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[Kohlrausch, Henriette]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1828]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

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wir auch nicht mit einem französischen Gelehrten annehmen wollen, daß die Entwicke-
lung der Nase hauptsächlich vom Schnauben herrühre, obgleich der Gebrauch eines Organs
wohl allerdings die Anlage desselben verstärkt.

Wenn wir alles zusammenfassen, so werden wir den Hauptcharakter des
Menschlichen erkennen, in dem Uebergewicht des Gehirns, in der aufrechten Stel-
lung, und in der Sprache, nicht als Folge der Stimmwerkzeuge, sondern als Aus-
druck der höheren Intelligenz.

12te Vorlesung [(28. Februar 1828)]

Wenn bei Aufstellung des Naturgemäldes dessen Entwurf mich bis-
her beschäftigte, die einzelnen Theile der großen Gesammtheit gewisserma-
ßen als coexistirend betrachtet wurden, so möge sich jetzt die Untersuchung
anschließen, wie durch den Lauf der Jahrhunderte wir zu den Kenntnissen
gelangt sind, deren wir uns jetzt erfreuen. Eine geschichtliche Entwickelung
dieses Fortschreitens kann nicht erwartet werden, und ich begnüge mich mit
der Andeutung, wie sich allmälig die Idee von der Einheit des großen Na-
tur-Ganzen
verbreitet hat.


Ein dunkles Gefühl, eine begeisterte Ahndung derselben, müssen wir
selbst bei den sogenannten wilden Völkern voraussetzen; das vernunft-
mäßige Begreifen jenes Natur-Ganzen kann sich aber nur bei gebildete-
ren Nationen vorfinden: so wie der Horizont der Erkenntniß sich in
allen Wissenschaften erweitert, so rückt auch dieser Begriff uns näher und
näher. Mit gewonnener geistiger Freiheit wird der Glaube an die Ein-
heit der Natur, zur lebhaften Erkenntniß, zum klaren Begreifen.

Es ist viel und oft die Rede gewesen von sogenannten Urvölkern; man

hat

wir auch nicht mit einem französischen Gelehrten annehmen wollen, daß die Entwicke-
lung der Nase hauptsächlich vom Schnauben herrühre, obgleich der Gebrauch eines Organs
wohl allerdings die Anlage desselben verstärkt.

Wenn wir alles zusammenfassen, so werden wir den Hauptcharakter des
Menschlichen erkennen, in dem Uebergewicht des Gehirns, in der aufrechten Stel-
lung, und in der Sprache, nicht als Folge der Stimmwerkzeuge, sondern als Aus-
druck der höheren Intelligenz.

12te Vorlesung [(28. Februar 1828)]

Wenn bei Aufstellung des Naturgemäldes dessen Entwurf mich bis-
her beschäftigte, die einzelnen Theile der großen Gesammtheit gewisserma-
ßen als coexistirend betrachtet wurden, so möge sich jetzt die Untersuchung
anschließen, wie durch den Lauf der Jahrhunderte wir zu den Kenntnissen
gelangt sind, deren wir uns jetzt erfreuen. Eine geschichtliche Entwickelung
dieses Fortschreitens kann nicht erwartet werden, und ich begnüge mich mit
der Andeutung, wie sich allmälig die Idee von der Einheit des großen Na-
tur-Ganzen
verbreitet hat.


Ein dunkles Gefühl, eine begeisterte Ahndung derselben, müssen wir
selbst bei den sogenannten wilden Völkern voraussetzen; das vernunft-
mäßige Begreifen jenes Natur-Ganzen kann sich aber nur bei gebildete-
ren Nationen vorfinden: so wie der Horizont der Erkenntniß sich in
allen Wissenschaften erweitert, so rückt auch dieser Begriff uns näher und
näher. Mit gewonnener geistiger Freiheit wird der Glaube an die Ein-
heit der Natur, zur lebhaften Erkenntniß, zum klaren Begreifen.

Es ist viel und oft die Rede gewesen von sogenannten Urvölkern; man

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[51r/0105] wir auch nicht mit einem französischen Gelehrten annehmen wollen, daß die Entwicke- lung der Nase hauptsächlich vom Schnauben herrühre, obgleich der Gebrauch eines Organs wohl allerdings die Anlage desselben verstärkt. Wenn wir alles zusammenfassen, so werden wir den Hauptcharakter des Menschlichen erkennen, in dem Uebergewicht des Gehirns, in der aufrechten Stel- lung, und in der Sprache, nicht als Folge der Stimmwerkzeuge, sondern als Aus- druck der höheren Intelligenz. 12te Vorles. (28. Februar 1828) Wenn bei Aufstellung des Naturgemäldes dessen Entwurf mich bis- her beschäftigte, die einzelnen Theile der großen Gesammtheit gewisserma- ßen als coexistirend betrachtet wurden, so möge sich jetzt die Untersuchung anschließen, wie durch den Lauf der Jahrhunderte wir zu den Kenntnissen gelangt sind, deren wir uns jetzt erfreuen. Eine geschichtliche Entwickelung dieses Fortschreitens kann nicht erwartet werden, und ich begnüge mich mit der Andeutung, wie sich allmälig die Idee von der Einheit des großen Na- tur Ganzen verbreitet hat. Ein dunkles Gefühl, eine begeisterte Ahndung derselben, müssen wir selbst bei den sogenannten wilden Völkern voraussetzen; das vernunft- mäßige Begreifen jenes Natur Ganzen kann sich aber nur bei gebildete- ren Nationen vorfinden: so wie der Horizont der Erkenntniß sich in allen Wissenschaften erweitert, so rückt auch dieser Begriff uns näher und näher. Mit gewonnener geistiger Freiheit wird der Glaube an die Ein- heit der Natur, zur lebhaften Erkenntniß, zum klaren Begreifen. Es ist viel und oft die Rede gewesen von sogenannten Urvölkern; man hat

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellen der Digitalisierungsvorlage; Bilddigitalisierung

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription in Hamel, Jürgen u. Klaus Harro Tiemann (Hg.) (1993): Alexander von Humboldt: Über das Universum. Die Kosmosvorträge 1827/28 in der Berliner Singakademie. Frankfurt a. M.: Insel. anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

Abweichungen dieser Druckedition von der Manuskriptvorlage werden im Text an der entsprechenden Stelle in editorischen Kommentaren ausgewiesen.

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Zitationshilfe: [Kohlrausch, Henriette]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1828]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 51r. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2124_1827/105>, abgerufen am 21.11.2024.