Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 68. Augsburg (Bayern), 9. März 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch] wesen als bei Oesterreich, und die Hinweisung auf die äußersten Dimen-
sionen könne sich eben nur auf die allgemeinen und selbst in Rußland kei-
neswegs seltenen Sympathien für Frankreich beziehen, denen durch die
entgegengesetzte Strömung der russischen Regierungspolitik ein wirksamer
Zügel angelegt worden sei.

sym3 Bremen, 2 März. Jn Wilhelmshafen an der Jade ist dieser Tage
die "Augusta" angekommen, welche unter ihrem kühnen Führer Capitän
Weikhmann den Franzosen im Angesicht ihrer Strommündungen und
Leuchtfeuer verhältnißmäßig so vielen Abbruch gethan hat. Es ist den auf
die Jagd nach ihr ausgesandten französischen Kreuzern also nicht gelungen
sie zu überholen. Von ihren Prisen dagegen ( nicht Kauffahrtei=, sondern
Transportschiffen des Staats ) sind zwei verunglückt, muthmaßlich zum
Theil in Folge der geringen nautischen Erfahrung der jungen Seecadetten,
deren Führung man sie nothgedrungen übergeben mußte. Ein kurzer Dienst
auf einem Segelschiffe könnte, wie dieser Fall belegen würde, keinem
Marine=Cadetten schaden. -- Die Bürgerschaft erledigte gestern nach drei
vollen Sitzungen den schon erwähnten Ausschußbericht über das städtische
Armeninstitut, indem sie alle gestellten Anträge, ohne sich principiell für
den einen oder andern zu entscheiden, der niederzusetzenden Senats= und
Bürgerschafts=Deputation zur Benutzung bei der von ihr erwarteten Re-
formvorlage überwies. Der Streit der beiden letzten Sitzungen drehte
sich überwiegend um die Organisation, und zwar hauptsächlich um die Frage:
ob, wie bisher, 40 kirchliche Diakonen die unmittelbare praktische Armen-
pflege wahrnehmen sollen, oder entweder neben ihnen oder statt ihrer eine
größere oder geringere Anzahl frei gewählter Armenpfleger. Die Diakonen
gehen allerdings aus den protestantischen Kirchengemeinden hervor, ihre
armenpflegerische Thätigkeit hat aber darum keineswegs kirchlichen Charak-
ter; hingegen ergänzen sie sich alterthümlicherweise selbst, und so kommt es
daß sie ganz vorwiegend dem jüngeren Kaufmanns= und Juristenstand an-
gehören. Daß aus dieser Gruppe nicht gerade die tauglichsten Armen-
pfleger zu gewinnen sind, muß natürlich jeder zugeben. Aber die Diakonen
vertheidigen ihre Position nichts destoweniger mit Zähigkeit. Andererseits
hätte die Mehrheit der Bürgerschaft sich jedoch schwerlich enthalten ihnen
den bisher monopolisirten Betrieb der Armenpflege grundsätzlich abzuer-
kennen, und sich gleichzeitig nach Elberfelds mustergültigem Vorgang für
eine Vermehrung der Zahl der Armenpfleger auszusprechen, wenn nicht die
noch fortdauernden letzten Spannungen des Krieges verhindert hätten daß
sich der wichtigen Reform ein tieferes öffentliches Jnteresse zuwende. Dem-
gemäß wurde denn auch über den dritten wichtigen Bestandtheil des Aus-
schußberichts, die Herstellung einer einheitlichen Aufsicht über alle örtlichen
Wohlthätigkeitsanstalten, sehr eiligen Fußes hinweggegangen, so daß man
eigentlich nur Gelegenheit hatte das Vorhandensein eines bornirt conser-
vativen Widerstands gegen diese nothwendigste und heilsamste aller Refor-
men zu constatiren.

Oesterreichisch=ungarische Monarchie.

sym13 Wien, 7 März. Was -- meist auf Grund der zwischen den
Kaisern Wilhelm und Alexander gewechselten Telegramme -- von be-
stimmten Abmachungen der Cabinete von Berlin und St. Petersburg über
gewisse Fragen hat verlauten wollen, scheint einer wesentlichen Beschrän-
kung zu bedürfen. Es dürfte richtig sein daß man sich namentlich in Ems * )
über gewisse allgemeine Gesichtspunkte verständigt hat, daß man sich bei
dieser oder jener Frage in derselben principiellen Auffassung begegnet ist;
aber es dürfte in gleichem Maße feststehen daß von irgendeiner gemein-
samen Action zum Zweck der Geltendmachung dieser Auffassung nicht die
Rede gewesen, und daß noch weniger bindende Vereinbarungen über den
speciellen Jnhalt einer solchen Action getroffen worden. -- Uebermorgen
wird die Kaiserin aus Meran zurück in Wien erwartet. -- Gestern haben
vor dem Schwurgericht die Verhandlungen eines Scandal=Preßprocesses
begonnen, der sich allerdings formell nur zwischen zwei finanziellen Fach-
blättern abspielt, wesentlich aber um die gegen den Grafen Beust geschleu-
derte Anklage dreht: für die Cotirung der Türken=Loose an der Wiener
Börse zu gewinnsüchtigen Zwecken thätig gewesen zu sein.

# Graz, 6 März. Ein Gerücht das sich heute hier verbreitete
brachte die Bevölkerung in die größte Aufregung. Bekanntlich wird eine
solenne Sieges = und Friedensfeier vorbereitet, welche bestimmt ist den
deutschen Gefühlen der Bevölkerung von Graz Ausdruck zu geben. Ein
Volksfest sollte in einem öffentlichen Local der Stadt abgehalten, eine
Beleuchtung der die Stadt umgebenden Bergeshöhen und ein großartiger
Fackelzug in den Straßen der Stadt selbst veranstaltet werden. Das ganze
Fest soll nun von der Statthalterei in Folge eines vom Ministerium herab-
gelangten Auftrags verboten worden sein. Morgen sollte auf der Uni-
versität eine Studentenversammlung definitiv beschließen an dem Fest
[Spaltenumbruch] durch Veranstaltung eines Fackelzugs theilzunehmen; heute aber wies der
Statthalter den Rector der Universität an die Abhaltung dieser Versamm-
lung nicht zu gestatten -- und der Rector handelte nach dieser Weisung.
An den Bürgermeister von Graz richtete der Statthalter eine Zuschrift,
worin er jenen auffordert ihm einen Bericht darüber zu erstatten was
es denn eigentlich mit der beabsichtigten Friedensfeier an sich habe, und
worin er des weitern betont daß die Abhaltung einer solchen Feier durch-
aus nicht zulässig erscheine, da sie im Widerspruch stehe mit der öster-
reichischen Neutralität, Gegendemonstrationen hervorrufe, und nur Anlaß
zu Reibungen gebe.

B. Pest, 4 März. Die Depeschen welche bei Gelegenheit des Ab-
schlusses der Friedenspräliminarien zwischen Versailles und St. Petersburg
gewechselt wurden, haben eine Art von politischer Panik in den beiden
Reichshälften hervorgerufen. Die Wiener Blätter bringen Depeschen die
von der "sichtlichen Bestürzung" der Pester Kreise erzählen, und in unsern
Blättern lesen wir Wiener Berichte die zu melden wissen daß man in den
politischen Kreisen Wiens von dem telegraphischen Gefühlsaustausch nicht
minder unangenehm berührt worden sei. Seit der Depesche des Grafen
Bismarck vom 14 Dec. hatte man sich bei uns mehr oder minder berech-
tigten Erwartungen hingegeben mit Bezug auf die zukünftige Haltung des
deutschen Kaiserstaates gegenüber Rußland; und man hatte gehofft daß
Oesterreich im Orient, wo es jeden Augenblick mit Rußland in Widerstreit
kommen kann, an Deutschland einen sicheren Verbündeten finden werde; man
hat auch diesen Hoffnungen in Parlamentsreden und in Zeitungsartikeln
Ausdruck gegeben, und eine zierliche diplomatische Note im Hinblick dar-
auf abgesendet. Umsomehr wurde man daher durch die beiden Depeschen
in Erstaunen gesetzt, und durch den offenkundig geführten Beweis daß eine
nordische Allianz bestehe, und diese auch insolange bestehen werde als die
beiden Kaiser regieren, einigermaßen außer Fassung gebracht. Hiezu ge-
sellt sich noch der Umstand daß der eine Ausweg welcher sich dem unbefan-
genen Beobachter darbietet, d. h. eine eventuelle Annäherung Oester-
reichs an beide Mächte, von den liberalen Kreisen hier wie drüben verab-
scheut wird. -- Wenn übrigens ein solches Wiederaufleben der "Heiligen
Allianz" keine weiteren Folgen haben würde als eine Verkürzung der
Reichstagsdebatten, so hätten wir nichts gegen dasselbe einzuwenden. Die
Verhandlungen über das Budget nehmen gar kein Ende, und was ebenso
schlimm ist: dieselben bleiben ganz ohne greifbares Resultat, wenn sich die
Redner, wie jüngst bei der Behandlung des Budgets des Communications-
ministeriums, entweder ganz in Allgemeinheiten bewegen, oder so tief in
die Details hinabsteigen daß sie eine Reihe von Frachtbriefen zur Ver-
lesung bringen und über verzögerte Absendung von Waaren Klage
führen vor dem Parlament. Eine Ausnahme machte nur die Rede des
Abgeordneten Dr. Falk, Redacteurs des "P. Lloyd," der freilich nur alles
was er seit vier Jahren in seinem Blatte geschrieben zusammenzufassen
brauchte, um eine treffliche Schilderung des Verkehrswesens mit allen seinen
Gebrechen und Mängeln zu liefern. Schließlich wurde der allgemeine
Antrag des Abg. Wahrmann, in welchem die Wünsche des Landes und die
künftigen Aufgaben des Communicationsministers bezeichnet sind, ange-
nommen -- ein Antrag mit dem sich auch der vom besten Willen beseelte
Minister Gorove vollkommen einverstanden erklärte.

Großbritannien.

London, 6 März.

Das allerchristlichste England hat sein Geld für die an Frankreich
verkauften Jnstrumente zu diesem "verabscheuungswürdigen" Krieg einge-
strichen, und findet es daher jetzt äußerst unbillig daß Deutschland sich auch
finanziell zu entschädigen sucht. Noch am unbefangensten urtheilt die
"Saturday Review," wenn sie u. a. sagt: "Wenn wir unsere Ansicht über
die Friedensbedingungen als Unbetheiligte abgeben, welche einen Streifen
See von 20 Meilen als Schutzwehr besitzen, sehr wenig Gefahr von Frank-
reich her zu befürchten haben, und daher ohne große Sorge für unsere
Zukunft an die höchsten Jnteressen der Menschheit denken dürfen, so können
wir nur wünschen die Deutschen hätten eine in der Geschichte ohne Beispiel
dastehende Großmuth geübt, und sich entschlossen -- vielleicht Straßburg
ausgenommen -- kein französisches Gebiet an sich zu nehmen, um es dann
auf die Folgen ankommen zu lassen. Sie würden allerdings auch dann
nicht, wie uns scheint, viel Aussicht gehabt haben "Feindseligkeit durch
Großmuth zu entwaffnen." Die Franzosen würden, wenn wir nach der
ganzen französischen Geschichte bis ins letzte Jahr hinein urtheilen dürfen,
so bald wieder gegen sie zu Felde gezogen sein als sie geglaubt hätten dieß
mit Aussicht auf Erfolg thun zu können. Deutschland würde für seine
Großmuth gelitten haben; allein eine Großmuth welche Gefahren mit in
Anschlag bringt ist die höchste und edelste Tugend bei Völkern. Die Welt
würde eine bessere Welt gewesen sein wenn Deutschland im Vertrauen auf
seine Stärke es verschmäht hätte neue Sicherheiten für seine Ruhe zu neh-
men. Die Deutschen indessen, in ihrem Abscheu vor den Schrecknissen des
Krieges und in ihrer Gereiztheit wegen der steten Unruhe und Angriffslust
der Franzosen, konnten sich nicht dazu bringen ein so großes Opfer zu leisten

* ) Man vergleiche hiezu die Depesche des Grafen Beust an Apponyi in London
vom 27 Juni 1870, Rothbuch IV Nro. 6, welche von der polnischen Frage
handelt. D. R.

[Spaltenumbruch] wesen als bei Oesterreich, und die Hinweisung auf die äußersten Dimen-
sionen könne sich eben nur auf die allgemeinen und selbst in Rußland kei-
neswegs seltenen Sympathien für Frankreich beziehen, denen durch die
entgegengesetzte Strömung der russischen Regierungspolitik ein wirksamer
Zügel angelegt worden sei.

sym3 Bremen, 2 März. Jn Wilhelmshafen an der Jade ist dieser Tage
die „Augusta“ angekommen, welche unter ihrem kühnen Führer Capitän
Weikhmann den Franzosen im Angesicht ihrer Strommündungen und
Leuchtfeuer verhältnißmäßig so vielen Abbruch gethan hat. Es ist den auf
die Jagd nach ihr ausgesandten französischen Kreuzern also nicht gelungen
sie zu überholen. Von ihren Prisen dagegen ( nicht Kauffahrtei=, sondern
Transportschiffen des Staats ) sind zwei verunglückt, muthmaßlich zum
Theil in Folge der geringen nautischen Erfahrung der jungen Seecadetten,
deren Führung man sie nothgedrungen übergeben mußte. Ein kurzer Dienst
auf einem Segelschiffe könnte, wie dieser Fall belegen würde, keinem
Marine=Cadetten schaden. -- Die Bürgerschaft erledigte gestern nach drei
vollen Sitzungen den schon erwähnten Ausschußbericht über das städtische
Armeninstitut, indem sie alle gestellten Anträge, ohne sich principiell für
den einen oder andern zu entscheiden, der niederzusetzenden Senats= und
Bürgerschafts=Deputation zur Benutzung bei der von ihr erwarteten Re-
formvorlage überwies. Der Streit der beiden letzten Sitzungen drehte
sich überwiegend um die Organisation, und zwar hauptsächlich um die Frage:
ob, wie bisher, 40 kirchliche Diakonen die unmittelbare praktische Armen-
pflege wahrnehmen sollen, oder entweder neben ihnen oder statt ihrer eine
größere oder geringere Anzahl frei gewählter Armenpfleger. Die Diakonen
gehen allerdings aus den protestantischen Kirchengemeinden hervor, ihre
armenpflegerische Thätigkeit hat aber darum keineswegs kirchlichen Charak-
ter; hingegen ergänzen sie sich alterthümlicherweise selbst, und so kommt es
daß sie ganz vorwiegend dem jüngeren Kaufmanns= und Juristenstand an-
gehören. Daß aus dieser Gruppe nicht gerade die tauglichsten Armen-
pfleger zu gewinnen sind, muß natürlich jeder zugeben. Aber die Diakonen
vertheidigen ihre Position nichts destoweniger mit Zähigkeit. Andererseits
hätte die Mehrheit der Bürgerschaft sich jedoch schwerlich enthalten ihnen
den bisher monopolisirten Betrieb der Armenpflege grundsätzlich abzuer-
kennen, und sich gleichzeitig nach Elberfelds mustergültigem Vorgang für
eine Vermehrung der Zahl der Armenpfleger auszusprechen, wenn nicht die
noch fortdauernden letzten Spannungen des Krieges verhindert hätten daß
sich der wichtigen Reform ein tieferes öffentliches Jnteresse zuwende. Dem-
gemäß wurde denn auch über den dritten wichtigen Bestandtheil des Aus-
schußberichts, die Herstellung einer einheitlichen Aufsicht über alle örtlichen
Wohlthätigkeitsanstalten, sehr eiligen Fußes hinweggegangen, so daß man
eigentlich nur Gelegenheit hatte das Vorhandensein eines bornirt conser-
vativen Widerstands gegen diese nothwendigste und heilsamste aller Refor-
men zu constatiren.

Oesterreichisch=ungarische Monarchie.

sym13 Wien, 7 März. Was -- meist auf Grund der zwischen den
Kaisern Wilhelm und Alexander gewechselten Telegramme -- von be-
stimmten Abmachungen der Cabinete von Berlin und St. Petersburg über
gewisse Fragen hat verlauten wollen, scheint einer wesentlichen Beschrän-
kung zu bedürfen. Es dürfte richtig sein daß man sich namentlich in Ems * )
über gewisse allgemeine Gesichtspunkte verständigt hat, daß man sich bei
dieser oder jener Frage in derselben principiellen Auffassung begegnet ist;
aber es dürfte in gleichem Maße feststehen daß von irgendeiner gemein-
samen Action zum Zweck der Geltendmachung dieser Auffassung nicht die
Rede gewesen, und daß noch weniger bindende Vereinbarungen über den
speciellen Jnhalt einer solchen Action getroffen worden. -- Uebermorgen
wird die Kaiserin aus Meran zurück in Wien erwartet. -- Gestern haben
vor dem Schwurgericht die Verhandlungen eines Scandal=Preßprocesses
begonnen, der sich allerdings formell nur zwischen zwei finanziellen Fach-
blättern abspielt, wesentlich aber um die gegen den Grafen Beust geschleu-
derte Anklage dreht: für die Cotirung der Türken=Loose an der Wiener
Börse zu gewinnsüchtigen Zwecken thätig gewesen zu sein.

# Graz, 6 März. Ein Gerücht das sich heute hier verbreitete
brachte die Bevölkerung in die größte Aufregung. Bekanntlich wird eine
solenne Sieges = und Friedensfeier vorbereitet, welche bestimmt ist den
deutschen Gefühlen der Bevölkerung von Graz Ausdruck zu geben. Ein
Volksfest sollte in einem öffentlichen Local der Stadt abgehalten, eine
Beleuchtung der die Stadt umgebenden Bergeshöhen und ein großartiger
Fackelzug in den Straßen der Stadt selbst veranstaltet werden. Das ganze
Fest soll nun von der Statthalterei in Folge eines vom Ministerium herab-
gelangten Auftrags verboten worden sein. Morgen sollte auf der Uni-
versität eine Studentenversammlung definitiv beschließen an dem Fest
[Spaltenumbruch] durch Veranstaltung eines Fackelzugs theilzunehmen; heute aber wies der
Statthalter den Rector der Universität an die Abhaltung dieser Versamm-
lung nicht zu gestatten -- und der Rector handelte nach dieser Weisung.
An den Bürgermeister von Graz richtete der Statthalter eine Zuschrift,
worin er jenen auffordert ihm einen Bericht darüber zu erstatten was
es denn eigentlich mit der beabsichtigten Friedensfeier an sich habe, und
worin er des weitern betont daß die Abhaltung einer solchen Feier durch-
aus nicht zulässig erscheine, da sie im Widerspruch stehe mit der öster-
reichischen Neutralität, Gegendemonstrationen hervorrufe, und nur Anlaß
zu Reibungen gebe.

B. Pest, 4 März. Die Depeschen welche bei Gelegenheit des Ab-
schlusses der Friedenspräliminarien zwischen Versailles und St. Petersburg
gewechselt wurden, haben eine Art von politischer Panik in den beiden
Reichshälften hervorgerufen. Die Wiener Blätter bringen Depeschen die
von der „sichtlichen Bestürzung“ der Pester Kreise erzählen, und in unsern
Blättern lesen wir Wiener Berichte die zu melden wissen daß man in den
politischen Kreisen Wiens von dem telegraphischen Gefühlsaustausch nicht
minder unangenehm berührt worden sei. Seit der Depesche des Grafen
Bismarck vom 14 Dec. hatte man sich bei uns mehr oder minder berech-
tigten Erwartungen hingegeben mit Bezug auf die zukünftige Haltung des
deutschen Kaiserstaates gegenüber Rußland; und man hatte gehofft daß
Oesterreich im Orient, wo es jeden Augenblick mit Rußland in Widerstreit
kommen kann, an Deutschland einen sicheren Verbündeten finden werde; man
hat auch diesen Hoffnungen in Parlamentsreden und in Zeitungsartikeln
Ausdruck gegeben, und eine zierliche diplomatische Note im Hinblick dar-
auf abgesendet. Umsomehr wurde man daher durch die beiden Depeschen
in Erstaunen gesetzt, und durch den offenkundig geführten Beweis daß eine
nordische Allianz bestehe, und diese auch insolange bestehen werde als die
beiden Kaiser regieren, einigermaßen außer Fassung gebracht. Hiezu ge-
sellt sich noch der Umstand daß der eine Ausweg welcher sich dem unbefan-
genen Beobachter darbietet, d. h. eine eventuelle Annäherung Oester-
reichs an beide Mächte, von den liberalen Kreisen hier wie drüben verab-
scheut wird. -- Wenn übrigens ein solches Wiederaufleben der „Heiligen
Allianz“ keine weiteren Folgen haben würde als eine Verkürzung der
Reichstagsdebatten, so hätten wir nichts gegen dasselbe einzuwenden. Die
Verhandlungen über das Budget nehmen gar kein Ende, und was ebenso
schlimm ist: dieselben bleiben ganz ohne greifbares Resultat, wenn sich die
Redner, wie jüngst bei der Behandlung des Budgets des Communications-
ministeriums, entweder ganz in Allgemeinheiten bewegen, oder so tief in
die Details hinabsteigen daß sie eine Reihe von Frachtbriefen zur Ver-
lesung bringen und über verzögerte Absendung von Waaren Klage
führen vor dem Parlament. Eine Ausnahme machte nur die Rede des
Abgeordneten Dr. Falk, Redacteurs des „P. Lloyd,“ der freilich nur alles
was er seit vier Jahren in seinem Blatte geschrieben zusammenzufassen
brauchte, um eine treffliche Schilderung des Verkehrswesens mit allen seinen
Gebrechen und Mängeln zu liefern. Schließlich wurde der allgemeine
Antrag des Abg. Wahrmann, in welchem die Wünsche des Landes und die
künftigen Aufgaben des Communicationsministers bezeichnet sind, ange-
nommen -- ein Antrag mit dem sich auch der vom besten Willen beseelte
Minister Gorove vollkommen einverstanden erklärte.

Großbritannien.

London, 6 März.

Das allerchristlichste England hat sein Geld für die an Frankreich
verkauften Jnstrumente zu diesem „verabscheuungswürdigen“ Krieg einge-
strichen, und findet es daher jetzt äußerst unbillig daß Deutschland sich auch
finanziell zu entschädigen sucht. Noch am unbefangensten urtheilt die
„Saturday Review,“ wenn sie u. a. sagt: „Wenn wir unsere Ansicht über
die Friedensbedingungen als Unbetheiligte abgeben, welche einen Streifen
See von 20 Meilen als Schutzwehr besitzen, sehr wenig Gefahr von Frank-
reich her zu befürchten haben, und daher ohne große Sorge für unsere
Zukunft an die höchsten Jnteressen der Menschheit denken dürfen, so können
wir nur wünschen die Deutschen hätten eine in der Geschichte ohne Beispiel
dastehende Großmuth geübt, und sich entschlossen -- vielleicht Straßburg
ausgenommen -- kein französisches Gebiet an sich zu nehmen, um es dann
auf die Folgen ankommen zu lassen. Sie würden allerdings auch dann
nicht, wie uns scheint, viel Aussicht gehabt haben „Feindseligkeit durch
Großmuth zu entwaffnen.“ Die Franzosen würden, wenn wir nach der
ganzen französischen Geschichte bis ins letzte Jahr hinein urtheilen dürfen,
so bald wieder gegen sie zu Felde gezogen sein als sie geglaubt hätten dieß
mit Aussicht auf Erfolg thun zu können. Deutschland würde für seine
Großmuth gelitten haben; allein eine Großmuth welche Gefahren mit in
Anschlag bringt ist die höchste und edelste Tugend bei Völkern. Die Welt
würde eine bessere Welt gewesen sein wenn Deutschland im Vertrauen auf
seine Stärke es verschmäht hätte neue Sicherheiten für seine Ruhe zu neh-
men. Die Deutschen indessen, in ihrem Abscheu vor den Schrecknissen des
Krieges und in ihrer Gereiztheit wegen der steten Unruhe und Angriffslust
der Franzosen, konnten sich nicht dazu bringen ein so großes Opfer zu leisten

* ) Man vergleiche hiezu die Depesche des Grafen Beust an Apponyi in London
vom 27 Juni 1870, Rothbuch IV Nro. 6, welche von der polnischen Frage
handelt. D. R.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jPoliticalNews">
        <div type="jPoliticalNews">
          <div type="jArticle">
            <p><pb facs="#f0004" n="1140"/><cb/>
wesen als bei Oesterreich, und die Hinweisung auf die äußersten Dimen-<lb/>
sionen könne sich eben nur auf die allgemeinen und selbst in Rußland kei-<lb/>
neswegs seltenen Sympathien für Frankreich beziehen, denen durch die<lb/>
entgegengesetzte Strömung der russischen Regierungspolitik ein wirksamer<lb/>
Zügel angelegt worden sei.</p>
          </div><lb/>
          <div type="jArticle">
            <p><abbr>sym3</abbr> Bremen, 2 März. Jn Wilhelmshafen an der Jade ist dieser Tage<lb/>
die &#x201E;Augusta&#x201C; angekommen, welche unter ihrem kühnen Führer Capitän<lb/>
Weikhmann den Franzosen im Angesicht ihrer Strommündungen und<lb/>
Leuchtfeuer verhältnißmäßig so vielen Abbruch gethan hat. Es ist den auf<lb/>
die Jagd nach ihr ausgesandten französischen Kreuzern also nicht gelungen<lb/>
sie zu überholen. Von ihren Prisen dagegen ( nicht Kauffahrtei=, sondern<lb/>
Transportschiffen des Staats ) sind zwei verunglückt, muthmaßlich zum<lb/>
Theil in Folge der geringen nautischen Erfahrung der jungen Seecadetten,<lb/>
deren Führung man sie nothgedrungen übergeben mußte. Ein kurzer Dienst<lb/>
auf einem Segelschiffe könnte, wie dieser Fall belegen würde, keinem<lb/>
Marine=Cadetten schaden. -- Die Bürgerschaft erledigte gestern nach drei<lb/>
vollen Sitzungen den schon erwähnten Ausschußbericht über das städtische<lb/>
Armeninstitut, indem sie alle gestellten Anträge, ohne sich principiell für<lb/>
den einen oder andern zu entscheiden, der niederzusetzenden Senats= und<lb/>
Bürgerschafts=Deputation zur Benutzung bei der von ihr erwarteten Re-<lb/>
formvorlage überwies. Der Streit der beiden letzten Sitzungen drehte<lb/>
sich überwiegend um die Organisation, und zwar hauptsächlich um die Frage:<lb/>
ob, wie bisher, 40 kirchliche Diakonen die unmittelbare praktische Armen-<lb/>
pflege wahrnehmen sollen, oder entweder neben ihnen oder statt ihrer eine<lb/>
größere oder geringere Anzahl frei gewählter Armenpfleger. Die Diakonen<lb/>
gehen allerdings aus den protestantischen Kirchengemeinden hervor, ihre<lb/>
armenpflegerische Thätigkeit hat aber darum keineswegs kirchlichen Charak-<lb/>
ter; hingegen ergänzen sie sich alterthümlicherweise selbst, und so kommt es<lb/>
daß sie ganz vorwiegend dem jüngeren Kaufmanns= und Juristenstand an-<lb/>
gehören. Daß aus dieser Gruppe nicht gerade die tauglichsten Armen-<lb/>
pfleger zu gewinnen sind, muß natürlich jeder zugeben. Aber die Diakonen<lb/>
vertheidigen ihre Position nichts destoweniger mit Zähigkeit. Andererseits<lb/>
hätte die Mehrheit der Bürgerschaft sich jedoch schwerlich enthalten ihnen<lb/>
den bisher monopolisirten Betrieb der Armenpflege grundsätzlich abzuer-<lb/>
kennen, und sich gleichzeitig nach Elberfelds mustergültigem Vorgang für<lb/>
eine Vermehrung der Zahl der Armenpfleger auszusprechen, wenn nicht die<lb/>
noch fortdauernden letzten Spannungen des Krieges verhindert hätten daß<lb/>
sich der wichtigen Reform ein tieferes öffentliches Jnteresse zuwende. Dem-<lb/>
gemäß wurde denn auch über den dritten wichtigen Bestandtheil des Aus-<lb/>
schußberichts, die Herstellung einer einheitlichen Aufsicht über alle örtlichen<lb/>
Wohlthätigkeitsanstalten, sehr eiligen Fußes hinweggegangen, so daß man<lb/>
eigentlich nur Gelegenheit hatte das Vorhandensein eines bornirt conser-<lb/>
vativen Widerstands gegen diese nothwendigste und heilsamste aller Refor-<lb/>
men zu constatiren.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <div type="jPoliticalNews">
          <head> <hi rendition="#b #c">Oesterreichisch=ungarische Monarchie.</hi> </head><lb/>
          <div type="jArticle">
            <p><abbr>sym13</abbr> Wien, 7 März. Was -- meist auf Grund der zwischen den<lb/>
Kaisern Wilhelm und Alexander gewechselten Telegramme -- von be-<lb/>
stimmten Abmachungen der Cabinete von Berlin und St. Petersburg über<lb/>
gewisse Fragen hat verlauten wollen, scheint einer wesentlichen Beschrän-<lb/>
kung zu bedürfen. Es dürfte richtig sein daß man sich namentlich in Ems <note place="foot" n="* )">Man vergleiche hiezu die Depesche des Grafen Beust an Apponyi in London<lb/>
vom 27 Juni 1870, Rothbuch <hi rendition="#aq">IV</hi> Nro. 6, welche von der polnischen Frage<lb/>
handelt. D. R.</note><lb/>
über gewisse allgemeine Gesichtspunkte verständigt hat, daß man sich bei<lb/>
dieser oder jener Frage in derselben principiellen Auffassung begegnet ist;<lb/>
aber es dürfte in gleichem Maße feststehen daß von irgendeiner gemein-<lb/>
samen Action zum Zweck der Geltendmachung dieser Auffassung nicht die<lb/>
Rede gewesen, und daß noch weniger bindende Vereinbarungen über den<lb/>
speciellen Jnhalt einer solchen Action getroffen worden. -- Uebermorgen<lb/>
wird die Kaiserin aus Meran zurück in Wien erwartet. -- Gestern haben<lb/>
vor dem Schwurgericht die Verhandlungen eines Scandal=Preßprocesses<lb/>
begonnen, der sich allerdings formell nur zwischen zwei finanziellen Fach-<lb/>
blättern abspielt, wesentlich aber um die gegen den Grafen Beust geschleu-<lb/>
derte Anklage dreht: für die Cotirung der Türken=Loose an der Wiener<lb/>
Börse zu gewinnsüchtigen Zwecken thätig gewesen zu sein.</p>
          </div><lb/>
          <div type="jArticle">
            <p># Graz, 6 März. Ein Gerücht das sich heute hier verbreitete<lb/>
brachte die Bevölkerung in die größte Aufregung. Bekanntlich wird eine<lb/>
solenne Sieges = und Friedensfeier vorbereitet, welche bestimmt ist den<lb/>
deutschen Gefühlen der Bevölkerung von Graz Ausdruck zu geben. Ein<lb/>
Volksfest sollte in einem öffentlichen Local der Stadt abgehalten, eine<lb/>
Beleuchtung der die Stadt umgebenden Bergeshöhen und ein großartiger<lb/>
Fackelzug in den Straßen der Stadt selbst veranstaltet werden. Das ganze<lb/>
Fest soll nun von der Statthalterei in Folge eines vom Ministerium herab-<lb/>
gelangten Auftrags verboten worden sein. Morgen sollte auf der Uni-<lb/>
versität eine Studentenversammlung definitiv beschließen an dem Fest<lb/><cb/>
durch Veranstaltung eines Fackelzugs theilzunehmen; heute aber wies der<lb/>
Statthalter den Rector der Universität an die Abhaltung dieser Versamm-<lb/>
lung nicht zu gestatten -- und der Rector handelte nach dieser Weisung.<lb/>
An den Bürgermeister von Graz richtete der Statthalter eine Zuschrift,<lb/>
worin er jenen auffordert ihm einen Bericht darüber zu erstatten was<lb/>
es denn eigentlich mit der beabsichtigten Friedensfeier an sich habe, und<lb/>
worin er des weitern betont daß die Abhaltung einer solchen Feier durch-<lb/>
aus nicht zulässig erscheine, da sie im Widerspruch stehe mit der öster-<lb/>
reichischen Neutralität, Gegendemonstrationen hervorrufe, und nur Anlaß<lb/>
zu Reibungen gebe.</p><lb/>
          </div><lb/>
          <div type="jArticle">
            <p><hi rendition="#aq">B</hi>. Pest, 4 März. Die Depeschen welche bei Gelegenheit des Ab-<lb/>
schlusses der Friedenspräliminarien zwischen Versailles und St. Petersburg<lb/>
gewechselt wurden, haben eine Art von politischer Panik in den beiden<lb/>
Reichshälften hervorgerufen. Die Wiener Blätter bringen Depeschen die<lb/>
von der &#x201E;sichtlichen Bestürzung&#x201C; der Pester Kreise erzählen, und in unsern<lb/>
Blättern lesen wir Wiener Berichte die zu melden wissen daß man in den<lb/>
politischen Kreisen Wiens von dem telegraphischen Gefühlsaustausch nicht<lb/>
minder unangenehm berührt worden sei. Seit der Depesche des Grafen<lb/>
Bismarck vom 14 Dec. hatte man sich bei uns mehr oder minder berech-<lb/>
tigten Erwartungen hingegeben mit Bezug auf die zukünftige Haltung des<lb/>
deutschen Kaiserstaates gegenüber Rußland; und man hatte gehofft daß<lb/>
Oesterreich im Orient, wo es jeden Augenblick mit Rußland in Widerstreit<lb/>
kommen kann, an Deutschland einen sicheren Verbündeten finden werde; man<lb/>
hat auch diesen Hoffnungen in Parlamentsreden und in Zeitungsartikeln<lb/>
Ausdruck gegeben, und eine zierliche diplomatische Note im Hinblick dar-<lb/>
auf abgesendet. Umsomehr wurde man daher durch die beiden Depeschen<lb/>
in Erstaunen gesetzt, und durch den offenkundig geführten Beweis daß eine<lb/>
nordische Allianz bestehe, und diese auch insolange bestehen werde als die<lb/>
beiden Kaiser regieren, einigermaßen außer Fassung gebracht. Hiezu ge-<lb/>
sellt sich noch der Umstand daß der eine Ausweg welcher sich dem unbefan-<lb/>
genen Beobachter darbietet, d. h. eine eventuelle Annäherung Oester-<lb/>
reichs an beide Mächte, von den liberalen Kreisen hier wie drüben verab-<lb/>
scheut wird. -- Wenn übrigens ein solches Wiederaufleben der &#x201E;Heiligen<lb/>
Allianz&#x201C; keine weiteren Folgen haben würde als eine Verkürzung der<lb/>
Reichstagsdebatten, so hätten wir nichts gegen dasselbe einzuwenden. Die<lb/>
Verhandlungen über das Budget nehmen gar kein Ende, und was ebenso<lb/>
schlimm ist: dieselben bleiben ganz ohne greifbares Resultat, wenn sich die<lb/>
Redner, wie jüngst bei der Behandlung des Budgets des Communications-<lb/>
ministeriums, entweder ganz in Allgemeinheiten bewegen, oder so tief in<lb/>
die Details hinabsteigen daß sie eine Reihe von Frachtbriefen zur Ver-<lb/>
lesung bringen und über verzögerte Absendung von Waaren Klage<lb/>
führen vor dem Parlament. Eine Ausnahme machte nur die Rede des<lb/>
Abgeordneten <hi rendition="#aq">Dr</hi>. Falk, Redacteurs des &#x201E;P. Lloyd,&#x201C; der freilich nur alles<lb/>
was er seit vier Jahren in seinem Blatte geschrieben zusammenzufassen<lb/>
brauchte, um eine treffliche Schilderung des Verkehrswesens mit allen seinen<lb/>
Gebrechen und Mängeln zu liefern. Schließlich wurde der allgemeine<lb/>
Antrag des Abg. Wahrmann, in welchem die Wünsche des Landes und die<lb/>
künftigen Aufgaben des Communicationsministers bezeichnet sind, ange-<lb/>
nommen -- ein Antrag mit dem sich auch der vom besten Willen beseelte<lb/>
Minister Gorove vollkommen einverstanden erklärte.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <div type="jPoliticalNews">
          <head> <hi rendition="#b #c">Großbritannien.</hi> </head><lb/>
          <p>London, 6 März.</p><lb/>
          <p>Das allerchristlichste England hat sein Geld für die an Frankreich<lb/>
verkauften Jnstrumente zu diesem &#x201E;verabscheuungswürdigen&#x201C; Krieg einge-<lb/>
strichen, und findet es daher jetzt äußerst unbillig daß Deutschland sich auch<lb/>
finanziell zu entschädigen sucht. Noch am unbefangensten urtheilt die<lb/>
&#x201E;Saturday Review,&#x201C; wenn sie u. a. sagt: &#x201E;Wenn wir unsere Ansicht über<lb/>
die Friedensbedingungen als Unbetheiligte abgeben, welche einen Streifen<lb/>
See von 20 Meilen als Schutzwehr besitzen, sehr wenig Gefahr von Frank-<lb/>
reich her zu befürchten haben, und daher ohne große Sorge für unsere<lb/>
Zukunft an die höchsten Jnteressen der Menschheit denken dürfen, so können<lb/>
wir nur wünschen die Deutschen hätten eine in der Geschichte ohne Beispiel<lb/>
dastehende Großmuth geübt, und sich entschlossen -- vielleicht Straßburg<lb/>
ausgenommen -- kein französisches Gebiet an sich zu nehmen, um es dann<lb/>
auf die Folgen ankommen zu lassen. Sie würden allerdings auch dann<lb/>
nicht, wie uns scheint, viel Aussicht gehabt haben &#x201E;Feindseligkeit durch<lb/>
Großmuth zu entwaffnen.&#x201C; Die Franzosen würden, wenn wir nach der<lb/>
ganzen französischen Geschichte bis ins letzte Jahr hinein urtheilen dürfen,<lb/>
so bald wieder gegen sie zu Felde gezogen sein als sie geglaubt hätten dieß<lb/>
mit Aussicht auf Erfolg thun zu können. Deutschland würde für seine<lb/>
Großmuth gelitten haben; allein eine Großmuth welche Gefahren mit in<lb/>
Anschlag bringt ist die höchste und edelste Tugend bei Völkern. Die Welt<lb/>
würde eine bessere Welt gewesen sein wenn Deutschland im Vertrauen auf<lb/>
seine Stärke es verschmäht hätte neue Sicherheiten für seine Ruhe zu neh-<lb/>
men. Die Deutschen indessen, in ihrem Abscheu vor den Schrecknissen des<lb/>
Krieges und in ihrer Gereiztheit wegen der steten Unruhe und Angriffslust<lb/>
der Franzosen, konnten sich nicht dazu bringen ein so großes Opfer zu leisten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1140/0004] wesen als bei Oesterreich, und die Hinweisung auf die äußersten Dimen- sionen könne sich eben nur auf die allgemeinen und selbst in Rußland kei- neswegs seltenen Sympathien für Frankreich beziehen, denen durch die entgegengesetzte Strömung der russischen Regierungspolitik ein wirksamer Zügel angelegt worden sei. sym3 Bremen, 2 März. Jn Wilhelmshafen an der Jade ist dieser Tage die „Augusta“ angekommen, welche unter ihrem kühnen Führer Capitän Weikhmann den Franzosen im Angesicht ihrer Strommündungen und Leuchtfeuer verhältnißmäßig so vielen Abbruch gethan hat. Es ist den auf die Jagd nach ihr ausgesandten französischen Kreuzern also nicht gelungen sie zu überholen. Von ihren Prisen dagegen ( nicht Kauffahrtei=, sondern Transportschiffen des Staats ) sind zwei verunglückt, muthmaßlich zum Theil in Folge der geringen nautischen Erfahrung der jungen Seecadetten, deren Führung man sie nothgedrungen übergeben mußte. Ein kurzer Dienst auf einem Segelschiffe könnte, wie dieser Fall belegen würde, keinem Marine=Cadetten schaden. -- Die Bürgerschaft erledigte gestern nach drei vollen Sitzungen den schon erwähnten Ausschußbericht über das städtische Armeninstitut, indem sie alle gestellten Anträge, ohne sich principiell für den einen oder andern zu entscheiden, der niederzusetzenden Senats= und Bürgerschafts=Deputation zur Benutzung bei der von ihr erwarteten Re- formvorlage überwies. Der Streit der beiden letzten Sitzungen drehte sich überwiegend um die Organisation, und zwar hauptsächlich um die Frage: ob, wie bisher, 40 kirchliche Diakonen die unmittelbare praktische Armen- pflege wahrnehmen sollen, oder entweder neben ihnen oder statt ihrer eine größere oder geringere Anzahl frei gewählter Armenpfleger. Die Diakonen gehen allerdings aus den protestantischen Kirchengemeinden hervor, ihre armenpflegerische Thätigkeit hat aber darum keineswegs kirchlichen Charak- ter; hingegen ergänzen sie sich alterthümlicherweise selbst, und so kommt es daß sie ganz vorwiegend dem jüngeren Kaufmanns= und Juristenstand an- gehören. Daß aus dieser Gruppe nicht gerade die tauglichsten Armen- pfleger zu gewinnen sind, muß natürlich jeder zugeben. Aber die Diakonen vertheidigen ihre Position nichts destoweniger mit Zähigkeit. Andererseits hätte die Mehrheit der Bürgerschaft sich jedoch schwerlich enthalten ihnen den bisher monopolisirten Betrieb der Armenpflege grundsätzlich abzuer- kennen, und sich gleichzeitig nach Elberfelds mustergültigem Vorgang für eine Vermehrung der Zahl der Armenpfleger auszusprechen, wenn nicht die noch fortdauernden letzten Spannungen des Krieges verhindert hätten daß sich der wichtigen Reform ein tieferes öffentliches Jnteresse zuwende. Dem- gemäß wurde denn auch über den dritten wichtigen Bestandtheil des Aus- schußberichts, die Herstellung einer einheitlichen Aufsicht über alle örtlichen Wohlthätigkeitsanstalten, sehr eiligen Fußes hinweggegangen, so daß man eigentlich nur Gelegenheit hatte das Vorhandensein eines bornirt conser- vativen Widerstands gegen diese nothwendigste und heilsamste aller Refor- men zu constatiren. Oesterreichisch=ungarische Monarchie. sym13 Wien, 7 März. Was -- meist auf Grund der zwischen den Kaisern Wilhelm und Alexander gewechselten Telegramme -- von be- stimmten Abmachungen der Cabinete von Berlin und St. Petersburg über gewisse Fragen hat verlauten wollen, scheint einer wesentlichen Beschrän- kung zu bedürfen. Es dürfte richtig sein daß man sich namentlich in Ems * ) über gewisse allgemeine Gesichtspunkte verständigt hat, daß man sich bei dieser oder jener Frage in derselben principiellen Auffassung begegnet ist; aber es dürfte in gleichem Maße feststehen daß von irgendeiner gemein- samen Action zum Zweck der Geltendmachung dieser Auffassung nicht die Rede gewesen, und daß noch weniger bindende Vereinbarungen über den speciellen Jnhalt einer solchen Action getroffen worden. -- Uebermorgen wird die Kaiserin aus Meran zurück in Wien erwartet. -- Gestern haben vor dem Schwurgericht die Verhandlungen eines Scandal=Preßprocesses begonnen, der sich allerdings formell nur zwischen zwei finanziellen Fach- blättern abspielt, wesentlich aber um die gegen den Grafen Beust geschleu- derte Anklage dreht: für die Cotirung der Türken=Loose an der Wiener Börse zu gewinnsüchtigen Zwecken thätig gewesen zu sein. # Graz, 6 März. Ein Gerücht das sich heute hier verbreitete brachte die Bevölkerung in die größte Aufregung. Bekanntlich wird eine solenne Sieges = und Friedensfeier vorbereitet, welche bestimmt ist den deutschen Gefühlen der Bevölkerung von Graz Ausdruck zu geben. Ein Volksfest sollte in einem öffentlichen Local der Stadt abgehalten, eine Beleuchtung der die Stadt umgebenden Bergeshöhen und ein großartiger Fackelzug in den Straßen der Stadt selbst veranstaltet werden. Das ganze Fest soll nun von der Statthalterei in Folge eines vom Ministerium herab- gelangten Auftrags verboten worden sein. Morgen sollte auf der Uni- versität eine Studentenversammlung definitiv beschließen an dem Fest durch Veranstaltung eines Fackelzugs theilzunehmen; heute aber wies der Statthalter den Rector der Universität an die Abhaltung dieser Versamm- lung nicht zu gestatten -- und der Rector handelte nach dieser Weisung. An den Bürgermeister von Graz richtete der Statthalter eine Zuschrift, worin er jenen auffordert ihm einen Bericht darüber zu erstatten was es denn eigentlich mit der beabsichtigten Friedensfeier an sich habe, und worin er des weitern betont daß die Abhaltung einer solchen Feier durch- aus nicht zulässig erscheine, da sie im Widerspruch stehe mit der öster- reichischen Neutralität, Gegendemonstrationen hervorrufe, und nur Anlaß zu Reibungen gebe. B. Pest, 4 März. Die Depeschen welche bei Gelegenheit des Ab- schlusses der Friedenspräliminarien zwischen Versailles und St. Petersburg gewechselt wurden, haben eine Art von politischer Panik in den beiden Reichshälften hervorgerufen. Die Wiener Blätter bringen Depeschen die von der „sichtlichen Bestürzung“ der Pester Kreise erzählen, und in unsern Blättern lesen wir Wiener Berichte die zu melden wissen daß man in den politischen Kreisen Wiens von dem telegraphischen Gefühlsaustausch nicht minder unangenehm berührt worden sei. Seit der Depesche des Grafen Bismarck vom 14 Dec. hatte man sich bei uns mehr oder minder berech- tigten Erwartungen hingegeben mit Bezug auf die zukünftige Haltung des deutschen Kaiserstaates gegenüber Rußland; und man hatte gehofft daß Oesterreich im Orient, wo es jeden Augenblick mit Rußland in Widerstreit kommen kann, an Deutschland einen sicheren Verbündeten finden werde; man hat auch diesen Hoffnungen in Parlamentsreden und in Zeitungsartikeln Ausdruck gegeben, und eine zierliche diplomatische Note im Hinblick dar- auf abgesendet. Umsomehr wurde man daher durch die beiden Depeschen in Erstaunen gesetzt, und durch den offenkundig geführten Beweis daß eine nordische Allianz bestehe, und diese auch insolange bestehen werde als die beiden Kaiser regieren, einigermaßen außer Fassung gebracht. Hiezu ge- sellt sich noch der Umstand daß der eine Ausweg welcher sich dem unbefan- genen Beobachter darbietet, d. h. eine eventuelle Annäherung Oester- reichs an beide Mächte, von den liberalen Kreisen hier wie drüben verab- scheut wird. -- Wenn übrigens ein solches Wiederaufleben der „Heiligen Allianz“ keine weiteren Folgen haben würde als eine Verkürzung der Reichstagsdebatten, so hätten wir nichts gegen dasselbe einzuwenden. Die Verhandlungen über das Budget nehmen gar kein Ende, und was ebenso schlimm ist: dieselben bleiben ganz ohne greifbares Resultat, wenn sich die Redner, wie jüngst bei der Behandlung des Budgets des Communications- ministeriums, entweder ganz in Allgemeinheiten bewegen, oder so tief in die Details hinabsteigen daß sie eine Reihe von Frachtbriefen zur Ver- lesung bringen und über verzögerte Absendung von Waaren Klage führen vor dem Parlament. Eine Ausnahme machte nur die Rede des Abgeordneten Dr. Falk, Redacteurs des „P. Lloyd,“ der freilich nur alles was er seit vier Jahren in seinem Blatte geschrieben zusammenzufassen brauchte, um eine treffliche Schilderung des Verkehrswesens mit allen seinen Gebrechen und Mängeln zu liefern. Schließlich wurde der allgemeine Antrag des Abg. Wahrmann, in welchem die Wünsche des Landes und die künftigen Aufgaben des Communicationsministers bezeichnet sind, ange- nommen -- ein Antrag mit dem sich auch der vom besten Willen beseelte Minister Gorove vollkommen einverstanden erklärte. Großbritannien. London, 6 März. Das allerchristlichste England hat sein Geld für die an Frankreich verkauften Jnstrumente zu diesem „verabscheuungswürdigen“ Krieg einge- strichen, und findet es daher jetzt äußerst unbillig daß Deutschland sich auch finanziell zu entschädigen sucht. Noch am unbefangensten urtheilt die „Saturday Review,“ wenn sie u. a. sagt: „Wenn wir unsere Ansicht über die Friedensbedingungen als Unbetheiligte abgeben, welche einen Streifen See von 20 Meilen als Schutzwehr besitzen, sehr wenig Gefahr von Frank- reich her zu befürchten haben, und daher ohne große Sorge für unsere Zukunft an die höchsten Jnteressen der Menschheit denken dürfen, so können wir nur wünschen die Deutschen hätten eine in der Geschichte ohne Beispiel dastehende Großmuth geübt, und sich entschlossen -- vielleicht Straßburg ausgenommen -- kein französisches Gebiet an sich zu nehmen, um es dann auf die Folgen ankommen zu lassen. Sie würden allerdings auch dann nicht, wie uns scheint, viel Aussicht gehabt haben „Feindseligkeit durch Großmuth zu entwaffnen.“ Die Franzosen würden, wenn wir nach der ganzen französischen Geschichte bis ins letzte Jahr hinein urtheilen dürfen, so bald wieder gegen sie zu Felde gezogen sein als sie geglaubt hätten dieß mit Aussicht auf Erfolg thun zu können. Deutschland würde für seine Großmuth gelitten haben; allein eine Großmuth welche Gefahren mit in Anschlag bringt ist die höchste und edelste Tugend bei Völkern. Die Welt würde eine bessere Welt gewesen sein wenn Deutschland im Vertrauen auf seine Stärke es verschmäht hätte neue Sicherheiten für seine Ruhe zu neh- men. Die Deutschen indessen, in ihrem Abscheu vor den Schrecknissen des Krieges und in ihrer Gereiztheit wegen der steten Unruhe und Angriffslust der Franzosen, konnten sich nicht dazu bringen ein so großes Opfer zu leisten * ) Man vergleiche hiezu die Depesche des Grafen Beust an Apponyi in London vom 27 Juni 1870, Rothbuch IV Nro. 6, welche von der polnischen Frage handelt. D. R.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte manuell im Double-Keying-Verfahren. Die Annotation folgt den formulierten Richtlinien.

Besonderheiten der Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen.
  • Druckfehler: ignoriert.
  • fremdsprachliches Material: nur Fremdskripte gekennzeichnet.
  • Kolumnentitel: nicht übernommen.
  • Kustoden: nicht übernommen.
  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg68_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg68_1871/4
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 68. Augsburg (Bayern), 9. März 1871, S. 1140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg68_1871/4>, abgerufen am 26.04.2024.