zum Mainzerhofe, woselbst er damals als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Kassette nebst Inhalt, welche der in demselben Gasthofe sich aufhaltenden Frau von Meyendorff gehörte, durch Geschenke verleitet und demselben Anweisungen, so wie auch Mittel zum Zweck der Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben.

Verbrechen gegen Art. 386 Nr. 4 und Art. 60 des Strafgesetzbuches.

Köln, den 19. Mai 1848.

Der General-Prokurator beim königl. rhein. Appellationsgerichtshofe.

(gez.) Nicolovius.

Nach Verlesung des Anklageaktes und nachdem das öffentliche Ministerium den Gegenstand der Anklage und die Beweismittel auseinandergesetzt hatte, die zur Begründung der Anklage vorgebracht werden sollen, wurden die Belastungs- und Schutzzeugen aufgerufen; es ergab, daß es im Ganzen 116, zur Belastung 45 zur Vertheidigung 71 sind. Gegen einige Zeugen wurden auf den Antrag des Vertheidigers, der behauptete, sie seien bei Seite geschafft worden, um bei der Prozedur nicht erscheinen zu müssen, von dem Präsidenten Vorführungsbefehle erlassen. An die anwesenden Zeugen richtete alsdann der Präsident energische Worte. Wenn je es ihm zur Pflicht gemacht sei, die Zeugen zum Bekenntniß der Wahrheit aufzufordern, so sei das ganz besonders im heutigen Prozesse der Fall, wo zwei Partheien mit den widersprechendsten Zeugnissen sich entgegenständen und wenn die Vorwürfe gegen einander wahr seien - Vorwürfe, die in einen Abgrund von Bosheit, Verdorbenheit und Schlechtigkeit blicken ließen - so müßten heute statt einer, zwanzig Personen auf der Bank der Angeklagten sitzen. Er werde daher mit der größten Strenge die Zeugenaussagen prüfen und unnachsichtlich verfahren, wo es sich herausstellen sollte, daß die Unwahrheit gesagt, oder die Wahrheit verschwiegen werde.

Die Zeugen treten hierauf ab, und der Präsident schritt zum Verhör des Angeklagten.

(Forts. folgt.)

[Spaltenumbruch]
Fruchtpreise. [irrelevantes Material]
[Gerichtsprotokoll]
Kriminal-Prozedur gegen Ferdinand Lassalle wegen Verleitung zum Diebstahl.

Sitzung vom 5. August 1848.

Präsident: Appellationsgerichtsrath von Ammon; öffentliches Ministerium: Staatsprokurator von Ammon; Vertheidiger: Advokat Schneider II.

Verweisungserkenntniß und Anklageschrift.

Wir Friedrich Wilhelm u. s. f. thun kund und fügen hiermit zu wissen, daß der Rheinische Appellationsgerichtshof zu Köln folgende Entscheidung erlassen hat.

In Untersuchungssachen

wider

Ferdinand Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, geboren zu Breslau, zuletzt in Berlin wohnhaft, beschuldigt:

den Dr. Arnold Mendelsohn durch Anschläge und sträfliche Kunstgriffe zur Begehung des von demselben am 12. August 1846 in dem Gasthofe zum Mainzer-Hofe, woselbst er damals als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Kassette mit Inhalt, welche der in demselben Gasthofe sich aufhaltenden Frau von Meyendorf gehörte, verleitet, und Anweisungen, wie auch Geld, zum Zweck der Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben.

Nach Anhörung des Vortrags des königl. Prokurators Herrn Eversmann, nach Vorlesung der betreffenden Aktenstücke, nach Einsicht des Kriminal-Arrestbefehls der Rathskammer des k. Landgerichts zu Köln vom 27. April dieses Jahres des Inhaltes:

Befiehlt, daß der Ferdinand Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, geboren zu Breslau, zuletzt wohnhaft zu Berlin, 5 Fuß 6 Zoll groß, mit braunen krausen Haaren, freier Stirn, braunen Augenbraunen, dunkelblauen Augen, proportionirter Nase und Munde, rundem Kinn, länglichem Gesicht und schlanker Statur, in enge Haft genommen und in dasjenige Kriminal-Gefängniß abgeführt werden soll, welches vom Anklagesenat näher bestimmt werden wird.

Nach Vernehmung des Antrags des Herrn Prokurators, welcher schriftlich zu den Akten gegeben wurde, und dahin geht: der königliche App. G. H. wolle den Beschuldigten außer Verfolgung setzen und seine Freilassung verordnen.

In Erwägung, daß Ferdinand Lassalle genügend beschwert ist, den Dr. Arnold Mendelssohn zur Begehung des von demselben am 1. August 1846 im Gasthof zum Mainzerhofe, woselbst er damals als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Cassette nebst Inhalt, welche der in demselben Gasthof sich aufhaltenden Frau von Meyendorff gehörte, durch Geschenke verleitet, und demselben Anweisungen sowie auch Mittel zum Zwecke der Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben.

Verbrechen gegen Art. 386 Nr. 4 u. Art. 60 des St. G. B. Erkennt der A. G. H. die Anklage wider Ferdinand Lassalle, verweiset denselben an den Assisenhof zu Köln, verordnet, daß ein Anklageakt gegen ihn von dem öffentlichen Ministerium gefertigt und er in Vollzug des Kriminal-Arrestbefehls in das Justiz Arresthaus daselbst abgeführt werden soll.

Abgeurtheilt zu Köln den 12. Mai 1848 von dem Anklagesenat, wo anwesend waren die Herren: Geheimer Justizrath Schmitz, Senatspräsident, Krey, v. Gerolt, Hermes, Leue, Appellations-Gerichtsräthe, Hermanns, Sekretär, welche unterzeichnet haben, (unterzeichnet) Schmitz, Krey, v. Gerolt, Leue, Hermes, Hermanns.

Befehlen und verordnen zugleich allen ersuchten Gerichtsvollziehern diese Entscheidung zu vollstrecken, Unserm General-Prokurator und Unsern Prokuratoren bei dem Landgericht hierauf zu halten, allen Beamten der öffentlichen Macht auf Ersuchen starke Hand dazu zu leisten.

Zur Urkunde dessen ist diese Entscheidung auf der Urschrift unterschrieben worden.

Für gleichlautende Ausfertigung, welche dem königlichen Hrn. General-Prokurator mitgetheilt wird.

(L. S.)Der Sekretär gez. Hermanns.

Anklageschrift

gegen

F. Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, in Breslau geboren und zuletzt in Berlin wohnhaft.

Zum dritten Mal ist der berüchtigte Kassettendiebstahl Gegenstand einer öffentlichen Kriminalverhandlung. Die aus den frühern Prozeduren bekannten und feststehenden Thatsachen bedürfen nur einer kurzen Wiederholung. Der Graf und die Gräfin von Hatzfeld leben seit längerer Zeit getrennt und im Unfrieden. Gerichtliche Klagen sind zwischen ihnen anhängig, und sie haben sich mit Leuten umgeben, die theils aus Freundschaft, theils aus Eigennutz das Interesse des einen Theils gegen den andern fördern. So waren zum Dienste der Gräfin verbunden der Jurist Oppenheim, der Mediciner Mendelssohn und der Licenziat der Philosophie Lassalle. Im Juli 1846 reisen sie von Berlin an den Rhein, um im Interesse ihrer Herrin thätig zu sein, und im Aug. sind sie zusammen mit der Gräfin in Aachen, wo um dieselbe Zeit der Graf sich aufhielt und eine Baronin v. Meyendorff, von der es hieß, daß sie in vertrauten Verhältnissen zu dem Grafen stehe. Das Augenmerk der Verbundenen war darauf gerichtet, sich Briefe des Grafen zur Begründung einer Klage zu verschaffen, und als Episoda kommt ein gelungener Versuch der Art vor, wo der Student K…, ein untergeordnetes Werkzeug der Gräfin, an der Post zu Aachen einen Brief des Grafen an die Baronin abnahm und in die Hände des Lassalle und der Gräfin lieferte.

Ein weiters Bestreben der Gräfin und ihrer Freunde ging dahin, in Besitz eines Leibrentenvertrags zu gelangen, wodurch angeblich der Graf der Baronin v. Meyendorff eine jährliche Rente von 25,000 Fr. ohne Gegenleistung ausgesetzt haben sollte.Am 20. August (1846) erfuhren die Verbundenen durch den erwähnten K…, dem die besondere Rolle zugetheilt war, die Baronin zu beobachten, daß dieselbe auf dem Punkte sei, nach Köln zu reisen. Sofort beschlossen sie ihr nachzureisen. Mendelssohn fuhr zuerst mit einem Nachmittagszuge ab, und begegnete unterwegs dem von Köln zurückkehrenden K…, der mit demselben Zuge, auf dem die Baronin gefahren war, hatte vorausreisen müssen, und ihm nun zurief: „im Mainzer Hof.“ Dann folgt mit dem letzten Zuge Oppenheim und K… Lassalle blieb in Aachen zurück. Mendelssohn, Oppenheim und Kurz kehrten in dem Mainzerhofe ein, wo die Baronin Meyendorff abgetreten war. Sie schrieben sich unter falschen Namen ins Fremdenbuch ein: Kronecker, Ullmann und Hubrig. Am folgenden Morgen wollte die Baronin weiterreisen, ihre Leute waren beschäftigt, ihre Effekten herbeizuschaffen; diese standen zum Theil auf dem Gange vor dem Zimmer der Baronin, darunter ihre verschlossene Kassette.

Oppenheim nimmt die Gelegenheit wahr, unbemerkt die Kassette fortzunehmen, und bringt sie in das nebenanliegende Zimmer seines Freundes Mendelssohn, der sie in seinem Koffer birgt, und Beide eilen dann in einer Droschke davon.

Der Kutscher hatte die Weisung, nach dem Rheine zu fahren, unterwegs aber erhielt er seine andere Bestimmung: Oppenheim stieg aus, und Mendelssohn fuhr mit den Sachen nach dem Bonner Bahnhofe, wo eben der erste Morgenzug 6 3/4 Uhr im Begriff war abzugehen. Im Mainzer Hofe war indessen die Kassette gleich vermißt worden, und der Verdacht auf die beiden so eben abgereisten Fremden gefallen. Zufällig erhielt der Lohndiener Jacob Esser Nachricht von ihnen durch den Kutscher, der sie gefahren hatte, und den er am Bonner Bahnhofe traf. Er fand den angeblichen Kronecker schon im Wagen sitzen, fragte ihn, ob er vielleicht irrthümlich fremde Effekten mitgenommen habe und entschloß sich, da ihm dies verneint wurde, sammt der Kammerjungfer der Baronin mit demselben Zuge mitzufahren. Auf der Station Brühl stieg Kronecker-Mendelssohn aus und kam nicht wieder. Die Kammerjungfer fuhr weiter bis Bonn, wo mit dem folgenden Zuge auch der Gastwirth Welter ankam. Sie wandten sich an die Polizei und es wurden die von dem Entflohenen zurückgelassenen Effekten in Beschlag genommen. Hier fand sich denn die vermißte Kassette in dem Koffer des Mendelssohn vor. Sie enthielt nach der hierüber von dem Untersuchungsrichter zu Köln aufgenommenen Verhandlung außer verschiedenen Gegenständen des Schmuckes und der Toilette eine Summe von 3000 Frcs. in französischem Golde und eine Mappe mit Familienpapieren und Correspondenzen, wovon der Untersuchungsrichter bekundet, daß darunter keine vom Grafen Hatzfeld unterzeichneten oder auf ein Verhältniß zwischen ihm und der Baronin Meyendorf bezügliche Scripturen sich befunden haben. Der sämmtliche Inhalt wurde der Baronin zurückgegeben.

Oppenheim war schon um Mittag am 21. August wieder in Aachen und brachte die Nachricht, daß Mendelssohn die Kassette habe. Am Abend kam dieser selbst und berichtete den übeln Ausgang des Unternehmens. Am folgenden Tage flüchtete er über die Gränze, Oppenheim aber reiste mit Lassalle nach Köln und meldete sich am 24. August dem Königlichen Ober-Prokurator an, in der Hoffnung, durch seine Darstellung der Sache sich von allem Verdachte zu reinigen, und wieder zum Besitze seines mit dem Mendelssohn'schen Koffer sequestrirten Reisesackes zu gelangen. Er ward jedoch zur gerichtlichen Untersuchung gezogen, welche sich mit seiner Freisprechung endete. Während der Dauer dieser Untersuchung und bis zum Herbst des folgenden Jahres hielt sich Lassalle mit der Gräfin Hatzfeld zumeist im Gasthofe Belle vue zu Deutz auf, von wo aus er in der ersten Zeit auch für seinen verhafteten Freund Oppenheim zu wirken sich bemühte. Da es ihm dabei auf die Mittel nicht ankam, so ergriff er eins, was ihm späterhin, als die Sache entdeckt wurde, eine Criminal-Untersuchung und Haft vom 26. März bis 8. Mai 1847 zuzog, wegen der Beschuldigung, Briefe, welche zu den Akten der Kriminal-Prozedur gegen Oppenheim gehörten, deren Einsicht er sich durch List und Bestechung zu verschaffen gewußt hatte, freiwillig zerstört zu haben. Als diese Untersuchung gegen ihn begann, welche aus juristischen Gründen von dem Anklage-Senate des App. G. H. niedergeschlagen ist, hatten einige untergeordnete Agenten die Gräfin verlassen und waren zur Gegenparthei übergetreten, nämlich der mehrerwähnte Paul Kurz und sein Vater Johann Kurz Kammerdiener der Gräfin und Friedrich Wilhelm Hoppe aus Berlin, Bedienter des Lassalle, den derselbe Franz nannte. Dieser Hoppe war es hauptsächlich, der durch seine Aussagen die Verhaftung des Lassalle im März 1847 veranlaßte.

Nachdem Mendelssohn im Vertrauen auf den günstigen Ausgang der Oppenheim'schen Prozedur sich zur Untersuchung gestellt hatte, wurde Hoppe, der indessen ein Viktualiengeschäft in Berlin begonnen hatte, auch über den Kassettendiebstahl vernommen, und deponirte in Berlin am 3. und 5. August 1847 wie folgt:

Ehe Mendelssohn am 20. August 1846 der Baronin Meyendorff nachreis'te sei derselbe bei Lassalle gewesen, und hier habe er (Zeuge) den Letztern zu dem Ersten sagen hören, er sollte soweit reisen, als nöthig, und solle er suchen, die Kassette der Baronin an sich zu bringen, oder auch deren Papiere. Oefters habe er gesehen, daß Lassalle, (welcher immer der Anstifter der Pläne gewesen) Mendelssohn's Rechnungen bezahlte, und ihm auch baares Geld gab, und namentlch sei dies auch geschehen bei seiner Abreise nach Köln Diese Aussage bestätigte H … vor dem Assisenhofe an 10. Febr. d. J. mit den Worten:

„Als der Angeklagte Mendelssohn am 20. August 1841 von Lassalle den bestimmten Auftrag erhielt, der Baronin nachzureisen, so weit es ginge, um von ihr den vermutheten Vertrag sich auf jede Weise zu verschaffen, erhielt er, wie ich gesehen habe, von Lassalle ebenfalls Geld zu dieser Reise, wie er solches auch schon früher mehrere Male erhalten hatte.“

In Folge dieser Aussagen, und anderer bei den Verhandlungen vorgekommenen, den Lassalle beschwerenden Umständen nahm am 11. Fbr. d. J. der k. Oberprokurator Antrag gegen ihn als den intellektuellen Urheber bei dem Kassettendiebstahl. Er wurde auf erlassenen Vorführungsbefehl am 20. Fbr. zu Potsdam verhaftet und nach Köln geführt. Seine Erklärung ist folgende: Er sei, wie auch Oppenheim, General-Bevollmächtigter der Gräfin Hatzfeldt in ihren Angelegenheiten mit dem Grafen, und habe sich besonders bemüht, über dessen Verhältniß mit der Baronin Meyendorff, sowie über die Existenz des vorerwähnten Leibrentenvertrags Gewißheit zu verschaffen, habe daher den K … von Düsseldorf nach Aachen kommen lassen, um den Grafen und die Baronin zu beobachten. Eines Morgens, den zwanzigsten August, sei dieser K … plötzlich mit der Meldung gekommen, daß die Baronin mit ihren Effekten eben nach der Eisenbahn gefahren sei, worauf er zu Oppenheim und Mendelssohn gesagt habe, daß sie ihr auf der Stelle folgen müßten, um sie zu beobachten und sich auf jede Weise Gewißheit zu verschaffen, wie es mit dem Leibrentenvertrage stände. Er habe bei diesem Auftrage oder Rath, denn er habe keine Autorität über Oppenheim und Mendelssohn gehabt, keine Mittel angegeben, wodurch sie den Zweck erreichen sollten, am wenigsten habe es ihm einfallen können, ihnen strafbare Mittel an die Hand zu geben, namentlich von Wegnahme einer Kassette zu sprechen, da er weder gewußt, noch habe wissen können, daß die Meyendorff ihre Papiere in einer Kassette verwahre. Im Gegentheil habe er dem Oppenheim, als derselbe bei seiner Rückkehr die Entwendung der Kassette berichtet, Vorwürfe über diese Handlung gemacht. Der Angeklagte leugnet sodann, dem Mendelssohn vor seiner Abreise nach Köln Geld gegeben zu haben, und bemerkt im Allgemeinen: Mendelssohn sei hinreichend mit Geld versehen gewesen, da er noch kurz zuvor sein mütterliches Erbtheil mit 1500 Thalern erhoben habe. Zuweilen habe Mendelssohn ihm Geld in Verwahrung gegeben, was er demselben dann und wann zurückgegeben, aber auch das, wie er sich bestimmt erinnert, sei damals nicht der Fall gewesen.

Die Aussage des H .... erklärt der Angeklagte für eine Lüge, und behauptet, daß derselbe die von ihm bezeugten Umstände gar nicht habe wahrnehmen können. Er sei nämlich mit Oppenheim und Mendelssohn in dem Zimmer der Gräfin gewesen, als K… die Nachricht von der Abreise der Baronin gebracht habe; dies Zimmer habe er bis zur wirklichen Abreise des Mendelssohns nicht verlassen, und andrerseits sei H .... gar nicht in dies Zimmer gekommen. Er beruft sich hierüber auf Mendelssohn, und auf den Grafen Paul, Sohn der Gräfin Hatzfeldt. Graf Paul hat bei seiner Vernehmung die Angabe des Lassalle bestätigt. Er wohnte mit seiner Mutter im Gasthofe „zu den vier Jahreszeiten“ bei Kostelletzki, ebendaselbst Lasalle, und Oppenheim und Mendelssohn in einem andern Gasthofe (bei Nuellens). Sie waren alle beisammen, sagt der Zeuge, im Zimmer der Mutter, als K… gegen Mittag mit der Nachricht hereinkam. Sie waren alle sehr bestürzt darüber, und Oppenheim sprach zuerst die Ansicht aus, man dürfe die Meyendorff nicht aus den Augen verlieren, und er wolle ihr nachreisen, um zu sehen, mit wem sie zusammentreffe, und was sie vorhabe. Lassalle billigte diese Ansicht, worauf Oppenheim den Mendelssohn ersuchte, ihn zu begleiten. Mendelssohn erklärt sich bereit, und beide verabschiedeten sich sofort. Kurze Zeit nachher kehrten sie noch einmal zurück, um mitzutheilen, daß sie nicht so rasch hätten fertig werden können, daher den K… vorausgeschickt hätten, und mit dem nächsten Zuge folgen würden, demnach entfernten sie sich wieder und kamen erst am folgenden Tage zurück. Während aller jener Zeit habe Lassalle das Zimmer nicht verlassen, und sei H ...., der mit der übrigen Dienerschaft einen andern Flügel bewohnte, nicht in dem Zimmer gewesen. Auch gibt der Zeuge an, daß Lassalle dem Mendelssohn kein Geld gegeben, und am andern Tage dem Oppenheim seine unüberlegte Handlung vorgeworfen habe.

Im Widerspruch mit diesem Zeugniß erklärt der im Laufe der Untersuchung wiederholt vernommene Hoppe: es sei in dem Zimmer des Lassalle Salon Nr. 7 gewesen, wo Mendelssohn sich bei dem Lassalle eingefunden habe. Er selbst habe sich in der anstoßenden Schlafstube, deren Thür halb geöffnet, befunden, und von hier aus die Worte des Lassalle gehört, die er nun so referirt: „Du mußt ihr, (der Meyendorf nämlich), nachreisen, selbst auch in's Ausland, wohin sie gehen wird, und richtest dein Augenmerk auf die Kassette, worin die Papiere sind, und nimmst sie weg, wo du die erste Gelegeheit dazu findest.

„Hierbei,“ fährt der Zeuge fort, „gab Lassalle dem Mendelssohn einige Goldstücke in die Hand, welche dieser in seine Börse steckte. Bei der Gräfin sei die Gesellschaft erst später zusammengekommen. Hoppe so wenig, wie der gleichfalls vernommene Paul Kurz erwähnen der vorgegangenen Meldung des Letzteren von der Abreise der Baronin. Kurz sagt, er habe schon zwei oder drei Tage zuvor, von Lasalle den Auftrag erhalten, der Frau von Meyendorff, welche vermuthlich bald abreisen, und dann zu Köln im Mainzerhofe logiren würde, im Fall der Abreise nachzufolgen und zu berichten, wohin sie ginge. Als sie daher am 20. August wirklich abgereist, sei er ohne nochmaligen speziellen Auftrag ein paar Stationen weit mit ihr gefahren, und dann wieder umgekehrt, bloß um den Schein des Diensteifers zu bewahren, da er voraussetzte, daß er selbst von Lasalle beobachtet werde. Daß er dem begegnenden Mendelssohhn zugerufen: „im Mainzerhofe“ habe keinen andern Grund gehabt, als die frühere Mittheilung des Lasalle. Der Angeklagte beschränkt sich nicht darauf, den direkten Gegenbeweis gegen das Zeugniß des H .... zu führen, und dessen innere Unglaubwürdigkeit darzuthun, sondern hat auch eine Menge Thatsachen artikulirt, woraus hervorgehen soll, daß H.... von der Parthei des Grafen, namentlich durch dessen Hauptagenten, den Kaufmann von Stockum zu Düsseldorf zu falschen Zeugnissen gegen ihn und die Gräfin bestochen worden sei. H.... verließ den Dienst des Lassalle kurz vor dessen Verhaftung, die gerade durch seine Aussage veranlaßt worden, im März, 1847. Um diese Zeit, wie von mehrern Zeugen angegeben wird, die sich damals um die Gräfin in Deutz befanden, kam der Referendar Meyer aus Ehrenbreitstein (auch ein Anhänger der Gräfin) zu ihr herein und warnte sie vor H...., weil er so eben auf der Brücke zugegen gewesen sei, als der Arnold Goedsche, hastig auf den von Stockum zustürzend, demselben zugerufen habe: „Triumph! wir haben den H.... er thut und sagt alles, war wir wollen, wenn wir ihm eine Bierwirthschaft in Belin einrichten.“ ‒ Andre Zeugen sprechen von 250 Thlrn., die er dazu erhalten habe, und der Barbier Ludwig Schafhausen zu Bilk will dies aus des H.... eigenem Munde gehört haben. Ob aber H.... durch dergleichen Vortheile nicht bloß zur Aufdeckung der wahren, sondern auch zur Aussage falscher Thatsachen veranlaßt worden, ist eine andere Frage. Die Behörde in Berlin giebt wenigstens seiner Moralität und dortigen Führung ein gutes Zeugniß.

Diesemnach wird Ferdinand Lassalle angeklagt:

Den Dr. Mendelssohn zur Begehung des von demselben am 21. August 1846 in dem Gasthof zum Mainzerhofe, woselbst er damals als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Kassette nebst Inhalt, welche der in demselben Gasthofe sich aufhaltenden Frau von Meyendorff gehörte, durch Geschenke verleitet und demselben Anweisungen, so wie auch Mittel zum Zweck der Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben.

Verbrechen gegen Art. 386 Nr. 4 und Art. 60 des Strafgesetzbuches.

Köln, den 19. Mai 1848.

Der General-Prokurator beim königl. rhein. Appellationsgerichtshofe.

(gez.) Nicolovius.

Nach Verlesung des Anklageaktes und nachdem das öffentliche Ministerium den Gegenstand der Anklage und die Beweismittel auseinandergesetzt hatte, die zur Begründung der Anklage vorgebracht werden sollen, wurden die Belastungs- und Schutzzeugen aufgerufen; es ergab, daß es im Ganzen 116, zur Belastung 45 zur Vertheidigung 71 sind. Gegen einige Zeugen wurden auf den Antrag des Vertheidigers, der behauptete, sie seien bei Seite geschafft worden, um bei der Prozedur nicht erscheinen zu müssen, von dem Präsidenten Vorführungsbefehle erlassen. An die anwesenden Zeugen richtete alsdann der Präsident energische Worte. Wenn je es ihm zur Pflicht gemacht sei, die Zeugen zum Bekenntniß der Wahrheit aufzufordern, so sei das ganz besonders im heutigen Prozesse der Fall, wo zwei Partheien mit den widersprechendsten Zeugnissen sich entgegenständen und wenn die Vorwürfe gegen einander wahr seien ‒ Vorwürfe, die in einen Abgrund von Bosheit, Verdorbenheit und Schlechtigkeit blicken ließen ‒ so müßten heute statt einer, zwanzig Personen auf der Bank der Angeklagten sitzen. Er werde daher mit der größten Strenge die Zeugenaussagen prüfen und unnachsichtlich verfahren, wo es sich herausstellen sollte, daß die Unwahrheit gesagt, oder die Wahrheit verschwiegen werde.

Die Zeugen treten hierauf ab, und der Präsident schritt zum Verhör des Angeklagten.

(Forts. folgt.)

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        <head>Fruchtpreise.</head>
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        <head>[Gerichtsprotokoll]</head>
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          <head>Kriminal-Prozedur gegen Ferdinand Lassalle wegen Verleitung zum Diebstahl.</head>
          <p>Sitzung vom 5. August 1848.</p>
          <p>Präsident: Appellationsgerichtsrath von Ammon; öffentliches Ministerium: Staatsprokurator       von Ammon; Vertheidiger: Advokat Schneider II.</p>
          <p> <hi rendition="#b">Verweisungserkenntniß und Anklageschrift.</hi> </p>
          <p>Wir <hi rendition="#g">Friedrich Wilhelm u. s. f.</hi> thun kund und fügen hiermit zu       wissen, daß der Rheinische Appellationsgerichtshof zu Köln folgende Entscheidung erlassen       hat.</p>
          <p>In Untersuchungssachen</p>
          <p>wider</p>
          <p>Ferdinand Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, geboren zu Breslau, zuletzt in Berlin       wohnhaft, beschuldigt:</p>
          <p>den Dr. Arnold Mendelsohn durch Anschläge und sträfliche Kunstgriffe zur Begehung des von       demselben am 12. August 1846 in dem Gasthofe zum Mainzer-Hofe, woselbst er damals als Gast       aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Kassette mit Inhalt, welche der in demselben       Gasthofe sich aufhaltenden Frau von Meyendorf gehörte, verleitet, und Anweisungen, wie auch       Geld, zum Zweck der Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben.</p>
          <p>Nach Anhörung des Vortrags des königl. Prokurators Herrn Eversmann, nach Vorlesung der       betreffenden Aktenstücke, nach Einsicht des Kriminal-Arrestbefehls der Rathskammer des k.       Landgerichts zu Köln vom 27. April dieses Jahres des Inhaltes:</p>
          <p>Befiehlt, daß der Ferdinand Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, geboren zu Breslau, zuletzt       wohnhaft zu Berlin, 5 Fuß 6 Zoll groß, mit braunen krausen Haaren, freier Stirn, braunen       Augenbraunen, dunkelblauen Augen, proportionirter Nase und Munde, rundem Kinn, länglichem       Gesicht und schlanker Statur, in enge Haft genommen und in dasjenige Kriminal-Gefängniß       abgeführt werden soll, welches vom Anklagesenat näher bestimmt werden wird.</p>
          <p>Nach Vernehmung des Antrags des Herrn Prokurators, welcher schriftlich zu den Akten gegeben       wurde, und dahin geht: der königliche App. G. H. wolle den Beschuldigten außer Verfolgung       setzen und seine Freilassung verordnen.</p>
          <p>In Erwägung, daß Ferdinand Lassalle genügend beschwert ist, den Dr. Arnold Mendelssohn zur       Begehung des von demselben am 1. August 1846 im Gasthof zum Mainzerhofe, woselbst er damals       als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Cassette nebst Inhalt, welche der in       demselben Gasthof sich aufhaltenden Frau von Meyendorff gehörte, durch Geschenke verleitet,       und demselben Anweisungen sowie auch Mittel zum Zwecke der Ausführung dieses Diebstahls       gegeben zu haben.</p>
          <p>Verbrechen gegen Art. 386 Nr. 4 u. Art. 60 des St. G. B. Erkennt der A. G. H. die Anklage       wider Ferdinand Lassalle, verweiset denselben an den Assisenhof zu Köln, verordnet, daß ein       Anklageakt gegen ihn von dem öffentlichen Ministerium gefertigt und er in Vollzug des       Kriminal-Arrestbefehls in das Justiz Arresthaus daselbst abgeführt werden soll.</p>
          <p>Abgeurtheilt zu Köln den 12. Mai 1848 von dem Anklagesenat, wo anwesend waren die Herren:       Geheimer Justizrath Schmitz, Senatspräsident, Krey, v. Gerolt, Hermes, Leue,       Appellations-Gerichtsräthe, Hermanns, Sekretär, welche unterzeichnet haben, (unterzeichnet)       Schmitz, Krey, v. Gerolt, Leue, Hermes, Hermanns.</p>
          <p>Befehlen und verordnen zugleich allen ersuchten Gerichtsvollziehern diese Entscheidung zu       vollstrecken, Unserm General-Prokurator und Unsern Prokuratoren bei dem Landgericht hierauf zu       halten, allen Beamten der öffentlichen Macht auf Ersuchen starke Hand dazu zu leisten.</p>
          <p>Zur Urkunde dessen ist diese Entscheidung auf der Urschrift unterschrieben worden.</p>
          <p>Für gleichlautende Ausfertigung, welche dem königlichen Hrn. General-Prokurator mitgetheilt       wird.</p>
          <p><bibl>(L. S.)</bibl>Der Sekretär gez. <hi rendition="#g">Hermanns.</hi> </p>
        </div>
        <div xml:id="ar067b2_006" type="jArticle">
          <head>Anklageschrift</head>
          <p>gegen</p>
          <p>F. Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, in Breslau geboren und zuletzt in Berlin       wohnhaft.</p>
          <p>Zum dritten Mal ist der berüchtigte Kassettendiebstahl Gegenstand einer öffentlichen       Kriminalverhandlung. Die aus den frühern Prozeduren bekannten und feststehenden Thatsachen       bedürfen nur einer kurzen Wiederholung. Der Graf und die Gräfin von Hatzfeld leben seit       längerer Zeit getrennt und im Unfrieden. Gerichtliche Klagen sind zwischen ihnen anhängig, und       sie haben sich mit Leuten umgeben, die theils aus Freundschaft, theils aus Eigennutz das       Interesse des einen Theils gegen den andern fördern. So waren zum Dienste der Gräfin verbunden       der Jurist Oppenheim, der Mediciner Mendelssohn und der Licenziat der Philosophie Lassalle. Im       Juli 1846 reisen sie von Berlin an den Rhein, um im Interesse ihrer Herrin thätig zu sein, und       im Aug. sind sie zusammen mit der Gräfin in Aachen, wo um dieselbe Zeit der Graf sich aufhielt       und eine Baronin v. Meyendorff, von der es hieß, daß sie in vertrauten Verhältnissen zu dem       Grafen stehe. Das Augenmerk der Verbundenen war darauf gerichtet, sich Briefe des Grafen zur       Begründung einer Klage zu verschaffen, und als Episoda kommt ein gelungener Versuch der Art       vor, wo der Student K&#x2026;, ein untergeordnetes Werkzeug der Gräfin, an der Post zu Aachen einen       Brief des Grafen an die Baronin abnahm und in die Hände des Lassalle und der Gräfin       lieferte.</p>
          <p>Ein weiters Bestreben der Gräfin und ihrer Freunde ging dahin, in Besitz eines       Leibrentenvertrags zu gelangen, wodurch angeblich der Graf der Baronin v. Meyendorff eine       jährliche Rente von 25,000 Fr. ohne Gegenleistung ausgesetzt haben sollte.Am 20. August (1846)       erfuhren die Verbundenen durch den erwähnten K&#x2026;, dem die besondere Rolle zugetheilt war, die       Baronin zu beobachten, daß dieselbe auf dem Punkte sei, nach Köln zu reisen. Sofort       beschlossen sie ihr nachzureisen. Mendelssohn fuhr zuerst mit einem Nachmittagszuge ab, und       begegnete unterwegs dem von Köln zurückkehrenden K&#x2026;, der mit demselben Zuge, auf dem die       Baronin gefahren war, hatte vorausreisen müssen, und ihm nun zurief: &#x201E;im Mainzer Hof.&#x201C; Dann       folgt mit dem letzten Zuge Oppenheim und K&#x2026; Lassalle blieb in Aachen zurück. Mendelssohn,       Oppenheim und Kurz kehrten in dem Mainzerhofe ein, wo die Baronin Meyendorff abgetreten war.       Sie schrieben sich unter falschen Namen ins Fremdenbuch ein: Kronecker, Ullmann und Hubrig. Am       folgenden Morgen wollte die Baronin weiterreisen, ihre Leute waren beschäftigt, ihre Effekten       herbeizuschaffen; diese standen zum Theil auf dem Gange vor dem Zimmer der Baronin, darunter       ihre verschlossene Kassette.</p>
          <p>Oppenheim nimmt die Gelegenheit wahr, unbemerkt die Kassette fortzunehmen, und bringt sie in       das nebenanliegende Zimmer seines Freundes Mendelssohn, der sie in seinem Koffer birgt, und       Beide eilen dann in einer Droschke davon.</p>
          <p>Der Kutscher hatte die Weisung, nach dem Rheine zu fahren, unterwegs aber erhielt er seine       andere Bestimmung: Oppenheim stieg aus, und Mendelssohn fuhr mit den Sachen nach dem Bonner       Bahnhofe, wo eben der erste Morgenzug 6 3/4 Uhr im Begriff war abzugehen. Im Mainzer Hofe war       indessen die Kassette gleich vermißt worden, und der Verdacht auf die beiden so eben       abgereisten Fremden gefallen. Zufällig erhielt der Lohndiener Jacob Esser Nachricht von ihnen       durch den Kutscher, der sie gefahren hatte, und den er am Bonner Bahnhofe traf. Er fand den       angeblichen Kronecker schon im Wagen sitzen, fragte ihn, ob er vielleicht irrthümlich fremde       Effekten mitgenommen habe und entschloß sich, da ihm dies verneint wurde, sammt der       Kammerjungfer der Baronin mit demselben Zuge mitzufahren. Auf der Station Brühl stieg       Kronecker-Mendelssohn aus und kam nicht wieder. Die Kammerjungfer fuhr weiter bis Bonn, wo mit       dem folgenden Zuge auch der Gastwirth Welter ankam. Sie wandten sich an die Polizei und es       wurden die von dem Entflohenen zurückgelassenen Effekten in Beschlag genommen. Hier fand sich       denn die vermißte Kassette in dem Koffer des Mendelssohn vor. Sie enthielt nach der hierüber       von dem Untersuchungsrichter zu Köln aufgenommenen Verhandlung außer verschiedenen       Gegenständen des Schmuckes und der Toilette eine Summe von 3000 Frcs. in französischem Golde       und eine Mappe mit Familienpapieren und Correspondenzen, wovon der Untersuchungsrichter       bekundet, daß darunter keine vom Grafen Hatzfeld unterzeichneten oder auf ein Verhältniß       zwischen ihm und der Baronin Meyendorf bezügliche Scripturen sich befunden haben. Der       sämmtliche Inhalt wurde der Baronin zurückgegeben.</p>
          <p>Oppenheim war schon um Mittag am 21. August wieder in Aachen und brachte die Nachricht, daß       Mendelssohn die Kassette habe. Am Abend kam dieser selbst und berichtete den übeln Ausgang des       Unternehmens. Am folgenden Tage flüchtete er über die Gränze, Oppenheim aber reiste mit       Lassalle nach Köln und meldete sich am 24. August dem Königlichen Ober-Prokurator an, in der       Hoffnung, durch seine Darstellung der Sache sich von allem Verdachte zu reinigen, und wieder       zum Besitze seines mit dem Mendelssohn'schen Koffer sequestrirten Reisesackes zu gelangen. Er       ward jedoch zur gerichtlichen Untersuchung gezogen, welche sich mit seiner Freisprechung       endete. Während der Dauer dieser Untersuchung und bis zum Herbst des folgenden Jahres hielt       sich Lassalle mit der Gräfin Hatzfeld zumeist im Gasthofe Belle vue zu Deutz auf, von wo aus       er in der ersten Zeit auch für seinen verhafteten Freund Oppenheim zu wirken sich bemühte. Da       es ihm dabei auf die Mittel nicht ankam, so ergriff er eins, was ihm späterhin, als die Sache       entdeckt wurde, eine Criminal-Untersuchung und Haft vom 26. März bis 8. Mai 1847 zuzog, wegen       der Beschuldigung, Briefe, welche zu den Akten der Kriminal-Prozedur gegen Oppenheim gehörten,       deren Einsicht er sich durch List und Bestechung zu verschaffen gewußt hatte, freiwillig       zerstört zu haben. Als diese Untersuchung gegen ihn begann, welche aus juristischen Gründen       von dem Anklage-Senate des App. G. H. niedergeschlagen ist, hatten einige untergeordnete       Agenten die Gräfin verlassen und waren zur Gegenparthei übergetreten, nämlich der mehrerwähnte       Paul Kurz und sein Vater Johann Kurz Kammerdiener der Gräfin und Friedrich Wilhelm Hoppe aus       Berlin, Bedienter des Lassalle, den derselbe Franz nannte. Dieser Hoppe war es hauptsächlich,       der durch seine Aussagen die Verhaftung des Lassalle im März 1847 veranlaßte.</p>
          <p>Nachdem Mendelssohn im Vertrauen auf den günstigen Ausgang der Oppenheim'schen Prozedur sich       zur Untersuchung gestellt hatte, wurde Hoppe, der indessen ein Viktualiengeschäft in Berlin       begonnen hatte, auch über den Kassettendiebstahl vernommen, und deponirte in Berlin am 3. und       5. August 1847 wie folgt:</p>
          <p>Ehe Mendelssohn am 20. August 1846 der Baronin Meyendorff nachreis'te sei derselbe bei       Lassalle gewesen, und hier habe er (Zeuge) den Letztern zu dem Ersten sagen hören, er sollte       soweit reisen, als nöthig, und solle er suchen, die Kassette der Baronin an sich zu bringen,       oder auch deren Papiere. Oefters habe er gesehen, daß Lassalle, (welcher immer der Anstifter       der Pläne gewesen) Mendelssohn's Rechnungen bezahlte, und ihm auch baares Geld gab, und       namentlch sei dies auch geschehen bei seiner Abreise nach Köln Diese Aussage bestätigte H &#x2026;       vor dem Assisenhofe an 10. Febr. d. J. mit den Worten:</p>
          <p>&#x201E;Als der Angeklagte Mendelssohn am 20. August 1841 von Lassalle den bestimmten Auftrag       erhielt, der Baronin nachzureisen, so weit es ginge, um von ihr den vermutheten Vertrag sich       auf jede Weise zu verschaffen, erhielt er, wie ich gesehen habe, von Lassalle ebenfalls Geld       zu dieser Reise, wie er solches auch schon früher mehrere Male erhalten hatte.&#x201C;</p>
          <p>In Folge dieser Aussagen, und anderer bei den Verhandlungen vorgekommenen, den Lassalle       beschwerenden Umständen nahm am 11. Fbr. d. J. der k. Oberprokurator Antrag gegen ihn als den       intellektuellen Urheber bei dem Kassettendiebstahl. Er wurde auf erlassenen Vorführungsbefehl       am 20. Fbr. zu Potsdam verhaftet und nach Köln geführt. Seine Erklärung ist folgende: Er sei,       wie auch Oppenheim, General-Bevollmächtigter der Gräfin Hatzfeldt in ihren Angelegenheiten mit       dem Grafen, und habe sich besonders bemüht, über dessen Verhältniß mit der Baronin Meyendorff,       sowie über die Existenz des vorerwähnten Leibrentenvertrags Gewißheit zu verschaffen, habe       daher den K &#x2026; von Düsseldorf nach Aachen kommen lassen, um den Grafen und die Baronin zu       beobachten. Eines Morgens, den zwanzigsten August, sei dieser K &#x2026; plötzlich mit der Meldung       gekommen, daß die Baronin mit ihren Effekten eben nach der Eisenbahn gefahren sei, worauf er       zu Oppenheim und Mendelssohn gesagt habe, daß sie ihr auf der Stelle folgen müßten, um sie zu       beobachten und sich auf jede Weise Gewißheit zu verschaffen, wie es mit dem Leibrentenvertrage       stände. Er habe bei diesem Auftrage oder Rath, denn er habe keine Autorität über Oppenheim und       Mendelssohn gehabt, keine Mittel angegeben, wodurch sie den Zweck erreichen sollten, am       wenigsten habe es ihm einfallen können, ihnen strafbare Mittel an die Hand zu geben,       namentlich von Wegnahme einer Kassette zu sprechen, da er weder gewußt, noch habe wissen       können, daß die Meyendorff ihre Papiere in einer Kassette verwahre. Im Gegentheil habe er dem       Oppenheim, als derselbe bei seiner Rückkehr die Entwendung der Kassette berichtet, Vorwürfe       über diese Handlung gemacht. Der Angeklagte leugnet sodann, dem Mendelssohn vor seiner Abreise       nach Köln Geld gegeben zu haben, und bemerkt im Allgemeinen: Mendelssohn sei hinreichend mit       Geld versehen gewesen, da er noch kurz zuvor sein mütterliches Erbtheil mit 1500 Thalern       erhoben habe. Zuweilen habe Mendelssohn ihm Geld in Verwahrung gegeben, was er demselben dann       und wann zurückgegeben, aber auch das, wie er sich bestimmt erinnert, sei damals nicht der       Fall gewesen.</p>
          <p>Die Aussage des H .... erklärt der Angeklagte für eine Lüge, und behauptet, daß derselbe die       von ihm bezeugten Umstände gar nicht habe wahrnehmen können. Er sei nämlich mit Oppenheim und       Mendelssohn in dem Zimmer der Gräfin gewesen, als K&#x2026; die Nachricht von der Abreise der Baronin       gebracht habe; dies Zimmer habe er bis zur wirklichen Abreise des Mendelssohns nicht       verlassen, und andrerseits sei H .... gar nicht in dies Zimmer gekommen. Er beruft sich       hierüber auf Mendelssohn, und auf den Grafen Paul, Sohn der Gräfin Hatzfeldt. Graf Paul hat       bei seiner Vernehmung die Angabe des Lassalle bestätigt. Er wohnte mit seiner Mutter im       Gasthofe &#x201E;zu den vier Jahreszeiten&#x201C; bei Kostelletzki, ebendaselbst Lasalle, und Oppenheim und       Mendelssohn in einem andern Gasthofe (bei Nuellens). Sie waren alle beisammen, sagt der Zeuge,       im Zimmer der Mutter, als K&#x2026; gegen Mittag mit der Nachricht hereinkam. Sie waren alle sehr       bestürzt darüber, und Oppenheim sprach zuerst die Ansicht aus, man dürfe die Meyendorff nicht       aus den Augen verlieren, und er wolle ihr nachreisen, um zu sehen, mit wem sie zusammentreffe,       und was sie vorhabe. Lassalle billigte diese Ansicht, worauf Oppenheim den Mendelssohn       ersuchte, ihn zu begleiten. Mendelssohn erklärt sich bereit, und beide verabschiedeten sich       sofort. Kurze Zeit nachher kehrten sie noch einmal zurück, um mitzutheilen, daß sie nicht so       rasch hätten fertig werden können, daher den K&#x2026; vorausgeschickt hätten, und mit dem nächsten       Zuge folgen würden, demnach entfernten sie sich wieder und kamen erst am folgenden Tage       zurück. Während aller jener Zeit habe Lassalle das Zimmer nicht verlassen, und sei H ...., der       mit der übrigen Dienerschaft einen andern Flügel bewohnte, nicht in dem Zimmer gewesen. Auch       gibt der Zeuge an, daß Lassalle dem Mendelssohn kein Geld gegeben, und am andern Tage dem       Oppenheim seine unüberlegte Handlung vorgeworfen habe.</p>
          <p>Im Widerspruch mit diesem Zeugniß erklärt der im Laufe der Untersuchung wiederholt       vernommene Hoppe: es sei in dem Zimmer des Lassalle Salon Nr. 7 gewesen, wo Mendelssohn sich       bei dem Lassalle eingefunden habe. Er selbst habe sich in der anstoßenden Schlafstube, deren       Thür halb geöffnet, befunden, und von hier aus die Worte des Lassalle gehört, die er nun so       referirt: &#x201E;Du mußt ihr, (der Meyendorf nämlich), nachreisen, selbst auch in's Ausland, wohin       sie gehen wird, und richtest dein Augenmerk auf die Kassette, worin die Papiere sind, und       nimmst sie weg, wo du die erste Gelegeheit dazu findest.</p>
          <p>&#x201E;Hierbei,&#x201C; fährt der Zeuge fort, &#x201E;gab Lassalle dem Mendelssohn einige Goldstücke in die       Hand, welche dieser in seine Börse steckte. Bei der Gräfin sei die Gesellschaft erst später       zusammengekommen. Hoppe so wenig, wie der gleichfalls vernommene Paul Kurz erwähnen der       vorgegangenen Meldung des Letzteren von der Abreise der Baronin. Kurz sagt, er habe schon zwei       oder drei Tage zuvor, von Lasalle den Auftrag erhalten, der Frau von Meyendorff, welche       vermuthlich bald abreisen, und dann zu Köln im Mainzerhofe logiren würde, im Fall der Abreise       nachzufolgen und zu berichten, wohin sie ginge. Als sie daher am 20. August wirklich       abgereist, sei er ohne nochmaligen speziellen Auftrag ein paar Stationen weit mit ihr       gefahren, und dann wieder umgekehrt, bloß um den Schein des Diensteifers zu bewahren, da er       voraussetzte, daß er selbst von Lasalle beobachtet werde. Daß er dem begegnenden Mendelssohhn       zugerufen: &#x201E;im Mainzerhofe&#x201C; habe keinen andern Grund gehabt, als die frühere Mittheilung des       Lasalle. Der Angeklagte beschränkt sich nicht darauf, den direkten Gegenbeweis gegen das       Zeugniß des H .... zu führen, und dessen innere Unglaubwürdigkeit darzuthun, sondern hat auch       eine Menge Thatsachen artikulirt, woraus hervorgehen soll, daß H.... von der Parthei des       Grafen, namentlich durch dessen Hauptagenten, den Kaufmann von Stockum zu Düsseldorf zu       falschen Zeugnissen gegen ihn und die Gräfin bestochen worden sei. H.... verließ den Dienst       des Lassalle kurz vor dessen Verhaftung, die gerade durch seine Aussage veranlaßt worden, im       März, 1847. Um diese Zeit, wie von mehrern Zeugen angegeben wird, die sich damals um die       Gräfin in Deutz befanden, kam der Referendar Meyer aus Ehrenbreitstein (auch ein Anhänger der       Gräfin) zu ihr herein und warnte sie vor H...., weil er so eben auf der Brücke zugegen gewesen       sei, als der Arnold Goedsche, hastig auf den von Stockum zustürzend, demselben zugerufen habe:       &#x201E;Triumph! wir haben den H.... er thut und sagt alles, war wir wollen, wenn wir ihm eine       Bierwirthschaft in Belin einrichten.&#x201C; &#x2012; Andre Zeugen sprechen von 250 Thlrn., die er dazu       erhalten habe, und der Barbier Ludwig Schafhausen zu Bilk will dies aus des H.... eigenem       Munde gehört haben. Ob aber H.... durch dergleichen Vortheile nicht bloß zur Aufdeckung der       wahren, sondern auch zur Aussage falscher Thatsachen veranlaßt worden, ist eine andere Frage.       Die Behörde in Berlin giebt wenigstens seiner Moralität und dortigen Führung ein gutes       Zeugniß.</p>
          <p>Diesemnach wird Ferdinand Lassalle angeklagt:</p>
          <p>Den Dr. Mendelssohn zur Begehung des von demselben am 21. August 1846 in dem Gasthof zum       Mainzerhofe, woselbst er damals als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Kassette       nebst Inhalt, welche der in demselben Gasthofe sich aufhaltenden Frau von Meyendorff gehörte,       durch Geschenke verleitet und demselben Anweisungen, so wie auch Mittel zum Zweck der       Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben.</p>
          <p>Verbrechen gegen Art. 386 Nr. 4 und Art. 60 des Strafgesetzbuches.</p>
          <p>Köln, den 19. Mai 1848.</p>
          <p>Der General-Prokurator beim königl. rhein. Appellationsgerichtshofe.</p>
          <p>(gez.) <hi rendition="#g">Nicolovius.</hi> </p>
          <p>Nach Verlesung des Anklageaktes und nachdem das öffentliche Ministerium den Gegenstand der       Anklage und die Beweismittel auseinandergesetzt hatte, die zur Begründung der Anklage       vorgebracht werden sollen, wurden die Belastungs- und Schutzzeugen aufgerufen; es ergab, daß       es im Ganzen 116, zur Belastung 45 zur Vertheidigung 71 sind. Gegen einige Zeugen wurden auf       den Antrag des Vertheidigers, der behauptete, sie seien bei Seite geschafft worden, um bei der       Prozedur nicht erscheinen zu müssen, von dem Präsidenten Vorführungsbefehle erlassen. An die       anwesenden Zeugen richtete alsdann der Präsident energische Worte. Wenn je es ihm zur Pflicht       gemacht sei, die Zeugen zum Bekenntniß der Wahrheit aufzufordern, so sei das ganz besonders im       heutigen Prozesse der Fall, wo zwei Partheien mit den widersprechendsten Zeugnissen sich       entgegenständen und wenn die Vorwürfe gegen einander wahr seien &#x2012; Vorwürfe, die in einen       Abgrund von Bosheit, Verdorbenheit und Schlechtigkeit blicken ließen &#x2012; so müßten heute statt       einer, zwanzig Personen auf der Bank der Angeklagten sitzen. Er werde daher mit der größten       Strenge die Zeugenaussagen prüfen und unnachsichtlich verfahren, wo es sich herausstellen       sollte, daß die Unwahrheit gesagt, oder die Wahrheit verschwiegen werde.</p>
          <p>Die Zeugen treten hierauf ab, und der Präsident schritt zum Verhör des Angeklagten.</p>
          <p>
            <ref type="link">(Forts. folgt.)</ref>
          </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340/0002] Fruchtpreise. _ [Gerichtsprotokoll] Kriminal-Prozedur gegen Ferdinand Lassalle wegen Verleitung zum Diebstahl. Sitzung vom 5. August 1848. Präsident: Appellationsgerichtsrath von Ammon; öffentliches Ministerium: Staatsprokurator von Ammon; Vertheidiger: Advokat Schneider II. Verweisungserkenntniß und Anklageschrift. Wir Friedrich Wilhelm u. s. f. thun kund und fügen hiermit zu wissen, daß der Rheinische Appellationsgerichtshof zu Köln folgende Entscheidung erlassen hat. In Untersuchungssachen wider Ferdinand Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, geboren zu Breslau, zuletzt in Berlin wohnhaft, beschuldigt: den Dr. Arnold Mendelsohn durch Anschläge und sträfliche Kunstgriffe zur Begehung des von demselben am 12. August 1846 in dem Gasthofe zum Mainzer-Hofe, woselbst er damals als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Kassette mit Inhalt, welche der in demselben Gasthofe sich aufhaltenden Frau von Meyendorf gehörte, verleitet, und Anweisungen, wie auch Geld, zum Zweck der Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben. Nach Anhörung des Vortrags des königl. Prokurators Herrn Eversmann, nach Vorlesung der betreffenden Aktenstücke, nach Einsicht des Kriminal-Arrestbefehls der Rathskammer des k. Landgerichts zu Köln vom 27. April dieses Jahres des Inhaltes: Befiehlt, daß der Ferdinand Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, geboren zu Breslau, zuletzt wohnhaft zu Berlin, 5 Fuß 6 Zoll groß, mit braunen krausen Haaren, freier Stirn, braunen Augenbraunen, dunkelblauen Augen, proportionirter Nase und Munde, rundem Kinn, länglichem Gesicht und schlanker Statur, in enge Haft genommen und in dasjenige Kriminal-Gefängniß abgeführt werden soll, welches vom Anklagesenat näher bestimmt werden wird. Nach Vernehmung des Antrags des Herrn Prokurators, welcher schriftlich zu den Akten gegeben wurde, und dahin geht: der königliche App. G. H. wolle den Beschuldigten außer Verfolgung setzen und seine Freilassung verordnen. In Erwägung, daß Ferdinand Lassalle genügend beschwert ist, den Dr. Arnold Mendelssohn zur Begehung des von demselben am 1. August 1846 im Gasthof zum Mainzerhofe, woselbst er damals als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Cassette nebst Inhalt, welche der in demselben Gasthof sich aufhaltenden Frau von Meyendorff gehörte, durch Geschenke verleitet, und demselben Anweisungen sowie auch Mittel zum Zwecke der Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben. Verbrechen gegen Art. 386 Nr. 4 u. Art. 60 des St. G. B. Erkennt der A. G. H. die Anklage wider Ferdinand Lassalle, verweiset denselben an den Assisenhof zu Köln, verordnet, daß ein Anklageakt gegen ihn von dem öffentlichen Ministerium gefertigt und er in Vollzug des Kriminal-Arrestbefehls in das Justiz Arresthaus daselbst abgeführt werden soll. Abgeurtheilt zu Köln den 12. Mai 1848 von dem Anklagesenat, wo anwesend waren die Herren: Geheimer Justizrath Schmitz, Senatspräsident, Krey, v. Gerolt, Hermes, Leue, Appellations-Gerichtsräthe, Hermanns, Sekretär, welche unterzeichnet haben, (unterzeichnet) Schmitz, Krey, v. Gerolt, Leue, Hermes, Hermanns. Befehlen und verordnen zugleich allen ersuchten Gerichtsvollziehern diese Entscheidung zu vollstrecken, Unserm General-Prokurator und Unsern Prokuratoren bei dem Landgericht hierauf zu halten, allen Beamten der öffentlichen Macht auf Ersuchen starke Hand dazu zu leisten. Zur Urkunde dessen ist diese Entscheidung auf der Urschrift unterschrieben worden. Für gleichlautende Ausfertigung, welche dem königlichen Hrn. General-Prokurator mitgetheilt wird. (L. S.)Der Sekretär gez. Hermanns. Anklageschrift gegen F. Lassalle, 23 Jahre alt, Privatmann, in Breslau geboren und zuletzt in Berlin wohnhaft. Zum dritten Mal ist der berüchtigte Kassettendiebstahl Gegenstand einer öffentlichen Kriminalverhandlung. Die aus den frühern Prozeduren bekannten und feststehenden Thatsachen bedürfen nur einer kurzen Wiederholung. Der Graf und die Gräfin von Hatzfeld leben seit längerer Zeit getrennt und im Unfrieden. Gerichtliche Klagen sind zwischen ihnen anhängig, und sie haben sich mit Leuten umgeben, die theils aus Freundschaft, theils aus Eigennutz das Interesse des einen Theils gegen den andern fördern. So waren zum Dienste der Gräfin verbunden der Jurist Oppenheim, der Mediciner Mendelssohn und der Licenziat der Philosophie Lassalle. Im Juli 1846 reisen sie von Berlin an den Rhein, um im Interesse ihrer Herrin thätig zu sein, und im Aug. sind sie zusammen mit der Gräfin in Aachen, wo um dieselbe Zeit der Graf sich aufhielt und eine Baronin v. Meyendorff, von der es hieß, daß sie in vertrauten Verhältnissen zu dem Grafen stehe. Das Augenmerk der Verbundenen war darauf gerichtet, sich Briefe des Grafen zur Begründung einer Klage zu verschaffen, und als Episoda kommt ein gelungener Versuch der Art vor, wo der Student K…, ein untergeordnetes Werkzeug der Gräfin, an der Post zu Aachen einen Brief des Grafen an die Baronin abnahm und in die Hände des Lassalle und der Gräfin lieferte. Ein weiters Bestreben der Gräfin und ihrer Freunde ging dahin, in Besitz eines Leibrentenvertrags zu gelangen, wodurch angeblich der Graf der Baronin v. Meyendorff eine jährliche Rente von 25,000 Fr. ohne Gegenleistung ausgesetzt haben sollte.Am 20. August (1846) erfuhren die Verbundenen durch den erwähnten K…, dem die besondere Rolle zugetheilt war, die Baronin zu beobachten, daß dieselbe auf dem Punkte sei, nach Köln zu reisen. Sofort beschlossen sie ihr nachzureisen. Mendelssohn fuhr zuerst mit einem Nachmittagszuge ab, und begegnete unterwegs dem von Köln zurückkehrenden K…, der mit demselben Zuge, auf dem die Baronin gefahren war, hatte vorausreisen müssen, und ihm nun zurief: „im Mainzer Hof.“ Dann folgt mit dem letzten Zuge Oppenheim und K… Lassalle blieb in Aachen zurück. Mendelssohn, Oppenheim und Kurz kehrten in dem Mainzerhofe ein, wo die Baronin Meyendorff abgetreten war. Sie schrieben sich unter falschen Namen ins Fremdenbuch ein: Kronecker, Ullmann und Hubrig. Am folgenden Morgen wollte die Baronin weiterreisen, ihre Leute waren beschäftigt, ihre Effekten herbeizuschaffen; diese standen zum Theil auf dem Gange vor dem Zimmer der Baronin, darunter ihre verschlossene Kassette. Oppenheim nimmt die Gelegenheit wahr, unbemerkt die Kassette fortzunehmen, und bringt sie in das nebenanliegende Zimmer seines Freundes Mendelssohn, der sie in seinem Koffer birgt, und Beide eilen dann in einer Droschke davon. Der Kutscher hatte die Weisung, nach dem Rheine zu fahren, unterwegs aber erhielt er seine andere Bestimmung: Oppenheim stieg aus, und Mendelssohn fuhr mit den Sachen nach dem Bonner Bahnhofe, wo eben der erste Morgenzug 6 3/4 Uhr im Begriff war abzugehen. Im Mainzer Hofe war indessen die Kassette gleich vermißt worden, und der Verdacht auf die beiden so eben abgereisten Fremden gefallen. Zufällig erhielt der Lohndiener Jacob Esser Nachricht von ihnen durch den Kutscher, der sie gefahren hatte, und den er am Bonner Bahnhofe traf. Er fand den angeblichen Kronecker schon im Wagen sitzen, fragte ihn, ob er vielleicht irrthümlich fremde Effekten mitgenommen habe und entschloß sich, da ihm dies verneint wurde, sammt der Kammerjungfer der Baronin mit demselben Zuge mitzufahren. Auf der Station Brühl stieg Kronecker-Mendelssohn aus und kam nicht wieder. Die Kammerjungfer fuhr weiter bis Bonn, wo mit dem folgenden Zuge auch der Gastwirth Welter ankam. Sie wandten sich an die Polizei und es wurden die von dem Entflohenen zurückgelassenen Effekten in Beschlag genommen. Hier fand sich denn die vermißte Kassette in dem Koffer des Mendelssohn vor. Sie enthielt nach der hierüber von dem Untersuchungsrichter zu Köln aufgenommenen Verhandlung außer verschiedenen Gegenständen des Schmuckes und der Toilette eine Summe von 3000 Frcs. in französischem Golde und eine Mappe mit Familienpapieren und Correspondenzen, wovon der Untersuchungsrichter bekundet, daß darunter keine vom Grafen Hatzfeld unterzeichneten oder auf ein Verhältniß zwischen ihm und der Baronin Meyendorf bezügliche Scripturen sich befunden haben. Der sämmtliche Inhalt wurde der Baronin zurückgegeben. Oppenheim war schon um Mittag am 21. August wieder in Aachen und brachte die Nachricht, daß Mendelssohn die Kassette habe. Am Abend kam dieser selbst und berichtete den übeln Ausgang des Unternehmens. Am folgenden Tage flüchtete er über die Gränze, Oppenheim aber reiste mit Lassalle nach Köln und meldete sich am 24. August dem Königlichen Ober-Prokurator an, in der Hoffnung, durch seine Darstellung der Sache sich von allem Verdachte zu reinigen, und wieder zum Besitze seines mit dem Mendelssohn'schen Koffer sequestrirten Reisesackes zu gelangen. Er ward jedoch zur gerichtlichen Untersuchung gezogen, welche sich mit seiner Freisprechung endete. Während der Dauer dieser Untersuchung und bis zum Herbst des folgenden Jahres hielt sich Lassalle mit der Gräfin Hatzfeld zumeist im Gasthofe Belle vue zu Deutz auf, von wo aus er in der ersten Zeit auch für seinen verhafteten Freund Oppenheim zu wirken sich bemühte. Da es ihm dabei auf die Mittel nicht ankam, so ergriff er eins, was ihm späterhin, als die Sache entdeckt wurde, eine Criminal-Untersuchung und Haft vom 26. März bis 8. Mai 1847 zuzog, wegen der Beschuldigung, Briefe, welche zu den Akten der Kriminal-Prozedur gegen Oppenheim gehörten, deren Einsicht er sich durch List und Bestechung zu verschaffen gewußt hatte, freiwillig zerstört zu haben. Als diese Untersuchung gegen ihn begann, welche aus juristischen Gründen von dem Anklage-Senate des App. G. H. niedergeschlagen ist, hatten einige untergeordnete Agenten die Gräfin verlassen und waren zur Gegenparthei übergetreten, nämlich der mehrerwähnte Paul Kurz und sein Vater Johann Kurz Kammerdiener der Gräfin und Friedrich Wilhelm Hoppe aus Berlin, Bedienter des Lassalle, den derselbe Franz nannte. Dieser Hoppe war es hauptsächlich, der durch seine Aussagen die Verhaftung des Lassalle im März 1847 veranlaßte. Nachdem Mendelssohn im Vertrauen auf den günstigen Ausgang der Oppenheim'schen Prozedur sich zur Untersuchung gestellt hatte, wurde Hoppe, der indessen ein Viktualiengeschäft in Berlin begonnen hatte, auch über den Kassettendiebstahl vernommen, und deponirte in Berlin am 3. und 5. August 1847 wie folgt: Ehe Mendelssohn am 20. August 1846 der Baronin Meyendorff nachreis'te sei derselbe bei Lassalle gewesen, und hier habe er (Zeuge) den Letztern zu dem Ersten sagen hören, er sollte soweit reisen, als nöthig, und solle er suchen, die Kassette der Baronin an sich zu bringen, oder auch deren Papiere. Oefters habe er gesehen, daß Lassalle, (welcher immer der Anstifter der Pläne gewesen) Mendelssohn's Rechnungen bezahlte, und ihm auch baares Geld gab, und namentlch sei dies auch geschehen bei seiner Abreise nach Köln Diese Aussage bestätigte H … vor dem Assisenhofe an 10. Febr. d. J. mit den Worten: „Als der Angeklagte Mendelssohn am 20. August 1841 von Lassalle den bestimmten Auftrag erhielt, der Baronin nachzureisen, so weit es ginge, um von ihr den vermutheten Vertrag sich auf jede Weise zu verschaffen, erhielt er, wie ich gesehen habe, von Lassalle ebenfalls Geld zu dieser Reise, wie er solches auch schon früher mehrere Male erhalten hatte.“ In Folge dieser Aussagen, und anderer bei den Verhandlungen vorgekommenen, den Lassalle beschwerenden Umständen nahm am 11. Fbr. d. J. der k. Oberprokurator Antrag gegen ihn als den intellektuellen Urheber bei dem Kassettendiebstahl. Er wurde auf erlassenen Vorführungsbefehl am 20. Fbr. zu Potsdam verhaftet und nach Köln geführt. Seine Erklärung ist folgende: Er sei, wie auch Oppenheim, General-Bevollmächtigter der Gräfin Hatzfeldt in ihren Angelegenheiten mit dem Grafen, und habe sich besonders bemüht, über dessen Verhältniß mit der Baronin Meyendorff, sowie über die Existenz des vorerwähnten Leibrentenvertrags Gewißheit zu verschaffen, habe daher den K … von Düsseldorf nach Aachen kommen lassen, um den Grafen und die Baronin zu beobachten. Eines Morgens, den zwanzigsten August, sei dieser K … plötzlich mit der Meldung gekommen, daß die Baronin mit ihren Effekten eben nach der Eisenbahn gefahren sei, worauf er zu Oppenheim und Mendelssohn gesagt habe, daß sie ihr auf der Stelle folgen müßten, um sie zu beobachten und sich auf jede Weise Gewißheit zu verschaffen, wie es mit dem Leibrentenvertrage stände. Er habe bei diesem Auftrage oder Rath, denn er habe keine Autorität über Oppenheim und Mendelssohn gehabt, keine Mittel angegeben, wodurch sie den Zweck erreichen sollten, am wenigsten habe es ihm einfallen können, ihnen strafbare Mittel an die Hand zu geben, namentlich von Wegnahme einer Kassette zu sprechen, da er weder gewußt, noch habe wissen können, daß die Meyendorff ihre Papiere in einer Kassette verwahre. Im Gegentheil habe er dem Oppenheim, als derselbe bei seiner Rückkehr die Entwendung der Kassette berichtet, Vorwürfe über diese Handlung gemacht. Der Angeklagte leugnet sodann, dem Mendelssohn vor seiner Abreise nach Köln Geld gegeben zu haben, und bemerkt im Allgemeinen: Mendelssohn sei hinreichend mit Geld versehen gewesen, da er noch kurz zuvor sein mütterliches Erbtheil mit 1500 Thalern erhoben habe. Zuweilen habe Mendelssohn ihm Geld in Verwahrung gegeben, was er demselben dann und wann zurückgegeben, aber auch das, wie er sich bestimmt erinnert, sei damals nicht der Fall gewesen. Die Aussage des H .... erklärt der Angeklagte für eine Lüge, und behauptet, daß derselbe die von ihm bezeugten Umstände gar nicht habe wahrnehmen können. Er sei nämlich mit Oppenheim und Mendelssohn in dem Zimmer der Gräfin gewesen, als K… die Nachricht von der Abreise der Baronin gebracht habe; dies Zimmer habe er bis zur wirklichen Abreise des Mendelssohns nicht verlassen, und andrerseits sei H .... gar nicht in dies Zimmer gekommen. Er beruft sich hierüber auf Mendelssohn, und auf den Grafen Paul, Sohn der Gräfin Hatzfeldt. Graf Paul hat bei seiner Vernehmung die Angabe des Lassalle bestätigt. Er wohnte mit seiner Mutter im Gasthofe „zu den vier Jahreszeiten“ bei Kostelletzki, ebendaselbst Lasalle, und Oppenheim und Mendelssohn in einem andern Gasthofe (bei Nuellens). Sie waren alle beisammen, sagt der Zeuge, im Zimmer der Mutter, als K… gegen Mittag mit der Nachricht hereinkam. Sie waren alle sehr bestürzt darüber, und Oppenheim sprach zuerst die Ansicht aus, man dürfe die Meyendorff nicht aus den Augen verlieren, und er wolle ihr nachreisen, um zu sehen, mit wem sie zusammentreffe, und was sie vorhabe. Lassalle billigte diese Ansicht, worauf Oppenheim den Mendelssohn ersuchte, ihn zu begleiten. Mendelssohn erklärt sich bereit, und beide verabschiedeten sich sofort. Kurze Zeit nachher kehrten sie noch einmal zurück, um mitzutheilen, daß sie nicht so rasch hätten fertig werden können, daher den K… vorausgeschickt hätten, und mit dem nächsten Zuge folgen würden, demnach entfernten sie sich wieder und kamen erst am folgenden Tage zurück. Während aller jener Zeit habe Lassalle das Zimmer nicht verlassen, und sei H ...., der mit der übrigen Dienerschaft einen andern Flügel bewohnte, nicht in dem Zimmer gewesen. Auch gibt der Zeuge an, daß Lassalle dem Mendelssohn kein Geld gegeben, und am andern Tage dem Oppenheim seine unüberlegte Handlung vorgeworfen habe. Im Widerspruch mit diesem Zeugniß erklärt der im Laufe der Untersuchung wiederholt vernommene Hoppe: es sei in dem Zimmer des Lassalle Salon Nr. 7 gewesen, wo Mendelssohn sich bei dem Lassalle eingefunden habe. Er selbst habe sich in der anstoßenden Schlafstube, deren Thür halb geöffnet, befunden, und von hier aus die Worte des Lassalle gehört, die er nun so referirt: „Du mußt ihr, (der Meyendorf nämlich), nachreisen, selbst auch in's Ausland, wohin sie gehen wird, und richtest dein Augenmerk auf die Kassette, worin die Papiere sind, und nimmst sie weg, wo du die erste Gelegeheit dazu findest. „Hierbei,“ fährt der Zeuge fort, „gab Lassalle dem Mendelssohn einige Goldstücke in die Hand, welche dieser in seine Börse steckte. Bei der Gräfin sei die Gesellschaft erst später zusammengekommen. Hoppe so wenig, wie der gleichfalls vernommene Paul Kurz erwähnen der vorgegangenen Meldung des Letzteren von der Abreise der Baronin. Kurz sagt, er habe schon zwei oder drei Tage zuvor, von Lasalle den Auftrag erhalten, der Frau von Meyendorff, welche vermuthlich bald abreisen, und dann zu Köln im Mainzerhofe logiren würde, im Fall der Abreise nachzufolgen und zu berichten, wohin sie ginge. Als sie daher am 20. August wirklich abgereist, sei er ohne nochmaligen speziellen Auftrag ein paar Stationen weit mit ihr gefahren, und dann wieder umgekehrt, bloß um den Schein des Diensteifers zu bewahren, da er voraussetzte, daß er selbst von Lasalle beobachtet werde. Daß er dem begegnenden Mendelssohhn zugerufen: „im Mainzerhofe“ habe keinen andern Grund gehabt, als die frühere Mittheilung des Lasalle. Der Angeklagte beschränkt sich nicht darauf, den direkten Gegenbeweis gegen das Zeugniß des H .... zu führen, und dessen innere Unglaubwürdigkeit darzuthun, sondern hat auch eine Menge Thatsachen artikulirt, woraus hervorgehen soll, daß H.... von der Parthei des Grafen, namentlich durch dessen Hauptagenten, den Kaufmann von Stockum zu Düsseldorf zu falschen Zeugnissen gegen ihn und die Gräfin bestochen worden sei. H.... verließ den Dienst des Lassalle kurz vor dessen Verhaftung, die gerade durch seine Aussage veranlaßt worden, im März, 1847. Um diese Zeit, wie von mehrern Zeugen angegeben wird, die sich damals um die Gräfin in Deutz befanden, kam der Referendar Meyer aus Ehrenbreitstein (auch ein Anhänger der Gräfin) zu ihr herein und warnte sie vor H...., weil er so eben auf der Brücke zugegen gewesen sei, als der Arnold Goedsche, hastig auf den von Stockum zustürzend, demselben zugerufen habe: „Triumph! wir haben den H.... er thut und sagt alles, war wir wollen, wenn wir ihm eine Bierwirthschaft in Belin einrichten.“ ‒ Andre Zeugen sprechen von 250 Thlrn., die er dazu erhalten habe, und der Barbier Ludwig Schafhausen zu Bilk will dies aus des H.... eigenem Munde gehört haben. Ob aber H.... durch dergleichen Vortheile nicht bloß zur Aufdeckung der wahren, sondern auch zur Aussage falscher Thatsachen veranlaßt worden, ist eine andere Frage. Die Behörde in Berlin giebt wenigstens seiner Moralität und dortigen Führung ein gutes Zeugniß. Diesemnach wird Ferdinand Lassalle angeklagt: Den Dr. Mendelssohn zur Begehung des von demselben am 21. August 1846 in dem Gasthof zum Mainzerhofe, woselbst er damals als Gast aufgenommen war, verübten Diebstahls einer Kassette nebst Inhalt, welche der in demselben Gasthofe sich aufhaltenden Frau von Meyendorff gehörte, durch Geschenke verleitet und demselben Anweisungen, so wie auch Mittel zum Zweck der Ausführung dieses Diebstahls gegeben zu haben. Verbrechen gegen Art. 386 Nr. 4 und Art. 60 des Strafgesetzbuches. Köln, den 19. Mai 1848. Der General-Prokurator beim königl. rhein. Appellationsgerichtshofe. (gez.) Nicolovius. Nach Verlesung des Anklageaktes und nachdem das öffentliche Ministerium den Gegenstand der Anklage und die Beweismittel auseinandergesetzt hatte, die zur Begründung der Anklage vorgebracht werden sollen, wurden die Belastungs- und Schutzzeugen aufgerufen; es ergab, daß es im Ganzen 116, zur Belastung 45 zur Vertheidigung 71 sind. Gegen einige Zeugen wurden auf den Antrag des Vertheidigers, der behauptete, sie seien bei Seite geschafft worden, um bei der Prozedur nicht erscheinen zu müssen, von dem Präsidenten Vorführungsbefehle erlassen. An die anwesenden Zeugen richtete alsdann der Präsident energische Worte. Wenn je es ihm zur Pflicht gemacht sei, die Zeugen zum Bekenntniß der Wahrheit aufzufordern, so sei das ganz besonders im heutigen Prozesse der Fall, wo zwei Partheien mit den widersprechendsten Zeugnissen sich entgegenständen und wenn die Vorwürfe gegen einander wahr seien ‒ Vorwürfe, die in einen Abgrund von Bosheit, Verdorbenheit und Schlechtigkeit blicken ließen ‒ so müßten heute statt einer, zwanzig Personen auf der Bank der Angeklagten sitzen. Er werde daher mit der größten Strenge die Zeugenaussagen prüfen und unnachsichtlich verfahren, wo es sich herausstellen sollte, daß die Unwahrheit gesagt, oder die Wahrheit verschwiegen werde. Die Zeugen treten hierauf ab, und der Präsident schritt zum Verhör des Angeklagten. (Forts. folgt.)

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 67. Köln, 6. August 1848. Zweite Beilage, S. 0340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz067b2_1848/2>, abgerufen am 27.04.2024.