Allgemeine Zeitung, Nr. 93, 3. April 1849.[Spaltenumbruch]
sich recht gut anlassen. Ich habe schon darauf hingewiesen daß belletri- Wien, 29 März. Der ehemalige Minister und bisheriger # Wien, 26 März. Die Gestaltung Deutschlands wird hier von Sun Wien, 28 März. Gestatten Sie mir einige Aufklärungen *) Am 31 März kannte man in Wien die Kaiserwahl.
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ſich recht gut anlaſſen. Ich habe ſchon darauf hingewieſen daß belletri- Wien, 29 März. Der ehemalige Miniſter und bisheriger □ Wien, 26 März. Die Geſtaltung Deutſchlands wird hier von ☉ Wien, 28 März. Geſtatten Sie mir einige Aufklärungen *) Am 31 März kannte man in Wien die Kaiſerwahl.
<TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0005" n="1421"/><cb/> ſich recht gut anlaſſen. Ich habe ſchon darauf hingewieſen daß belletri-<lb/> ſtiſche Blätter bei uns durchaus keinen Boden mehr haben. Man ſpricht<lb/> zwar davon daß in den nächſten Landſtädten, Baden und Neuſtadt, Jour-<lb/> nale erſcheinen ſollen weil ſie dort nur 5000 fl. zu zahlen haben, aber ſie<lb/> werden, wenn auch entſtanden, ſich nicht halten, da ſelbſt eine ſo kleine<lb/> Entfernung ihnen doch die Concurrenz mit den großen Blättern in der<lb/> Schnelligkeit der Mittheilungen unmöglich macht. Die Folge des ganzen<lb/> Sachverhaltes wird alſo ſeyn daß an die Stelle der Journale eine Bro-<lb/> ſchüren- und Flugſchriften-Literatur treten wird, bei der aber die gute<lb/> Sache nur verlieren kann. Ich wünſche daß ich mich irre, glaube aber<lb/> dieſe Verhältniſſe hinlänglich zu kennen. Und wie wird es mit den un-<lb/> gariſchen Ländern ſeyn? Werden die Zeitungen von Hermannſtadt und<lb/> Kronſtadt auch nur 5000 fl. erlegen können? Das Miniſterium hat bei<lb/> jeder Gelegenheit gezeigt wie großes Gewicht es auf die öffentliche Mei-<lb/> nung legt, es hat ſelbſt Organe dafür gegründet, man kann alſo ſich über-<lb/> zeugt halten daß die obenangedeuteten Folgen der Cautionen nicht von<lb/> demſelben beabſichtigt wurden, ſo daß eine Modification der proviſoriſchen<lb/> Maßregel wohl zu erwarten ſeyn dürfte. Uebrigens hört man daß wäh-<lb/> rend des Belagerungszuſtands keine Cautionen gefordert werden ſollen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Wien,</hi> 29 März.</dateline><lb/> <p>Der ehemalige Miniſter und bisheriger<lb/> Redacteur der „Allgemeinen öſterreichiſchen Zeitung“, Herr v. <hi rendition="#g">Schwar-<lb/> zer</hi>, iſt zu 48 Stunden Stockhausatreſt verurtheilt worden. Amtlich mo-<lb/> tivirt wird dieſes Urtheil dadurch daß, wenn auch die aufreizende Tendenz<lb/> zweier Aufſätze „der Wahrheit eine Gaſſe“ und „der Wochencourier“ dem<lb/> Redacteur Hrn. v. Schwarzer ſelbſt nicht zur Laſt gelegt werden können,<lb/> ſo treffe ihn doch „das ſchwere Verſchulden einer Fahrläſſigkeit die einge-<lb/> ſendeten Artikel in ihrer Faſſung nicht modificirt zu haben.“ Obgleich<lb/> Einleitung eines kriegsrechtlichen Verfahrens nicht für thunlich befunden<lb/> worden, „ſo mußte der Hr. Redacteur einer Ahndung unterworfen wer-<lb/> den, welche ihm von der Central-Unterſuchungscommiſſion durch 48ſtün-<lb/> digen Profoßenarreſt zuerkannt worden iſt.“(!)</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>□ <hi rendition="#b">Wien,</hi> 26 März.</dateline><lb/> <p>Die Geſtaltung Deutſchlands wird hier von<lb/> der Mehrzahl fortwährend mit Gleichgültigkeit angeſehen. 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In Hinſicht der<lb/> Jury glaube ich das auch, und fürchte daß Jahre vergehen werden bevor<lb/> man ſich auf ein geſundes kaltes Urtheil der Juries in Oeſterreich wird<lb/> verlaſſen können. 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Sechs-bis achthundert Oeſterreicher blieben dabei<lb/> todt oder ſchwer verwundet auf dem Platze, von 400 Pionnieren ſollen nur<lb/> 80 entkommen, bloß von Erzherzog Karl Infanterie mehr als 200 Mann<lb/> gefallen ſeyn. Dieſe für unſere Waffen traurige Kataſtrophe war die<lb/> Folge eines Ueberfalles den 15 bis 20,000 Magyaren gegen die 3000<lb/> Mann ſtarke Brigade des Generalmajors Karger ausgeführt, und der um<lb/> ſo auffallender als man öſterreichiſcherſeits ſchon früher unterrichtet gewe-<lb/> ſen zu ſeyn ſcheint daß die Magyaren zu ſolchem oder ähnlichem Zwecke<lb/> eine Brücke über die Theiß geſchlagen hatten. Die Magyaren gaben bei<lb/> dieſem Ueberfall keinen Pardon — daher, nebſt dem Löwenmuthe der Un-<lb/> ſrigen — ſo viele Todte und faſt keine Gefangenen. Generalmajor Karger<lb/> ſoll in Folge dieſes Unfalles, wie einige ſagen, penſionirt, wie andere be-<lb/> haupten in kriegsrechtliche Unterſuchung gezogen worden ſeyn; ob ihn oder<lb/> die Befehle ſeiner Vorgeſetzten oder beide die Schuld trifft, wird die Un-<lb/><cb/> terſuchung darthun, vorausgeſetzt daß man die Sache nicht vertuſcht —<lb/> oder daß nicht, wie bei Graf Zichy, dem Commandanten von Venedig, der<lb/> Mangel an Beweiſen ein langdauerndes <hi rendition="#aq">non liquet</hi> zur Folge hat. Ge-<lb/> wiß ſcheint mir daß Fürſt Windiſch-Grätz in der <hi rendition="#g">Wahl</hi> ſeiner <hi rendition="#g">Unter-<lb/> feldherren</hi> öfters unglücklich iſt, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich<lb/> hinzufüge daß entweder Unkenntniß oder Geringſchätzung gewiſſer ſonſt<lb/> allbekannter Vorgänge die Urſache ſeiner unglücklichen Wahlen, ja faſt<lb/> des <hi rendition="#g">ganzen Ganges</hi> des Krieges in Ungarn iſt. Wenigſtens kann ich,<lb/> und können ſich Hunderte mit mir nicht anders erklären warum der Fürſt,<lb/> deſſen Redlichkeit, Patriotismus und perſönlichen Muth nur Verleumder<lb/> in Frage ſtellen, Generalen wie Nugent und Wrbna das Commando eige-<lb/> ner, zum Theil großer Armeecorps anvertraute. Feldmarſchalllieutenant<lb/> Nugent — der im Sommer 1848 auf den Proteſt ſeines Officierscorps<lb/> von dem Commando im Venezianiſchen entfernt wurde, der nebſtbei ſchon<lb/> bejahrt und bei ſeinem Alter durchaus kein Radetzky oder Puchner iſt, er-<lb/> hielt das Commando der ſüdungariſchen Armee von 20 bis 25,000 Mann<lb/> — ohne in den Augen der Welt ſeine italieniſche Scharte ausgewetzt zu haben.<lb/> Nugents Corps (Mannſchaft und Officiere) iſt brav, von ſeinen Heldenthaten<lb/> kam aber noch keine Kunde zu uns. Feldmarſchalllieutenant Graf <hi rendition="#g">Wrbna</hi>,<lb/> weder durch ſeine Cavalleriemanöver im J. 1845, noch durch ſeine Kriegs-<lb/> thaten in Krakau (1846) berühmt, wurde von dem ihm damals übertra-<lb/> genen Commando bald wieder entfernt und genoß, ſoviel mir und vielen<lb/> anderen bekannt, nie eines größern Feldherrn Rufes in der Armee. Dennoch<lb/> wurde auch ihm ein eigenes Armeecorps in Ungarn anvertraut. Es wird<lb/> für gewiß erzählt, man habe ihm zwar auch dieſes Commando neuerlich<lb/> abgenommen, aber erſt in Folge eines — <hi rendition="#aq">si fabula vera</hi> — für unſere<lb/> Waffenehre wenig vortheilhaften Vorfalles bei Kapolna. Es ſoll nämlich<lb/> ein großer magyariſcher Artilleriepark in einem Dorfe bei Kapolna im<lb/> Kothe ſtecken geblieben ſeyn. Die Oeſterreicher hätten, ſo wird hinzuge-<lb/> fügt, ſich desſelben leicht bemächtigen können, aber man habe 2 volle Tage<lb/> nutzlos verſtreichen laſſen, und — Feldmarſchalllieutenant Graf Wrbna ſoll<lb/> der Commandant des betreffenden öſterreichiſchen Corps geweſen ſeyn.<lb/> Wie man mich verſichert, wurden unſere Truppen über dieſe Unthätigkeit<lb/> dergeſtalt entrüſtet daß einige hundert Officiere gegen die Belaſſung<lb/> Wrbna’s im Commando ſchriftlich proteſtiren wollten. Erſt hierauf<lb/> ſcheint man Wrbna’s Entfernung vom Commando für unvermeidlich ge-<lb/> halten zu haben. Generalmajor Graf Deym, wie es heißt, ebenfalls bei<lb/> dieſen oder anderen Unfällen unſerer Armee betheiligt, wurde ſogleich<lb/> nach Galizien verſetzt. Warum man die gräflichen Generale keiner kriegs-<lb/> rechtlichen Unterſuchung unterzogen, warum in Ungarn überhaupt derlei<lb/> altgräfliche Generale ſo zahlreich ſind, warum der bei der Armee ſo be-<lb/> liebte Jellachich, warum die Generale Zeisberg, Hartlieb, Haslaub und<lb/> andere einem Nugent und Wrbna nachſtehen mußten, iſt annoch für viele<lb/> ein Räthſel; andere meinen es ſey eben nur ein öffentliches Geheimniß.<lb/> Jedenfalls nur beklagenswerth ſcheint mir das Verhalten der öſterreichi-<lb/> ſchen Tagespreſſe gegenüber ſolchen von Mund zu Mund gehenden Ge-<lb/> rüchten. In England kommt die miniſterielle wie die Oppoſttionspreſſe<lb/> dem Miniſterium zu Hülfe um — Maßregeln der Strenge durchzuführen,<lb/> um ſie abzunöthigen. Bei uns ſind theils die Sympathien der Oppoſition<lb/> für Koſſuth, Karl Albert u. drgl., theils der Köhlerglaube der halbofficiel-<lb/> len oder conſervativen Journale der Regierung durch derlei Enthüllungen<lb/> zu ſchaden der Grund des allſeitigen Schweigens. Man kennt bei uns<lb/> faſt nur die Alternative: zu wühlen oder zu ſcherwenzeln; ein ganz un-<lb/> abhängiges Blatt gehört noch zu den frommen Wünſchen. Leider weiß<lb/> auch die ob ihres Styles beliebte Oſtdeutſche Poſt nur Oppoſition zu ma-<lb/> chen, und ſelbſt das vergleichsweiſe ſelbſtändigſte Wiener Journal, „die<lb/> Preſſe,“ vermag ſeine Unabhängigkeit nur zum Theil, nur in einigen<lb/> Fragen zu behaupten. Einer ſo heldenmüthigen Armee wie die unſrige<lb/> ohne Frage iſt, kann es nur ſchmerzlich fallen daß kein öſterreichiſches<lb/> Organ ihre Intereſſen, ihre Ehre und ihren Ruhm durch freimüthige aber<lb/> beſonnene und kundige Beſprechung öffentlich vertritt. So eben verkün-<lb/> det ein Bülletin Radetzky’s zweiten glänzenden Sieg bei Novara. Wenn<lb/> Fürſt Windiſch-Grätz den militäriſchen Ehrgeiz eines Themiſtokles beſäße,<lb/> ließen ihn die Siege Radetzky’s nicht ſchlafen; ſtatt deſſen geht es in Ungarn<lb/> immer ſchlechter. Kaſchau wurde abermals von den Magyaren beſetzt,<lb/> Görgey ſtreift mit einigen tauſend Inſurgenten bis an die mähriſche<lb/> Gränze! Koſſuth wird ins Fäuſichen lachen. Ja, es könnte geſchehen daß<lb/> unſere italieniſchen Siege in Ungarn noch traurigere Gegenſätze als bis-<lb/> her finden. Möge Graf Stadion in ſeinen energiſchen Bemühungen dem<lb/> ariſtokratiſchen Bevorzugungsſyſtem Zaum und Kappe anzulegen glücklich<lb/> ſeyn, denn wehe uns! wenn dem bereits mächtig angeſchwollenen Kamm einer<lb/> gewiſſen Clique nicht Einhalt gethan wird. Neben dem Bureaukratismus und<lb/> Ultramontanismus war es gerade der ſeit 1825 immer entſchiedener auftre-<lb/> tende Ariſtokratismus, der im März 1848 in Oeſterreich zu einer Kata-<lb/> ſtrophe führte die in ihrem Verlaufe dem Staate und unſerer Dynaſtie<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1421/0005]
ſich recht gut anlaſſen. Ich habe ſchon darauf hingewieſen daß belletri-
ſtiſche Blätter bei uns durchaus keinen Boden mehr haben. Man ſpricht
zwar davon daß in den nächſten Landſtädten, Baden und Neuſtadt, Jour-
nale erſcheinen ſollen weil ſie dort nur 5000 fl. zu zahlen haben, aber ſie
werden, wenn auch entſtanden, ſich nicht halten, da ſelbſt eine ſo kleine
Entfernung ihnen doch die Concurrenz mit den großen Blättern in der
Schnelligkeit der Mittheilungen unmöglich macht. Die Folge des ganzen
Sachverhaltes wird alſo ſeyn daß an die Stelle der Journale eine Bro-
ſchüren- und Flugſchriften-Literatur treten wird, bei der aber die gute
Sache nur verlieren kann. Ich wünſche daß ich mich irre, glaube aber
dieſe Verhältniſſe hinlänglich zu kennen. Und wie wird es mit den un-
gariſchen Ländern ſeyn? Werden die Zeitungen von Hermannſtadt und
Kronſtadt auch nur 5000 fl. erlegen können? Das Miniſterium hat bei
jeder Gelegenheit gezeigt wie großes Gewicht es auf die öffentliche Mei-
nung legt, es hat ſelbſt Organe dafür gegründet, man kann alſo ſich über-
zeugt halten daß die obenangedeuteten Folgen der Cautionen nicht von
demſelben beabſichtigt wurden, ſo daß eine Modification der proviſoriſchen
Maßregel wohl zu erwarten ſeyn dürfte. Uebrigens hört man daß wäh-
rend des Belagerungszuſtands keine Cautionen gefordert werden ſollen.
Wien, 29 März.
Der ehemalige Miniſter und bisheriger
Redacteur der „Allgemeinen öſterreichiſchen Zeitung“, Herr v. Schwar-
zer, iſt zu 48 Stunden Stockhausatreſt verurtheilt worden. Amtlich mo-
tivirt wird dieſes Urtheil dadurch daß, wenn auch die aufreizende Tendenz
zweier Aufſätze „der Wahrheit eine Gaſſe“ und „der Wochencourier“ dem
Redacteur Hrn. v. Schwarzer ſelbſt nicht zur Laſt gelegt werden können,
ſo treffe ihn doch „das ſchwere Verſchulden einer Fahrläſſigkeit die einge-
ſendeten Artikel in ihrer Faſſung nicht modificirt zu haben.“ Obgleich
Einleitung eines kriegsrechtlichen Verfahrens nicht für thunlich befunden
worden, „ſo mußte der Hr. Redacteur einer Ahndung unterworfen wer-
den, welche ihm von der Central-Unterſuchungscommiſſion durch 48ſtün-
digen Profoßenarreſt zuerkannt worden iſt.“(!)
□ Wien, 26 März.
Die Geſtaltung Deutſchlands wird hier von
der Mehrzahl fortwährend mit Gleichgültigkeit angeſehen. Wer daran
ein Intereſſe nimmt, den macht die anſcheinende oder ernſt gemeinte Wei-
gerung des Königs von Preußen irre. Nimmt er die Kaiſerkrone an *),
dann mag Deutſchland den Bundesſtaat feſt ſchließen, und auf das Zu-
treten von Oeſterreich, auch in den Staatenbund, nicht rechnen, da die hie-
ſige Regierung, auch wenn ſie wollte, wegen der Stimmung der Völker
kaum darauf eingehen kann. — Unſer Miniſterium iſt ungemein thätig.
Es läßt Tag für Tag organiſche Geſetze erſcheinen. Das Gemeindegeſetz,
das Entſchädigungsgeſetz, das Jagdgeſetz gefallen allgemein — weniger das
Preßgeſetz und das Affociationsgeſetz. Die Miniſter antworten auf die
letztere Bemerkung: wie ſie von der Erfahrung ihre Rechtfertigung und
den Beweis erwarteten, daß ſelbſt dieſe beſchränkenden Geſetze für unſer
unerfahrenes Volk noch allzuſchwache Gränzen geſetzt. In Hinſicht der
Jury glaube ich das auch, und fürchte daß Jahre vergehen werden bevor
man ſich auf ein geſundes kaltes Urtheil der Juries in Oeſterreich wird
verlaſſen können. Indeſſen mußte der Anfang gemacht werden.
☉ Wien, 28 März.
Geſtatten Sie mir einige Aufklärungen
über die jüngſten Ereigniſſe bei Szolnok und Kapolna und deren Folgen.
Durch directe Briefe vom Kriegsſchauplatz und andere verläßliche Nach-
richten in den Stand geſetzt Ihre Leſer über den wahren Sachverwalt zu
unterrichten, glaube ich dadurch der guten Sache einen Dienſt zu thun.
Läßt ſich auch Geſchehenes nicht ungeſchehen machen, ſo laſſen ſich doch
Rückfälle vermeiden, und diejenige Cenſur welche die Oeffentlichkeit
übt, iſt für das Vaterland immer eine heilſame — das beweiſen uns die
Berichte über Lord Gough und deſſen ſchnelle Vertauſchung mit Napier.
Unſere ungariſche Armee hat innerhalb weniger Wochen an derſelben Stelle
— bei Szolnok — zwei Schlappen erlitten; die letzte war leider eine nicht
ganz unbedeutende. Sechs-bis achthundert Oeſterreicher blieben dabei
todt oder ſchwer verwundet auf dem Platze, von 400 Pionnieren ſollen nur
80 entkommen, bloß von Erzherzog Karl Infanterie mehr als 200 Mann
gefallen ſeyn. Dieſe für unſere Waffen traurige Kataſtrophe war die
Folge eines Ueberfalles den 15 bis 20,000 Magyaren gegen die 3000
Mann ſtarke Brigade des Generalmajors Karger ausgeführt, und der um
ſo auffallender als man öſterreichiſcherſeits ſchon früher unterrichtet gewe-
ſen zu ſeyn ſcheint daß die Magyaren zu ſolchem oder ähnlichem Zwecke
eine Brücke über die Theiß geſchlagen hatten. Die Magyaren gaben bei
dieſem Ueberfall keinen Pardon — daher, nebſt dem Löwenmuthe der Un-
ſrigen — ſo viele Todte und faſt keine Gefangenen. Generalmajor Karger
ſoll in Folge dieſes Unfalles, wie einige ſagen, penſionirt, wie andere be-
haupten in kriegsrechtliche Unterſuchung gezogen worden ſeyn; ob ihn oder
die Befehle ſeiner Vorgeſetzten oder beide die Schuld trifft, wird die Un-
terſuchung darthun, vorausgeſetzt daß man die Sache nicht vertuſcht —
oder daß nicht, wie bei Graf Zichy, dem Commandanten von Venedig, der
Mangel an Beweiſen ein langdauerndes non liquet zur Folge hat. Ge-
wiß ſcheint mir daß Fürſt Windiſch-Grätz in der Wahl ſeiner Unter-
feldherren öfters unglücklich iſt, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich
hinzufüge daß entweder Unkenntniß oder Geringſchätzung gewiſſer ſonſt
allbekannter Vorgänge die Urſache ſeiner unglücklichen Wahlen, ja faſt
des ganzen Ganges des Krieges in Ungarn iſt. Wenigſtens kann ich,
und können ſich Hunderte mit mir nicht anders erklären warum der Fürſt,
deſſen Redlichkeit, Patriotismus und perſönlichen Muth nur Verleumder
in Frage ſtellen, Generalen wie Nugent und Wrbna das Commando eige-
ner, zum Theil großer Armeecorps anvertraute. Feldmarſchalllieutenant
Nugent — der im Sommer 1848 auf den Proteſt ſeines Officierscorps
von dem Commando im Venezianiſchen entfernt wurde, der nebſtbei ſchon
bejahrt und bei ſeinem Alter durchaus kein Radetzky oder Puchner iſt, er-
hielt das Commando der ſüdungariſchen Armee von 20 bis 25,000 Mann
— ohne in den Augen der Welt ſeine italieniſche Scharte ausgewetzt zu haben.
Nugents Corps (Mannſchaft und Officiere) iſt brav, von ſeinen Heldenthaten
kam aber noch keine Kunde zu uns. Feldmarſchalllieutenant Graf Wrbna,
weder durch ſeine Cavalleriemanöver im J. 1845, noch durch ſeine Kriegs-
thaten in Krakau (1846) berühmt, wurde von dem ihm damals übertra-
genen Commando bald wieder entfernt und genoß, ſoviel mir und vielen
anderen bekannt, nie eines größern Feldherrn Rufes in der Armee. Dennoch
wurde auch ihm ein eigenes Armeecorps in Ungarn anvertraut. Es wird
für gewiß erzählt, man habe ihm zwar auch dieſes Commando neuerlich
abgenommen, aber erſt in Folge eines — si fabula vera — für unſere
Waffenehre wenig vortheilhaften Vorfalles bei Kapolna. Es ſoll nämlich
ein großer magyariſcher Artilleriepark in einem Dorfe bei Kapolna im
Kothe ſtecken geblieben ſeyn. Die Oeſterreicher hätten, ſo wird hinzuge-
fügt, ſich desſelben leicht bemächtigen können, aber man habe 2 volle Tage
nutzlos verſtreichen laſſen, und — Feldmarſchalllieutenant Graf Wrbna ſoll
der Commandant des betreffenden öſterreichiſchen Corps geweſen ſeyn.
Wie man mich verſichert, wurden unſere Truppen über dieſe Unthätigkeit
dergeſtalt entrüſtet daß einige hundert Officiere gegen die Belaſſung
Wrbna’s im Commando ſchriftlich proteſtiren wollten. Erſt hierauf
ſcheint man Wrbna’s Entfernung vom Commando für unvermeidlich ge-
halten zu haben. Generalmajor Graf Deym, wie es heißt, ebenfalls bei
dieſen oder anderen Unfällen unſerer Armee betheiligt, wurde ſogleich
nach Galizien verſetzt. Warum man die gräflichen Generale keiner kriegs-
rechtlichen Unterſuchung unterzogen, warum in Ungarn überhaupt derlei
altgräfliche Generale ſo zahlreich ſind, warum der bei der Armee ſo be-
liebte Jellachich, warum die Generale Zeisberg, Hartlieb, Haslaub und
andere einem Nugent und Wrbna nachſtehen mußten, iſt annoch für viele
ein Räthſel; andere meinen es ſey eben nur ein öffentliches Geheimniß.
Jedenfalls nur beklagenswerth ſcheint mir das Verhalten der öſterreichi-
ſchen Tagespreſſe gegenüber ſolchen von Mund zu Mund gehenden Ge-
rüchten. In England kommt die miniſterielle wie die Oppoſttionspreſſe
dem Miniſterium zu Hülfe um — Maßregeln der Strenge durchzuführen,
um ſie abzunöthigen. Bei uns ſind theils die Sympathien der Oppoſition
für Koſſuth, Karl Albert u. drgl., theils der Köhlerglaube der halbofficiel-
len oder conſervativen Journale der Regierung durch derlei Enthüllungen
zu ſchaden der Grund des allſeitigen Schweigens. Man kennt bei uns
faſt nur die Alternative: zu wühlen oder zu ſcherwenzeln; ein ganz un-
abhängiges Blatt gehört noch zu den frommen Wünſchen. Leider weiß
auch die ob ihres Styles beliebte Oſtdeutſche Poſt nur Oppoſition zu ma-
chen, und ſelbſt das vergleichsweiſe ſelbſtändigſte Wiener Journal, „die
Preſſe,“ vermag ſeine Unabhängigkeit nur zum Theil, nur in einigen
Fragen zu behaupten. Einer ſo heldenmüthigen Armee wie die unſrige
ohne Frage iſt, kann es nur ſchmerzlich fallen daß kein öſterreichiſches
Organ ihre Intereſſen, ihre Ehre und ihren Ruhm durch freimüthige aber
beſonnene und kundige Beſprechung öffentlich vertritt. So eben verkün-
det ein Bülletin Radetzky’s zweiten glänzenden Sieg bei Novara. Wenn
Fürſt Windiſch-Grätz den militäriſchen Ehrgeiz eines Themiſtokles beſäße,
ließen ihn die Siege Radetzky’s nicht ſchlafen; ſtatt deſſen geht es in Ungarn
immer ſchlechter. Kaſchau wurde abermals von den Magyaren beſetzt,
Görgey ſtreift mit einigen tauſend Inſurgenten bis an die mähriſche
Gränze! Koſſuth wird ins Fäuſichen lachen. Ja, es könnte geſchehen daß
unſere italieniſchen Siege in Ungarn noch traurigere Gegenſätze als bis-
her finden. Möge Graf Stadion in ſeinen energiſchen Bemühungen dem
ariſtokratiſchen Bevorzugungsſyſtem Zaum und Kappe anzulegen glücklich
ſeyn, denn wehe uns! wenn dem bereits mächtig angeſchwollenen Kamm einer
gewiſſen Clique nicht Einhalt gethan wird. Neben dem Bureaukratismus und
Ultramontanismus war es gerade der ſeit 1825 immer entſchiedener auftre-
tende Ariſtokratismus, der im März 1848 in Oeſterreich zu einer Kata-
ſtrophe führte die in ihrem Verlaufe dem Staate und unſerer Dynaſtie
*) Am 31 März kannte man in Wien die Kaiſerwahl.
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(2021-08-16T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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