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Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg (Bayern), 15. März 1871.

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[Spaltenumbruch] ein viel sinnlicheres Gepräge. Aber Ada Christen fühlte daß ihr Drama,
wenn sie die anfängliche Jdee nackt und scharf herauskehrte, den Zugang
zur Bühne für immer verschlossen finden mußte. Das heutige Geschlecht
erträgt das nicht was die alte griechische Tragödie ihren Zuschauern bieten
konnte; kein Theaterdirector würde ein Stück zu geben wagen in welchem die
Mutter die Geliebte des Sohnes ist. So verzichtete die Verfasserin dar-
auf den Gedanken der ihr vorschwebte unbedingt zu entwickeln, und
machte auf halbem Wege Halt. So wie das Stück jetzt vorliegt, hat es
nicht eine einzige Scene, ja kaum ein Wort welches von der Bühne herab
verletzen könnte. Trotz der Milderung des ersten Entwurfs ist es kein
schwaches Drama geworden, sondern bietet noch immer starke Effecte und
einige wahrhaft ergreifende Stellen.

Obwohl ein Erstlingswerk, weist "Faustina" nur wenige Schwächen
eines solchen auf. Es kam der Dichterin wohl zu statten daß sie Schau-
spielerin war, und somit die Bedürfnisse des Theaters kennt. Von jener
dramatischen Unbeholfenheit die so leicht einem ersten Versuch anklebt, ist
bei Ada Christen kaum eine Spur zu entdecken. Auch die Charakterzeich-
nung ist gut, und hat etwas von männlicher Bestimmtheit an sich. Vor-
züglich sind Faustina und der harte in seinen Standesvorurtheilen be-
fangene Kaufherr Warren, auch der gute alte Major Kulmer ist eine natur-
wahre, aus dem Leben gegriffene Figur. Der Schuft Norrent, obwohl
individuell gezeichnet, kann den herkömmlichen Theaterbösewicht nicht ver-
läugnen; auch ist seine Liebe für Faustina nicht recht verständlich. Pla-
tonische Sentimentalität paßt nicht zu seinem cynischen Wesen. Denken
wir uns aber andere Beziehungen zwischen ihm und Faustina, so fällt die
Heldin stark in unserer Achtung. Heinrich ist mit Geschick von Anfang an
als eine so reizbare, überspannte Natur angelegt, daß die Katastrophe we-
nigstens möglich erscheint. Die schwächste Gestalt des Stückes ist die 16jährige
Marianne. Jhre Unschuld ist mit einer Dosis Albernheit versetzt, deren
Nothwendigkeit uns nicht einleuchten will. Aber man begreift warum
Ada Christen ein solches Gänschen aus der " Jngenue " macht. Frauen
von Geist und Talent halten den Backfisch immer für einfältiger als er in
Wirklichkeit ist; das Unfertige, Unreife einer halberschlossenen Mädchen-
knospe widerstrebt dem klaren Sinne des Weibes.

Man mag es aufrichtig bedauern daß Ada Christen von der Kühnheit
mit der sie in ihren ersten Liedern aufgetreten, bei ihrem Drama keinen
Gebrauch machen wollte. Gerade sie hatte das Zeug das Furchtbare des
Oedipusstoffes in moderner Gestalt voll und unverkümmert durchzuführen.
Es hätte freilich viel Kopfschütteln und Händezusammenschlagen darüber
gegeben. Daß die Verfasserin sich davor scheute, daß sie lieber anständig
als gewaltig sein wollte, macht ihr als Frau alle Ehre. "Faustina" ist
nicht nur ein neues Zeugniß ihres Talents, sondern auch ein Beweis dafür
daß jene sich geirrt haben die in den "Liedern einer Verlorenen" nur die
Geständnisse einer Emancipirten sahen, und glaubten Ada Christen werde
auf diesem Wege fortfahren und ihre Dichtungen stets mit Pfeffer beizen.
Je weniger dieß bei ihrem Drama der Fall ist, desto freundlicher kann es
die Bühne aufnehmen. Es ist für die Bretter geschrieben, und wo die
Titelrolle eine bedeutende Darstellerin findet, wird es kaum an einem
guten Erfolg fehlen.

Moritz v. Schwind.
III
( Schluß. )

*** Wie überaus herrlich dieser obendrein mit Farbenzauber ausgeführte
( in den Besitz des Baron v. Frankenstein gekommene, von Jul. Thäter in
Kupfer gestochene ) Bildercyclus auch war: -- Schwind übertraf sich selbst
mit einem zweiten, zu dem Märchen von den "Sieben Raben," das den
Glanzpunkt der allgemeinen deutschen Kunstausstellung in München im
Jahr 1858 bildete. Die einzelnen Vorgänge der Erzählung scheidet er
durch Arcaden, vor denen eine Vorhalle sich befindet, in welcher eine Ge-
sellschaft Kinder und Menschen kindlichen Gemüths vereinigt sind, wie er
sie sich zur rechten Freude an der Märchenwelt befähigt denkt: es ist seine
eigene um ihn versammelte Familie, ein Bild des rührendsten und ent-
zückendsten häuslichen Glücks! Jn diesem Raum ist die Vorgeschichte
des Märchens in Glasgemälden der Fenster angebracht. Und nun beginnt
die Geschichte mit der Jagd des Prinzen, auf der er das Mädchen, die
ihren in Raben verwandelten Brüdern nachgelaufen, in dem hohlen Baum
entdeckt, in welchen sie von einer Fee zur Rettung ihrer Brüder aufgehoben
ist, und sie aus der ungemüthlichen Wohnstätte weg und mit sich auf sein
Schloß nimmt. Schwind erreicht in dieser Darstellung eine Höhe bis zu
welcher sich vor ihm -- meines Wissens -- kein anderer Künstler empor-
geschwungen. Jn nichts als in ihr reich wallendes Haar gekleidet sitzt die
Jungfrau im hohlen Baum; so sinkt sie von da herab hingebend in die
Arme des mit herzinniger Liebe sie umfassenden Jünglings; eine Scene,
obgleich von beiden kein Antlitz zu sehen, indem ihr Kuß sich unter der
[Spaltenumbruch] Fülle der Locken birgt, so keusch und rein wie ein Heiligenbild! Jm Fürsten-
schloß wird sie von des Fürsten Schwester als Braut geschmückt; er geht
ihr in die Kirche voran; die sieben Raben fliegen vorüber, als Mahnung
daß sie sieben Jahre stumm bleiben muß; ein Bild, in welchem Schönheit,
Anmuth und Heiterkeit mit Pracht und Glanz um den Vorrang streiten;
als Fürstin ist sie Wohlthäterin der Armen und Kranken; arbeitet aber
noch heimlich bei nächtlicher Weile an dem letzten der 7 Hemden für ihre
verwunschenen Brüder, wodurch sie im Herzen ihres Gemahls, der sie be-
lauscht, Mißtrauen erweckt. Sie kommt mit Zwillingen nieder, die sich
aber in den Händen der Hebamme, die dem fürstlichen Vater die Kinder dar-
reichen will, in Raben verwandeln und davon fliegen. Wie groß auch
das Unglück ist, die komische Wirkung auf die Hebamme und Dienerschaft
hat der Künstler doch darstellen müssen! Für die Rettung ihrer Brüder
von der Fee zu siebenjährigem Schweigen gezwungen, gibt die Fürstin
keinen Aufschluß und wird als Hexe zum Scheiterhaufen verurtheilt. Wie-
derum nur in ihr reiches Haar gehüllt, mit Stricken gebunden wird sie
aus dem Kerker zum Feuertode geführt. Noch auf dem letzten Gange be-
weist sie der Fee ausdauernden Gehorsam, da nur noch eine Stunde fehlt
am Ablauf der 7 Jahre. Da werfen sich alle die Armen und Elenden,
denen sie Helferin und Trösterin gewesen, den Henkern in den Weg, und
verzögern damit die Execution. Die Stunde ist verronnen; die Fee scheucht
die sieben Raben auf, die nun als schmucke Ritter herankommen und die
Schwester die bereits auf dem Holzstoß steht, befreien, während ihr die Fee
zwei liebliche Knaben, ihre Zwillinge, bringt, der Fürst ihre Füße küßt,
das Volk jubelt, und sie selbst, des Zaubers bar, frohlockt. Dieses in
Aquarell ausgeführte Gemälde, einer der größten Schätze der neuen deut-
schen Kunst, ist im Besitze der Frau Großherzogin von Weimar; und so
sind Schwinds ( bis zu dieser Zeit ) bedeutendste Leistungen in Thüringen
zu suchen.

Aber wie herrlich und jedes Ruhmes werth sie auch sind: Schwind
hatte noch Kraft und Freudigkeit zu einem höhern Flug, und er hat ihn mit
dem glücklichsten Erfolg gethan, mit seiner ( ebenfalls in Aquarell ausge-
führten ) bildlichen Darstellung des Märchens von der "schönen Melusine."
Jm Grunde genommen ist sie die Ausführung des tiefsinnigen bedeutungs-
vollen Gedankens: "Das Leben ein Traum!" Versunken in innere Anschau-
ungen liegt Melusine in ihrer Felsengrotte. Da erscheint ihrem liebebe-
dürftigen Herzen der Ritte, der um den Austausch mit dem seinigen bittet;
zaudernd und von ihren Nymphen gewarnt schlägt sie ein, und kommt, in
Begleitung ihrer auf muthigen Rossen einhersprengenden Gespielinnen,
zum Ritter, der sie vom Zelter hebt und zum Traualtar führt, wohin ihr
bereits feindselige Blicke eines Verwandten folgen. Einen Grottentempel
hat sie sich erbaut und nimmt ihrem Gatten den Schwur ab nie -- wenn
sie darin ist -- eindringen zu wollen; ewige Trennung würde die unmit-
telbare Folge sein. Jn diesem Grottentempel vereinigt sie sich mit ihren
Nymphen allmonatlich zum verjüngenden Wellenbad; sie erlebt mit dem
Gatten und reizenden Kindern ein ungetrübtes Familienglück, bis ein
Mönch bei den Bauern Verdacht erregt über den geheimnißvollen Grotten-
tempel, und der heimtückische Verwandte die Kinder argwöhnisch gegen die
Mutter macht, und letztlich selbst den Ritter veranlaßt in den Grotten-
tempel einzudringen, worauf augenblicklich Melusine zurückstürzt und
ihre Nymphen in den Wellen verschwinden. Das Unglück ist geschehen;
der Grotten empel zerfällt; Melusine ist verschwunden; aber bei Nachtzeit
naht sie dem Fenster, durch das sie ihre Kinder schlafen sehen kann. Ruhe-
los zieht der Ritter durch öde Fluren, Felsenthäler und Wälder, die geliebte
Gattin aufzusuchen; er findet sie, sinkt Vergebung flehend in ihren Schooß
und wird von ihr zu Tode geküßt. Klagend in schmerzlichem Mitgefühl
nahen die Freundinnen ihr; aber die Feenkönigin ruft ihr das vorausge-
sagte Ende ihrer Liebe ins Gedächtniß, und sie kehrt in ihre Grotte zurück,
wo sie erwachend inne wird daß alles nur ein Traum war!

Jn diesem Werke beanspruchen dichterische Erfindung, Schönheit der
Composition, Reinheit und Größe des Styls, Lebendigkeit, Wahrheit,
Zartheit und Kraft der Darstellung mit einem leichten, natürlichen und
alles Einzelne richtig betonenden Vortrag das gleiche Recht. Reizender
und zugleich reiner und unschuldvoller ist nie die Mädchenfreude im erfri-
schenden Bade geschildert worden; schöner sah man kaum irgendwo ein
Bild des Familienglücks; ergreifender nirgend sein urplötzliches Ende;
aber keine Künstlerhand hat das tragische Ende inbrünstiger Liebe uns in
einer gleich erschütternden Weise vor Augen gestellt als Schwind, wo er
Melusinen uns zeigt wie sie ihren Gatten in bitterem Liebesleid mit ihren
Küssen tödtet.

Durch eine eigenthümliche Verkettung von Umständen ward Schwind
mit seinen letzten großen Kunstaufgaben in sein Jugendland, zu seinen er-
sten heitern Jugendeindrücken und zu einem seiner ältesten Jugendfreunde,
zurückgeführt. Zwar kehrte er noch einmal, wenn auch nur auf einen
kurzen Besuch, in der Romantik ein, indem er für die Gemäldesammlung

[Spaltenumbruch] ein viel sinnlicheres Gepräge. Aber Ada Christen fühlte daß ihr Drama,
wenn sie die anfängliche Jdee nackt und scharf herauskehrte, den Zugang
zur Bühne für immer verschlossen finden mußte. Das heutige Geschlecht
erträgt das nicht was die alte griechische Tragödie ihren Zuschauern bieten
konnte; kein Theaterdirector würde ein Stück zu geben wagen in welchem die
Mutter die Geliebte des Sohnes ist. So verzichtete die Verfasserin dar-
auf den Gedanken der ihr vorschwebte unbedingt zu entwickeln, und
machte auf halbem Wege Halt. So wie das Stück jetzt vorliegt, hat es
nicht eine einzige Scene, ja kaum ein Wort welches von der Bühne herab
verletzen könnte. Trotz der Milderung des ersten Entwurfs ist es kein
schwaches Drama geworden, sondern bietet noch immer starke Effecte und
einige wahrhaft ergreifende Stellen.

Obwohl ein Erstlingswerk, weist „Faustina“ nur wenige Schwächen
eines solchen auf. Es kam der Dichterin wohl zu statten daß sie Schau-
spielerin war, und somit die Bedürfnisse des Theaters kennt. Von jener
dramatischen Unbeholfenheit die so leicht einem ersten Versuch anklebt, ist
bei Ada Christen kaum eine Spur zu entdecken. Auch die Charakterzeich-
nung ist gut, und hat etwas von männlicher Bestimmtheit an sich. Vor-
züglich sind Faustina und der harte in seinen Standesvorurtheilen be-
fangene Kaufherr Warren, auch der gute alte Major Kulmer ist eine natur-
wahre, aus dem Leben gegriffene Figur. Der Schuft Norrent, obwohl
individuell gezeichnet, kann den herkömmlichen Theaterbösewicht nicht ver-
läugnen; auch ist seine Liebe für Faustina nicht recht verständlich. Pla-
tonische Sentimentalität paßt nicht zu seinem cynischen Wesen. Denken
wir uns aber andere Beziehungen zwischen ihm und Faustina, so fällt die
Heldin stark in unserer Achtung. Heinrich ist mit Geschick von Anfang an
als eine so reizbare, überspannte Natur angelegt, daß die Katastrophe we-
nigstens möglich erscheint. Die schwächste Gestalt des Stückes ist die 16jährige
Marianne. Jhre Unschuld ist mit einer Dosis Albernheit versetzt, deren
Nothwendigkeit uns nicht einleuchten will. Aber man begreift warum
Ada Christen ein solches Gänschen aus der „ Jngénue “ macht. Frauen
von Geist und Talent halten den Backfisch immer für einfältiger als er in
Wirklichkeit ist; das Unfertige, Unreife einer halberschlossenen Mädchen-
knospe widerstrebt dem klaren Sinne des Weibes.

Man mag es aufrichtig bedauern daß Ada Christen von der Kühnheit
mit der sie in ihren ersten Liedern aufgetreten, bei ihrem Drama keinen
Gebrauch machen wollte. Gerade sie hatte das Zeug das Furchtbare des
Oedipusstoffes in moderner Gestalt voll und unverkümmert durchzuführen.
Es hätte freilich viel Kopfschütteln und Händezusammenschlagen darüber
gegeben. Daß die Verfasserin sich davor scheute, daß sie lieber anständig
als gewaltig sein wollte, macht ihr als Frau alle Ehre. „Faustina“ ist
nicht nur ein neues Zeugniß ihres Talents, sondern auch ein Beweis dafür
daß jene sich geirrt haben die in den „Liedern einer Verlorenen“ nur die
Geständnisse einer Emancipirten sahen, und glaubten Ada Christen werde
auf diesem Wege fortfahren und ihre Dichtungen stets mit Pfeffer beizen.
Je weniger dieß bei ihrem Drama der Fall ist, desto freundlicher kann es
die Bühne aufnehmen. Es ist für die Bretter geschrieben, und wo die
Titelrolle eine bedeutende Darstellerin findet, wird es kaum an einem
guten Erfolg fehlen.

Moritz v. Schwind.
III
( Schluß. )

*** Wie überaus herrlich dieser obendrein mit Farbenzauber ausgeführte
( in den Besitz des Baron v. Frankenstein gekommene, von Jul. Thäter in
Kupfer gestochene ) Bildercyclus auch war: -- Schwind übertraf sich selbst
mit einem zweiten, zu dem Märchen von den „Sieben Raben,“ das den
Glanzpunkt der allgemeinen deutschen Kunstausstellung in München im
Jahr 1858 bildete. Die einzelnen Vorgänge der Erzählung scheidet er
durch Arcaden, vor denen eine Vorhalle sich befindet, in welcher eine Ge-
sellschaft Kinder und Menschen kindlichen Gemüths vereinigt sind, wie er
sie sich zur rechten Freude an der Märchenwelt befähigt denkt: es ist seine
eigene um ihn versammelte Familie, ein Bild des rührendsten und ent-
zückendsten häuslichen Glücks! Jn diesem Raum ist die Vorgeschichte
des Märchens in Glasgemälden der Fenster angebracht. Und nun beginnt
die Geschichte mit der Jagd des Prinzen, auf der er das Mädchen, die
ihren in Raben verwandelten Brüdern nachgelaufen, in dem hohlen Baum
entdeckt, in welchen sie von einer Fee zur Rettung ihrer Brüder aufgehoben
ist, und sie aus der ungemüthlichen Wohnstätte weg und mit sich auf sein
Schloß nimmt. Schwind erreicht in dieser Darstellung eine Höhe bis zu
welcher sich vor ihm -- meines Wissens -- kein anderer Künstler empor-
geschwungen. Jn nichts als in ihr reich wallendes Haar gekleidet sitzt die
Jungfrau im hohlen Baum; so sinkt sie von da herab hingebend in die
Arme des mit herzinniger Liebe sie umfassenden Jünglings; eine Scene,
obgleich von beiden kein Antlitz zu sehen, indem ihr Kuß sich unter der
[Spaltenumbruch] Fülle der Locken birgt, so keusch und rein wie ein Heiligenbild! Jm Fürsten-
schloß wird sie von des Fürsten Schwester als Braut geschmückt; er geht
ihr in die Kirche voran; die sieben Raben fliegen vorüber, als Mahnung
daß sie sieben Jahre stumm bleiben muß; ein Bild, in welchem Schönheit,
Anmuth und Heiterkeit mit Pracht und Glanz um den Vorrang streiten;
als Fürstin ist sie Wohlthäterin der Armen und Kranken; arbeitet aber
noch heimlich bei nächtlicher Weile an dem letzten der 7 Hemden für ihre
verwunschenen Brüder, wodurch sie im Herzen ihres Gemahls, der sie be-
lauscht, Mißtrauen erweckt. Sie kommt mit Zwillingen nieder, die sich
aber in den Händen der Hebamme, die dem fürstlichen Vater die Kinder dar-
reichen will, in Raben verwandeln und davon fliegen. Wie groß auch
das Unglück ist, die komische Wirkung auf die Hebamme und Dienerschaft
hat der Künstler doch darstellen müssen! Für die Rettung ihrer Brüder
von der Fee zu siebenjährigem Schweigen gezwungen, gibt die Fürstin
keinen Aufschluß und wird als Hexe zum Scheiterhaufen verurtheilt. Wie-
derum nur in ihr reiches Haar gehüllt, mit Stricken gebunden wird sie
aus dem Kerker zum Feuertode geführt. Noch auf dem letzten Gange be-
weist sie der Fee ausdauernden Gehorsam, da nur noch eine Stunde fehlt
am Ablauf der 7 Jahre. Da werfen sich alle die Armen und Elenden,
denen sie Helferin und Trösterin gewesen, den Henkern in den Weg, und
verzögern damit die Execution. Die Stunde ist verronnen; die Fee scheucht
die sieben Raben auf, die nun als schmucke Ritter herankommen und die
Schwester die bereits auf dem Holzstoß steht, befreien, während ihr die Fee
zwei liebliche Knaben, ihre Zwillinge, bringt, der Fürst ihre Füße küßt,
das Volk jubelt, und sie selbst, des Zaubers bar, frohlockt. Dieses in
Aquarell ausgeführte Gemälde, einer der größten Schätze der neuen deut-
schen Kunst, ist im Besitze der Frau Großherzogin von Weimar; und so
sind Schwinds ( bis zu dieser Zeit ) bedeutendste Leistungen in Thüringen
zu suchen.

Aber wie herrlich und jedes Ruhmes werth sie auch sind: Schwind
hatte noch Kraft und Freudigkeit zu einem höhern Flug, und er hat ihn mit
dem glücklichsten Erfolg gethan, mit seiner ( ebenfalls in Aquarell ausge-
führten ) bildlichen Darstellung des Märchens von der „schönen Melusine.“
Jm Grunde genommen ist sie die Ausführung des tiefsinnigen bedeutungs-
vollen Gedankens: „Das Leben ein Traum!“ Versunken in innere Anschau-
ungen liegt Melusine in ihrer Felsengrotte. Da erscheint ihrem liebebe-
dürftigen Herzen der Ritte, der um den Austausch mit dem seinigen bittet;
zaudernd und von ihren Nymphen gewarnt schlägt sie ein, und kommt, in
Begleitung ihrer auf muthigen Rossen einhersprengenden Gespielinnen,
zum Ritter, der sie vom Zelter hebt und zum Traualtar führt, wohin ihr
bereits feindselige Blicke eines Verwandten folgen. Einen Grottentempel
hat sie sich erbaut und nimmt ihrem Gatten den Schwur ab nie -- wenn
sie darin ist -- eindringen zu wollen; ewige Trennung würde die unmit-
telbare Folge sein. Jn diesem Grottentempel vereinigt sie sich mit ihren
Nymphen allmonatlich zum verjüngenden Wellenbad; sie erlebt mit dem
Gatten und reizenden Kindern ein ungetrübtes Familienglück, bis ein
Mönch bei den Bauern Verdacht erregt über den geheimnißvollen Grotten-
tempel, und der heimtückische Verwandte die Kinder argwöhnisch gegen die
Mutter macht, und letztlich selbst den Ritter veranlaßt in den Grotten-
tempel einzudringen, worauf augenblicklich Melusine zurückstürzt und
ihre Nymphen in den Wellen verschwinden. Das Unglück ist geschehen;
der Grotten empel zerfällt; Melusine ist verschwunden; aber bei Nachtzeit
naht sie dem Fenster, durch das sie ihre Kinder schlafen sehen kann. Ruhe-
los zieht der Ritter durch öde Fluren, Felsenthäler und Wälder, die geliebte
Gattin aufzusuchen; er findet sie, sinkt Vergebung flehend in ihren Schooß
und wird von ihr zu Tode geküßt. Klagend in schmerzlichem Mitgefühl
nahen die Freundinnen ihr; aber die Feenkönigin ruft ihr das vorausge-
sagte Ende ihrer Liebe ins Gedächtniß, und sie kehrt in ihre Grotte zurück,
wo sie erwachend inne wird daß alles nur ein Traum war!

Jn diesem Werke beanspruchen dichterische Erfindung, Schönheit der
Composition, Reinheit und Größe des Styls, Lebendigkeit, Wahrheit,
Zartheit und Kraft der Darstellung mit einem leichten, natürlichen und
alles Einzelne richtig betonenden Vortrag das gleiche Recht. Reizender
und zugleich reiner und unschuldvoller ist nie die Mädchenfreude im erfri-
schenden Bade geschildert worden; schöner sah man kaum irgendwo ein
Bild des Familienglücks; ergreifender nirgend sein urplötzliches Ende;
aber keine Künstlerhand hat das tragische Ende inbrünstiger Liebe uns in
einer gleich erschütternden Weise vor Augen gestellt als Schwind, wo er
Melusinen uns zeigt wie sie ihren Gatten in bitterem Liebesleid mit ihren
Küssen tödtet.

Durch eine eigenthümliche Verkettung von Umständen ward Schwind
mit seinen letzten großen Kunstaufgaben in sein Jugendland, zu seinen er-
sten heitern Jugendeindrücken und zu einem seiner ältesten Jugendfreunde,
zurückgeführt. Zwar kehrte er noch einmal, wenn auch nur auf einen
kurzen Besuch, in der Romantik ein, indem er für die Gemäldesammlung

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[1250/0010] ein viel sinnlicheres Gepräge. Aber Ada Christen fühlte daß ihr Drama, wenn sie die anfängliche Jdee nackt und scharf herauskehrte, den Zugang zur Bühne für immer verschlossen finden mußte. Das heutige Geschlecht erträgt das nicht was die alte griechische Tragödie ihren Zuschauern bieten konnte; kein Theaterdirector würde ein Stück zu geben wagen in welchem die Mutter die Geliebte des Sohnes ist. So verzichtete die Verfasserin dar- auf den Gedanken der ihr vorschwebte unbedingt zu entwickeln, und machte auf halbem Wege Halt. So wie das Stück jetzt vorliegt, hat es nicht eine einzige Scene, ja kaum ein Wort welches von der Bühne herab verletzen könnte. Trotz der Milderung des ersten Entwurfs ist es kein schwaches Drama geworden, sondern bietet noch immer starke Effecte und einige wahrhaft ergreifende Stellen. Obwohl ein Erstlingswerk, weist „Faustina“ nur wenige Schwächen eines solchen auf. Es kam der Dichterin wohl zu statten daß sie Schau- spielerin war, und somit die Bedürfnisse des Theaters kennt. Von jener dramatischen Unbeholfenheit die so leicht einem ersten Versuch anklebt, ist bei Ada Christen kaum eine Spur zu entdecken. Auch die Charakterzeich- nung ist gut, und hat etwas von männlicher Bestimmtheit an sich. Vor- züglich sind Faustina und der harte in seinen Standesvorurtheilen be- fangene Kaufherr Warren, auch der gute alte Major Kulmer ist eine natur- wahre, aus dem Leben gegriffene Figur. Der Schuft Norrent, obwohl individuell gezeichnet, kann den herkömmlichen Theaterbösewicht nicht ver- läugnen; auch ist seine Liebe für Faustina nicht recht verständlich. Pla- tonische Sentimentalität paßt nicht zu seinem cynischen Wesen. Denken wir uns aber andere Beziehungen zwischen ihm und Faustina, so fällt die Heldin stark in unserer Achtung. Heinrich ist mit Geschick von Anfang an als eine so reizbare, überspannte Natur angelegt, daß die Katastrophe we- nigstens möglich erscheint. Die schwächste Gestalt des Stückes ist die 16jährige Marianne. Jhre Unschuld ist mit einer Dosis Albernheit versetzt, deren Nothwendigkeit uns nicht einleuchten will. Aber man begreift warum Ada Christen ein solches Gänschen aus der „ Jngénue “ macht. Frauen von Geist und Talent halten den Backfisch immer für einfältiger als er in Wirklichkeit ist; das Unfertige, Unreife einer halberschlossenen Mädchen- knospe widerstrebt dem klaren Sinne des Weibes. Man mag es aufrichtig bedauern daß Ada Christen von der Kühnheit mit der sie in ihren ersten Liedern aufgetreten, bei ihrem Drama keinen Gebrauch machen wollte. Gerade sie hatte das Zeug das Furchtbare des Oedipusstoffes in moderner Gestalt voll und unverkümmert durchzuführen. Es hätte freilich viel Kopfschütteln und Händezusammenschlagen darüber gegeben. Daß die Verfasserin sich davor scheute, daß sie lieber anständig als gewaltig sein wollte, macht ihr als Frau alle Ehre. „Faustina“ ist nicht nur ein neues Zeugniß ihres Talents, sondern auch ein Beweis dafür daß jene sich geirrt haben die in den „Liedern einer Verlorenen“ nur die Geständnisse einer Emancipirten sahen, und glaubten Ada Christen werde auf diesem Wege fortfahren und ihre Dichtungen stets mit Pfeffer beizen. Je weniger dieß bei ihrem Drama der Fall ist, desto freundlicher kann es die Bühne aufnehmen. Es ist für die Bretter geschrieben, und wo die Titelrolle eine bedeutende Darstellerin findet, wird es kaum an einem guten Erfolg fehlen. Moritz v. Schwind. III ( Schluß. ) *** Wie überaus herrlich dieser obendrein mit Farbenzauber ausgeführte ( in den Besitz des Baron v. Frankenstein gekommene, von Jul. Thäter in Kupfer gestochene ) Bildercyclus auch war: -- Schwind übertraf sich selbst mit einem zweiten, zu dem Märchen von den „Sieben Raben,“ das den Glanzpunkt der allgemeinen deutschen Kunstausstellung in München im Jahr 1858 bildete. Die einzelnen Vorgänge der Erzählung scheidet er durch Arcaden, vor denen eine Vorhalle sich befindet, in welcher eine Ge- sellschaft Kinder und Menschen kindlichen Gemüths vereinigt sind, wie er sie sich zur rechten Freude an der Märchenwelt befähigt denkt: es ist seine eigene um ihn versammelte Familie, ein Bild des rührendsten und ent- zückendsten häuslichen Glücks! Jn diesem Raum ist die Vorgeschichte des Märchens in Glasgemälden der Fenster angebracht. Und nun beginnt die Geschichte mit der Jagd des Prinzen, auf der er das Mädchen, die ihren in Raben verwandelten Brüdern nachgelaufen, in dem hohlen Baum entdeckt, in welchen sie von einer Fee zur Rettung ihrer Brüder aufgehoben ist, und sie aus der ungemüthlichen Wohnstätte weg und mit sich auf sein Schloß nimmt. Schwind erreicht in dieser Darstellung eine Höhe bis zu welcher sich vor ihm -- meines Wissens -- kein anderer Künstler empor- geschwungen. Jn nichts als in ihr reich wallendes Haar gekleidet sitzt die Jungfrau im hohlen Baum; so sinkt sie von da herab hingebend in die Arme des mit herzinniger Liebe sie umfassenden Jünglings; eine Scene, obgleich von beiden kein Antlitz zu sehen, indem ihr Kuß sich unter der Fülle der Locken birgt, so keusch und rein wie ein Heiligenbild! Jm Fürsten- schloß wird sie von des Fürsten Schwester als Braut geschmückt; er geht ihr in die Kirche voran; die sieben Raben fliegen vorüber, als Mahnung daß sie sieben Jahre stumm bleiben muß; ein Bild, in welchem Schönheit, Anmuth und Heiterkeit mit Pracht und Glanz um den Vorrang streiten; als Fürstin ist sie Wohlthäterin der Armen und Kranken; arbeitet aber noch heimlich bei nächtlicher Weile an dem letzten der 7 Hemden für ihre verwunschenen Brüder, wodurch sie im Herzen ihres Gemahls, der sie be- lauscht, Mißtrauen erweckt. Sie kommt mit Zwillingen nieder, die sich aber in den Händen der Hebamme, die dem fürstlichen Vater die Kinder dar- reichen will, in Raben verwandeln und davon fliegen. Wie groß auch das Unglück ist, die komische Wirkung auf die Hebamme und Dienerschaft hat der Künstler doch darstellen müssen! Für die Rettung ihrer Brüder von der Fee zu siebenjährigem Schweigen gezwungen, gibt die Fürstin keinen Aufschluß und wird als Hexe zum Scheiterhaufen verurtheilt. Wie- derum nur in ihr reiches Haar gehüllt, mit Stricken gebunden wird sie aus dem Kerker zum Feuertode geführt. Noch auf dem letzten Gange be- weist sie der Fee ausdauernden Gehorsam, da nur noch eine Stunde fehlt am Ablauf der 7 Jahre. Da werfen sich alle die Armen und Elenden, denen sie Helferin und Trösterin gewesen, den Henkern in den Weg, und verzögern damit die Execution. Die Stunde ist verronnen; die Fee scheucht die sieben Raben auf, die nun als schmucke Ritter herankommen und die Schwester die bereits auf dem Holzstoß steht, befreien, während ihr die Fee zwei liebliche Knaben, ihre Zwillinge, bringt, der Fürst ihre Füße küßt, das Volk jubelt, und sie selbst, des Zaubers bar, frohlockt. Dieses in Aquarell ausgeführte Gemälde, einer der größten Schätze der neuen deut- schen Kunst, ist im Besitze der Frau Großherzogin von Weimar; und so sind Schwinds ( bis zu dieser Zeit ) bedeutendste Leistungen in Thüringen zu suchen. Aber wie herrlich und jedes Ruhmes werth sie auch sind: Schwind hatte noch Kraft und Freudigkeit zu einem höhern Flug, und er hat ihn mit dem glücklichsten Erfolg gethan, mit seiner ( ebenfalls in Aquarell ausge- führten ) bildlichen Darstellung des Märchens von der „schönen Melusine.“ Jm Grunde genommen ist sie die Ausführung des tiefsinnigen bedeutungs- vollen Gedankens: „Das Leben ein Traum!“ Versunken in innere Anschau- ungen liegt Melusine in ihrer Felsengrotte. Da erscheint ihrem liebebe- dürftigen Herzen der Ritte, der um den Austausch mit dem seinigen bittet; zaudernd und von ihren Nymphen gewarnt schlägt sie ein, und kommt, in Begleitung ihrer auf muthigen Rossen einhersprengenden Gespielinnen, zum Ritter, der sie vom Zelter hebt und zum Traualtar führt, wohin ihr bereits feindselige Blicke eines Verwandten folgen. Einen Grottentempel hat sie sich erbaut und nimmt ihrem Gatten den Schwur ab nie -- wenn sie darin ist -- eindringen zu wollen; ewige Trennung würde die unmit- telbare Folge sein. Jn diesem Grottentempel vereinigt sie sich mit ihren Nymphen allmonatlich zum verjüngenden Wellenbad; sie erlebt mit dem Gatten und reizenden Kindern ein ungetrübtes Familienglück, bis ein Mönch bei den Bauern Verdacht erregt über den geheimnißvollen Grotten- tempel, und der heimtückische Verwandte die Kinder argwöhnisch gegen die Mutter macht, und letztlich selbst den Ritter veranlaßt in den Grotten- tempel einzudringen, worauf augenblicklich Melusine zurückstürzt und ihre Nymphen in den Wellen verschwinden. Das Unglück ist geschehen; der Grotten empel zerfällt; Melusine ist verschwunden; aber bei Nachtzeit naht sie dem Fenster, durch das sie ihre Kinder schlafen sehen kann. Ruhe- los zieht der Ritter durch öde Fluren, Felsenthäler und Wälder, die geliebte Gattin aufzusuchen; er findet sie, sinkt Vergebung flehend in ihren Schooß und wird von ihr zu Tode geküßt. Klagend in schmerzlichem Mitgefühl nahen die Freundinnen ihr; aber die Feenkönigin ruft ihr das vorausge- sagte Ende ihrer Liebe ins Gedächtniß, und sie kehrt in ihre Grotte zurück, wo sie erwachend inne wird daß alles nur ein Traum war! Jn diesem Werke beanspruchen dichterische Erfindung, Schönheit der Composition, Reinheit und Größe des Styls, Lebendigkeit, Wahrheit, Zartheit und Kraft der Darstellung mit einem leichten, natürlichen und alles Einzelne richtig betonenden Vortrag das gleiche Recht. Reizender und zugleich reiner und unschuldvoller ist nie die Mädchenfreude im erfri- schenden Bade geschildert worden; schöner sah man kaum irgendwo ein Bild des Familienglücks; ergreifender nirgend sein urplötzliches Ende; aber keine Künstlerhand hat das tragische Ende inbrünstiger Liebe uns in einer gleich erschütternden Weise vor Augen gestellt als Schwind, wo er Melusinen uns zeigt wie sie ihren Gatten in bitterem Liebesleid mit ihren Küssen tödtet. Durch eine eigenthümliche Verkettung von Umständen ward Schwind mit seinen letzten großen Kunstaufgaben in sein Jugendland, zu seinen er- sten heitern Jugendeindrücken und zu einem seiner ältesten Jugendfreunde, zurückgeführt. Zwar kehrte er noch einmal, wenn auch nur auf einen kurzen Besuch, in der Romantik ein, indem er für die Gemäldesammlung

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Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

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Die Transkription erfolgte manuell im Double-Keying-Verfahren. Die Annotation folgt den formulierten Richtlinien.

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  • fremdsprachliches Material: nur Fremdskripte gekennzeichnet.
  • Kolumnentitel: nicht übernommen.
  • Kustoden: nicht übernommen.
  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg (Bayern), 15. März 1871, S. 1250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg74_1871/10>, abgerufen am 27.04.2024.