N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.Oeffentliche Charaktere. II. Johann Jacoby. Es ist noch keine zehn Jahr, als man in Deutschland Ostpreußen wie ein Oeffentliche Charaktere. II. Johann Jacoby. Es ist noch keine zehn Jahr, als man in Deutschland Ostpreußen wie ein <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0001" n="434"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Oeffentliche Charaktere.</hi> </hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#aq">II.</hi><lb/> Johann Jacoby.</head><lb/> <p>Es ist noch keine zehn Jahr, als man in Deutschland Ostpreußen wie ein<lb/> Stück Vorsibirien ansah, wo die Sonne neun Mouate lang nicht im Stande sein<lb/> sollte, den Schnee zu schmelzen, wo die Wölfe schaarenweis in den Straßen der<lb/> Hauptstadt den Mond anheulten und wo in den wüsten Kieferwaldungen die me¬<lb/> lancholischen Elenthiere Meilenweit die einzigen civilisirten Bewohner vorstellten.<lb/> Man wußte nur, daß arme sächsische Kandidaten, die in der Heimath kein Unter¬<lb/> kommen fanden, in nicht geringer Zahl in diese Wildniß zogen, um die halbwilden<lb/> Eingebornen, ein Gemisch aus heidnischen Lithauern und Polacken, im Lesen,<lb/> Schreiben und im Lateinischen zu unterrichten — und in der That bestanden noch<lb/> vor nicht so langer Zeit die Mehrzahl der Pädagogen aus sächsischen Einwanderern.<lb/> Freilich war in diesem kalten Osten die Sonne der modernen Philosophie aufge¬<lb/> gangen, aber eine frostige; wenigstens hatten alle Leute, denen die Werke des<lb/> unsterblichen <hi rendition="#g">Immanuel Kant</hi> zu Gesicht gekommen waren, erzählt, daß in<lb/> seiner unheimlich dünnen Atmosphäre alle lebendige Realität in Begriffe eingefro¬<lb/> ren sei. Von Zeit zu Zeit kam ein strebsamer Anacharsis aus diesem modernen<lb/> Scythien nach Deutschland, um sich zu wärmen und Europens übertünchte Höf¬<lb/> lichkeit zu studiren: <hi rendition="#g">Herder</hi>, der Consistorialrath in Bückeburg wurde und nach¬<lb/> her sich den Sternreihen der deutschen Literaten und des deutschen Adels anschloß;<lb/><hi rendition="#g">Haman</hi>, der Magus des Nordens, der seine sibyllinischen Blätter in jener un¬<lb/> verständlich heidnischen Sprache hinwarf, die den Wilden der Capornschen Heide<lb/> wohl verständlich sein mochte, <hi rendition="#g">Zacharias Werner</hi>, der in seinem Streben,<lb/> eine neue Religion zu finden, in Berlin betrogen, sich endlich in Wien zu dem<lb/> alten legitimen Jesuitismns bekehrte, endlich <hi rendition="#g">E. T. A. Hoffmann</hi>, der einzige<lb/> salonfähige ostpreußische Hinterwäldler, der allerdings die Geister, Teufel, Hexen<lb/> und Kobolde seiner Heimath mitbrachte, der aber durch die Verpflanzung seines<lb/> vaterländischen Getränks, des angezündeten Branntweins mit Zucker, in das ge¬<lb/> bildete Berlin, sich eben so um das Vaterland verdient machte, als durch die<lb/> zierliche Art, wie er mit seinen Kobolden umsprang. Man war damals sehr für<lb/> das Ursprüngliche und Naturwüchsige eingenommen, und eine Nation, die des<lb/> Sommers in Pelzen ging, Elenthiere jagte, sich mit Hexen und Kobolden zu thun<lb/> machte, eine unverständliche Sprache redete und dazu in der Regel heißen Brannt¬<lb/> wein trank, verdiente schon an sich einen Platz im Raritätencabinet der Indivi¬<lb/> dualitäten, auch wenn sie nicht so große Namen, wie Kant und Herder, zu den<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [434/0001]
Oeffentliche Charaktere.
II.
Johann Jacoby.
Es ist noch keine zehn Jahr, als man in Deutschland Ostpreußen wie ein
Stück Vorsibirien ansah, wo die Sonne neun Mouate lang nicht im Stande sein
sollte, den Schnee zu schmelzen, wo die Wölfe schaarenweis in den Straßen der
Hauptstadt den Mond anheulten und wo in den wüsten Kieferwaldungen die me¬
lancholischen Elenthiere Meilenweit die einzigen civilisirten Bewohner vorstellten.
Man wußte nur, daß arme sächsische Kandidaten, die in der Heimath kein Unter¬
kommen fanden, in nicht geringer Zahl in diese Wildniß zogen, um die halbwilden
Eingebornen, ein Gemisch aus heidnischen Lithauern und Polacken, im Lesen,
Schreiben und im Lateinischen zu unterrichten — und in der That bestanden noch
vor nicht so langer Zeit die Mehrzahl der Pädagogen aus sächsischen Einwanderern.
Freilich war in diesem kalten Osten die Sonne der modernen Philosophie aufge¬
gangen, aber eine frostige; wenigstens hatten alle Leute, denen die Werke des
unsterblichen Immanuel Kant zu Gesicht gekommen waren, erzählt, daß in
seiner unheimlich dünnen Atmosphäre alle lebendige Realität in Begriffe eingefro¬
ren sei. Von Zeit zu Zeit kam ein strebsamer Anacharsis aus diesem modernen
Scythien nach Deutschland, um sich zu wärmen und Europens übertünchte Höf¬
lichkeit zu studiren: Herder, der Consistorialrath in Bückeburg wurde und nach¬
her sich den Sternreihen der deutschen Literaten und des deutschen Adels anschloß;
Haman, der Magus des Nordens, der seine sibyllinischen Blätter in jener un¬
verständlich heidnischen Sprache hinwarf, die den Wilden der Capornschen Heide
wohl verständlich sein mochte, Zacharias Werner, der in seinem Streben,
eine neue Religion zu finden, in Berlin betrogen, sich endlich in Wien zu dem
alten legitimen Jesuitismns bekehrte, endlich E. T. A. Hoffmann, der einzige
salonfähige ostpreußische Hinterwäldler, der allerdings die Geister, Teufel, Hexen
und Kobolde seiner Heimath mitbrachte, der aber durch die Verpflanzung seines
vaterländischen Getränks, des angezündeten Branntweins mit Zucker, in das ge¬
bildete Berlin, sich eben so um das Vaterland verdient machte, als durch die
zierliche Art, wie er mit seinen Kobolden umsprang. Man war damals sehr für
das Ursprüngliche und Naturwüchsige eingenommen, und eine Nation, die des
Sommers in Pelzen ging, Elenthiere jagte, sich mit Hexen und Kobolden zu thun
machte, eine unverständliche Sprache redete und dazu in der Regel heißen Brannt¬
wein trank, verdiente schon an sich einen Platz im Raritätencabinet der Indivi¬
dualitäten, auch wenn sie nicht so große Namen, wie Kant und Herder, zu den
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