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Allgemeine Zeitung. Nr. 68. Augsburg (Bayern), 9. März 1871.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 68.
Donnerstag, 9 März 1871.


Verlag der J. G. Cotta' schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen.


Correspondenzen sind an die Redaction, Jnserate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adressiren.
ANZEIGEN werden von der Expedition aufgenommen und der Raum einer dreigespaltenen Colonelzeile berechnet:
im Hauptblatt mit 12 kr., in der Beilage, welcher das Montagsblatt gleich geachtet wird, mit 9 kr.;
ausserdem ist zu Ermöglichung der Selbstausrechnung des Insertionspreises durch den Tit. Auftraggeber und der Anhersendung des Betrags in Papiergeld und Briesmarken eine
wortweise Berechnung eingeführt, bei welcher eine Anzeige ( Aufschrift, Firma etc. durch fette Lettern ausgezeichnet ) um "baar und franco 4 kr. südd. ( auch 7 Ngr. ö. W.
1 1 / 4 Ngr., 15 Cent ) für jedes Wort oder Zahl" in der Beilage Aufnahme findet: bezüglich der Collectivanzeige vid. am Schluss der Beilage.



[Beginn Spaltensatz]
Uebersicht.

Die Universität Prag. -- Das Völkerrecht und der Krieg. ( II. Schluß. )
Geschichten aus Livius.

Neueste Posten. München: Prinz Luitpold. Graf Vray. Die
Kriegsgefangenen. Danksagung an die Schweiz. Ministerialrath v. Nar +.
Augsburg: Wahlen. Breslau: Ovation. Straßburg: Fürstlicher
Besuch. Durchreisende Minister. Die Leiche Küß'.



Telegraphische Berichte.

* Stuttgart, 8 März. Das Wahlergebniß in 15 Wahlkreisen
ist jetzt bekannt. Gewählt wurden: Hölder, Chevalier, Goppelt, Elben,
Keßler, Müller, Schmidt, Professor Römer, Reyscher, Wagner, Weber,
Fürst Hohenlohe=Langenburg, sämmtlich Nationale; ferner Streich, Fürst
Waldburg=Zeil ( beide klerikal mit National=Programm ) , Probst ( groß-
deutsch ) . Aus zwei Wahlkreisen liegt noch kein endgültiges Ergebniß vor.
Jn Baden wurden gewählt 12 Nationalliberale und 2 Klerikale.

Diese Depesche aus dem Hauptblatt hier wiederholt.

* Berlin, 8 März. Die "Prov.=Corr." schreibt: "Nach der Nück-
kehr des Kaisers wird voraussichtlich eine allgemeine kirchliche Dank= und
Gedenkfeier mit Bezug auf den Krieg und seine Opfer und Erfolge statt-
finden. Von einer längeren Landestrauer, welche mehrfach als bevor-
stehend angekündigt wurde, ist in Regierungskreisen keine Rede." Der
"Prov.=Corr." zufolge wird Graf Bismarck nächster Tage hier erwartet.
Der Reichstag wird am 21 März vom Kaiser eröffnet. Die Fürsorge der
kaiserlichen Regierung ist vor allem darauf gerichtet die Mannschaften der
Landwehr sobald als möglich ihren Familien und Berufskreisen zurückzu-
führen.

* Berlin, 8 März. Der "Krzztg." zufolge ist die Rückkehr des
Kaisers in etwa acht Tagen zu erwarten. Der Kaiser wird erst nach sei-
ner Rückkunft über das Reichs= und Kaiserwappen, die Jnauguration und
die Siegesfeier befehlen; alles bisher hierüber Veröffentlichte ist verfrüht.
Von einer Krönung ist vorläufig gar nicht die Rede, nur von einer großen
militärischen Feier, welche mit dem Einzug unserer Truppen und von
Deputationen des gesammten deutschen Heeres, der Bayern, Sachsen,
Württemberger, Badener und Hessen verbunden sein wird. Wahrschein-
lich wird ein Trauergottesdienst für die Gefallenen in Verbindung mit
der kirchlichen Friedensfeier oder am Abend derselben stattfinden. Die
"Nationalzeitung" nennt als Tag der Rückkehr des Kaisers den 16 März.
Privatmittheilungen der Blätter zufolge wird der Einzug der Truppen
nicht vor dem 1 Mai stattfinden.

* Berlin, 8 März. Graf Bismarck trifft hierselbst morgen früh
um halb 8 Uhr am Anhalter Bahnhof mit dem Nachtcourierzug von
Frankfurt ein.

* Dresden, 8 März. Das "Dresd. Journ." veröffentlicht die
Reichstagswahlen aus 22 sächsischen Wahlkreisen ( der 20. fehlt noch ) . Ge-
wählt wurden 3 Conservative ( Ackermann, Günther, Schwarze ) , 6 Na-
tionalliberale ( Birnbaum, Böhme, Georgi, Mosig v. Aehrenfeld, Pfeiffer,
Stephani ) , 6 Mitglieder der Fortschrittspartei ( Eysoldt, Hirschberg, Lud-
wig, Minckwitz, Oehmichen und Schaffrath ) , 2 Socialdemokraten ( Bebel
und Schraps ) . Jn fünf Bezirken sind Nachwahlen erforderlich.

Weitere Telegramme siehe fünfte Seite.

Die Universität Prag.

sym15 Prag, Anf. März. Es hält für einen ehrlichen Deutschen jetzt
schwer eine Besorgniß auszusprechen oder auch nur ein Bedenken laut
werden zu lassen, da ihm solches schnurstracks von "maßgebender" wie von
gegnerischer Seite als Verketzerung der neuesten Aera und als Verdächti-
gung des Cabinets Hohenwart angerechnet wird. Jst es aber unsere
Schuld wenn gerade jetzt von allen Seiten die bedrohlichsten Anzeichen
auftauchen, und sollen wir etwa ruhig zuwarten bis ein Unheil geschehen,
um nicht durch eine rechtzeitige Warnung den Verdacht der Cabinetsfeind-
lichkeit zu erregen? Es ist wahrhaftig ganz ohne unser Zuthun, und ver-
muthlich nur ein Spiel des boshaften Zufalls, daß alle reichs= und deutsch-
feindlichen Coterien diesem Ministerium zujubeln und von ihm Handlanger-
dienste für eine föderalistische Reaction verlangen; da aber dem einmal so
ist, erachten wir es zum mindesten für unsere Pflicht auf das Auftauchen
der Sturmvögel aufmerksam zu machen und das Ministerium selbst vor
[Spaltenumbruch] drohenden Fehlgriffen zu warnen, ob es nun dieser Warnung achtet oder
nicht. Und in diesem Sinne sei es uns gestattet eine Frage von der größ-
ten Tragweite völlig objectiv zu behandeln; die Frage nämlich: ob Prag
seine deutsche Universität behalten oder ob dieselbe der Tschechisirung ver-
fallen soll. Dem Hrn. Unterrichtsminister, der sich eben mit dieser Frage
beschäftigen muß, kann es ja nur angenehm sein die Stimme der Oeffent-
lichkeit -- und zwar auch die deutsche -- zu vernehmen.

Allbekannt ist der nationale Streit um die Universität Prag. Ge-
gründet vom deutschen Kaiser Karl mit der ausdrücklichen Bestimmung
sämmtlichen in vier Classen geschiedenen Nationalitäten als Lehrstätte zu
dienen, erlitt die gegenwärtige Carolo = Ferdinandea den empfindlichsten,
durch Jahrhunderte unverwundenen Stoß durch die nationalen Umtriebe
des Magister Huß, die mit der bekannten Vertreibung deutscher Lehrer und
Schüler endeten. War das folgende geisttödtende jesuitische Regime nicht
dazu angethan der arg geschädigten Hochschule zu einem neuen Auf-
schwung zu verhelfen, so kündigte sich dieser doch schon zu Beginn dieses
Jahrhunderts mit der Lehrthätigkeit eines Exner und Bolzano an, und
vollzog sich im Laufe der letzten Jahrzehnte, so daß die Prager Universität
jetzt mit Stolz auf eine Reihe anerkannter Stützen der deutschen Wissen-
schaft verweisen kann, und der verheißungsvollsten Zukunft entgegensehen
könnte wenn nicht das Gespenst ihres ersten Verderbers aus seinem Grab
erstanden wäre, und in das 19. Jahrhundert die finstere Erbschaft des Mit-
telalters, den nationalen Fanatismus und die terroristische Unduldsamkeit,
hineintrüge.

Die nationale Partei, welche das historische Recht nur dort hervorkehrt
und achtet wo es eben in ihren Kram paßt, strebt seit langem bald offener,
bald versteckter darnach die Universität zu usurpiren: zuerst den Utra-
quismus einzuführen und dann mit Anwendung ihrer bekannten Agita-
tionsmittel die Herrschaft zu erringen, mit welcher natürlich die Erstickung
alles deutschen Geistes besiegelt wäre. Wir haben genau dasselbe Schau-
spiel bei dem Polytechnikum verfolgen können, wo zuerst mit aller Gewalt
die Einführung des Utraquismus erstrebt wurde, und, als derselbe erreicht
war, die endlosen Reibungen, das widerlichste nationale Gezänke, die un-
ausgesetzten Agitationen begannen, welche das rein wissenschaftliche Jnsti-
tut so lange zum Spielball von Partei=Jntriguen erniedrigten, und jede er-
sprießliche Thätigkeit brach legten, bis die Deutschen endlich, trotz der hef-
tigsten Gegenbemühungen, die Trennung des Jnstituts durchsetzten und
so dem unheilvollen Treiben ein Ende machten. Man sollte nun meinen
dem Princip der nationalen Gleichberechtigung entspräche es vollkommen
wenn jede Nationalität ihr eigenes, aus Landesmitteln dotirtes Jnstitut
besitzt; aber behüte! das wollen unsere Tschechen nicht. Ueber die Tren-
nung des deutschen Polytechnikums vom tschechischen schrieen sie als ob
ihnen das ärgste Unrecht widerführe. Sie wollen ein Jnstitut mit
Parallelclassen und die stete Möglichkeit die deutschen Schulen zu beengen,
die besten deutschen Lehrkräfte durch ewige Chicanen wo möglich zu vertrei-
ben und mit der Zeit die deutschen Classen zu amalgamiren.

Genau dasselbe Spiel wie mit dem Polytechnikum wiederholt sich
nun mit der Universität. Die Tschechen erklären: ihre Nationalität be-
dürfe unumgänglich einer Hochschule. Die Deutschen haben nicht das
mindeste dagegen einzuwenden, und sind vollständig bereit die Mittel für
Errichtung einer solchen aus Landesfonds zu bewilligen. Aber das wollen
die Tschechen einfach nicht; sie wollen die bestehende Universität tschechisi-
ren. Sie erklären, im offenen Widerspruche mit der Bestimmung des
Gründers wie mit der geschichtlichen Entwicklung, die Universität Prag für
das Eigenthum der "böhmischen Nation," und reclamiren sie als solches.
An der ältesten deutschen Universität soll die deutsche Wissenschaft nur noch
untergeordneten Spielraum finden, und ein allem deutschen Geist feind-
licher, wenn gleich nur auf Grund deutscher Geistesarbeit sein Dasein
fristender, engherziger Nationalitätscultus die Herrschaft antreten. Zur
Erreichung dieser Absichten glaubt die nationale Partei jetzt den richtigen
Zeitpunkt gekommen.

Minister Jiretschek wird in allen tschechischen Journalen bestürmt als
"Sohn der tschechischen Nation" dieser zu ihrem "Recht" auf die Prager Uni-
versität zu verhelfen, widrigenfalls man seinen Namen zu brandmarken droht.
( So zu lesen im "Pokrok" vom 25 Febr. ) Als Mittel zu diesem Zweck wird
die sofortige Creirung ordentlicher tschechischer Professuren für alle Fächer

Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 68.
Donnerstag, 9 März 1871.


Verlag der J. G. Cotta' schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen.


Correspondenzen sind an die Redaction, Jnserate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adressiren.
ANZEIGEN werden von der Expedition aufgenommen und der Raum einer dreigespaltenen Colonelzeile berechnet:
im Hauptblatt mit 12 kr., in der Beilage, welcher das Montagsblatt gleich geachtet wird, mit 9 kr.;
ausserdem ist zu Ermöglichung der Selbstausrechnung des Insertionspreises durch den Tit. Auftraggeber und der Anhersendung des Betrags in Papiergeld und Briesmarken eine
wortweise Berechnung eingeführt, bei welcher eine Anzeige ( Aufschrift, Firma etc. durch fette Lettern ausgezeichnet ) um „baar und franco 4 kr. südd. ( auch 7 Ngr. ö. W.
1 1 / 4 Ngr., 15 Cent ) für jedes Wort oder Zahl“ in der Beilage Aufnahme findet: bezüglich der Collectivanzeige vid. am Schluss der Beilage.



[Beginn Spaltensatz]
Uebersicht.

Die Universität Prag. -- Das Völkerrecht und der Krieg. ( II. Schluß. )
Geschichten aus Livius.

Neueste Posten. München: Prinz Luitpold. Graf Vray. Die
Kriegsgefangenen. Danksagung an die Schweiz. Ministerialrath v. Nar †.
Augsburg: Wahlen. Breslau: Ovation. Straßburg: Fürstlicher
Besuch. Durchreisende Minister. Die Leiche Küß'.



Telegraphische Berichte.

* Stuttgart, 8 März. Das Wahlergebniß in 15 Wahlkreisen
ist jetzt bekannt. Gewählt wurden: Hölder, Chevalier, Goppelt, Elben,
Keßler, Müller, Schmidt, Professor Römer, Reyscher, Wagner, Weber,
Fürst Hohenlohe=Langenburg, sämmtlich Nationale; ferner Streich, Fürst
Waldburg=Zeil ( beide klerikal mit National=Programm ) , Probst ( groß-
deutsch ) . Aus zwei Wahlkreisen liegt noch kein endgültiges Ergebniß vor.
Jn Baden wurden gewählt 12 Nationalliberale und 2 Klerikale.

Diese Depesche aus dem Hauptblatt hier wiederholt.

* Berlin, 8 März. Die „Prov.=Corr.“ schreibt: „Nach der Nück-
kehr des Kaisers wird voraussichtlich eine allgemeine kirchliche Dank= und
Gedenkfeier mit Bezug auf den Krieg und seine Opfer und Erfolge statt-
finden. Von einer längeren Landestrauer, welche mehrfach als bevor-
stehend angekündigt wurde, ist in Regierungskreisen keine Rede.“ Der
„Prov.=Corr.“ zufolge wird Graf Bismarck nächster Tage hier erwartet.
Der Reichstag wird am 21 März vom Kaiser eröffnet. Die Fürsorge der
kaiserlichen Regierung ist vor allem darauf gerichtet die Mannschaften der
Landwehr sobald als möglich ihren Familien und Berufskreisen zurückzu-
führen.

* Berlin, 8 März. Der „Krzztg.“ zufolge ist die Rückkehr des
Kaisers in etwa acht Tagen zu erwarten. Der Kaiser wird erst nach sei-
ner Rückkunft über das Reichs= und Kaiserwappen, die Jnauguration und
die Siegesfeier befehlen; alles bisher hierüber Veröffentlichte ist verfrüht.
Von einer Krönung ist vorläufig gar nicht die Rede, nur von einer großen
militärischen Feier, welche mit dem Einzug unserer Truppen und von
Deputationen des gesammten deutschen Heeres, der Bayern, Sachsen,
Württemberger, Badener und Hessen verbunden sein wird. Wahrschein-
lich wird ein Trauergottesdienst für die Gefallenen in Verbindung mit
der kirchlichen Friedensfeier oder am Abend derselben stattfinden. Die
„Nationalzeitung“ nennt als Tag der Rückkehr des Kaisers den 16 März.
Privatmittheilungen der Blätter zufolge wird der Einzug der Truppen
nicht vor dem 1 Mai stattfinden.

* Berlin, 8 März. Graf Bismarck trifft hierselbst morgen früh
um halb 8 Uhr am Anhalter Bahnhof mit dem Nachtcourierzug von
Frankfurt ein.

* Dresden, 8 März. Das „Dresd. Journ.“ veröffentlicht die
Reichstagswahlen aus 22 sächsischen Wahlkreisen ( der 20. fehlt noch ) . Ge-
wählt wurden 3 Conservative ( Ackermann, Günther, Schwarze ) , 6 Na-
tionalliberale ( Birnbaum, Böhme, Georgi, Mosig v. Aehrenfeld, Pfeiffer,
Stephani ) , 6 Mitglieder der Fortschrittspartei ( Eysoldt, Hirschberg, Lud-
wig, Minckwitz, Oehmichen und Schaffrath ) , 2 Socialdemokraten ( Bebel
und Schraps ) . Jn fünf Bezirken sind Nachwahlen erforderlich.

Weitere Telegramme siehe fünfte Seite.

Die Universität Prag.

sym15 Prag, Anf. März. Es hält für einen ehrlichen Deutschen jetzt
schwer eine Besorgniß auszusprechen oder auch nur ein Bedenken laut
werden zu lassen, da ihm solches schnurstracks von „maßgebender“ wie von
gegnerischer Seite als Verketzerung der neuesten Aera und als Verdächti-
gung des Cabinets Hohenwart angerechnet wird. Jst es aber unsere
Schuld wenn gerade jetzt von allen Seiten die bedrohlichsten Anzeichen
auftauchen, und sollen wir etwa ruhig zuwarten bis ein Unheil geschehen,
um nicht durch eine rechtzeitige Warnung den Verdacht der Cabinetsfeind-
lichkeit zu erregen? Es ist wahrhaftig ganz ohne unser Zuthun, und ver-
muthlich nur ein Spiel des boshaften Zufalls, daß alle reichs= und deutsch-
feindlichen Coterien diesem Ministerium zujubeln und von ihm Handlanger-
dienste für eine föderalistische Reaction verlangen; da aber dem einmal so
ist, erachten wir es zum mindesten für unsere Pflicht auf das Auftauchen
der Sturmvögel aufmerksam zu machen und das Ministerium selbst vor
[Spaltenumbruch] drohenden Fehlgriffen zu warnen, ob es nun dieser Warnung achtet oder
nicht. Und in diesem Sinne sei es uns gestattet eine Frage von der größ-
ten Tragweite völlig objectiv zu behandeln; die Frage nämlich: ob Prag
seine deutsche Universität behalten oder ob dieselbe der Tschechisirung ver-
fallen soll. Dem Hrn. Unterrichtsminister, der sich eben mit dieser Frage
beschäftigen muß, kann es ja nur angenehm sein die Stimme der Oeffent-
lichkeit -- und zwar auch die deutsche -- zu vernehmen.

Allbekannt ist der nationale Streit um die Universität Prag. Ge-
gründet vom deutschen Kaiser Karl mit der ausdrücklichen Bestimmung
sämmtlichen in vier Classen geschiedenen Nationalitäten als Lehrstätte zu
dienen, erlitt die gegenwärtige Carolo = Ferdinandea den empfindlichsten,
durch Jahrhunderte unverwundenen Stoß durch die nationalen Umtriebe
des Magister Huß, die mit der bekannten Vertreibung deutscher Lehrer und
Schüler endeten. War das folgende geisttödtende jesuitische Régime nicht
dazu angethan der arg geschädigten Hochschule zu einem neuen Auf-
schwung zu verhelfen, so kündigte sich dieser doch schon zu Beginn dieses
Jahrhunderts mit der Lehrthätigkeit eines Exner und Bolzano an, und
vollzog sich im Laufe der letzten Jahrzehnte, so daß die Prager Universität
jetzt mit Stolz auf eine Reihe anerkannter Stützen der deutschen Wissen-
schaft verweisen kann, und der verheißungsvollsten Zukunft entgegensehen
könnte wenn nicht das Gespenst ihres ersten Verderbers aus seinem Grab
erstanden wäre, und in das 19. Jahrhundert die finstere Erbschaft des Mit-
telalters, den nationalen Fanatismus und die terroristische Unduldsamkeit,
hineintrüge.

Die nationale Partei, welche das historische Recht nur dort hervorkehrt
und achtet wo es eben in ihren Kram paßt, strebt seit langem bald offener,
bald versteckter darnach die Universität zu usurpiren: zuerst den Utra-
quismus einzuführen und dann mit Anwendung ihrer bekannten Agita-
tionsmittel die Herrschaft zu erringen, mit welcher natürlich die Erstickung
alles deutschen Geistes besiegelt wäre. Wir haben genau dasselbe Schau-
spiel bei dem Polytechnikum verfolgen können, wo zuerst mit aller Gewalt
die Einführung des Utraquismus erstrebt wurde, und, als derselbe erreicht
war, die endlosen Reibungen, das widerlichste nationale Gezänke, die un-
ausgesetzten Agitationen begannen, welche das rein wissenschaftliche Jnsti-
tut so lange zum Spielball von Partei=Jntriguen erniedrigten, und jede er-
sprießliche Thätigkeit brach legten, bis die Deutschen endlich, trotz der hef-
tigsten Gegenbemühungen, die Trennung des Jnstituts durchsetzten und
so dem unheilvollen Treiben ein Ende machten. Man sollte nun meinen
dem Princip der nationalen Gleichberechtigung entspräche es vollkommen
wenn jede Nationalität ihr eigenes, aus Landesmitteln dotirtes Jnstitut
besitzt; aber behüte! das wollen unsere Tschechen nicht. Ueber die Tren-
nung des deutschen Polytechnikums vom tschechischen schrieen sie als ob
ihnen das ärgste Unrecht widerführe. Sie wollen ein Jnstitut mit
Parallelclassen und die stete Möglichkeit die deutschen Schulen zu beengen,
die besten deutschen Lehrkräfte durch ewige Chicanen wo möglich zu vertrei-
ben und mit der Zeit die deutschen Classen zu amalgamiren.

Genau dasselbe Spiel wie mit dem Polytechnikum wiederholt sich
nun mit der Universität. Die Tschechen erklären: ihre Nationalität be-
dürfe unumgänglich einer Hochschule. Die Deutschen haben nicht das
mindeste dagegen einzuwenden, und sind vollständig bereit die Mittel für
Errichtung einer solchen aus Landesfonds zu bewilligen. Aber das wollen
die Tschechen einfach nicht; sie wollen die bestehende Universität tschechisi-
ren. Sie erklären, im offenen Widerspruche mit der Bestimmung des
Gründers wie mit der geschichtlichen Entwicklung, die Universität Prag für
das Eigenthum der „böhmischen Nation,“ und reclamiren sie als solches.
An der ältesten deutschen Universität soll die deutsche Wissenschaft nur noch
untergeordneten Spielraum finden, und ein allem deutschen Geist feind-
licher, wenn gleich nur auf Grund deutscher Geistesarbeit sein Dasein
fristender, engherziger Nationalitätscultus die Herrschaft antreten. Zur
Erreichung dieser Absichten glaubt die nationale Partei jetzt den richtigen
Zeitpunkt gekommen.

Minister Jiretschek wird in allen tschechischen Journalen bestürmt als
„Sohn der tschechischen Nation“ dieser zu ihrem „Recht“ auf die Prager Uni-
versität zu verhelfen, widrigenfalls man seinen Namen zu brandmarken droht.
( So zu lesen im „Pokrok“ vom 25 Febr. ) Als Mittel zu diesem Zweck wird
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[?/0009] Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 68. Donnerstag, 9 März 1871. Verlag der J. G. Cotta' schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen. Correspondenzen sind an die Redaction, Jnserate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adressiren. ANZEIGEN werden von der Expedition aufgenommen und der Raum einer dreigespaltenen Colonelzeile berechnet: im Hauptblatt mit 12 kr., in der Beilage, welcher das Montagsblatt gleich geachtet wird, mit 9 kr.; ausserdem ist zu Ermöglichung der Selbstausrechnung des Insertionspreises durch den Tit. Auftraggeber und der Anhersendung des Betrags in Papiergeld und Briesmarken eine wortweise Berechnung eingeführt, bei welcher eine Anzeige ( Aufschrift, Firma etc. durch fette Lettern ausgezeichnet ) um „baar und franco 4 kr. südd. ( auch 7 Ngr. ö. W. 1 1 / 4 Ngr., 15 Cent ) für jedes Wort oder Zahl“ in der Beilage Aufnahme findet: bezüglich der Collectivanzeige vid. am Schluss der Beilage. Uebersicht. Die Universität Prag. -- Das Völkerrecht und der Krieg. ( II. Schluß. ) Geschichten aus Livius. Neueste Posten. München: Prinz Luitpold. Graf Vray. Die Kriegsgefangenen. Danksagung an die Schweiz. Ministerialrath v. Nar †. Augsburg: Wahlen. Breslau: Ovation. Straßburg: Fürstlicher Besuch. Durchreisende Minister. Die Leiche Küß'. Telegraphische Berichte. * Stuttgart, 8 März. Das Wahlergebniß in 15 Wahlkreisen ist jetzt bekannt. Gewählt wurden: Hölder, Chevalier, Goppelt, Elben, Keßler, Müller, Schmidt, Professor Römer, Reyscher, Wagner, Weber, Fürst Hohenlohe=Langenburg, sämmtlich Nationale; ferner Streich, Fürst Waldburg=Zeil ( beide klerikal mit National=Programm ) , Probst ( groß- deutsch ) . Aus zwei Wahlkreisen liegt noch kein endgültiges Ergebniß vor. Jn Baden wurden gewählt 12 Nationalliberale und 2 Klerikale. Diese Depesche aus dem Hauptblatt hier wiederholt. * Berlin, 8 März. Die „Prov.=Corr.“ schreibt: „Nach der Nück- kehr des Kaisers wird voraussichtlich eine allgemeine kirchliche Dank= und Gedenkfeier mit Bezug auf den Krieg und seine Opfer und Erfolge statt- finden. Von einer längeren Landestrauer, welche mehrfach als bevor- stehend angekündigt wurde, ist in Regierungskreisen keine Rede.“ Der „Prov.=Corr.“ zufolge wird Graf Bismarck nächster Tage hier erwartet. Der Reichstag wird am 21 März vom Kaiser eröffnet. Die Fürsorge der kaiserlichen Regierung ist vor allem darauf gerichtet die Mannschaften der Landwehr sobald als möglich ihren Familien und Berufskreisen zurückzu- führen. * Berlin, 8 März. Der „Krzztg.“ zufolge ist die Rückkehr des Kaisers in etwa acht Tagen zu erwarten. Der Kaiser wird erst nach sei- ner Rückkunft über das Reichs= und Kaiserwappen, die Jnauguration und die Siegesfeier befehlen; alles bisher hierüber Veröffentlichte ist verfrüht. Von einer Krönung ist vorläufig gar nicht die Rede, nur von einer großen militärischen Feier, welche mit dem Einzug unserer Truppen und von Deputationen des gesammten deutschen Heeres, der Bayern, Sachsen, Württemberger, Badener und Hessen verbunden sein wird. Wahrschein- lich wird ein Trauergottesdienst für die Gefallenen in Verbindung mit der kirchlichen Friedensfeier oder am Abend derselben stattfinden. Die „Nationalzeitung“ nennt als Tag der Rückkehr des Kaisers den 16 März. Privatmittheilungen der Blätter zufolge wird der Einzug der Truppen nicht vor dem 1 Mai stattfinden. * Berlin, 8 März. Graf Bismarck trifft hierselbst morgen früh um halb 8 Uhr am Anhalter Bahnhof mit dem Nachtcourierzug von Frankfurt ein. * Dresden, 8 März. Das „Dresd. Journ.“ veröffentlicht die Reichstagswahlen aus 22 sächsischen Wahlkreisen ( der 20. fehlt noch ) . Ge- wählt wurden 3 Conservative ( Ackermann, Günther, Schwarze ) , 6 Na- tionalliberale ( Birnbaum, Böhme, Georgi, Mosig v. Aehrenfeld, Pfeiffer, Stephani ) , 6 Mitglieder der Fortschrittspartei ( Eysoldt, Hirschberg, Lud- wig, Minckwitz, Oehmichen und Schaffrath ) , 2 Socialdemokraten ( Bebel und Schraps ) . Jn fünf Bezirken sind Nachwahlen erforderlich. Weitere Telegramme siehe fünfte Seite. Die Universität Prag. sym15 Prag, Anf. März. Es hält für einen ehrlichen Deutschen jetzt schwer eine Besorgniß auszusprechen oder auch nur ein Bedenken laut werden zu lassen, da ihm solches schnurstracks von „maßgebender“ wie von gegnerischer Seite als Verketzerung der neuesten Aera und als Verdächti- gung des Cabinets Hohenwart angerechnet wird. Jst es aber unsere Schuld wenn gerade jetzt von allen Seiten die bedrohlichsten Anzeichen auftauchen, und sollen wir etwa ruhig zuwarten bis ein Unheil geschehen, um nicht durch eine rechtzeitige Warnung den Verdacht der Cabinetsfeind- lichkeit zu erregen? Es ist wahrhaftig ganz ohne unser Zuthun, und ver- muthlich nur ein Spiel des boshaften Zufalls, daß alle reichs= und deutsch- feindlichen Coterien diesem Ministerium zujubeln und von ihm Handlanger- dienste für eine föderalistische Reaction verlangen; da aber dem einmal so ist, erachten wir es zum mindesten für unsere Pflicht auf das Auftauchen der Sturmvögel aufmerksam zu machen und das Ministerium selbst vor drohenden Fehlgriffen zu warnen, ob es nun dieser Warnung achtet oder nicht. Und in diesem Sinne sei es uns gestattet eine Frage von der größ- ten Tragweite völlig objectiv zu behandeln; die Frage nämlich: ob Prag seine deutsche Universität behalten oder ob dieselbe der Tschechisirung ver- fallen soll. Dem Hrn. Unterrichtsminister, der sich eben mit dieser Frage beschäftigen muß, kann es ja nur angenehm sein die Stimme der Oeffent- lichkeit -- und zwar auch die deutsche -- zu vernehmen. Allbekannt ist der nationale Streit um die Universität Prag. Ge- gründet vom deutschen Kaiser Karl mit der ausdrücklichen Bestimmung sämmtlichen in vier Classen geschiedenen Nationalitäten als Lehrstätte zu dienen, erlitt die gegenwärtige Carolo = Ferdinandea den empfindlichsten, durch Jahrhunderte unverwundenen Stoß durch die nationalen Umtriebe des Magister Huß, die mit der bekannten Vertreibung deutscher Lehrer und Schüler endeten. War das folgende geisttödtende jesuitische Régime nicht dazu angethan der arg geschädigten Hochschule zu einem neuen Auf- schwung zu verhelfen, so kündigte sich dieser doch schon zu Beginn dieses Jahrhunderts mit der Lehrthätigkeit eines Exner und Bolzano an, und vollzog sich im Laufe der letzten Jahrzehnte, so daß die Prager Universität jetzt mit Stolz auf eine Reihe anerkannter Stützen der deutschen Wissen- schaft verweisen kann, und der verheißungsvollsten Zukunft entgegensehen könnte wenn nicht das Gespenst ihres ersten Verderbers aus seinem Grab erstanden wäre, und in das 19. Jahrhundert die finstere Erbschaft des Mit- telalters, den nationalen Fanatismus und die terroristische Unduldsamkeit, hineintrüge. Die nationale Partei, welche das historische Recht nur dort hervorkehrt und achtet wo es eben in ihren Kram paßt, strebt seit langem bald offener, bald versteckter darnach die Universität zu usurpiren: zuerst den Utra- quismus einzuführen und dann mit Anwendung ihrer bekannten Agita- tionsmittel die Herrschaft zu erringen, mit welcher natürlich die Erstickung alles deutschen Geistes besiegelt wäre. Wir haben genau dasselbe Schau- spiel bei dem Polytechnikum verfolgen können, wo zuerst mit aller Gewalt die Einführung des Utraquismus erstrebt wurde, und, als derselbe erreicht war, die endlosen Reibungen, das widerlichste nationale Gezänke, die un- ausgesetzten Agitationen begannen, welche das rein wissenschaftliche Jnsti- tut so lange zum Spielball von Partei=Jntriguen erniedrigten, und jede er- sprießliche Thätigkeit brach legten, bis die Deutschen endlich, trotz der hef- tigsten Gegenbemühungen, die Trennung des Jnstituts durchsetzten und so dem unheilvollen Treiben ein Ende machten. Man sollte nun meinen dem Princip der nationalen Gleichberechtigung entspräche es vollkommen wenn jede Nationalität ihr eigenes, aus Landesmitteln dotirtes Jnstitut besitzt; aber behüte! das wollen unsere Tschechen nicht. Ueber die Tren- nung des deutschen Polytechnikums vom tschechischen schrieen sie als ob ihnen das ärgste Unrecht widerführe. Sie wollen ein Jnstitut mit Parallelclassen und die stete Möglichkeit die deutschen Schulen zu beengen, die besten deutschen Lehrkräfte durch ewige Chicanen wo möglich zu vertrei- ben und mit der Zeit die deutschen Classen zu amalgamiren. Genau dasselbe Spiel wie mit dem Polytechnikum wiederholt sich nun mit der Universität. Die Tschechen erklären: ihre Nationalität be- dürfe unumgänglich einer Hochschule. Die Deutschen haben nicht das mindeste dagegen einzuwenden, und sind vollständig bereit die Mittel für Errichtung einer solchen aus Landesfonds zu bewilligen. Aber das wollen die Tschechen einfach nicht; sie wollen die bestehende Universität tschechisi- ren. Sie erklären, im offenen Widerspruche mit der Bestimmung des Gründers wie mit der geschichtlichen Entwicklung, die Universität Prag für das Eigenthum der „böhmischen Nation,“ und reclamiren sie als solches. An der ältesten deutschen Universität soll die deutsche Wissenschaft nur noch untergeordneten Spielraum finden, und ein allem deutschen Geist feind- licher, wenn gleich nur auf Grund deutscher Geistesarbeit sein Dasein fristender, engherziger Nationalitätscultus die Herrschaft antreten. Zur Erreichung dieser Absichten glaubt die nationale Partei jetzt den richtigen Zeitpunkt gekommen. Minister Jiretschek wird in allen tschechischen Journalen bestürmt als „Sohn der tschechischen Nation“ dieser zu ihrem „Recht“ auf die Prager Uni- versität zu verhelfen, widrigenfalls man seinen Namen zu brandmarken droht. ( So zu lesen im „Pokrok“ vom 25 Febr. ) Als Mittel zu diesem Zweck wird die sofortige Creirung ordentlicher tschechischer Professuren für alle Fächer

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 68. Augsburg (Bayern), 9. März 1871, S. ?. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg68_1871/9>, abgerufen am 26.04.2024.